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Zur Bilanz von Hans Küng zum Papstjubiläum

Autor:Schwager Raymund
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2003-12-09

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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In seiner Bilanz (1) zum 25jährigen Papstjubiläum fällt Hans Küng harte Urteile. Johannes Paul II. sei ein "Papst vieler großer Gaben und vieler falscher Entscheidungen". Im einzelnen ist dann die Rede von 'diktatorischer Macht', 'triumphalistischem Absolutismus', 'inquisitorischer Verfolgung', 'römischem Imperialismus' und 'weltfremdem Rigorismus'. Die falschen Entscheidungen im Zusammenhang mit den bekannten Themen (Sexualmoral, Priesterzölibat, Frauenordination, Ökumene, Kollegialität, etc.) und die mangelnde Anpassung an die Zeit seien der Grund, dass Millionen von Menschen unter diesem Pontifikat "Kirchenflucht begannen oder sich in die innere Emigration zurückgezogen" haben. Bereits hier stockt man. In all den genannten Punkten haben sich die evangelischen Kirchen anders entschieden, aber die Kirchenflucht ist bei ihnen nicht geringer, sondern eher noch größer. Könnten es vielleicht nicht andere Gründe für die Kirchenkrise geben? In der Studie "The Churching of America" bieten R. Finke und R. Stark sehr solide und wissenschaftlich anerkannte Daten für die Beteiligung am kirchlichen Leben in Nordamerika, wobei zwei Hauptergebnisse auffallen. (1) Wenn man alle christlichen Denominationen zusammenzählt, dann hat die Teilnahme am Leben kirchlicher Gemeinden in den letzten zweihundert Jahren nicht ab, sondern ständig zugenommen, und zwar von 17 % im Jahre 1776 auf 62 % im Jahre 1980. (2) Dennoch gab es eindeutige 'Gewinner' und 'Verlierer', und 'Gewinner' waren immer jene Gemeinschaften, die sich nicht an die jeweilige kulturelle Hauptströmung ('mainstream') angepasst haben. Diese eindeutige geschichtliche Erfahrung kann auch für heute nahelegen, dass die Dinge vielleicht ganz anders liegen, als Küng meint. Die katholische Kirche könnte in Westeuropa und in den USA gerade deshalb auf die Verliererstraße geraten sein, weil sich viele Priester, TheologInnen und kirchliche MitarbeiterInnen zu sehr an modischen Strömungen orientiert haben.

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Nach Küng ist der Papst schuld am Stocken der Ökumene. Die genannte Studie legt auch in dieser Frage eine andere Beurteilung nahe. Es waren meistens Kirchen auf der Verliererstraße, die sich um die Ökumene bemüht und dabei nichts gewonnen haben. Auf alle Fälle zeigt wiederum der Vergleich mit den evangelischen Kirchen, die eine lockere Führung haben, dass die Einheit dort nicht größer ist, sondern erst recht Spaltungen entstehen. Auch von der römisch-katholischen Kirche hat sich nach dem Konzil die Lefebvre-Kirche abgespalten, und ihr wären sicher sehr viele Bischöfe gefolgt, wenn der Papst das getan hätte, was Küng fordert.

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Auch von inquisitorischer Verfolgung kann ich nicht viel feststellen, denn die Katholiken können heute ziemlich machen, was sie wollen. Kirchliche Maßnahmen treffen nur noch jene, die sich freiwillig darum beworben haben, im Namen der Kirche zu lehren. Dass diese zur Loyalität verpflichtet sind, dürfte etwas Selbstverständliches sein, und es gehört sogar zum menschlichen Anstand, dass man freiwillig eingegangene Verpflichtungen hält oder andernfalls freiwillig die Konsequenzen zieht. Auf alle Fälle ist es Aufgabe der Kirche, dafür zu sorgen, dass jene, die in ihrem Namen lehren, tatsächlich das lehren, was ihr entspricht. Auch Gewerkschaften engagieren in ihren Bildungsreinrichtungen nicht Personen, die gegen ihr Selbstverständnis arbeiten.

