Witiko

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[Nach einer Weile trat er wieder heraus, und mit ihm kam die Frau, welche ihn hinein geführt hatte, und neben ihr ein Mann. Der Reiter sprach zu ihnen: "Habet Dank, Mathias, für die Nachtherberge und für das Frühmal, das ich eben genossen. Thut mit meinem Pferde, wie ich euch gesagt habe, und wie ihr es schon früher gesehen habt."

"Ich werde es thun," antwortete der Mann, "ich kenne die Sache schon, und sie wird genau geschehen."

"Ich weiß, ich weiß," versezte der Reiter, "und euch Margaretha danke ich auch recht herzlich."

"Keinen Dank," sagte die Frau, "und viel Glük auf den Weg.

Der Reiter verabschiedete sich bei diesen Worten, und schlug den Weg gegen die Mühel ein. Die beiden Leute und die Kinder blieben noch auf der Gasse stehen.

Der Reiter schritt über den Brettersteg, den man über die Mühel [gemacht] gelegt hatte, und ging dann im Waldlande nach Mitternacht aufwärts. Der Sommer hatte den Wald getroknet, daß man auf den Wegen wie auf weichem Tuche ging, und die Lüfte waren schon mild und klar. Der Wanderer hörte die Waldgloken der Kühe, die zu den Köhlerhütten gehörten, und die in den Holzschlägen oder dort, wo der Wald nicht zu dicht war, auf die Weide gingen. Die Vöglein sangen in den Zweigen, obwohl der Sommer schon gegen das Ende ging.

Der Reiter wandelte so eine halbe Stunde in seiner Richtung fort. Es war überall ein Pfad. Da die Bäume in dieser Gegend weniger dicht standen, da Wege von Kühen oder Wild vorhanden waren, und da der Morgenthau schon von den Gräsern gewichen war, so verließ der Reiter zuweilen den Pfad, er ging bald rechts bald links von demselben in den Wald und seine kleinen Lichtungen, und kehrte stets wieder auf den Pfad zurük.

Nachdem die halbe Stunde verflossen war, kam er wieder rechts von dem Pfade auf eine große Öffnung des Waldes, die gleichsam eine schöne natürliche Wiese darstellte. Die Wiese war sehr troken, sie hatte kurzes Gras und kleine weiße Blümchen. An ihrem Rande am Saume des Waldes, wo der Reiter ging, standen hohe Ahorne in großer Zahl. So ging er am Waldrande fort. Als die Ahorne endeten, lag ein großer Stein. Der Stein war so groß, wie ein kleines Haus, und doch lag er so da, als wäre er von Menschenhänden hergelegt worden. Neben dem Steine stand eine ungewöhnlich hohe Tanne. An diese Tanne kniete der junge Mann nieder, machte ein Kreuz auf Antliz und Brust, und bethete. Er bethete lange, dann machte er das Kreuz wieder, und stand auf. Nachdem er gebethet hatte, ging er wieder an dem Saume des Waldes fort. Er kam nach einer Zeit abermals zu Steinen, die aber klein waren, und mit Vorsaz so gelegt schienen, daß man sich darauf sezen könne. Sie hatten wieder einige Ahorne hinter sich. Der Reiter versuchte es zu sizen, und sie dienten völlig [zum Sizen] dazu. Er stand wieder auf, und ging weiter.

Er hatte hier fast keinen Laut vernommen, da auf der Wiese kein Wasser war, das gerauscht hätte, und da die Vögel weniger sangen, weil die Wärme des Tages sich mehrte. Aber da er jezt so schritt, ertönte plözlich ein Gesang so hell klar und schmetternd wie von Lerchen, nur noch holder und eingehender; denn es war der Gesang von Menschenstimmen, von Mädchenstimmen. Zwei Stimmen klangen im Vereine zusammen. Worte waren nicht zu vernehmen. In den Alpen und in vielen Wäldern anderer Gegenden ist ein Gesang, der keine Worte hat, sondern in allerlei Schwingungen der Stimmen in einem Herabstürzen derselben und Wiederemporheben im Wandel und im Verbleiben das Herz aussagt. Es ist das Herz, das in den tiefen Wäldern und in den hohen Bergen, wohin die Wandlungen der Menschen nicht gekommen sind, das nehmliche geblieben ist, und [so seine Gefühle offenbart.] sein wird, bis die Veränderungen hinkommen, und das Alte weg nehmen. Die Lust und die Freude den hohen Jubel die Klage und Trauer und selbst die Liebe sagt [es aus. Der Gesang wird bleiben bis Veränderung und Wandlung in den Wald und die Berge kommt, und den Schaz fortnimmt] der Gesang aus. Meistens sind es zwei Stimmen, die ihre gleichen Empfindungen [singen] tönen, so wie die Singenden auch Freunde oder Freundinen sind. Diesen Gesang hörte der Reiter. Er blieb stehen. Die zwei Stimmen, die erklangen, hoben sich, senkten sich, trugen sich, trennten sich, nekten sich, und schmollten. Es war dieses Mal nur die Lust und Freude, die sie aussprachen. Sie schienen näher zu kommen, und wenn sie auch eine Weile geschwiegen hatten, so erhoben sie sich wieder, schwellten sich, und stiegen gleichsam wie ein leuchtender Bogen empor, und belebten den Wald. Der Reiter ging nun wieder längs der Lichtung hin, um zur Stelle zu gelangen, woher der Gesang zu kommen schien. Der Gesang wurde deutlicher, und es war, als ob er nur mehr durch einige Stämme von dem Reiter getrennt wäre. Plözlich]1
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