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Glaube als Balanceakt des Lebens

Autor:Sandler Willibald
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:Gottesentdeckungen. Hg. Chr. Kanzian, R. Siebenrock, Thaur: Thaur Druck- und Verlagshaus 1999, 144-171.
Datum:2001-09-20

Inhalt

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„Das Leben scheint vergleichbar dem Balanceakt auf einem Drahtseil. Wir alle sind Seiltänzer. Man kann das Leben verfehlen, vom Seil herunterstürzen. Der Mensch ist ein Wesen der Spannung und zugleich ein Wesen der Mitte, das es nach seiner Sinn-Mitte zieht und zugleich nach außen abdrängt. Alle leben in Polaritäten und müssen lernen, Spannungen auszuhalten." (1)

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Stellen Sie sich einen schmalen Gratweg auf einer Bergtour vor. Links und rechts bricht steil das Gelände ab. Am Anfang des Übergangs steht ein Kind, am anderen Ende der Passage der Vater. Unsicher starrt das Kind auf den schmalen Steig. Normalerweise wäre es ja kein Problem, eine solche Strecke auszubalancieren. Aber hier drohen Abgründe. „Wenn ich nur einen einzigen falschen Schritt tue?" Es steht viel auf dem Spiel, und das macht Angst. Da ruft der Vater: „Schau nicht hinunter, schau auf mich! Und dann geh herüber. So ist es ganz leicht!" - Das Kind gehorcht, tut ein paar Schritte, aber es lockt der Blick in die Tiefe. Ein leichtes Schwanken nach links, ein zu großer Ausgleichschritt nach rechts ...

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Diese beklemmende Episode kann ein Gleichnis sein für das Leben, ein Gleichnis für den Gottbezug des Menschen und für die Gottesfinsternis, wenn der Blick von Gott abgeirrt ist - im Blick in die Tiefe - und das Leben aus dem Gleichgewicht gerät. Die verlorene Balance ist eine Erfahrung, die uns schmerzlich vertraut ist, - auf dem ganz persönlichen Lebensweg, im Umgang mit unseren Mitmenschen, aber auch angesichts des Kurses, den die ganze Menschheit zu steuern scheint: Verlust der Balance im Aufeinandertreffen von Völkern und Nationen, Verlust des rechten Maßes im Umgang mit den Ressourcen der Natur. Zwar waren die weltweiten Bemühungen um Frieden und Ökologie noch nie so groß wie heute. Aber gleichen diese Anstrengungen nicht den verzweifelten Versuchen eines unerfahrenen Piloten, der sein aus der Bahn schleuderndes Fahrzeug wieder unter Kontrolle zu bringen versucht?

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Für diese Misere legt die erzählte Episode einen einfachen Ausweg nahe: Wir müssen nur den Blick wieder auf den göttlichen Vater ausrichten, dann finden wir und die Welt auch wieder das Gleichgewicht. Aber was soll das heißen: „auf Gott blicken"? Wieder in die Kirche gehen? Aber ist nicht die Kirche selber, in Österreich wie weltweit aus den Fugen geraten, - hat sie nicht auf beklemmende Weise teil am allgemeinen Verlust der Mitte? Wenn das Gleichnis von der Gratwanderung überhaupt eine Antwort zu weisen vermag, dann jedenfalls nicht durch eine billige „Moral aus der Geschicht´".

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1. Glückliches Leben, - eine Sache der rechten Balance

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Der Mensch ist ein Wesen, das durch Spannungen bestimmt ist. Und sein Glück erreicht er dadurch, daß er die rechte Mitte innerhalb dieser Spannungen findet. Ausgespannt ist er zwischen Anspannung und Entspannung, Arbeit und Freizeit, Einatmen und Ausatmen, Geben und Empfangen, Festhalten und Loslassen, Reden und Schweigen. (2) Und die rechte Mitte muß immer neu gefunden werden. Nicht nur, weil man sie immer wieder verliert, sondern weil sie nicht immer gleich bleibt, weil sie situationsabhängig ist. „Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit: ... eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen, eine Zeit für die Klage und eine Zeit für den Tanz, eine Zeit zum Steinewerfen und eine Zeit zum Steinesammeln, eine Zeit zum Umarmen und eine Zeit, die Umarmung zu lösen..." - So bemerkt schon die Weisheit des alttestamentlichen Predigers. (3)

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Diese vielfache Ausgespanntheit menschlicher Existenz bedeutet, daß ein glückliches Leben nicht nach allgemeinen Rezepten verwirklicht werden kann. Die Verwirklichung einer sinnerfüllten Existenz ist demgemäß nicht einfach eine Frage von Wissen, Leistungsfähigkeit und Konsequenz. Denn das rechte Maß kann stets in zwei Richtungen verfehlt werden. Es läßt sich nicht nur unterbieten, sondern auch übertreiben. Nicht nur Bequemlichkeit und Nachlässigkeit verfehlen das Glück, sondern auch ein überspannter Eifer. Demgemäß ist glückliches Leben kein Kraftakt, sondern eine Kunst. Sie ist eine Praxis, die nicht bloß studiert werden kann, sondern wie ein Handwerk eingeübt werden muß. (4) Und wie beim Erlernen eines Handwerks oder einer Sportart ist man gut beraten, diese Einübung nicht ausschließlich dem eigenen Geschick anzuvertrauen, sondern sich auf bewährte Traditionen einzulassen.

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Solche Traditionen finden sich in Mythen und praxisorientierten Philosophien. Platon vergleicht den Weg der menschlichen Seele mit der Fahrt eines Flügelwagens, der gezogen wird von zwei ganz unterschiedlichen Rossen, eines edel, das andere unkultiviert, - Bild für die Zerrissenheit des Menschen zwischen hohen Idealen und niederer Begierde. Es gilt, dieses schwer lenkbare Gespann in der Höhe zu halten, wo das Gefieder der Seele zu wachsen vermag. Wer vom Höhenweg abirrt, verliert sich in die Niederungen wilder Konkurrenzkämpfe, und die geistigen Flügel drohen zu brechen.(5)

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Aristoteles, stärker interessiert an der praktischen ethischen Anwendung, macht die goldene Mitte zu einem zentralen Gedanken seiner Tugendlehre. Sittliche Tüchtigkeit ist für ihn eine Kunst, die auf das Mittlere zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig zielt: Tapferkeit als goldene Mitte zwischen Angst und Tollkühnheit, Großzügigkeit zwischen Geiz und Verschwendungssucht, Hochsinnigkeit zwischen Dünkel und Ehrlosigkeit, Feingefühl zwischen Schüchternheit und Unverschämtheit. (6)

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Buddha beschritt nach Jahren härtester Selbstabtötung einen mittleren Weg zwischen radikaler Askese und Genußleben. Einem übereifrigen Schüler vermittelte er diese Einsicht durch den Vergleich mit dem Stimmen einer Laute: „Spanne die Saite nicht zu fest, sonst reißt sie. Lasse sie nicht zu locker, sonst kannst du nicht auf ihr spielen." (7)

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Seit jeher gehören Anleitungen zum glücklichen Leben zu religiösen Heilswegen. Gegenüber ethisch-philosophischen Lehren bringen sie ein weiteres Moment ein: das Finden der rechten Balance ist nicht bloß eine Sache der aus Eigenem vollbrachten Kunst, sondern eine Gabe Gottes. Das schließt aber eigenes Bemühen nicht aus. So kommt eine weitere Grundspannung in den Blick: zwischen der eigenen Aktivität und dem dankbar zugelassenen Gnadenwirken Gottes.

