Literaturhaus am Inn

Programm November–Dezember 2004

EditorialAls sich im Juni vor zwei Jahren die Vertreter und Vertreterinnen aller Literaturhäuser Österreichs zu einem Treffen in Graz einfanden, kristallisierte sich der Wunsch heraus, einen gemeinsamen inhaltlichen Schwerpunkt zu gestalten. Die österreichweite Präsenz der Literaturhäuser sollte verstärkt in die öffentliche Aufmerksamkeit gerückt werden, wobei den einzelnen Häusern die Freiheit gelassen wurde, die Inhalte entsprechend den jeweiligen Möglichkeiten und Vorstellungen zu gestalten. Von Innsbruck kam der Vorschlag, den Zusammenhang zwischen Literatur und Politik, Literatur und Demokratie in den Mittelpunkt zu stellen. Nun, im Herbst 2004, ist es soweit: vor kurzem haben Sie den österreichweiten Programmfolder zu "mitSprache" erhalten - dieser Titel wurde dem Gemeinschaftsprojekt gegeben, auf das wir uns alle sehr freuen und auch stolz sind. In "mitSprache" schwingen mehrere Bedeutungsebenen mit: das demokratische Grundrecht eines jeden Staatsbürgers auf Mitsprache; die Möglichkeiten der Sprache als Grundinstrument demokratischen Verständnisses und Verstehens, deren Kultivierung als Basis für ein ständig sich erneuerndes Denken, "das Freie Literarische Wort als Aufklärungs- und Erkenntnismittel". (Kurt Neumann im Vorwort des Gemeinschaftsfolders)

"Literatur und Politik. Grenzüberschreitungen" - "die Literatur als das Recht, alles öffentlich auszusprechen, ja ein Geheimnis zu wahren, und sei es im Modus der Fiktion" (Jacques Derrida, 1930- 2004) - unter dieses gemeinsame Dach haben wir die Veranstaltungen in Innsbruck gestellt. Wir wollen den Blick öffnen über eine geografische Grenze hinaus, jene des Brenners, oder e"akter, jene der Salurner Klause. Zu Gast bei uns im Literaturhaus sind
die italienischen Schreibenden Marco Lodoli und Lidia Ravera sowie der Philosoph und Politologe Angelo Bolaffi. Sie treffen in Innsbruck auf Josef Haslinger, Marianne Gruber und Robert Menasse. Der "Transit" von Gedanken und Ideen steht dabei im Mittelpunkt: In Gesprächen und Lesungen werden sie ihre Standpunkte zum Thema "Literatur und Politik" darlegen und über die Entwicklungen in den jeweiligen Herkunftsländern diskutieren: Wo gibt es Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede?

Auch in den beiden Installationen, die im Landesmuseum Ferdinandeum vom 11. bis zum 20. November zu sehen sind, sind Bezüge zu Italien und zu seiner Geschichte vorhanden: in "kein teppich für den duce_zeigt her eure füße, zeigt her eure schuh", einem Gemeinschaftsprojekt von Anna Maria Mackowitz, Gitti Schneider und Erika Wimmer, wird der "duce" zur Metapher für Macht und Machtmissbrauch; in der von der Literaturhaus-Mitarbeiterin Verena Gollner konzipierten Rauminstallation geht es um den - im mehrfachen Sinne des Wortes - Grenzgänger Carl Dallago. Dessen vehemente Aussagen gegen den italienischen Faschismus sowie seine mystisch anmutende Naturphilosophie sind die beiden Pole, zwischen denen die Installation die Fäden spannt. Sprachliche Grenzüberschreitung: Hans Raimund wird in seiner Lesung eigener und von ihm übersetzter italienischer Texte die sprachliche Grenzüberschreitung ausloten.

Politik und Literatur - wie sah das Verhältnis wohl vor, sagen wir, 400 Jahren aus? Günter Grass imaginiert in "Das Treffen in Telgte" die Versammlung deutscher Barockdichter zu Zeiten des Westfälischen Krieges - Hedy Danneberg wird den Text im Rahmen unseres Schwerpunkts vortragen. Grenzüberschreitungen anderer Art, nämlich jene zwischen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und künstlerischen Leistungen sind das Thema des Vortrags von Walter Methlagl.

Und so erwartet Sie ein Gewebe aus Veranstaltungen, in dem ein Grundanliegen des Literaturhauses am Inn eingewirkt ist: Fragen zu stellen, Literatur als Fragende und Befragte in den Mittelpunkt zu stellen, ihren Antworten Raum zu geben.

