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Zwischen dem „schwarzen Donnerstag“ und dem „Neuen Pfingsten“: Zweite Reminiszenz zum Konzil

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriekurzessay
Abstrakt:
Publiziert in:Publiziert in: „Tiroler Sonntag“
Datum:2022-10-21

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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„Das Beste kommt noch!“ Ob ein solcher Gedanke dem schon schwer kranken Johannes XXIII. am Eröffnungstag des Konzils, dem 11. Oktober 1962 in den Sinn kam? Er hat die gewaltigen Schwierigkeiten bei den Vorarbeiten miterlebt, gleich zwei Tage nach der pompösen Eröffnung sollte es in der Konzilsaula zu einem ersten Kräftemessen zwischen der Vatikanischen Kurie und dem Weltepiskopat bei der Abstimmung über die Besetzung der Konzilskommissionen kommen.  Und das von ihm erhoffte neue Pfingsten? Die erste Sitzungsperiode tappte größtenteils im Dunkel, war auch bestimmt von Rivalitäten, so dass er sich entschieden hat, bei weiteren Perioden seinen Platz als „Präsident“ einzunehmen. Dazu kam es nicht, Johannes XXIII. starb im Dezember 1962. Damit wäre das Konzil beendet, noch bevor es richtig angefangen hat. Man kann ruhig glauben, dass der Heilige Geist bei der Wahl des Nachfolgers und seiner Entscheidung, das Konzil fortzusetzen am Werk war. Unter Paul VI. ging auch die Arbeit zügig voran. Bis zu dem Tag, der in die Kirchengeschichte unter dem Stichwort: „Der schwarze Donnerstag“ einging. Zwei Tage vor dem Ende der vorletzten Sitzungsperiode verdichteten sich Konflikte bei mehreren Textentwürfen auf eine kaum zu steigernder Weise. Zum Eklat kam es jedoch als über das „Dekret über die Religionsfreiheit“ abgestimmt werden sollte. Nachdem kurz vor der Abstimmung diese auf Druck der Gegner vom Präsidium vertagt wurde, glich die Basilika dem sprichwörtlichen Turm von Babel. Die Konzilsväter verließen ihre Plätze, einige wollten gleich abreisen, andere diskutierten in Gruppen, viele protestierten lautstark. In der Konzilsbar: „Bar Jona“ bastelten nordamerikanische Kardinäle an einer Petition an den Papst, er möge die Abstimmung „befehlen“. Sonst blamiere sich das Konzil vor der „christlichen und nichtchristlichen Welt“. Obwohl in kürzester Zeit etwa 1000 Unterschriften unter die Erklärung gesetzt wurden, hat Paul VI. nur zugesichert, dass diese Erklärung bei der nächsten Periode als erster Tagesordnungspunkt behandelt wird. Warum dies? Er wollte die kuriale Minderheit, die zu den entscheidendsten Gegnern der Erklärung zählte, nicht bloßstellen. Er musste ja mit dieser arbeiten. Und was das bedeutet, wusste der „Ex-Kurialist“ sehr gut.