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Im Christentum ist die zentrale Tugend die Liebe. (8) Gilt auch für sie das Gesetz einer goldenen Mitte, so daß es hier nicht nur ihre Unterbietung, sondern auch eine übertriebene Liebe gibt? Kann man auch zu viel lieben? Diese Frage zu bejahen hieße das christliche Ideal auf ein kleinkariertes Mittelmaß herabmindern. Doch gibt es Übertreibungen, die vordergründig wie ein zu viel an Liebe aussehen, in Wahrheit aber hinter einer echten Liebe zurückbleiben. Liebt eine Mutter ihr heranwachsendes Kind zu viel, wenn sie nicht imstande ist, es loszulassen? Hier erforderte die wahrhaft größere Liebe wohl die Bereitschaft zum Verzicht auf das eigene Bedürfnis nach Nähe und Zuwendung. Die glückende liebende Beziehung ist geprägt durch eine fruchtbare Spannung von Nähe und Abstand, von Intimität und Respekt, von Selbsterschließung und bleibender Geheimnishaftigkeit der Liebenden. So gleicht auch die zwischenmenschliche Liebe einer Gratwanderung, die in zwei Richtungen scheitern kann: sie erkaltet durch die Distanz der Gleichgültigkeit und sie erstickt an einer intoleranten und vereinnahmenden Nähe.

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2. Die verlorene Balance in der heutigen Gesellschaft

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Das rechte Maß zwischen Bindungslosigkeit und Fesselung zu finden, war seit jeher eine Herausforderung für ein glückendes Leben in Partnerschaft, Familie, Verwandtschaft und Gesellschaft. In der heutigen Zeit besteht hier eine tiefgreifende Unausgeglichenheit. Nach einer langen Geschichte der Befreiung des einzelnen von intoleranten gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen Bindungen hat die Sehnsucht nach bergenden Gemeinschaften wieder stark zugenommen. Die heutige euro-amerikanische Kultur, die durch die Globalisierung weltweiten Einfluß gewinnt, ergibt im Hinblick auf das Verhältnis von Individualität und Gemeinschaft ein widersprüchliches Bild. Auf der einen Seite herrscht eine zunehmende Individualisierung: traditionelle gemeinschaftliche Bande von Familien, Verwandtschaftssippen, Dörfern und Regionen lösen sich auf. Das führt aber auch dazu, daß sich die Menschen wieder neu nach Heimat und Tradition sehnen. Und nicht wenige sind bereit, ihre Unabhängigkeit zugunsten von engen, oft intoleranten Gemeinschaften aufzugeben. (9) Überdies fördert der Markt, der von der Stimulierung und Befriedigung jeder Art von Bedürfnissen lebt, subtile Formen gemeinschaftlicher Zugehörigkeit. Produktmarken werben nicht mehr nur mit Qualität und günstigem Preis, sondern versprechen gemeinschaftliche Identität. Wer Bekleidungsstücke von Nike, Levis oder Benetton trägt, deklariert sich - ob er das nun will oder nicht - als Mitglied einer weltweiten Konsumgemeinde. (10) Fernsehen und Internet vermitteln die Illusion einer vertrauten Intimität (11) und verlocken Menschen, sich mit höchst privaten Selbstoffenbarungen zu outen. So ist unsere Zeit nicht nur charakterisiert durch Individualisierung und Vereinsamung, sondern zugleich durch immer raffiniertere Simulationen von Gemeinschaft, die das Privatleben bedrohen. Damit bleibt der emanzipatorische Kampf für die Befreiung von einengenden Bindungen aktuell. Und weil die neuen Gemeinschaftsformen nicht echte Geborgenheit, sondern nur einen käuflichen Ersatz dafür bieten, bleibt die Sehnsucht nach Beheimatung in Gemeinschaft und Tradition ungestillt. So verfehlt unsere heutige Weltkultur eine glückliche Mitte von Individualität und Gemeinschaft zugleich von beiden Seiten. Gleichzeitig und nebeneinander herrschen ein Mangel an vertrauter, bergender Nähe und ein Mangel an einer respektvollen Distanz, welche dem einzelnen einen Freiraum an unantastbarer Würde beläßt. (12)

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Was sich für das Verhältnis von Individualität und Gemeinschaft zeigen läßt, trifft auch auf andere Bereiche zu, in denen eine sinnvolle Lebensverwirklichung die glückliche Mitte zwischen Extremen erfordert. Unsere Welt ist zu einem bunten Basar mit widersprüchlichsten Sinnangebote geworden. Wer auf hedonistische Selbstverwirklichung aus ist - mit einem Maximum an Lust als höchstem Lebensziel - wird ebenso bedient, wie jemand, der sich in Formen harter Askese einüben will, sei es durch Sport, Diät oder Spiritualität. Angebote bestehen für eine einsame Sinnsuche ebenso wie für den Rückzug in die Enge scheinbar heiler Gemeinschaften, oder für die Flucht in einen politischen Aktivismus, dem der Fernste näher ist als der Nächste. Freiheit und Bindung sind nicht selten auf eine sehr unbefriedigende Weise miteinander vermittelt: Die Menschen haben die Freiheit, selber die Bindungen zu wählen, in denen sie ihre Freiheit verlieren. Durch Bücher, Vorträge und Seminare kann sich jeder seinen ganz persönlichen Sinn-Cocktail zusammenmischen, und doch ist diese Freiheit nur eine vordergründige. Denn all das bewegt sich im Rahmen einer sehr intoleranten Leistungsgesellschaft, bei der alles darauf ankommt, ob man drinnen ist oder draußen, ob man mit ihrem hektischen Tempo schritthält oder zurückbleibt und schließlich raußfällt. Solange man in seinen gesellschaftlichen Rollen funktioniert, ist es egal, was man sich in seiner Freizeit leistet: die Sportveranstaltung, das Kulturereignis, das Fernsehen, den Gebetskreis oder die Zenmeditation.

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3. Das Weg-Angebot der Religionen

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Auf diese Weise verhält sich die heutige säkulare Weltgesellschaft durchaus tolerant gegenüber Religionen, solange diese sich damit abfinden, im Supermarkt der Sinnangebote eine Nische neben anderen zu belegen. Aber auf diese Weise, als ein Angebot unter anderen, kann Gott im Leben nicht vorkommen, und so kann Religion nicht die Gratwanderungen des Lebens regulieren. Damit das möglich ist, bedarf die religiöse Ausrichtung einer alles durchwirkenden Zentralstellung im menschlichen Leben. Religion kann kein Freizeithobby sein. Wer sie in dieser Weise betreibt, braucht sich über ihre Kraftlosigkeit nicht zu wundern.

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Religion beansprucht also, den Menschen einen glücklichen Mittelweg auf der Gratwanderung des Lebens zu weisen. Insbesondere lehrt das Christentum die Liebe als die geglückte Mitte von Individualität (in Freiheit und Verantwortung) und Gemeinschaft. Und zwar indem Gott als alles bestimmende Wirklichkeit in allen Dingen gesucht wird: im Wurzelgrund der eigenen Subjektivität ebenso wie im Herzen der Mitmenschen und in den Gütern, deren Beanspruchung die Menschen zusammen und nicht selten gegeneinander bringt.