Eröffnung

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Donnerstag, 11. Nov., 20 Uhr
Landesmuseum Ferdinandeum

Literatur und Politik - Grenzüberschreitungen
Eröffnung der Veranstaltungsreihe, Vernissage und Lesung
- Installation "querdenken. Carl Dallago" von Verena Gollner
- Installation "kein teppich für den duce_zeigt her eure füße, zeigt her eure schuh" von Anna Maria Mackowitz, Gitti Schneider, Erika Wimmer
- Lesung mit Hans Raimund
- Anschließend lädt das Literaturhaus zum Buffet


"querdenken. Carl Dallago" - Die Rauminstallation ist dem in Vergessenheit geratenen Kulturphilosophen und Schriftsteller Carl Dallago, geboren 1869 in Borgo, gestorben 1949 in Innsbruck, gewidmet. Dallagos Bild eines Einzelgängers zeichnet sich durch sein eigenwilliges, oft sogar unverständliches und von Nietzsche beeinflusstes Gedankengut aus. Die Installation ist ein Versuch, Dallagos zentrale Themen, die um die Begriffe Natur, Kunst und Politik kreisen, darzustellen.
Verena Gollner, geboren in Linz, aufgewachsen in Innsbruck, Studium der Geisteswissenschaften. Seit 1998 Mitarbeiterin im Literaturhaus am Inn.


kein teppich für den duce__zeigt her eure füße, zeigt her eure schuh
Rauminstallation Bild : Text : Klang
Malerei: Gitti Schneider / Anna Maria Mackowitz
Hörstück: Erika Wimmer / ORF Studio Tirol

Geschichte ist nicht nur dort, weit zurück in der Vergangenheit oder bei den anderen. Die Installation eines Teppichs als Malerei mit Hörstück verweist auf einen skrupellosen Machthaber, sie ist aber mehr noch eine Aufforderung, die Geschichte zu begehen und die Gegenwart zu begreifen: spielerisch, der Wahrheit verpflichtet und erhellend. Eröffnet wird ein Raum, in dem beobachtet, registriert, assoziiert wird. Wer ist der "duce"? Wie ist sein Schritt? Was ebnet ihm den Weg? Und vor allem: Was wird der Macht geopfert? Das Gewebe aus Farben, Formen, Meinungen und Haltungen läßt die Grenzen zwischen Macht und Abhängigkeit verschwimmen. Stiefel oder Stöckel: Immer nur gehen die Schuhe mit uns, nicht wir mit den Schuhen.

Die beiden Malerinnen Anna Maria Mackowitz und Gitti Schneider und die Autorin Erika Wimmer waren 2003 Stipendiatinnen in Paliano bei Rom und haben dort das Projekt entwickelt.
Fotowerk Aichner und Tilmann Schneider haben die Installation während ihres Entstehens fotografiert, dazu eine zeitgleiche Ausstellung im Literaturhaus am Inn.


Mit der Lesung von Hans Raimund wird die "sprachliche" Grenzüberschreitung in den Mittelpunkt gerückt. Hans Raimund ist Autor und Übersetzer u.a. aus dem Italienischen, ein "poeta-traduttore". Aktuelle Übersetzungsprojekte: Essays und Gedichte von Sergio Solmi, Gedichte des Sizilianers Lucio Piccolo. Am Abend wird der Autor sowohl eigene als auch übersetzte Texte lesen und Einblick geben in sein Verhältnis zur italienischen Literatur.

Hans Raimund, "von Österreichs mißachteten Autoren einer der bedeutendsten"(Erich Hackl), geboren in Petzelsdorf/NÖ. Studium der Musik, Anglistik und Germanistik in Wien. Von 1972–1984 Lehrer; ab 1984 freier Autor und Übersetzer, zuerst in Duino bei Triest, heute in Wien und Hochstraß/Burgenland. Für seine Übersetzungen aus dem Italienischen und Französischen erhielt er 1992 den Österreichischen W. H. Auden Übersetzerpreis, für sein lyrisches OEuvre 1994 den Grossen Georg-Trakl-Preis, 2002 den Premio Cittá Ascoli Piceno u.a.


