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Der Sprung nach vorne: Erste Reminiszenz zum Konzil

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriekurzessay
Abstrakt:
Publiziert in:publiziert im „Tiroler Sonntag"
Datum:2022-10-18

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Man könnte das Jubiläum des Beginns des Zweiten Vatikanischen Konzils vor 60 Jahren – gerade angesichts der nicht allzu rosigen Gegenwart – mit einer Prise vom schwarzen Humor kommentieren: Vor dem Konzil hat die Kirche eine Menge von Menschen aus der Kirche ausgeschlossen, nach dem Konzil rennen die Menschen selber in Scharen davon. Vor dem Konzil präsentierte sich die Kirche selber als eine „societas perfecta“, eine vollkommene Gesellschaft, einer Festung nicht ganz unähnlich. Umgeben von Horden der Feinde (Schismatiker, Häretiker, Andersgläubige, Atheisten, die ja allesamt nicht zur Kirche gehörten) begriff sie das Glaubensleben als einen Kampf gegen die „moderne Welt“. Mit Begeisterung wurde das Lied „Ein Haus voll Glorie schauet“ in der damals geläufigen Fassung gesungen: „Wohl tobet um die Mauern der Sturm in wilder Wut, das Haus wird überdauern, auf festem Grund es ruht. Ob auch der Feind ihn dräue, anstürmt der Hölle Macht, des Heilands Lieb und Treue auf seinen Zinnen wacht. Viel Tausend schon vergossen mit heil‘ger Lust ihr Blut, die Reihen stehn fest geschlossen in hohem Glaubensmut“. Zur Häresie ersten Ranges wurde der „Modernismus“ erklärt, dem alle Theologen und kirchlichen Amtsträgern bei der Übernahme ihrer Mission abschwören mussten. Freilich hat es auch vor dem Konzil Erneuerungsbewegungen gegeben, die aber allesamt kritisch beäugt wurden. Kein Wunder, dass Denunziationen als Frömmigkeitsübung begriffen wurden. In vielen Ländern war die Kirche zwar mächtig, doch war sie ein „Fremdkörper“ in einer Welt, die sich rapid wandelte: unverstanden und auch ungeliebt.  Als Johannes XXIII. bald nach dem Beginn seines Pontifikates das Konzil in Aussicht stellte, erwarteten sich nicht wenige bloß die feierliche Finalisierung des durch politische Wirren des 19. Jahrhundert abgebrochenen ersten Vatikanischen Konzils, damit auch eine zu-Zementierung  der kirchlichen Festung. Als er bei der Eröffnungsansprache am 11. Oktober 1962 davon sprach, dass das Konzil „einen Sprung“ nach vorne wagen soll, schüttelten nicht wenige Konzilsväter den Kopf. „Die Kirche wird 50 Jahre brauchen, um sich von den Irrwegen Johannes XXIII‘ zu erholen“, kommentierte den Schock der Erzbischof von Genua, Kardinal Giuseppe Siri (der 1978 zwei Mal beinahe Papst geworden wäre und zwar in beiden Konklaven, aus denen dann Johannes Paul I. und Johannes Paul II. hervorgegangen sind).

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Der Sprung, der für viele zum Schock wurde, betraf die Zuordnung der Kirche zur Welt. Was im Konzil geschah, wurde oft als „Schleifung der Bastionen“ und „Öffnung der Fenster“ (und Türen) beschrieben. Die revolutionäre Konstitution: „Gaudium et spes“ („Freude und Hoffnung“), die erst am letzten Tag des Konzils beschlossen wurde, vollzieht eine Kehrtwendung des kirchlichen Selbstbewusstseins um 180 Grad. Freilich ist sie durch die bahnbrechende Enzyklika: „Pacem in terris“ (Friede auf Erden) von Johannes XXIII. und der dort kirchlich eingeführten Rede von „Zeichen der Zeit“ und den „Menschenrechten“ vorbereitet worden. Empathie mit den Menschen von heute wird nun zum kirchlichen Grundvollzug erklärt. Und dies nicht aufgrund billiger strategischer Überlegungen. Der tiefste Grund liegt im zentralen Geheimnis des christlichen Glaubens: der Menschwerdung Christi. Der Sohn Gottes habe sich durch diese „mit jedem Menschen verbunden“ (GS, 22). Und was ist mit jenen, die von Christus nie was gehört haben? Der Heilige Geist verbindet sie „auf den Gott allein bekannten Wegen“ mit dem Geheimnis Christi. Die lateinamerikanischen Theologen prägten übrigens daraus den saloppen Grundsatz: „Lange vor dem Missionar war Gott schon da!“ Starker Tobak für eine Glaubensgemeinschaft, die bis dahin alles „Nicht-Kirchliche“ abgekanzelt hat. Hat man mit diesem Konzil den „Ausverkauf des kirchlichen Glaubens“ eingeleitet? Erzbischof Lefebvre ist dieser Meinung gewesen. Deswegen hat er die letzten Beschlüsse des Konzils zu Fragen: „Moderne Welt und Kirche“ nicht unterzeichnet und die Abspaltung der Traditionalisten mit ihrer museal anmutenden Kirchlichkeit begründet.  Auch wenn hier zu Lande viele Menschen der Kirche den Rücken kehren, ist die Katholische Kirche weltweit im Aufschwung begriffen. Um ihre Zukunft brauchen wir uns nicht Sorgen zu machen. Denn für diese sorgt schon der Hl. Geist. Schön wäre es aber, wenn wir zum Konzilsjubiläum uns von unseren westeuropäisch geprägten „Kaninchenblick auf die Schlange der Säkularisierung“ befreien, die masochistisch anmutende Lust an Kirchenkritik zähmen und unser katholisches Selbstbewusstsein aufpolieren würden. Denn: so schlecht wie ihr Ruf ist unsere Kirche nicht!

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