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Dieser Heilsanspruch wird fragwürdig durch die Schwächen, in denen auch kirchliche Gemeinschaften befangen sind. Da gibt es beklemmende Fälle eines groben Verfehlens der Mitte innerhalb der Kirche. (13) Aber auch wenn man die medienträchtigen Extremfälle als unglückliche Ausnahmen ausklammert: Kann eine Kirche, die dermaßen zwischen polarisierten Extrempositionen zerstritten ist, noch einen goldenen Mittelweg weisen? - Dennoch ist das Sinnangebot der Kirchen ernsthaft zu prüfen, schon allein, weil der Orientierungsbedarf groß ist und andere verläßliche Wegweisungen für die Gratwanderungen des privaten und öffentlichen Leben nicht in Sicht sind. Könnten die kirchlichen Institutionen nicht trotz allen Versagens den Schlüssel für die Mitte des Lebens haben und auch weiterreichen? Paulus spricht von einem „Schatz, den wir in zerbrechlichen Gefäßen halten". (14) Und diesem Schatz gilt es nachzuspüren, trotz der unansehnlichen Behälter, in denen er vielleicht verborgen ist. Konkret: Wie kann die glaubende Ausrichtung auf Gott den Menschen helfen, auf der Gratwanderung des Lebens die glückliche Mitte zu finden? Diese Frage führt uns zurück zur Entstehungsgeschichte des jüdisch-christlichen Glaubens.

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4. Der Weg Israels im Alten Testament

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Von seinen Anfängen an erfuhr Israel Jahwe als „Weg-Gott". Wer dieser Gott war, erwies sich aus den Weg-Erfahrungen, welche Israel in seiner Begleitung machte. (15) Gott ist derjenige, der Israel aus Ägypten herausgeführt hat und der sein Volk auch künftig in die Freiheit führen wird. Umgekehrt begriff Israel seine eigene Identität ganz von seinem Gott her: Israel ist Gottes Schöpfung und Eigentum,(16) die Gemeinschaft derer, die Gott aus allen Völkern ausgewählt, befreit und zu Großem berufen hat. Die Mitte, von der her alles begriffen wurde, war der Bund Gottes mit seinem Volk. - Weg-Erfahrung besagt darüberhinaus, daß das Wissen um Gottes Identität und um die eigene Identität sich in einer langen Erfahrungsgeschichte mit Wenden und Brüchen erst schrittweise erschloß. Von der Exoduserfahrung allein her wäre Gott wohl als ein Siegergott verstanden und so mit dem innerweltlichen Erfolg gleichgesetzt und verwechselt worden. Doch über eine langen Weg von Hoffnung und Enttäuschung, Entbehrung und Trost, Sieg und Niederlage wurde Israel von vordergründigen Zeichen der Fürsorge Gottes entwöhnt und lernte, Gott in allem zu finden: im Mißerfolg nicht weniger als im Erfolg, im Leiden ebenso wie im Glück. So konnte es schließlich - anders als seine Nachbarreligionen - Gott auch nach dem totalen politischen Zusammenbruch während des babylonischen Exils noch treu bleiben: Anstelle das Scheitern des eigenen Schutzgottes einzugestehen und ihn durch die Gottheiten der Bezwinger zu ersetzen, weitete Israel in dieser äußersten Bewährungssituation den Glauben an die Macht und Fürsorge Gottes sogar noch aus: Es erkannte Gott als Herrn der gesamten Geschichte und aller Völker. Aus seinem Unglück schloß es nicht, daß Gott seine Macht eingebüßt oder seine Fürsorge zurückgezogen hätte. Andere Deutungen wurden erprobt: Vielleicht prüft er nur oder er verfügt über sein Volk eine verdiente Strafe. Und wo diese Erklärungen nicht ausreichen - wenn die Bewährungsprobe unsinnig überfordert und die Strafe als unverhältnismäßig erscheint - da klagt Israel und ringt mit seinem Gott. Aber es läßt ihn nicht los und verharrt im Vertrauen, daß Gott den Bund mit seinem Volk beibehalten und ihm schließlich die endgültige Rettung verschaffen wird.

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Die über Jahrhunderte gesammelte Weg-Erfahrung bündelt sich in den Schöpfungsberichten: Gott hat die ganze Welt geschaffen, ist Herr über Zeiten und Ordnungen, ja selbst über die Chaosmächte. Er hat die Welt und insbesondere die Menschen gut geschaffen, und er begleitet sie in liebender Fürsorge. Das ist das Ursprüngliche, Wesentliche. Es wird mit dem Bild des Paradieses beschrieben: Der Mensch wandelt in Glück und Freiheit vor dem Angesicht Gottes, - Bild für die geglückte Balance zwischen Gott und Mensch, sowie zwischen den Menschen untereinander. Doch diese Harmonie geriet bereits im Anfang aus den Fugen. Dadurch, daß die Menschen das Wertvollste, das ihnen verheißen war, nämlich zu sein wie Gott, sich nicht schenken lassen wollten, sondern auf eigene Faust an sich rissen, zerstörten das angestrebte Gut. (17) Der Blick wandte sich weg von Gott und zurück auf die eigene, von Gott losgelöste Existenz. Und „sie erkannten, daß sie nackt waren" (Gen 3,7). Eine tiefe existentielle Not, ein fundamentales Ungenügen, ein unstillbarer Hunger erfaßt den Menschen, der den Blick auf Gott verloren hat. Die Rückkehr ins Paradies - Sinnbild für eine mühelos-vollkommene Balance menschlicher Existenz vor Gott - ist versperrt, und Neid und Gier treiben den Menschen in immer tiefere Abgründe der Bosheit. All das ist nicht eine von Gott willkürlich verfügte Strafe, sondern die innere Konsequenz der frei gewählten Abkehr von Gott. Gott verstößt nicht, sondern erweist sich vielmehr als jener, der auch den von ihm abgeirrten Menschen schützt und am Leben erhält.(18) Und in der Linie dieses Engagements liegt es, daß er einem ausgewählten Volk seinen Bund anbietet, - es aus der Sklaverei befreit und einen langen Weg der Erziehung führt, um auf diesem Weg letztlich die gesamte Menschheit zu erlösen.

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Mit dem vertieften Verständnis von Gottes Fürsorge wächst auch die Einsicht in die Abründigkeit des eigenen Ungenügens. Wieder und wieder erfahren sich die Menschen als unfähig, den Bund mit Jahwe zu halten.(19) Und so wächst die Einsicht, daß die endgültige und vollständige Befreiung durch Gott eine innere Umwandlung beinhalten muß. (20)

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Daß Gott die Macht zu solcher Verwandlung hat, daß er auch noch Herr ist der äußersten Abgründe, und so den Menschen selbst in dessen totalem Absturz in die sündige Gottferne auffangen kann, diese Einsichten erwachen bereits ahnungshaft im AT. Aber wie das geschehen soll, ob durch ein machtvoll richtendes Eingreifen Gottes, (21) oder friedlich durch eine Verwandlung des Volkes, so daß es als bewundertes Vorbild alle Völker zur Wallfahrt auf den Gottesberg Zion einlädt, (22) oder über den Weg eines stellvertretenden Leidens, welches eine innere Wandlung der Sünder bewirkt,(23) - das bleibt im Kontext des Alten Testaments noch offen.