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Literatur und Politik

Freitag, 12. Nov., 20 Uhr
Literaturhaus am Inn


Literatur und Politik. Grenzüberschreitungen. Podiumsdiskussion mit Marco Lodoli, Lidia Ravera, Josef Haslinger, Marianne Gruber. Moderation: Benedikt Sauer. Mit Übersetzung


Der Dialog zwischen italienischen und österreichischen AutorInnen im inhaltlichen Spannungsfeld zwischen Literatur, Politik, Demokratie, Verantwortung ist Gegenstand dieser Abendveranstaltung. Mit Sprache Mitsprache: Inwieweit ist literarisches Schreiben auch eine politische Tätigkeit? Ist Sprachkultur Voraussetzung einer demokratischen Gesellschaft? Wie definieren sich Autoren und Autorinnen verschiedener, wenn auch sehr nahe gelegener Kulturkreise, wenn es um die Frage politischer Einmischung von Kulturschaffenden geht? Und wie sehen sie die jeweilige politische Situation in ihren Ländern?

Marco Lodoli, geboren 1956 in Rom, wo er nach dem Studium der Philologie als Gymnasiallehrer lebt. Er schreibt Romane und Erzählungen, von denen zahlreiche ins Deutsche übersetzt wurden.

Lidia Ravera, geboren in Turin, lebt und arbeitet als Schriftstellerin, Journalistin und Drehbuchautorin in Rom. Sie schreibt für den Corriere della Sera, l'Unità, Donna Moderna u.a. 1977 Debüt mit ihrem Roman "Porci con le ali", der, wie ihre anderen 14 Romane und Erzählungen, in zahlreiche Sprachen, darunter auch ins Deutsche übersetzt wurde.

Josef Haslinger, geboren 1955 in Zwettl, Schriftsteller, Studium der Philosophie, Theaterwissenschaft und Germanistik in Wien. Lehraufträge und Gastprofessuren in Deutschland, Österreich und in den USA. Seit 1996 Professor für literarische Ästhetik am Deutschen Literaturinstitut Leipzig.

Marianne Gruber, geboren 1944 in Wien, Klavierstudium am Konservatorium der Stadt Wien, mehrere Semester Medizin, Psychologie bei V. Frankl. Seit 1980 freie Schriftstellerin, seit Jänner 1994 Präsidentin der "Österreichischen Gesellschaft für Literatur".

Benedikt Sauer, geboren 1960, Germanist und freier Journalist, Innsbruck und Bozen, u.a. für Der Standard Wien, RAI, FF.


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Lesematinée


Samstag, 13. Nov., 10 bis 15 Uhr
Landesmuseum Ferdinandeum


Lesematineé mit Marco Lodoli, Lidia Ravera, Josef Haslinger, Marianne Gruber
Moderation: Gerhild Fuchs (Institut für Romanistik),
Christa Kofler (Bücher Wiederin)


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Italia - Austria

Dienstag, 16. Nov., 20 Uhr
Literaturhaus am Inn

Gespräch zwischen Angelo Bolaffi und Robert Menasse
Moderation: Günther Pallaver

Der EU-Gründungsstaat Italien und das junge EU-Mitglied Österreich sind Nachbarstaaten, die sich häufig fremd erscheinen. Die Wirtschaftsbeziehungen sind eng, die vor allem in Süd-Nord-Richtung zunehmenden Touristenströme mögen die Bewunderung für die jeweiligen Lebensstile fördern, nicht aber dem Abbau von Vorurteilen dienen. Der Informationsaustausch bleibt spärlich. Für jüngere Entwicklungstendenzen in der politischen Kultur gelten parallele Phänomene in beiden Staaten als beispielhaft: von da wie dort haben neue populistische Typen des Politischen (oder des Antipolitischen?) auf Europa ausgestrahlt. Trotz sehr verschiedener Medienlandschaften ist da wie dort eine Boulevardisierung der Berichterstattung festzustellen. EU-Skepsis in Österreich steht ein nahezu verklärter Blick auf "Europa" in Italien gegenüber, aber die Politik beider Länder gegenüber Nicht-Eu-Bürgern ähnelt sich: der Brenner präsentiert sich janusköpfig: während das Reisedokument für Staatsbürger beider Staaten hier an Wert verlor, wurde die Grenze für die "Sans Papier" zur Mauer. Themen, um die es an diesem Abend gehen wird.

Angelo Bolaffi, 1946 geboren, lehrt politische Philosophie an der Universität La Sapienza in Rom. Herausgeber/Übersetzer deutschsprachiger Soziologen und Philosophen. Eigenständige Veröffentlichungen und zahlreiche Beiträge für Die Zeit, FAZ und SZ.