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Küng hält dem Papst ferner Doppelbödigkeit vor. Er predige nach außen, was er im Inneren der Kirche unterdrücke (Menschenrechte). Johannes Paul II. legt tatsächlich großes Gewicht auf die Menschenrechte und sieht deren Zentrum in der Religionsfreiheit und in der bürgerlichen Freiheit, Gemeinschaften zu bilden und ihnen frei beizutreten. Die Religionsfreiheit wird heute überall in der Welt von der Kirche anerkannt und sogar gefordert, und im Rahmen der bürgerlichen Freiheit ist die Kirche eine Gemeinschaft, der man frei beitreten kann oder nicht. Es verstößt nun aber keineswegs gegen die Menschenrechte, dass freie Gemeinschaften sich ihre eigenen Regeln geben. Im Gegenteil, gerade die Forderung, die internen Regelungen einer frei gewählten Gemeinschaft, müssten immer genau den gesamtgesellschaftlichen Regelungen entsprechen, ist diktatorisch und widerspricht der Versammlungsfreiheit. Deshalb gehört es keineswegs zu den Menschenrechten, dass alle freien Gemeinschaften (wirtschaftliche Unternehmen, Kirchen, etc) demokratisch organisiert sein müssen. Was Küng über die fehlenden Menschenrechte in der Kirche sagt, ist deshalb schlichtweg falsch, und er verschleiert damit zudem die eigentlichen Probleme. Schon vor Jahren hat der bekannte südamerikanische Befreiungstheologe Jon Sobrino gesagt, die Menschenrechte würden dort aufhören, wo der entsprechende Pass fehlt. Wenn Not kommt, lassen die westlichen Länder tatsächlich Menschen in anderen Erdteilen verhungern. Das sind die eigentlichen Probleme mit den Menschenrechten.

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Der Tübinger Theologe behauptet ferner, Johannes Paul II. verkünde "statt einer Frohbotschaft eine anachronistische Drohbotschaft". Wer die Enzykliken und Apostolischen Schreiben des Papstes gelesen hat, dem fällt auf, dass er die Gerichtsthematik fast ganz übergeht und bei der biblischen Lehre von der Hölle, wenn er sie erwähnt, was selten geschieht, gleich hinzufügt, dass sie durch das Kreuz überwunden wurde. Nicht die Drohbotschaft ist typisch für Johannes Paul II., sondern seine Betonung der göttlichen Barmherzigkeit und sein weitgehender Verzicht auf die direkte biblische Gerichtsthematik. Der Papst vertraut darauf, dass die richtig verkündete biblische Botschaft von sich aus die Herzen zu gewinnen vermag.

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So bleibt nicht viel Wahres in der bitteren Bilanz von Hans Küng. Was bleibt, sind einige echte Probleme, die aber in Umsicht und ohne rechthaberisches Getöse angegangen werden müssen. Der Priestermangel behindert tatsächlich in manchen Teilen der Welt eine gute Seelsorge, und es stellt sich die echte Frage, ob die Weihe von bewährten, verheirateten Männern ('viri probati') eine Lösung sein könnte. Ebenso ist klar, dass auch gute KatholikInnen nicht in allem der Sexualmoral des Papstes folgen. So ist zu bedenken, ob die Kirche nicht einerseits weiterhin mutig gegen den 'mainstream' des heutigen sexuellen Liberalismus auftreten, und anderseits die eine oder andere Norm differenziert sehen könnte. Persönlich halte ich es auch nicht für ausgeschlossen, dass die Kirche eines Tages Frauen weihen wird. Gegenwärtig würde dies allerdings zu einer Kirchenspaltung führen. Bei all den genannten Fragen ist deshalb sorgfältig zu bedenken, ob gut gemeinte Lösungsvorschläge nicht rasch kontraproduktive Folgen nach sich ziehen, die die Probleme eher vergrößern als lösen. Modischen Strömungen zu folgen hat der Kirche auf alle Fälle noch nie geholfen.