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5. Der schmale Weg im Neuen Testament

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Das ist die Situation, in die hinein Jesus die Botschaft vom anbrechenden Gottesreich ausruft. „Kehrt um, denn zum Greifen nahe ist das Reich Gottes!"; (24) das Reich Gottes, - die wiedergewonnene Harmonie der Menschen mit Gott und untereinander. Im Gleichnis der Gratwanderung gesprochen: die Hand des helfenden Vaters hat sich dem in den Abgrund taumelnden Menschen wunderbar genähert. „Ihr müßt nur noch zugreifen. Jetzt ist die Chance!" - Ausführlicher als es hier möglich ist, müßte erläutert werden, worin diese Chance besteht: in der Faszination, die von Jesus als einem Menschen ausstrahlt, der aus einer nie gekannten Vertrautheit zu Gott lebt und sich von daher in einer vollkommenen Balance hält. Die Begegnung mit dieser Gestalt macht den Blick auf Gott wieder frei und die Rückkehr ins eigene Gleichgewicht möglich. Aber damit das nicht nur Ahnung, nicht nur Traum bleibt, muß man die Chance ergreifen, kompromißlos! Sie kann auch verpaßt werden. Und genau das war es, was Jesus wieder und wieder in seinen Begegnungen mit den Menschen erfuhr: ein kurzes Aufflackern großer Möglichkeiten, und schon erstickt die junge Flamme in Bequemlichkeit, Vorurteilen oder konkurrierenden Interessen. (25) Aus verschiedensten Gründen schlagen die Menschen die angebotene Hand Gottes aus. Jesus warnt und droht, - nicht aus verletztem Stolz, sondern weil er den Menschen klar machen muß, daß es keine Alternative gibt zu diesem göttlichen Angebot, - daß, wer die sich bietende Hand Gottes ausschlägt, seine glückliche Mitte endgültig verspielt. Doch auch die Warnungen von Jesus bleiben ungehört. Ist der Mensch überhaupt noch zu retten? In dieser Situation spricht Jesus die beklemmenden Worte:

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„Geht durch das enge Tor! Denn das Tor ist weit, das ins Verderben führt, und der Weg dahin ist breit, und viele gehen auf ihm. Aber das Tor, das zum Leben führt, ist eng, und der Weg dahin ist schmal, und nur wenige finden ihn" (Mt 7,13f).

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In der Vergangenheit mußten diese und ähnliche neutestamentliche Aussagen für die Drohung herhalten, daß mit Sicherheit viele Menschen in die Hölle kommen. Dagegen ist aber der Zusammenhang zu beachten. Jesus sieht die Gefahr, nennt sie auch deutlich beim Namen, aber er gibt nicht auf. Der Heilswille Gottes zerbricht nicht einfach am Widerstand der Menschen. Auch in der Situation der Ablehnung hält Jesus am Vertrauen fest, daß das Reich Gottes nahe ist. Wenn es sich nicht direkt realisieren läßt, dann vielleicht auf einem anderen, noch ungekannten Weg.

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An dieser Stelle wird für Jesus der Auftrag, für die widerstrebenden Menschen die personifizierte rettende Hand Gottes zu sein, zu einer schwierigen Gratwanderung. Auf der einen Seite droht der Abgrund der Resignation, der enttäuschte Rückzug in eine gleichgültige Distanz gegenüber seinem Volk und der göttlichen Sendung, die er für es wahrzunehmen hatte. Und haarscharf daneben, nur getrennt durch einen kaum wahrnehmbaren schmalen Steig, gähnt der Abgrund der Aggression: zwar nicht von seinem Volk zu lassen, aber es lieblos abzuurteilen; die Menschen mit den Konsequenzen ihrer Verstockung zu konfrontieren, ohne aber an eine Besserung zu glauben. Durch äußere Distanzierung in resignativer Gleichgültigkeit oder durch innere Distanzierung im aggressiven Aburteilen, - auf beide Weisen hätte Jesus seinen Auftrag - die wirksame Ankündigung des nahen Gottesreichs - verfehlt. (26) Dazwischen verläuft der immer enger werdende Pfad einer solidarischen Treue gegenüber Gott und den Menschen. Jesus hält an ihnen fest, jedoch ohne sie zu zwingen, sondern indem er ihren Widerstand respektiert. Mißverständnis, Undank, Ablehnung nehmen zu, und doch engagiert sich Jesus weiter, wirbt, warnt, nicht aus einem wütenden Trotz, sondern im unerschütterlichen Glauben an die Umworbenen, im Vertrauen, daß sich das nahe gewußte Reich Gottes, die vom Volk schon so lange erbetene Wiedergewinnung der Balance, durch eine glückliche Wendung doch noch durchsetzen kann, auch gegen allen Anschein.

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Es gibt kein Rezept, kein allgemeines Gesetz, welches diesen Weg zwischen den Abgründen finden läßt. Nur das fortgesetzte Hören auf das Wort des göttlichen Vaters läßt Jesus die Balance halten. Immer wieder zog er sich zur betenden Zwiesprache mit seinem himmlischen Vater zurück. So bekam er die Mitte zwischen den Abgründen von Aggression und Resignation je neu gewiesen. Diesen Zusammenhang zwischen dem Hören auf das göttliche Wort und dem Wahren der Balance in Zeiten der Erschütterung verdeutlicht das prophetische dritte Gottesknechtlied:

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„Gott, der Herr, gab mir die Zunge eines Jüngers, damit ich verstehe, die Müden zu stärken durch ein aufmunterndes Wort. Jeden Morgen weckt er mein Ohr, damit ich auf ihn höre wie ein Jünger. Gott, der Herr, hat mir das Ohr geöffnet. Ich aber wehrte mich nicht und wich nicht zurück. Ich hielt meinen Rücken denen hin, die mich schlugen, und denen, die mir den Bart ausrissen, meine Wangen. Mein Gesicht verbarg ich nicht vor Schmähungen und Speichel. Doch Gott, der Herr, wird mir helfen; darum werde ich nicht in Schande enden. Deshalb mache ich mein Gesicht hart wie einen Kiesel; ich weiß, daß ich nicht in Schande gerate. Er, der mich freispricht, ist nahe" (Jes 50,4-8).

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So blieb Jesus bis in die peinigenden Konsequenzen solidarisch mit Volk und Sendung: „Ich hielt meinen Rücken denen hin, die mich schlugen.... Mein Gesicht verbarg ich nicht vor Schmähungen und Speichel". Die quälende Nähe aushalten, doch ohne in Aggressionen zu verfallen; den geliebten anderen, der sich wie ein Feind verhält, nicht verfluchen, ihm nicht mit gleicher Münze zurückzahlen, sondern auch noch „die andere Backe hinhalten"! (27) Aber da ist auch keine auf sich rückgewendete Aggression, nach dem Motto: „Schlag nur zu, es wird dir noch leid tun!"; - und auch kein Zusammenbruch des prophetischen Widerspruchs unter den einmütigen Beschuldigungen der Gegner, nach dem Motto: „Ihr habt recht, schlagt mich! Ich hab's nicht besser verdient." Jesus zerbricht nicht unter der Last der gegen ihn erhobenen Vorwürfe; (28) in der erlittenen Schmach hält er seine Würde aufrecht: „Doch Gott, der Herr, wird mir helfen; darum werde ich nicht in Schande enden." Es ist ein fast unmöglicher Balanceakt, sich mit den Anderen solidarisch zu halten, indem man sich gegen ihr letztlich selbstzerstörerisches Verhalten richtet. Es ist ein fast ungangbarer Weg, im Sturm der ungerecht niederprasselnden Schläge noch das Gute in den anderen abzuheben von dem Schlechten, mit dem sie sich identifizieren, um auf diesem Wege zwischen Sünder und Sünde zu scheiden und so die Umkehr des Sünders und die Versöhnung mit dem Feind neu zu ermöglichen.

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Nur im bedingungslosen Vertrauen auf seinen göttlichen Vater besteht Jesus die Gratwanderung zwischen Aggression und Resignation, auf einem Pfad, der immer enger wird und an dessen Ende sein Tod am Kreuz steht, - das „enge Tor", das nochmals von zwei Seiten verfehlt werden kann: entweder durch die Verweigerung des Kreuzes - eine Verweigerung, die durch einen resignativen Rückzug von seiner Sendung erkauft worden wäre (29) - oder die auf sich selbst zurückgewendete Aggression gegen seine Kontrahenten: der trotzig provozierte Tod, der letztlich ein indirekter Selbstmord wäre. (30) Jesus ist dem Kreuzestod nicht ausgewichen, aber er hat ihn auch nicht gesucht. Er nahm den Tod in Kauf als unvermeidliche Konsequenz, um dem Auftrag treu zu bleiben, seinem Volk - den „vielen", die letztlich alle Menschen umfassen - das Reich Gottes offenzuhalten.