Robert Menasse geboren 1954, Studium der Germanistik, Philosophie sowie Politikwissenschaft. Gastdozent an der Universität São Paulo. Seit 1988 Literat und kulturkritischer Essayist in Wien.

Günther Pallaver, geboren 1955, Journalist und Politologe, Innsbruck / Bozen / Trient, AO-Professor am Institut für Politikwissenschaft in Innsbruck. Forschungsschwerpunkte: politisches System Italien und Beziehungen Italien–Österreich.


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Autorentreffen dazumal

Donnerstag, 18. Nov., 20 Uhr
Literaturhaus am Inn


Hedy Danneberg liest "Das Treffen in Telgte" von Günter Grass.
Einführung: Michael Klein.

1647 treffen sich die barocken Dichter für mehrere Tage, lesen einander vor, diskutieren über Dichtung, die politische Situation, Krieg und Frieden, saufen und verschwinden mit den Mägden im Heu ... Am Ende wird eine Resolution zum Westfälischen Frieden verabschiedet, doch sie verbrennt und verschwindet im Nichts. Grass verweist indirekt auf die Aktivitäten der Gruppe 47, die bei ihren Treffen auch derartige Resolutionen verabschiedet hat - aber sind sie nicht auch irgendwie verschwunden? Und ist andererseits nicht doch etwas davon geblieben?

Hedy Danneberg geboren in Wien. Schauspiel- und Regiestudium in Salzburg, Engagements an Wiener Kellertheatern und an der Wiener Josephstadt. Übersiedlung nach Innsbruck, Engagements im Theater 107, Kellertheater, Tiroler Landestheater.

Michael Klein, Gründer und jahrelanger Leiter des Innsbrucker-Zeitungsarchivs.


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Natur-Wissenschaft-Kunst. Grenzübeschreitungen Donnerstag, 2. Dez., 20 Uhr
Literaturhaus am Inn

Walter Methlagl: Von Steinen, Bäumen, Bildern, Worten und Musik. Vortrag mit Lichtbildern

Je dringender die Forderung nach Zusammenführung des erkenntnismäßigen know-how geisteswissenschaftlicher Disziplinen untereinander oder auch mit solchen der Naturwissenschaften erhoben wird, desto größer ist die Ratlosigkeit hinsichtlich der Art und Weise, sie zu erfüllen; desto größer auch die Gefahr, sich in isolierte Einzelproblematiken, in Fach-Vorurteile oder andererseits in die Untiefen des Dilettantismus zu verlieren.
An einem Beispiel aus dem Umkreis des "Brenner" versucht Walter Methlagl, einige Erkenntnis- und Beschreibungskriterien näher zu erläutern, die etwa für Bruno Sanders Gesteinslehre und Lyrik, für Erich Lechleitners Malerei, Formen- und Farbenlehre, für Josef Leitgebs Dichtung und Botanik, sowie für Anton Konraths Musikauffassung gleichermaßen verbindlich sein sollten.


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Filmisches Portrait zu Ingeborg Bachmann

Donnerstag, 9. Dez., 20 Uhr
Literaturhaus am Inn

Ingeborg Bachmann - "Ein Tag wird kommen. Gespräche in Rom"

Ein Portrait von Gerda Haller
Buch und Filmpräsentation


Erst wenige Monate vor deren Tod im Herbst 1973 führt die junge ORF- Redakteurin Gerda Haller ein Fernseh- und ein Toninterview mit Ingeborg Bachmann. Die Autorin war angetan von der Idee, der Redakteurin Rom zu zeigen, jene Plätze, die ihr in all den Jahren, die sie in dieser Stadt lebte, unverzichtbar geworden waren. Tagsüber drehte man, und abends im Hotel sprach Ingeborg Bachmann dazu als Tonspur jene Sätze und Verse, die im soeben erschienenen Buch, herausgegeben von Gerda Haller, nachzulesen sind.


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Filmische Portraits zu Elfriede Jelinek

Dienstag, 14. Dez., 20 Uhr
Literaturhaus am Inn

" Elfriede und Elfriede"

Ein Portrait der beiden Autorinnen und Freundinnen Elfriede Gerstl und Elfriede Jelinek. 2003/03

"Die Preisträgerin"

In diesem Film verliest Elfriede Jelinek ihre Rede anlässlich der Verleihung des Lessing-Preises für Kritik 2004.

Regisseurin beider Filme: Hanna Laura Klar
Einführung & Moderation: Sieglinde Klettenhammer


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