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Zu den Kreuzen des Peter Blaas

Autor:Braun Bernhard
Veröffentlichung:
Kategoriefak
Abstrakt:
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2000-12-16

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Peter Blaas geht kosequent seinen malerischen Weg. Wer ihn kennt, der weiß, daß sich in dieser Unbeirrtheit sein Lebensstil widerspiegelt. Auf die heutigen Motive Bezug nehmend, könnte man von einer «Cardo-Achse» sprechen, die er mit seiner Geradlinigkeit durch postmodernes Patchwork - manche sprechen gar von Orientierungslosigkeit - legt.

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Blaas ist stets der Malerei treu geblieben. Dies auch zu einer Zeit, in der die Kunst zu anderen Ausdrucksformen gegriffen und das klassische Tafelbild, zusammen mit der Gutenberggalaxis - vielleicht möchten wir heute sagen: voreilig -, verabschiedet hat. Dazu kommt die seit dem 19. Jahrhundert grassierende Bebilderung der Welt, die in der Kunst beinahe zwangsläufig durch eine Epochè, ein Moratorium bildnerischer Darstellung, beantwortet worden ist. Einige wenige Künstler - unter ihnen Peter Blaas - stellen freilich ganz bewußt das Bild gegen die Bilder- und Designflut unserer Tage. Dann aber kann es nicht um mimetisches Nachahmen gehen, sondern die Stärke dieses subversiven Bildes liegt in der ikonischen Differenz, also im Unterschied von Bild und Abgebildetem.

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Günter Lierschof hat an den Arbeiten von Peter Blaas sein Erinnerungswerk hervorgehoben. Das Bild als ein Erinnerungsrest - sagt Blaas selbst dazu. Mit solchen Erinnerungsresten läßt sich umgehen wie mit Schwemmgut an Ufern und Stränden, mit Fundstücken bei archäologischen Grabungen. Es sind objets trouvés der Geschichte, des je eigenen Bildungsschatzes, der Kindheitserinnerungen. Es sind intuitiv und meditativ erfahrene Verdichtungen, die ermöglichen, Dinge des Alltags, Dinge der Erinnerung, so zu sehen, wie man sie noch nie gesehen hat. Hier wird Malerei buchstäblich zur Dichtung, Ver-dichtung. Und diese ungeheuer konzentrierte Reduktion gebiert Zeichenhaftes, Motivisches. Das passiert im Rahmen klassischer Malerei: erdiger Ton der Farben, «handschriftliche» Spuren des Pinsels, Spannung zwischen Grund und figurativ-graphischem Thema. Nun sind diese Motive nie konstruiert oder zugerichtet - für eine bestimmte Ausstellung etwa, sondern sie lassen sich gleichsam aus der Erinnerungsarbeit herauslösen, werden erst nachträglich thematisiert.

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So verhält es sich auch mit dem Kreuzmotiv, wohl einem der ältesten und ausgezeichnetsten Motive, die es gibt. Die Bilder wurden nicht für diese Ausstellung geplant, entworfen, sondern sie sind aus dem Schatz eines Ateliers aufgelesen.

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Das Kreuz hat hier nichts gemein mit Pathos und Folklore. Es entspricht vielmehr der Variation archetypischer Assoziationen. Lassen Sie mich einige wenige in Erinnerung rufen!

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Schon eine absichtslose gestische Dynamik verführt dazu, schwungvoll zwei Linien zu kreuzen. Was passiert da? Stabilisieren sich bei solchem Tun Schwung und Gegenschwung? Oder durchkreuzt eine Gegenthese die These, eine Negation die Behauptung - das dialektische Spiel des Lebens eben? Oder wird hier - ganz im Gegensatz dazu - ein fester Punkt markiert, ein Ort fixiert, der Halt gewähren soll? Soch elementarem Geschehen hat man früh Bedeutungen unterlegt. Etwa kosmische: Im Schnittpunkt von Vertikale und Horizontale treffen sich Himmels- und Erdachse. Und markiert dieser Schnittpunkt nicht magisch einen Ort, wo Göttliches und Menschliches sich treffen? Oder wo Sonnengang und Erdachse sich schneiden? Die Begegnung von fruchtbarer Erde mit der samenspendenden Sonne stiftet das Leben. Das frühgeschichtliche Kreuzzeichen in der Vielfalt seiner Formen stand - vom ägyptischen Henkelkreuz bis zum orientalischen Hakenkreuz - zeichenhaft für das Leben, ja symbolisierte den Schlüssel für das Paradies.