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Viel wäre zu sagen zur Bedeutung der Auferweckung Jesu. Im Bild gesprochen besagt Auferstehung, daß der schmale Weg, den Jesus ging, und der ihn bis zum Kreuz führte, keine Sackgasse war. Da ist ein Licht am Ende des Tunnels! Ein enges Tor weitet die scheinbare Weglosigkeit zu einer neuen Chance der Versöhnung. „Der Friede sei mit Euch", so lauten die ersten Worte des Auferstandenen.(31) Das Christusereignis in Menschwerdung, Kreuz und Auferstehung besagt im Gleichnis gesprochen, daß Gott dem über dem Abgrund wankenden Menschen auf seinem Weg entgegenkommt, und daß er den in den Abgrund taumelnden Menschen nachsteigt, (32) ja sich selbst von ihnen ins Dunkel stoßen läßt, um sie in ihrer Gottferne nochmals aufzufangen. (33) Auf diese Weise ist das Kreuz die Eröffnung eines neuen Weges für die Menschen, die Antwort Gottes auf die bedrohliche Situation, daß der Weg schmal ist und nur wenige Menschen gerettet werden. Auf die verzweifelte Nachfrage der Jünger, wer denn dann noch gerettet werden könne, hatte Jesu geantwortet: „Für Menschen ist das unmöglich, für Gott aber ist alles möglich" (Mt 19,26). Diese größere Möglichkeit Gottes gegenüber der Orientierungslosigkeit der Menschen wurde auf dem Weg des Kreuzes Wirklichkeit.

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6. Der Kreuz-Weg als Weg Gottes zu uns

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Ist dieser Vergleich nur ein trostvolles Bild, oder ist es auch möglich, ihm verstehend nachzudenken? Welche Auswirkung hatte Jesu Kreuzweg auf die verfahrene Situation des zurückgewiesenen Gottesreichs?

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Zunächst zeigt sich am Weg Jesu, daß Gott die Ablehnung durch die Menschen - die eine Zurückweisung von eigenem Glück und eigener Balance bedeutet - weder resignativ zur Kenntnis nimmt noch aggressiv bestraft. In der Solidarität Jesu bis ans Kreuz zeigt sich jene maßlose Fürsorge Gottes, die im Gleichnis vom verlorenen Schaf aufscheint. (34) Auch wenn man noch nicht sieht, wie Gott auf diesen Wegen die verstockten Sünder doch noch erreicht, so offenbart sich in diesem Geschehen immerhin etwas Entscheidendes über das Wesen Gottes: daß er sich mit der Zurückweisung seiner Heilsinitiative nicht abfindet, sondern in einer kreativen Phantasie der Liebe nach neuen Wegen sucht, auch jene Menschen zu erreichen, die ihn längst aus dem Blick verloren haben und ihn augenscheinlich gar nicht wiederfinden wollen.

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Dem Menschen, der sein Nein zu Gott gesprochen hat, geht Gott nach und begegnet ihm in neuer Gestalt: Wer Gott als königlichen Herrscher erfährt und dem so Erfahrenen seine Unterwerfung verweigert, dem zeigt Gott sich neu in der erniedrigten Gestalt des Gekreuzigten. So führt Gott den Sünder in eine neue Entscheidungssituation und respektiert doch dessen frühere Zurückweisung. Denn gegen einen in dieser neuen Gestalt erscheinenden Gott war das Nein noch nicht gesprochen. - Und was ist, wenn der Sünder gegenüber dem so sich zeigenden Gott in seiner Ablehnung verharrt? Wir wissen es nicht. Aber durch das Christusereignis in Menschwerdung, Kreuz und Auferstehung wissen wir, daß Gott sich mit einem Nein des Menschen, mit dessen selbstgewähltem Verlust der Balance nicht einfach abfindet. (35) Das gibt Hoffnung für jeden Menschen, egal wie dunkel die Abgründe sind, in die er sich verirrt hat. Wir müssen niemanden aufgeben, weil auch Gott niemanden aufgibt.

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7. Unsere Nachfolge auf den Kreuz-Weg

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Mit dem letzten Gedanken wurde bereits die ethische Dimension von Christi Kreuz-Wegs erreicht. Der schmale Weg Jesu, der ihn ans Kreuz geführt hat, ist nicht nur sein exklusiver Weg, auf dem er uns entgegenkommt, - er ist auch ein Weg, den Jesus uns wie ein Bergführer vorausging, um ihn für uns zu erschließen: als Weg, dem wir selber folgen können, um so die verlorene Balance für uns und andere wiederzugewinnen. „Nachfolge ins Kreuz" - wir müssen mit Christus gekreuzigt werden, um auch mit ihm aufzuerstehen, - das ist ein zentraler Gedanke der Spiritualität des Paulus.(36) Im Zeugnis der Märtyrer wurde dieses Ideal durch die Jahrhunderte der Kirchengeschichte bis heute immer wieder zu Fleisch und Blut. Auch wo es keine explizite Christenverfolgung gibt, hat diese Praxis bis heute eine große Bedeutung. Es gibt Situationen, in denen nach menschlichem Ermessen jedes weitere Engagement sinnlos wäre und Menschen deshalb aufgegeben werden müßten. Hier scheint nichts anderes übrigzubleiben, als sich mit bestehendem Unrecht zu arrangieren. Die Situation Jesu war eine solche: (37) Man kann die Vorbehalte des Petrus gegen Jesu Abstieg nach Jerusalem, (38) mit der zu erwartenden Katastrophe, einen pragmatischen Sinn abgewinnen: „Wem ist denn geholfen, wenn du in den Tod getrieben wirst? Dann kannst du für niemanden mehr etwas tun. Also laß das bleiben und wende dich besser anderem zu." Die Heftigkeit, mit der Jesus den Vorschlag abweist, wirft auch ein Licht auf dessen verführerische Plausibilität. Gegen dieses realistische und verlockend einleuchtende Argument blieb Jesus seinem Weg treu. Der Auferstehungsglaube besagt zumindest, daß eine solche Entscheidung nicht von vornherein sinnlos ist. - Eine ähnliche Situation ergibt sich, wenn Politiker damit rechnen müssen, daß der Widerstand gegen ein Unrecht sie ihr politisches Mandat kosten würde. „Wem ist damit gedient, wenn du politisch handlungsunfähig wirst?" - Nicht anders die Lage von Regimekritikern im dritten Reich: Was nützt es, wenn das ungerechte Regime unnötig provoziert wird, wenn der Kritiker liquidiert wird und Familienmitglieder oder Mitpriester dadurch unter einen erhöhten Druck geraten? Solche pragmatische Überlegungen erpressen das stillschweigende Einverständnis mit bestehendem Unrecht. Wo Unrecht strukturell zementiert ist, ist der Kreuz-Weg der einzige Ausweg zur Korruption und zur weiteren Verfestigung des Unrechts-Systems. (39)

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Doch nicht nur Stunden der politischen Standfestigkeit weisen den Weg in Richtung Kreuz. Eingangs war die Rede von der goldenen Mitte zwischen Nähe und Abstand, welche die Liebe zum Mitmenschen auszeichnet. In einer funktionierenden Beziehung ist dieses Gleichgewicht einigermaßen stabil und vermag auch Störungen zu verkraften. Wie kann aber die Mitte wiedergefunden werden, wenn die Beziehung aus dem Lot ist, das Vertrauen erschüttert, und die Vorstellungen von rechter Nähe und Abstand zwischen den Partnern differieren? Wenn der andere - wirklich oder vermutet - auf Abwege gerät und in Liebe zurückgehalten werden soll? Man denke etwa an die Belastungen einer Eltern-Kind-Beziehung, wenn das heranwachsende Kind sich ablöst und auf eigene, vielleicht höchst verhängnisvolle Wege, begibt. In solchen Fällen wird die Liebe zur schmerzhaften Solidarität mit dem anderen. Wenn Eltern ihr Kind nicht in gleichgültiger Toleranz sich selbst überlassen, aber auch nicht gewaltsam unterdrücken wollen, dann bleibt ihnen nur eine leidvolle Gratwanderung zwischen Resignation und Aggression, - ähnlich, wie sie oben als Kreuz-Weg Jesu beschrieben wurde.

