Witiko

H212, S. 273


gegnete Agnes.

"Nun, weil ihr es erlaubt, hohe Frau, so grüße ich meine Mutter," sagte Witiko.

Er näherte sich nach diesen Worten der Frau, welche tiefer saß als die Wittwe des Markgrafen, ließ sich vor ihr auf ein Knie nieder, und sagte: "Ich grüße dich, meine gute vielgeliebte Mutter!"

"Ich grüße dich, mein treuer ¢guter¢
Randnotiz: ehrbarer Sohn
Sohn," antwortete die Frau.

Sie zog ihn bei diesen Worten an der Hand, die sie gefaßt hatte, empor, legte die andere Hand auf sein Haupt, und küßte ihn auf die Stirne. Er aber beugte sich nieder, und küßte ihre Hand. Da er sich erhoben hatte, und in das Angesicht seiner Mutter blikte, so waren in seinen und in ihren Augen Thränen.

Die zwei jüngeren Frauen hatten zu stiken aufgehört, und sahen auf die Mutter und den Sohn.

"Mein guter Witiko," sagte die Mutter, "als du den Boten gesendet hattest, der mir sagen sollte, daß du zu mir kommen wollest, die du schon mehrere Jahre nicht gesehen hattest, so traf er mich nicht mehr in Landshut, sondern er mußte den Weg von dort nach Wien nehmen. Da ich der hohen Frau und Wittwe des verstorbenen Markgrafen Leopold der Tochter des erhabenen Kaisers der Deutschen Heinrichs des vierten, der so viele Thaten und Kämpfe vollführt hat, erzählte, daß du mich eben in der Zeit, als ich bei ihr sei, in Landshut besuchen wollest, so sagte sie, daß ich dir durch Boten melden soll, du mögest vor ihr Angesicht kommen, und nun stehest du vor der erlauchten Frau."1

"Mit der Verehrung, welche der hohen Frau gebührt," sagte Witiko, indem er sich gegen Agnes wendete, "mit der Verehrung, welche sich gegen die Tochter des außerordentlichen Kaisers Heinrich geziemt, mit der Verehrung, welche der Mutter des deutschen Königes Konrad zukömmt, mit der Verehrung, welche ich der Mutter Gertrud der Gattin Wladislaws des Herzoges von Böhmen zolle, welche bei der Belagerung von Prag durch die Empörer eine Heldin geworden ist, mit der Verehrung, welche ich gegen die Frau hege, die durch ihre Söhne und Töchtern auf dem geistlichen Stuhle auf den Feldern des Kampfes und in dem Rathe der Fürsten glänzt, und mit dem ehrerbiethigsten Danke, daß ich vor ihr stehen, und in ihr Angesicht schauen darf."

"Meine Schwiegertochter Maria hat mir erzählt," sagte Agnes, "daß ihr Vater Sobeslaw der Herzog von Böhmen gesagt habe, du, o Witiko, könnest in deiner Jugend die Worte schon stellen, und er glaube, daß du auch die Stöße deines Schwertes gegen böse Feinde [auch] eifrig anbringen würdest. Ich glaube schon, daß du Verehrung fühlest; aber es sind meine weißen Haare und meine Erfahrungen, die sie [xxx.] einflößen. Seze dich auf jenen Stuhl, Witiko, ich will dich deiner Mutter nicht mehr lange entziehen, gehe dann mit ihr in ihre Kammer, um dein Herz auszuschütten; aber jezt bleibe noch ein Weilchen hier, und lasse uns noch einige Worte reden."
Randnotiz: |Gott| xx über xxx verhängt

Witiko ging gegen den bezeichneten Stuhl, und ließ sich auf ihm nieder.

"Du bist lange nicht bei mir gewesen, Witiko," sagte die Mutter, "und jezt bist du so freundlich, und kömmst in demselben Gewand zu mir, in welchem du zum lezten Male von mir geritten bist."

"Ich habe einige Thaten zu vollführen vermocht," antwortete Witiko, "mit welchen ich vor dich in Ehren gekleidet hätte treten können, geliebte Mutter, und auch heute komme ich noch ziemlich arm, aber ich habe deine Augen nicht mehr entbehren können, ich habe deine Lippen, die gute Worte sagen, nicht mehr zu missen vermocht, und ich habe in dein gütiges Angesicht schauen müssen, daß ich weitere Kraft gewinne, etwas ersprießliches in der Welt zu thun, was doch nicht gleich wieder vergessen wird, und ich habe dir manches zu sagen, daß ich deine Meinung darüber vernehme. Das Gewand habe ich deinetwillen und noch eines andern willen angelegt. Der hochehrwürdige Bischof von Passau, der Herr von Peilstein und Hagenau hat schönes Gewand und schöne Waffen in mein Zimmer gethan, welche ich in seinem bischöflichen Hause inne hatte; aber es ist nichts von mir berührt worden."2

"So würdest du auch von mir Geschenke verschmähen Witiko," sagte Agnes.

"Erhabene Frau," entgegnete Witiko, "der hochehrwürdige Bischof von Passau ist ein erlauchter Kirchenfürst, von dem kirchliche und ähnliche Gaben zu nehmen eine Ehre ist, der Herr von Peilstein und Hagenau ist ein guter Verbündeter und tapferer Ritter, von dem ich noch keine Gabe verdient und bedurft habe.
Randnotiz: |ehrbar|

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