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Wenn man nicht bloß an die Probleme denkt, sondern unvoreingenommen die großen Leistungen dieses Papstes zu würdigen versucht, seine theologische Geschichtsschau und sein unermüdlicher Einsatz für Friede und Gerechtigkeit, seine charismatische Glaubensstärke und seine unwahrscheinliche Fähigkeit, in allen Teilen der Welt Millionen von Menschen zu sammeln, seine mutigen Schritte im interreligiösen Dialog und seine Rolle im Weltgeschehen am Ende des 20. Jahrhunderts, - wenn man all dies bedenkt, dann dürfte man vorsichtig im Aburteilen werden. Dies gilt doppelt und dreifach, wenn man sich klar macht, dass Johannes Paul II. in jenen Fragen, die Küng nicht gefallen, gerade nicht seinem persönlichen und eigenmächtigen Urteil, sondern der Tradition der Kirche folgt. Er bleibt dem Zweiten Vatikanischen Konzil treu, versteht es allerdings - im Unterschied zu Küng - nicht als bloßes Sprungbrett für irgendeine erträumte Kirche der Zukunft, sondern er hält sich an das, was das Konzil tatsächlich gesagt hat. Beim Lesen der bitteren Kritik von Küng frage ich mich, wieso er denn nicht in eine andere kirchliche Gemeinschaft übertritt, die seinen Vorstellungen besser entspricht, was einige andere Kritiker auch ehrlicherweise getan haben. Ich vermute, dass er trotz seiner Bissigkeit instinktiv spürt, dass es dort nicht besser ist und dass er mit seiner Kritik rasch auf verlorenen Posten stehen würde, wenn er in den Medien nicht mehr die Rolle des Mutigen spielen könnte, der gegen die eigene Kirche rebelliert, obwohl dies längst keine mutige Sache mehr ist, sondern ein Schwimmen auf dem medialen 'mainstream'.

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Václav Havel, der erste Präsident der Tschechoslowakei nach dem Fall des Kommunismus, steht dem Christentum fragend gegenüber. Er ist aber ein Mann des feinen Gespürs, und beim Besuch des Papstes in seinem Land am 21./22. April 1990 hat er in seiner Begrüßungsansprache auf dem Prager Flughafen gesagt:

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"Eure Heiligkeit,

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meine lieben Mitbürger!

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Ich bin mir nicht sicher, dass ich weiß, was ein Wunder ist. Ich glaube aber, daß ich in diesem Augenblick an einem Wunder teilhabe: Der Mann, der noch vor sechs Monaten als Staatsfeind im Gefängnis saß, steht heute als Präsident jenes Staates hier und begrüßt den ersten Papst in der Geschichte der Katholischen Kirche, der dieses Land betritt.

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Ich bin mir nicht sicher, daß ich weiß, was ein Wunder ist. Ich glaube aber, daß ich heute nachmittag an einem Wunder teilhaben werde: An dem gleichen Ort, wo wir vor fünf Monaten über die Heiligsprechung der Agnes von Böhmen jubelten, als die Zukunft unseres Landes entschieden wurde, wird heute das Oberhaupt der katholischen Kirche die Messe feiern und unserer Heiligen wahrscheinlich dafür danken, dass sie sich bei dem, in dessen Hand der unergründliche Lauf aller Dinge liegt, für uns eingesetzt hat.

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Ich bin mir nicht sicher, daß ich weiß, was ein Wunder ist. Ich glaube aber, daß ich in diesem Augenblick an einem Wunder teilhabe: In einem Land, das durch die Ideologie des Hasses verwüstet wurde, ist der Botschafter der Liebe eingetroffen; in einem Land, das durch die Regierung der Unwissenden verwüstet wurde, ist das lebende Symbol der Kultur eingetroffen; in einem Land, das bis vor kurzem von der Idee der Konfrontation und der globalen Trennung verwüst wurde, ist der Botschafter des Friedens, des Dialogs, der gegenseitigen Toleranz, der Wertschätzung und des gelassenen Verstehens eingetroffen, der Botschafter der brüderlichen Einheit in der Vielfalt.

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Während dieser langen Jahrzehnte war der Heilige Geist aus unserem Land verbannt. Ich habe die Ehre, Zeuge des Augenblicks zu sein, in dem sein Boden vom Apostel der Spiritualität geküßt wird.

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Willkommen in der Tschechoslowakei, Eure Heiligkeit." (2)

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Könnten diese Begrüßungsworte von Václav Havel nicht als Leitfaden für eine viele tiefere und wahrere Bilanz zum 25jährigen Papstjubiläum von Johannes Paul II. dienen?

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Anmerkungen:  

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 1. H. Küng, Papstjubiläum. In: Kirche in 11/2003, 30f.

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2. Zitiert nach: G. Weigel, Zeuge der Hoffnung. Johannes Paul II.. Paderborn [u.a.] 22003, 640.

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