Witiko

H211, S. 272


von Österreich stand, fuhr an dem Berge vorüber, und landete in der Dämmerung am Gestade des Salzgrieses der Stadt Wien. Witiko und Raimund verließen mit ihren Pferden das Schif, und zogen in die Herberge des Gestades.

Als am andern Morgen die Sonne schon an dem Himmel stand, ritten sie auf ihren wohlgerüsteten Pferden von der Herberge am Gestade weg. Sie ritten gegen die Stadt empor, ritten durch einen Theil der Stadt, sahen das neue schöne Gebäude, in welches Heinrich der Markgraf von Österreich seinen Hof verlegt hatte, um da mit seiner Gemalin Gertrud der Wittwe des stolzen Heinrichs des Herzoges von Baiern zu leben, sie ritten dann über die Brüke des Stadtgrabens durch die Schranken des Plazes, welcher die Freiung hieß, weil er den fliehenden Verbrechern eine zeitliche Freistätte both, und ritten dann durch die Fluren dem Kalenberge zu. Sie ritten durch schönes Gelände, auf dem Weinreben gepflanzt waren, und ritten dann durch den Wald des Kalenberges zu der Burg der Markgrafen empor.

Als Witiko an dem Thore angelangt war, sagte er seinen Namen, und verlangte Einlaß. Der Thorwart öffnete den Thorflügel neben dem kleinen Eingangsthürlein, und ließ die beiden Männer in den Hof reiten. Dort stiegen sie ab. Es kam ein Mann des Marschalkes des Markgrafen, und zeigte ihnen einen Stall für die Pferde, und führte sie dann in ein Wartegemach des Thoraufsehers, und hieß sie da harren. Nach einer Weile, da er fort gegangen war, kam ein anderer Mann, und sagte, der von den beiden, welcher Witiko heiße, möge ihm folgen. Witiko stand auf, bedeutete Raimund, in dem Gemache zu warten, und folgte dem Manne. Dieser führte ihn über eine Treppe empor, dann über einen Gang, dann in ein Gemach, in welchem junge Mädchen saßen, die spannen. Hier ließ er Witiko stehen, und ging seines Weges wieder zurük. Eines der Mädchen stand von seiner Spindel auf, öffnete die Thür in ein weites Gemach, und ging hinein. Nach einer Weile kam es wieder heraus, und sagte Witiko möge eintreten.

Witiko ging in das Gemach. Es war geräumig, hatte vier Fenster, durch welche man auf die Donau und von der andern Seite auf das neue Kloster hinab sehen konnte. Die Wände waren mit Eichenholz getäfelt, und eine, in welcher kein Fenster war, hatte ein großes aus Holz geschniztes Kreuz, über welchem ein Himmel war, und vor welchem ein Bethschämel stand. In dem Gemache waren vier Frauen, die alle in einfarbige dunkelgraue Stoffe gekleidet waren. Das Kleid hielt ein schwarzer Gürtel zusammen, und auf das Haupt war eine weiße Haube gesezt. Die Frauen waren mit der Nadel an verschiedenen Theilen derselben Stikerei beschäftigt. Zwei waren in jüngeren Jahren zwei in älteren. Eine der älteren, welche etwas tiefer als die andere saß, hatte ein sanftes Angesicht, welches fein und weiß war, und durch welches ein zartes Roth ging. Die Augen waren blau, und die Haare, welche unter der Haube hervor sahen, schwebten zwischen blond und weiß. Die andere, welche offenbar älter war, hatte ebenfalls ein sehr feines Angesicht voll Freundlichkeit, aber das Roth darinnen war viel schwächer, und die Haare waren schneeweiß wie die Haube. Sie mußte ein mal blond gewesen sein; denn die Augen waren von schöner dunkler Bläue.

Sie erhob sich ein wenig von ihrem Size, als Witiko eingetreten war, sich verneigt hatte, und stehen geblieben war, grüßte ihn, sezte sich wieder nieder, und sprach: "Ich bin Agnes die Wittwe Leopolds des Markgrafen von Österreich und die Tochter des Kaisers Heinrich des Vierten. Deine Mutter, Witiko, hat mir in einer schmerzensvollen Stunde einen großen Liebesdienst erwiesen, ich habe sie darum wieder ein mal sehen wollen, und habe sie gebethen, zu mir zu kommen. Sie ist milde und gut, und ist gekommen. Weil sie mir so viel von dir erzählt hat, wie gut du bist, so bath ich sie, daß ich dabei sein dürfe, wenn du zu ihr kömmst, und sie dich empfängt. Der Augenblik ist da. Begrüße deine Mutter, und lasse meine Augen schauen, wie es ist, wenn ein gutes Kind zu einer guten Mutter kömmt."

"Erlauchte Frau," sprach Witiko, indem er sich tief verneigte, "erlaubt zuerst, daß ich meinen tiefen Dank dafür ausspreche, daß ihr mich werth geachtet habt, zu euch kommen zu dürfen, und daß ihr mich mit Huld empfangen habt."

"Sage deinen Dank später, Witiko, dein erster Plaz ist jezt bei deiner Mutter," ent-

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