University Logo

Kirche, Ordination, Macht

Autor:Lumma Liborius
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2019-02-22

Inhalt

1
Paragraph Icon

An unserer Fakultät halte ich regelmäßig die Vorlesung „Amt und Ordination“. Diese Lehrveranstaltung setzt sich aus sieben 90-minütigen Einheiten zusammen und ist fokussiert auf die ordinierten Ämter, wie sie in der Kirchenkonstitution des II. Vatikanischen Konzils Lumen Gentium 18–29 beschrieben werden, auf die heutigen römischen Ordinationsliturgien sowie auf einige Aspekte der geschichtlichen Entwicklung des Amtsverständnisses, des Kirchenrechts, ordinierter Ämter außerhalb der katholischen Kirche sowie nicht-ordinierter Ämter innerhalb der katholischen Kirche.

2
Paragraph Icon

Ich habe dabei immer versucht, einen positiven Zugang zum ordinierten Amt anbieten und das meines Erachtens gut begründete Potenzial dieses Elements der katholischen Kirche herauszuarbeiten. Im Zuge der jüngeren Entwicklungen und Enthüllungen rund um sexuellen Missbrauch und andere Formen von Machtmissbrauch in der katholischen Kirche der letzten Jahrzehnte habe ich dann entschieden, die Vorlesung um einige persönliche Anmerkungen zu dieser Thematik zu erweitern, die ich den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ergänzend zur Verfügung gestellt habe und hier in etwas überarbeiteter Form dokumentiere.

3
Paragraph Icon

An der Vorlesung nehmen vor allem Kandidaten für das Presbyterat teil sowie Laien, die sich auf eine Tätigkeit im kirchlichen Dienst vorbereiten. Für sie alle ist die Frage nach Macht in der Kirche, deren Anwendung und deren Missbrauch keineswegs nur eine theoretische. Sie diskutieren diese Aspekte untereinander und werden von Außenstehenden herausgefordert, denen nicht einleuchtet, warum Menschen überhaupt für eine Institution arbeiten möchten, die ihnen als offensichtlich korrupt und destruktiv vor Augen steht.

4
Paragraph Icon

Meine Überlegungen sollen sich im von Lumen Gentium gesetzten Rahmen bewegen und daher umfassendere ekklesiologische Paradigmenwechsel vermeiden. Sie sind für mich work in progress und ich nehme nicht in Anspruch, zu einer endgültigen Meinung gekommen zu sein, die nicht mehr hinterfragt werden könnte. Zu vieles befindet sich im Fluss – das gilt für die mediale Berichterstattung genauso wie für die innerkirchliche Diskussion und für meine persönliche Meinungsbildung, zumal in diesen Tagen, in denen im Vatikan die „Kinderschutz-Konferenz“ anberaumt ist, die möglicherweise bereits erste Weichen für die katholische Kirche neu stellen wird.