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Allerdings behaupte ich nicht, daß in solchen Situationen dem Christen oder der Christin die „Nachfolge ins Kreuz" in jedem Fall geboten ist. Hier muß im einzelnen unterschieden werden. (40) Aber dieser Weg steht grundsätzlich offen, er ist nicht von vornherein indiskutabel. Im Blick auf den Weg Jesu Christi durch das Kreuz zur Auferstehung wächst für Christen das Vertrauen, daß ein solcher Weg gangbar ist, ohne daß man sich zwangsläufig in die Abgründe eskalierender Konflikte oder einer ungesunden Opfermentalität verliert. Und so können sie in der Solidarität mit den Mitmenschen weiter gehen als ohne diesen Glauben.

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8. Keine Angst vor den Abgründen

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Der Christ weiß, daß Gott auch Herr über die Abgründe des Lebens ist und die Menschen auch noch auffangen kann, wenn sie die Mitte ihrer Existenz verfehlt haben.

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Dieses Wissen macht Mut, eigene Fehler zu akzeptieren. Ich muß sie nicht vor mir selbst und nicht vor anderen verschleiern. Durch die von Gott angebotene Vergebung weiß ich, daß ich trotz meiner Fehler mich annehmen darf und von anderen angenommen werden kann.

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Das Wissen um Gottes Beistand auf Irrwegen und in Abgründen macht auch Mut, Fehler zu riskieren. Manchmal nehmen Menschen in Krisensituationen die Abgründe allzudeutlich wahr. Sie sehen, daß jeder Schritt falsch sein kann und verharren so in einer verhängnisvollen Lähmung. Als Christ kann ich es verantworten, auch einen falschen Schritt zu setzen. Ich kann das Risiko eines Fehlers akzeptieren und den Fehler im nächsten Schritt zu korrigieren versuchen. Ich weiß, daß ich meinen Weg nicht perfekt gehen muß, weil nicht alles von mir allein abhängt.

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Das Wissen um Gottes Zuwendung zu den Irrenden hilft mir auch, Fehler und Enttäuschungen von seiten anderer Menschen zu verkraften. Die Kenntnis des fortgesetzten Scheiterns gerade auch von wohlmeinenden Menschen in der Heilsgeschichte bewahrt mich davor, Menschen auf Fehler festzulegen und sie von daher zu definieren, nach dem Motto: „Jetzt, wo du das getan hast, weiß ich, was du in Wirklichkeit für ein Mensch bist." Dagegen rechne ich mit einem spannungsvollen Nebeneinander von gutem Willen und unaufgearbeiteten Schwächen und Begierden.

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Das christliche Menschenbild ist geprägt von einem Realismus, der eine glückliche Mitte zwischen zwei Extremen hält: auf der einen Seite der Straßengraben eines Pessimismus, der das konkrete Scheitern von Menschen einer unverbesserlichen Menschennatur zuschreibt und deshalb an eine reale Besserung nicht glaubt; - und auf der anderen Seite der Straßengraben eines verhängnisvollen Optimismus, der den anderen am Maßstab einer idealen Menschennatur mißt und deshalb sein Versagen nur mehr seinem persönlichen Nichtwollen zuzuschreiben vermag. Der Pessimist tendiert also dazu, den Menschen - einen anderen oder auch sich selbst - angesichts seines Versagens aufzugeben, weil er sich nicht bessern kann, auch wenn er will. Und der Optimist läuft Gefahr, den Versagenden - einen anderen oder auch sich selbst - aufzugeben, weil er sich nicht bessern will, obwohl er es könnte. Zwischen diesen Extremen rechnet der christliche Realist mit einer Geschichte dramatischen Ringens zwischen Schwächen und Stärken. (41) So hält er gegenüber dem Versagenden eine fruchtbare Spannung von Annahme und Anspruch auf Veränderung aufrecht, innerhalb derer die Wiedergewinnung der verlorenen Mitte - in all den eingangs beschriebenen Dimensionen - die besten Chancen hat.

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In diesem christlichen Realismus zwischen den Extremen Idealisierung und Verdammung kann die christliche Kirche - mit all ihrer Zerrissenheit in verschiedenen Konfessionen und Ausrichtungen - schließlich auch sich selber begreifen. Kirche - als Institution, als Gemeinschaft vor Ort und repräsentiert durch jeden einzelnen Christen - kann und darf das eigene Versagen nicht unter den Teppich kehren! Und dennoch darf sie sich nicht in einer falsch verstandenen Demut den Mut versagen, vor aller Welt zur eigenen Sendung zu stehen: nämlich „Sakrament zu sein, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit".(42) Das ist für die Kirche die schwierige Gratwanderung, ein enger Weg, auf dem immer neu um die richtige Balance gerungen werden muß. (43) Gefährlich einfach wäre es, wenn sie ihr geschichtliches Versagen herunterspielen würde, um für die Völker als eindeutiges Vorbild zu leuchten. Und gefährlich einfach wäre es auch, im Eingeständnis der eigenen Fehler in ihrem Heilsanspruch vor der Welt zu verstummen.. Schwierig ist die Balance des Mittelwegs: eine Kirche, die bekennt, „heilige Hure" (44) zu sein und sich damit zwischen alle Stühle geläufiger Zuordnungen setzt, - im Bewußtsein, daß Gott gerade das von sich aus Unwürdige dazu erwählt hat, Salz der Erde und Licht der Welt zu sein. (45) Auf diesem schmalen Pfad hat Kirche - als Gemeinschaft wie auch in jedem einzelnen Christen als Repräsentant von Kirche - zur Größe der eigenen Sendung zu stehen, gerade im Eingeständnis der eigenen Fehlbarkeit und Schwäche. Sie darf das Licht nicht unter den Scheffel stellen, auch wenn sie damit höhnische Kritik auf sich lockt:

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„Denn Gott, der sprach: Aus Finsternis soll Licht aufleuchten!, er ist in unseren Herzen aufgeleuchtet, damit wir erleuchtet werden zur Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi. Diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen; so wird deutlich, daß das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt. Von allen Seiten werden wir in die Enge getrieben und finden doch noch Raum; wir wissen weder aus noch ein und verzweifeln dennoch nicht; wir werden gehetzt und sind doch nicht verlassen; wir werden niedergestreckt und doch nicht vernichtet. Wohin wir auch kommen, immer tragen wir das Todesleiden Jesu an unserem Leib, damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar wird. Denn immer werden wir, obgleich wir leben, um Jesu willen dem Tod ausgeliefert, damit auch das Leben Jesu an unserem sterblichen Fleisch offenbar wird" (2 Kor 4,6-11).

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Anmerkungen:  

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 1. Werner Fritschi, Die Spannkraft des Bogens. Impulse aus Gegensätzen. Solothurn 1994, 15.

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2. Die meisten der genannten Gegensätze wurden von Werner Fritschi meditativ aufbereitet in: Die Spannkraft des Bogens (s. Anm. 1). In der Theologie hat vor allem Romano Guardini den Menschen als ein Wesen der Spannungen und Gegensätze begriffen; dies ausgehend von seinem frühen philosophischen Werk aus dem Jahr 1925: Der Gegensatz. Versuche zu einer Philosophie des Lebendig-Konkreten. Mainz 31985. Durchgehend bestimmend ist das Denken in Gegensätzen und Spannungen für die dramatische Theologie Hans Urs von Balthasars.