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Auch die Stadt war immer so ein Ort des Lebens. Schon die Etrusker trennten sie durch eine in ritueller Pflügung gezogene Furche von der feindlichen Außenwelt ab. Den Kreis durchschnitten die nord-südliche Erdachse und die west-östliche Sonnenachse. Im Kreuzungspunkt markiert die Opfergrube oder die den babylonischen Zikkurat zitierende Akropolis die Vertikalachse von Himmel und Erde. Dort lag der Ort der Verbindung des Menschlichen und Göttlichen. Der römische Sinn für Axialität, Ordnung und Raum legt dieses Cardo-Decumanus-Schema durch Städte, Foren, Villen, Paläste, ja Einzelhäuser.

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Und dann das Kreuz als Symbol des Christentums! Es ist zunächst das Marterholz, an dem das Todesurteil des Jesus von Nazareth vollzogen wurde, und dieses Schandholz wurde zum Symbol des Erlösungsangebots Jesus des Christus. Daß der göttliche Logos Fleisch geworden ist und am Kreuz geschunden wurde und zu Tode kam, war den Griechen eine Torheit, ja ein Skandal, und für die Juden lästerlich. Das Kreuz wurde denunziert und verhöhnt als finsteres Zeichen des Todes und verklärte sich doch in der Hand des Auferstandenen zum lichtvollen Symbol des Lebens. Gerade in die Torheit, in das Schwache, in die Zerbrechlichkeit legte das Christentum die Hoffnung auf Erlösung, nicht in das Machtvolle, in die Perfektion, die Letztbegründung. Das Fragile, das die Haltlosigkeit der scheinbar so perfekt geölten Maschine der Welt so schonungslos aufdeckt - Sie entdecken es an vielen Stellen der Bilder des Peter Blaas!

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Das Kreuz als christliches Symbol durchzieht die Kunstgeschichte - von den ersten zögernd tastenden Darstellungen über den glanzvollen Stolz des am Kreuz triumphierenden Christkönigs bis zum Ausdruck des unsäglichen Schmerzes des Martyriums, wie ihn der Isenheimer Altar so grandios herausschreit - so reichhaltig, daß schon Andeutungen dazu diesen Rahmen sprengen würden.

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Wenn in Wagners Parsifal der Titelheld im zweiten Akt mit der linear-phallischen Lanze das Kreuzzeichen schlägt, versinkt die ringförmig in sich geschlossene Welt Klingsors und mit ihr der Autonomieanspruch des Menschen auf Selbsterlösung. Das Kreuz destruiert hier die Erlösungskonzeption der Ringdichtung, und es steht für eine heteronome Sinnstiftung. Doch - gegenläufig dazu - verbirgt sich im Kreuz auch der Mensch: Seit Konstantinischer Zeit legt man das Kreuz den Kirchenbauten zugrunde. Ein klassischer Fall von Arbeit an der Erinnerung, weist doch diese Form zurück auf das heidnische Cardo-Decumanus-Schema, das auch der Basilika zugrunde liegt. Jetzt wird es neu interpretiert als christliches Heilssymbol, und dann - in der Renaissance - entdeckt man darin das idealisierte Proportionsschema des Menschen, der zum Abbild des Kosmos aufgewertet wird.

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Im frühmittelalterlichen Bildersturm hat man die Pantokratormosaiken in den basilikalen Apsiden durch das Zeichen Kreuz ersetzt. Ähnlich scheut sich auch die Moderne, den menschlichen Körper darzustellen. Man ist - gerade angesichts der eingangs erwähnten Bebilderung der Welt - sensibel geworden dafür, daß der Betrachter in ein Bildgeschehen einbezogen werden muß.

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Die Bilder des Peter Blaas wehren den Betrachter nicht ab, sondern sie lassen ihn eindringen, ihn in Beziehung treten. So soll denn auch im Abschreiten dieser Achse des Ganges die Erfahrung neuer Wahrnehmungen gelingen. In einer Skala von Erinnerungen, von Gefühlen, von Lebensassoziationen ließen sich so nicht nur die Dinge neu sehen, sondern - vor allem - man könnte sich selbst neu erfahren.

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