5
Paragraph Icon

Allgemeine Vorüberlegungen

6
Paragraph Icon
  • Die katholische Kirche weist ordinierten Männern – vor allem in den Ämtern des Bischofs und des Presbyters, während es sich mit der Rolle des Diakons etwas anders verhält – umfangreiche Macht zu: Verpflichtungen, Vollmachten und Zuständigkeiten, die andere nicht haben. Es kann und muss sinnvollerweise von Macht gesprochen werden – Macht an sich kann zum Guten wie zum Schlechten eingesetzt werden –, vor allem aber darf kirchliche Macht nicht fromm wegdiskutiert oder weginterpretiert werden, so als existiere sie nicht oder sei etwas völlig anderes als Macht in der Gesellschaft, in der Politik, in der Wirtschaft oder anderswo.
  • Missbrauch von Macht wird begünstigt, wenn die Vorstellung der repraesentatio Christi capitis bzw. des Handelns in persona Christi durch ordinierte Amtsträger[1] als Identifikation mit Christus missverstanden und dadurch pervertiert wird.[2] Dieses falsche Modell der Identifikation wiederum – auch wenn es nicht so genannt wurde – wurde (und wird immer noch) begünstigt durch die Vorstellung, die Ordination gewähre auf magische Weise bestimmte metaphysische Fähigkeiten (wobei nach meinem Eindruck die Verwendung des Missverständnisse nahelegenden lateinischen Terminus potestas eine bedeutende Rolle spielt) oder ein Monopol auf bestimmte Geistesgaben. Die biblische Aussage, wonach Christus das eine und einzige Haupt der Kirche ist[3], steht jeder Monopolisierung von Macht durch Menschen in der Kirche entgegen.
  • Aus gutem Grund entfaltet Lumen Gentium die Machtausübung in der Kirche primär durch das Bild des „Hirten“[4]. Diese Metapher macht deutlich, dass legitime Machtausübung in der Kirche die Hingabe des Lebens zum Wohl der „Schafe“[5] verlangt. Wird der Zusammenhang zwischen der „Macht“ und dem Bild des „Hirten“ aufgelöst, droht eine Trivialisierung kirchlicher Macht.
  • Die katholische Kirche muss sich der Frage widmen, wie Macht (im Sinne richtig verstandener „Hirtensorge“) ausgeübt werden kann, ohne dass sie monopolisiert wird und zur Entmündigung der „Schafe“ führt. Die Hirten-Herden-Metaphorik darf nämlich nicht außer Acht lassen, dass die „Herde“ Trägerin des Heiligen Geistes ist (durch Taufe und Firmung); ebenso ist jedes „Schaf“ Träger individueller Charismen, die ernst genommen werden und in die Kirche integriert werden müssen. Wenn dies nicht geschieht, wird die Rede von der priesterlichen, königlichen und prophetischen Würde im Rahmen der Taufliturgie bedeutungslos.
  • Der Diakonat, wie er in Lumen Gentium 29 beschrieben und in der Folge näher geordnet wurde, zeigt, dass es sehr wohl möglich ist, einem Amt bestimmte Verantwortungsbereiche zuzuordnen (hier der sozial-karitative Dienst), ohne diese Verantwortung zu monopolisieren und sie anderen Getauften abzusprechen.
  • Die katholische Kirche ist derzeit konfrontiert mit den abgründig zerstörerischen Folgen der Verbindung von Macht und unkontrollierten, unreflektierten und unverantwortlichen Formen von Sexualität. In diesem Zusammenhang muss immer wieder betont werden, dass auch die Ordinierten, die im Rahmen liturgischer Rituale Christus „repräsentieren“[6], zugleich Sünder bleiben – nicht immun gegen die Versuchungen der Macht. Um dem Willen Christi als dem einzigen Haupt der Kirche zu entsprechen, um die Charismen aller Christen zu stärken und – vor allem! – um den Opfern psychischen und sexuellen Machtmissbrauchs zu helfen und zukünftigen Machtmissbrauch so weit wie möglich zu verhindern, benötigt die katholische Kirche seriöse und zuverlässige Kontrollmechanismen, die komplementär zu den vorhandenen Machtstrukturen hinzutreten.
  • Ein solcher Kontrollmechanismus kann theologisch durch eine Neugewichtung von primatialen und synodalen Prinzipien eingeholt werden. In den letzten Jahrhunderten hat sich die katholische Kirche weitgehend auf die primatiale Idee fokussiert. Synodalität wurde zwar als theologisches Prinzip fortgeführt, spiegelt sich aber nicht im kirchlichen Rechtssystem wider. Im Unterschied zu göttlicher Macht bedarf menschliche Macht aber immer der Kontrolle, da Menschen immer sündhaft bleiben.
  • Die Erfahrung der entsetzlichen Folgen unkontrollierter Macht ist dabei auch für viele Ordinierte zur Belastung geworden, die sich nun pauschal unter Verdacht gestellt sehen. Auch um dieser Personen willen benötigt die katholische Kirche einen Paradigmenwechsel in ihrem System von Machtausübung.
  • Bei alldem bleiben ordinierte Ämter konstitutiv für die katholische Kirche. Eine pauschale Gleichstellung aller Getauften würde der Unterschiedlichkeit der Charismen nicht gerecht.[7] Das ordinierte Amt kann durchaus als ein Versuch verstanden werden, die Charismen in der Kirche unter Berücksichtigung aller Einzelnen zu ordnen. Eine generelle Gleichstellung würde früher oder später neue, ungeordnete Autoritäten hervorbringen, denen dann die Einbettung in und die Kontrolle durch einen rechtlichen Rahmen fehlen würde.
7
Paragraph Icon