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3. Koh 3,1.4f.

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4. Zu diesem Begriff von Praxis vgl. A. MacIntyre, Der Verlust der Tugend. Zur moralischen Krise der Gegenwart. Frankfurt-New York 1987, 243-271.

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5. Vgl. Platon, Phaidros, Kap. 25-28.

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6. Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch II.

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7. In freier Wiedergabe von Mahâvagga V,1, zugänglich in: H. Oldenberg, Buddha. Sein Leben - seine Lehre - seine Gemeinde. Stuttgart 1959, 200f. - Ähnliche Entwicklungen finden sich bei christlichen Heiligen, etwa bei Franziskus oder Ignatius von Loyola: Anfängliche asketische Übertreibungen erkannten sie als dem Willen Gottes widersprechend und milderten sie deshalb. Ist damit der Schluß gerechtfertigt, daß diese Zeiten einfachhin falsch waren? Ich zögere. Es könnte auch sein, daß der Weg der Mitte nur erreicht werden konnte im Durchgang durch eine Phase übertriebenen Verzichts. Nach einem zu stark weltverhafteten Leben wäre die Mitte nicht ohne ein zeitweiliges übersteuerndes Gegenlenken zu erreichen.

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8. Vgl. Jesu Antwort auf die Frage des Gesetzeslehrers nach dem wichtigsten Gebot: „Er antwortete ihm: Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz mit den Propheten" (Mt 22,35-40). - Jesus zitierte dabei Texte aus dem Alten Testament. Diese Schwerpunktsetzung verbindet also das Christentum mit dem Judentum.

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9. Ich denke einerseits an enge symbiotische Bindungen in Kleinfamilien, anderseits an den Zustrom, den radikale Sekten und Jugendreligionen erfahren.

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10. Vgl. N. Bolz, Kult-Marketing. Die neuen Götter des Marktes. Düsseldorf 1995. Diese Produktmarken werden als „brands" bezeichnet; - mit einem Wort, das ursprünglich für die Markierungen stand, welche die Cowboys ihrem Vieh einbrannten, um dessen kollektive Zugehörigkeit kenntlich zu machen. Nicht unähnlich zu diesen Kühen tragen heutige Konsumenten durch Bekleidung und Accessoires ihre brands, - Kennzeichen der Zugehörigkeit zu internationalen Konsumgemeinschaften.

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11. Ich denke an die - auf Marshall McLuhan zurückkgehende - verräterische Rede von einem „global village", zu welchem die Welt dank der modernen Medien zusammenwachsen würde.

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12. Dieser paradoxe Befund zeigt sich an der doppeldeutigen Verwendung des Begriffs Entfremdung. Dieses Wort bringt das Verfehlen einer glücklichen Mitte von Individualität und Gemeinschaft zugleich von beiden Seiten her zum Ausdruck. Einerseits besagt Entfremdung die Versklavung des Menschen innerhalb seiner gesellschaftlichen und ökonomischen Lebensbedingungen und wird so bekämpft durch eine Stärkung der Subjektivität gegenüber der Gemeinschaftlichkeit (Stichwort: Emanzipation). Anderseits beschreibt der Begriff Entfremdung die Situation des Menschen, der sich gegenüber gemeinschaftlichen und traditionellen Bezügen als isoliert und so in der Welt als fremd, unbeheimatet und nicht zu Hause erfährt. Unter dieser Rücksicht wird als „Gegengift" gegen Entfremdung genau das Entgegengesetzte verschrieben: Stärkung von Gemeinschaftlichkeit gegen eine absolut gesetzte Subjektivität. Die Geschichte des Entfremdungsbegriffs beschreibt einen Zickzackkurs zwischen diesen beiden gegensätzlichen Bedeutungspolen. Vgl. dazu die geschichtliche Übersicht zum Entfremdungsbegriff von H. Ottmann in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 9, 657-672.

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Die Zerrissenheit des heutigen Menschen zwischen Bindungssehnsucht und Bindungsscheu gleicht jener des Romantikers, den Romano Guardini im Anschluß an Kierkegaard bereits 1927 folgendermaßen beschrieben hat: „Der Romantiker erlebt das Grauen des Chaos, und verzehrt sich im Heimweh nach der Anständigkeit, Sauberkeit, Geborgenheit deutlich charakterisierten Daseins; derselbe erfährt aber auch das Grauen vor der umschriebenen Existenz. In ihm lebt die Formscheu, die jede geprägte Gestalt sofort als Fessel empfindet - ebendarum, weil sie ihm nicht ursprünglich sicher ist und er sie daher irgendwie extrem, fanatisch nimmt. Verherrlicher der Form sind Menschen, die im Chaos stehen; sie überschätzen, was sie nicht haben. Sobald aber eine Form ihnen fest und fordernd entgegentritt, sind sie es wiederum, die sie um der Bewegungsweite willen sprengen. Romantisch ist die Sehnsucht ins Geborgene, Heimatliche, deutlich Durchgestaltete, aber auch deren Gegenpol, die Sehnsucht ins Grenzenlose, das Schweifen, das alles will, alles sehen, alles erfahren, alles sein, und jede Begrenzung als Philisterei empfindet." R. Guardini, Der Ausgang der Denkbewegung Sören Kierkegaards. In: Ders., Vom Sinn der Schwermut, Mainz: 1983, 77.

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13. Das ist für mich das Tragische am „Fall Groer": daß ein zweifellos talentierter und höchst ernsthaft engagierter Priester bei der geistlichen Begleitung seiner Novizen die glückliche Mitte zwischen fördernder Nähe und respektvoller Distanz so vollständig verfehlte, - und daß sich in diesem Fall die kirchliche Begleitung und Aufarbeitung als komplett unzufriedenstellend erwies.

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14. „Denn Gott ... ist in unseren Herzen aufgeleuchtet... Diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen; so wird deutlich, daß das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt" (2 Kor 4,6f).

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15. Viel wurde diskutiert, was die berühmteste Selbstoffenbarung Gottes im AT, nämlich vor Mose im Dornbusch bedeutet: „Ich bin der ich bin" (Ex 3,14). Zwei Bedeutungen scheinen sich zu ergänzen: eine gemeinschaftsbezogene: „Ich bin für euch da" und eine geschichtsbezogene: „Ich bin derjenige, als der ich mich - auf dem Weg mit euch - erweisen werde."

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16. Vgl. Gen 12,2, Ps 100,3, 1 Kön 8,51-53.

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17. Zu sein wie Gott ist dem Menschen einerseits von Gott zugesagt als höchste Verheißung (vgl. Gen 1,27); anderseits besteht eben darin der Inbegriff der Versuchung: Die Schlange ködert Eva und Adam mit dem Versprechen, daß sie nach dem Genuß der Frucht sein würden wie Gott (vgl. Gen 3,5). Der Unterschied besteht in der Haltung der Aneignung: ob man sich das Gott-gleich-Sein schenken lassen will oder es wie einen Raub an sich reißen möchte.

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18. Vgl. Gen 3,21, sowie Gen 4,15.

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19. Vgl. Ps 51,7; Jer 13,23.

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20. Der Bitte des über seine Sünde verbitterten David - „erschaffe mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, beständigen Geist" (Ps 51,12) entspricht die Verheißung des Ezechiel: „Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch. Ich nehme das Herz von Stein aus eurer Brust und gebe euch ein Herz von Fleisch" (Ez 36,26).