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Und das Beste, das da noch kommen sollte? An jenem denkwürdigen Tag, dem 7. Dezember 1965 befanden sich zwar alle Konzilsväter – wie schon die Apostel damals am Pfingsttag (vgl. Apg 2) – am gleichen Ort. In der zur Konzilsaula umfunktionierten Basilika St. Peter erhob sich aber „vom Himmel her“ kein Brausen. Und auch kein „heftiger Sturm“ fuhr daher, von den Feuerzungen schon ganz zu schweigen. Und doch darf man rückblickend heute sagen, wenn bei diesem Konzil irgendwann „Pfingsten“ mit Händen zu greifen war, dann an diesem Tag und zu dieser Stunde. Was da nämlich geschah, konnten sich die inzwischen wenige erbitterte Gegner nur durch den Hinweis auf die geistige Umnachtung ihrer Mitbrüder erklären. So ganz nach dem Motto: „Sie wissen nicht, was sie da tun“. Nach monatelangen Vorarbeiten, 6 Textentwürfen, dramatischen Diskussionen in der Konzilsaula und den umliegenden Kaffeehäusern wurde mit 2308 Pro-Stimmen (bei 70 Nein- und 8 ungültigen Stimmen) das knappe (nur 14 Punkte umfassende) Dokument: „Dignitatis humanae“ (Die Würde der menschlichen Person) verabschiedet. Über dessen Bedeutung ist man sich heute – vielleicht deutlicher als damals – einig: Ohne die Weichenstellung, die dieses „Dekret über die Religionsfreiheit“ vornimmt, hätte das Konzil seine Aufgabe verfehlt. Wäre dieses Dokument ausgeblieben, so würden nicht nur die Erklärung über die „Nichtchristliche Religionen“, das „Dekret über den Ökumenismus“, sondern auch die Konstitution über die „Kirche in der modernen Welt“ und selbst die dogmatische Konstitution über die Kirche in der Luft hängen. Das erste kirchenpolitische Zeichen folgte den Abstimmungen auf dem Fuß: Paul VI. und der an diesem Tag anwesende Patriarch der Orthodoxie Athenagoras hoben die gegenseitige Exkommunikation von 1054, die die West- und Ostkirche jeweils unter Bann stellte, auf.

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Hat sich die Katholische Kirche mit diesem Dekret dem modernen Relativismus ausgeliefert, wie die erbitterten Gegner dies unterstellen? Nein! Der Text setzt bei der Würde der menschlichen Person an, in der das Recht auf religiöse Freiheit gründet. Deswegen darf in religiösen Dingen niemand gezwungen und gehindert werden, gegen sein Gewissen zu handeln. Mit diesem Grundsatz korrigiert die Kirche nicht nur ganze Jahrhunderte ihrer eigenen Geschichte, sie widerspricht direkt den zahlreichen Verurteilungen der Vorstellung von Religionsfreiheit, die von den Päpsten des 19. Jahrhundert als „Wahn“ qualifiziert wurde. Von dem Versuch des machtbesessenen Papstes Bonifaz VIII., der 1302 mittels eines Dogmas festschreiben wollte, dass es heilsnotwendig sei unter der Leitung des römischen Papstes zu stehen, schon ganz zu schweigen. Der radikale Kurswechsel ist nicht strategisch begründet; er bedeutet eine konsequente Rückkehr zur biblischen Perspektive. Die biblische Begründung der Religionsfreiheit gehört zu den theologisch bedeutendsten Texten des Konzils. Und wie lautet der Argumentationsgang? Gott ruft, aber er zwingt nicht. Deswegen hat auch Jesus Menschen in Geduld zu gewinnen gesucht. Er übte keinen Zwang aus, vielmehr praktizierte er Toleranz, lehnte also äußere Machtmittel ab. Indem er den Gewalttod starb, legte er Zeugnis für die Wahrheit ab, drängte aber diese nicht mit Gewalt den Menschen auf! Auch die Apostel sind den gleichen Weg gegangen. Sie verkündeten den universalen Heilwillen Gottes, nahmen aber Rücksicht auf die Schwachen, selbst dann, wenn diese im Irrtum waren. Sie achteten die legitime Autorität, widersprachen aber der öffentlichen Gewalt, wenn diese im Gegensatz zum Willen Gottes stand. Und sie starben für die Wahrheit den Märtyrertod.

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Leider sind religiöse Intoleranz und auch Gewalt in unserer Welt immer noch selbstverständlich. Angesichts dessen gehört das „Dekret über die Religionsfreiheit“ zum Besten, was wir – die Katholische Kirche – haben und hoffentlich auch leben. Auf dieses neue Pfingsten dürfen wir auch sein.

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Vgl. auch: Niewiadomski Jozef: Der Sprung nach vorne: Erste Reminiszenz zum Konzil (uibk.ac.at)

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