Praktische Vorschläge

8
Paragraph Icon
  • Jede Ausübung von Macht in der Kirche muss berücksichtigen, dass die Menschen, über die Macht ausgeübt wird, Träger des Heiligen Geistes sind, mit Erfahrungen und Einsichten, die zum Schatz des Glaubens gehören. Dies ist zunächst eine Frage des Ethos, der inneren Haltung derer, die ein mit Macht verbundenes Amt innehaben.
  • Auf der Ebene der Pfarrgemeinde: Eine Pfarrgemeinde sollte mindestens das Recht haben, ihr Veto gegen die Nominierung eines neuen Pfarrers einzulegen. Das könnte in Form eines öffentlichen Hearings oder einer Abstimmung im Pfarrgemeinderat umgesetzt werden. Darüber hinaus sollte es ein geordnetes Verfahren für ein Misstrauensvotum der Gemeinde gegen ihren Pfarrer geben. Das Kirchenrecht sollte die Möglichkeit eröffnen, dass Pfarrgemeinden durch ein Kollektivorgan geleitet werden; die Letztverantwortung, die bisher beim Pfarrer allein liegt, würde auf dieses Gremium übergehen, in dem der Pfarrer nur eine einzelne Stimme unter mehreren hätte.[8]
  • Auf der Ebene der Diözese: Die Diözese sollte mindestens in geordneter und nachvollziehbarer Form an der Auswahl des Diözesanbischofs beteiligt sein.[9] Eine Diözesansynode sollte das ständige Gegenüber zum Bischof bilden. Diese Synode sollte mindestens ein Vetorecht gegen Personalentscheidungen und gegen bischöfliche Gesetzgebung haben. Vergleichbare Strukturen könnten für bestimmte Bereiche des kirchlichen Lebens implementiert werden, etwa für Angelegenheit der Jugend, der Frauen oder für Finanzfragen. Auch ein geordnetes Verfahren für die Abwahl des Diözesanbischofs sollte ermöglicht werden. – Anglikanische, altkatholische oder lutherische Synodalstrukturen zeigen, wie eine solche komplementäre Einrichtung zum Bischofsamt gestaltet werden kann.
  • Auf der Ebene der Weltkirche: Unter Berücksichtigung des I. Vatikanischen Konzils lässt sich eine Beschränkung päpstlicher Macht nicht auf einfachem Weg implementieren. Sehr wohl aber könnte jeder Papst eine Selbstverpflichtung auf eine solche Limitierung seiner Macht eingehen. Grundsätzlich besteht im Kardinalskollegium bereits ein Gremium, das die Rolle des Gegenübers zum Papst einnehmen könnte. Die Geschichte zeigt, dass Kardinäle keineswegs immer Bischöfe sein mussten, nicht einmal ordinierte Männer. Eine Wahl von Kardinälen (vielleicht durch die Bischofskonferenzen) sowie eine zeitliche Begrenzung des Kardinalats sollten erwogen werden. – Orthodoxe Landessynoden zeigen, wie sich solche gesamtkirchlichen Gremien aus Bischöfen, Presbytern, weiteren Frauen und Männern sowie Beraterinnen und Beratern zusammensetzen können.
  • Die Auswahl und Ausbildung von Kandidaten für das Amt des Presbyters sollte nicht länger dem Modell der absoluten Weihe („Ich fühle mich berufen“) folgen, sondern dem der relativen Weihe („Wer wird für welches Amt in der Kirche gebraucht?“), wie dies in der spätantiken Kirche selbstverständlich und sogar vorschrieben war.[10] Bestimmte Formen der gemeinschaftlichen Seminarausbildung sind in Frage zu stellen; besondere Aufmerksamkeit ist der Versuchung zur Bildung von Korpsgeist und (männlichen) Seilschaften zu widmen.
  • Der Verzicht auf die Zölibatsverpflichtung für Presbyter könnte junge Männer von dem erheblichen Druck befreien, innerhalb kurzer Zeit einen gesunden Umgang mit ihrer Sexualität entwickeln und dabei eine Entscheidung treffen zu müssen, die sie dann kirchenrechtlich dauerhaft verpflichtet. Es gibt gute Gründe für die Vermutung, dass eine solche Änderung die entsetzlichen Folgen unterdrückter oder unreflektierter sexueller Neigungen zumindest reduzieren könnte – wobei selbstverständlich das Leiden der Opfer sexuellen Missbrauchs im Vordergrund stehen muss, aber auch das psychische Leid mancher Ordinierter an ihrer Zölibatsverpflichtung nicht unterschätzt werden sollte.
  • Wenn sich die katholische Kirche nicht dazu im Stande sieht, Frauen zu den Ämtern des Episkopats und des Presbyterats zuzulassen – also jenen Ämtern, die vorrangig mit Macht verbunden sind[11] –, muss sie jedenfalls Sorge dafür tragen, dass die öffentliche Verkündigung des Glaubens und die Ausübung von Macht nicht ausschließlich an Männer oder an „Männerbünde“ mit schädlicher innerer Dynamik gebunden bleibt. Es sollten mindestens folgende Elemente implementiert werden (soweit dies noch nicht geschieht bzw. vom Kirchenrecht derzeit noch nicht ermöglicht wird): Zulassung – mehr noch: Beauftragung – von Frauen für den Predigtdienst in der Eucharistiefeier; verpflichtende Präsenz von Frauen in den genannten synodalen Gremien auf allen Ebenen; Bestellung von Frauen in alle kirchlichen Ämter, die nicht an die Ordination gebunden sind (beispielsweise in der Leitungsebene der Diözesen); Loslösung von Ämtern wie Kardinal, Generalvikar, (leitender) Diözesanrichter von der Ordination[12]; und im Allgemeinen: sichere berufliche Perspektiven und attraktive Beschäftigungsmöglichkeiten für qualifizierte Nicht-Ordinierte in der Kirche.[13]
9
Paragraph Icon