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21. Gemäß dieser Vorstellung kommt am Ende der Zeiten der „Tag des Herrn", der ein Tag des Zorns und des Gerichts ist. Vgl. Jes 13,6-22, Ez 30,3-19, Joel 1,15-2,11.

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22. Vgl. Jes 2,3f; Jes 49,10-23.

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23. So das vierte Gottesknechtlied, Jes 52,13-53,12.

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24. Vgl. Mk 1,15, Mt 4,17.

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25. Vgl. das Gleichnis vom Sämann, Mt 13,1-9.

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26. Das Umschlagen zwischen den Extremen einer zunächst ängstlich-resignativen und dann einer aggressiven Verweigerung der Sendung beschreibt nicht ohne Humor das Buch Jona.

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27. Vgl. Mt 5,39. Nicht nur für diese Stelle aus der Bergpredigt gilt, daß Jesus auf seinem Kreuz-Weg die Lehre der Bergpredigt in die Tat umgesetzt hat. So findet die schwer verständliche Bergpredigt vom Weg Jesu her eine lebendige Auslegung.

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28. Die Vorwürfer der Gegner gegen Jesus sind vielfältig: er übertrete die Gesetze (besonders Verstoß gegen das Sabbatgebot), er sei ein Fresser und Säufer (Mt 11,19), er sei mit den Dämonen im Bunde (Mt 12,24), und vor allem: er mache sich selbst zu Gott (Joh 10,33).

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29. Wie Petrus für Jesus will. Vgl. Mt 16,21-23.

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30. Hier müßte gelten, daß das Opfer, das nicht versucht, den Täter an seiner Untat zu hindern, sich für dessen Untat mitverantwortlich macht. Daß Jesu Kreuzestod nicht als indirekter Selbstmord verstanden werden darf, wird deutlich herausgearbeitet von R. Schwager in: ders., Jesus im Heilsdrama. Entwurf einer biblischen Erlösungslehre (IThS 29). Innsbruck-Wien 1990, 216-222. Zum Gratweg Jesu zwischen Resignation und Provokation vgl. auch R. Schwager, Dem Netz des Jägers entronnen. Das Jesudrama nacherzählt. Freiburg i.Br.-Basel-Wien 1994, 125.

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31. Vgl. Lk 24,36, Joh 20,19-21.

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32. Dieser Gedanke wird von Paulus drastisch formuliert. Vgl. 2 Kor 5,21, Gal 3,13.

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33. Vgl. im Apostolischen Glaubensbekenntnis die Passage „hinabgestiegen in das Reich des Todes", sowie biblisch: nach 1 Petr 3,19f.

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34. Vgl. Mt 18,12-14.

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35. So rührend dieses grenzenlose Engagement Gottes ist, - für den Sünder ist es keineswegs angenehm. Wer Gott zurückgewiesen hat, möchte von ihm in Ruhe gelassen werden und seinen Frieden ohne ihn finden. Anstelle dessen wird er mit den Konsequenzen seiner Ablehnung konfrontiert: Denn das genau bedeutet es, wenn Gott ihm erneut in der Gestalt des Erniedrigten, Gekreuzigten erscheint. Das ist scharfe Kritik, Gericht. Aber nur durch diese Konfrontation kann Umkehr - die Rückkehr in die Balance des Sünders mit Gott und mit seinen Mitmenschen - neu möglich gemacht werden.

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36. Vgl. 2 Kor 5,14f, Kol 1,24.

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37. Deutlicher, als es hier möglich ist, müßte ausgeführt werden, worin das strukturelle Unrecht bestand, mit dem Jesus sich nicht abfinden konnte: vor allem der systematische Ausschluß bestimmter Menschen und Bevölkerungsgruppen vom Zugang zum Gottesreich. Dagegen bemühte sich Jesus um eine universale Sammlung, welche auch die Zöllner, Huren und Sünder nicht ausschloß. Das führte zu heftigen Widerständen.

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38. Vgl. Mt 16,21-23.

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39. Man tut gut daran, satanische Mächte weder zu unterschätzen noch sie in einzelnen Menschen zu identifizieren, sondern sie in jenen Institutionalisierungen des Bösen zu orten, bei denen das Gute scheinbar nur noch in einer relativen Kooperation mit dem Bösen (und damit: durch Korruption) wirksam bleiben kann. Dann ergibt die Rede, daß durch das Kreuz der Satan überwunden wurde, einen tiefen Sinn (vgl. Hebr 2,14). - Eine solche Sichtweise bewährt sich besonders im Hinblick auf geschichtliche Vorfälle von kollektivem Hexenwahn. Die Identifizierung des Teufels in bestimmten Personen führte dort zu einer Lawine von Denunziationen, in denen sich der einzelne Beschuldigte nur mehr retten kann, indem er seine Besessenheit zugibt, andere der Hexerei beschuldigt und somit das Wahngebilde bestätigt. In solchen Fällen war die Überwindung des kollektiven Wahns nur möglich durch das freiwillige Martyrium angesehener Menschen: indem sie bis zum Todesurteil an der Unschuld festhielten, - und so das Wahnsystem unplausibel machten. Diese Zusammenhänge hat Arthur Miller in seinem von realen Begebenheiten angeregten Theaterstück „Hexenjagd" eindrucksvoll entfaltet. Vgl. auch den gleichnamigen Spielfilm (unter der Regie von Nicholas Hytner, 1996), der sich eng an die Vorlage von Miller hält.

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40. Es gibt auch die Selbstüberforderung, die sich durch Verlust der Authentizität und Glaubwürdigkeit rächt. Diesbezügliche psychologische Vorbehalte treffen zusammen mit theologischen Warnungen: Den Kreuzweg darf man nicht aus eigener Willkür wählen. Er ist eine Sache der Berufung, und das Vorliegen einer Berufung ist zu prüfen.

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41. Dieser christliche Realismus legt sich in eine differenzierte Glaubenslehre aus: Der Mensch ist von Natur aus gut und der glücklichen Vollendung, der gelingenden Balance, fähig. Aber diese grundsätzliche Möglichkeit ist bedroht (aber nicht einfach aufgehoben) von einer tief verwurzelten Schuldverflochtenheit und Neigung zum Bösen; - das wird in der Lehre der Erbsünde ausgesagt. Innerhalb dieser Zerspanntheit von an sich guter Natur und tief verwurzelter Ausgesetztheit gegenüber dem Bösen wird der Mensch aber geführt von der wirksamen göttlichen Gnade, so daß wir für jeden Menschen Grund haben zur Hoffnung, daß die Alternative eines endgültigen Heils die weit wahrscheinlichere ist als diejenige eines endgültigen Scheiterns, - und zwar nicht nur innerhalb der Kirche, sondern für alle Menschen. Das ist die Lehre vom allgemeinen und wirksamen Heilswillen Gottes (vgl. dazu biblisch: 1 Tim 2,4, in theologischer Entfaltung: K. Rahner, Grundkurs des Glaubens. Einführung in den Begriff des Christentums. Freiburg i.Br.-Basel-Wien 1976, 147-153. - Zum christlichen Realismus vgl. ebd. 389-391.

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42. So lautet die „Definition" von Kirche auf dem 2 Vatikanischen Konzil, Lumen Gentium 1,1.

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43. Diese Frage stellt sich heute besonders scharf im kontroversiellen Ringen um Schuldbekenntnisse der Kirche, zuletzt im vatikanischen Dokument zur Shoah und nun in den Vorbereitungen für ein kirchliches Schuldbekenntnis am Aschermittwoch des Jahres 2000.

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44. Der Kirchenvater Ambrosius hat die Kirche als „casta meretrix" bezeichnet, um die Verflochtenheit von Sündigkeit und bleibender Erwählung auszusagen.

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45. Vgl. Mt 5,13-16.

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