Anmerkungen

10
Paragraph Icon

[1] Siehe LG 28.

11
Paragraph Icon

[2] Siehe dazu z.B. Eva-Maria Faber: Einführung in die katholische Sakramentenlehre. Darmstadt 32011. S. 170–172.

12
Paragraph Icon

[3] Siehe bes. Eph 1,22–23 und Kol 1,17.

13
Paragraph Icon

[4] Siehe z.B. LG 27.

14
Paragraph Icon

[5] Vgl. Joh 10,11.

15
Paragraph Icon

[6] Siehe auch dazu Eva-Maria Faber: Einführung in die katholische Sakramentenlehre. Darmstadt 32011. S. 170–172.

16
Paragraph Icon

[7] Siehe 1 Kor 12,15–31.

17
Paragraph Icon

[8] Die Diözesen Trier in Deutschland und zukünftig wahrscheinlich auch Linz in Österreich führen solche Modelle ein, bei denen beispielsweise ein Dreiergremium aus Pfarrer, Finanzverwalter/-in und einer dritten Person (zum Beispiel ein/-e Pastoralassistent/-in) die Letztverantwortung für verbindliche Entscheidungen in der Pfarrgemeinde trägt.

18
Paragraph Icon

[9] Meine Überlegungen dazu habe ich vorgestellt auf https://www.praytellblog.com/index.php/2017/08/22/who-should-elect-the-bishop-a-suggestion/ (19.02.2019).

19
Paragraph Icon
20
Paragraph Icon

[11] Die Zulassung von Frauen zum Diakonat, wie es etwa die Würzburger Synode in den 1970er-Jahren vorgeschlagen hat, wäre theologisch gut begründbar, hätte hohe Signalwirkung und könnte die Dynamiken im katholischen Klerus nachhaltig veränden. Allerdings bleibt in der gegenwärtigen Konstitution der Kirche die formale Zuschreibung von Macht weitestgehend auf Episkopat und Presbyterat beschränkt.

21
Paragraph Icon

[12] Bis zum CIC von 1917 war sogar die Leitung von Pfarrgemeinden durch Nicht-Ordinierte möglich, gegenüber denen dann der ordinierte Presbyter weisungsgebunden war.

22
Paragraph Icon

[13] Dieser Beitrag erschien vor einigen Wochen zunächst in englischer Sprache im PrayTellBlog https://www.praytellblog.com/index.php/2018/12/20/church-ordination-and-power/ (19.02.2019) und wurde dann für den Innsbrucker Theologischen Leseraum adaptiert und geringfügig überarbeitet.

© Universität Innsbruck - Alle Rechte vorbehalten
Webredaktion | Impressum

Powered by XIMS