Literaturhaus am Inn

Programm Mai–Juni 1999

Editorial Literatur-BAUSTELLEN-Fest.
Zum Sommerbeginn.

In der Josef-Hirn-Straße 5 wird laufend geplant, fabriziert, gewerkelt und gebaut. Dies muß im doppelten Sinne verstanden werden, da es sowohl für den Betrieb im Literaturhaus am Inn als auch für die (ewige) Baustelle im Haus zutrifft.
Wir lassen mit diesem Programmheft die Saison auslaufen und wandern geradewegs in den Sommer hinein, während im Bereich des Foyers im Parterre die Umbauarbeiten erst so richtig beginnen werden. Doch zuvor soll ein Fest (18. Juni) stattfinden, das wir entsprechend der Situation Baustellen-Fest nennen, und zwar in den Räumlichkeiten des Literaturhauses, im Eingangsbereich, auf der Straße, ... wo immer die Baustelle einen Platz dafür anbietet.
Gründe für ein Fest gibt es schließlich genug:
Erstens wollen wir einen Porträtkalender Tiroler Autorinnen und Autoren präsentieren. Mit diesem Projekt setzen wir die im letzten Jahr mit N.C. Kaser begonnene Literaturhaus-Kalender-Reihe fort. Die Fotografin Monika Zanolin hat über 50 Schreibende aus Nord- und Osttirol mit ihrer Kamera festgehalten, eine erweiterte Auswahl der Fotos wird in einer Schau am 18. Juni gezeigt werden. Es wurden eigens Texte geschrieben oder ausgewählt, und unsere Datenbank zur zeitgenössischen Literatur in Tirol lieferte Biobibliografisches. In Form eines Wochenkalenders für das Jahr 2000 werden nun 52 Schriftstellerinnen und Schriftsteller des Landes, also ein wesentlicher Teil der Tiroler Literaturszene beleuchtet. Unser Dank geht an alle Autoren, die sich mit dem Projekt identifizieren konnten, von dem wir übrigens hoffen, daß es positiv auf eben die Autoren zurückwirkt (eine große Stückzahl des Kalenders wird an Verlage und Literaturveranstalter versandt). An dieser Stelle sei auch der Hypo Bank Tirol gedankt: Sie läßt uns freundlicherweise eine kräftige Finanzspritze zukommen, die der allzu jähen Schrumpfung des ohnehin schmalen Literaturhaus-Geldbörserls Einhalt bieten wird.
Zweitens sind wir jetzt gerade 2 Jahre alt, und auch das wollen wir feiern: Das Literaturhaus kann durchaus positive Bilanzen vorweisen, die Besucherzahlen unserer regelmäßigen Veranstaltungen sind im Steigen begriffen, die Kooperation mit anderen Institutionen entwickelt sich gut, die Arbeit wächst und gedeiht, sodaß wir uns in unseren Anliegen bestärkt fühlen.
Mit dem Fest am 18. Juni gehen wir optimistisch ins dritte Lebensjahr des Literaturhauses am Inn. Dieser Abend mit Bildern und Texten, mit Essen und Trinken, Tanz und Unterhaltung soll den Literatinnen und Literaten Tirols, den Freunden, Besucherinnen und Besuchern unseres Hauses für ihre Treue und ihr Interesse gewidmet sein - Eintritt frei! Übrigens: Baustellen und Feste bergen oftmals ungeahnte Überraschungen. Aber seien Sie nicht verunsichert, lassen Sie die blaue Montur und den gelben Bauhelm ruhig zu Hause und kommen Sie zum ersten Literatur-Baustellen-Fest.

Glück und Unglück des Lesers

Platzhalter

Montag, 10. Mai, 20 Uhr: Literaturgespräch mit Thomas Anz und Michael Klein.
Eintritt frei.

"In den Programmen deutschsprachiger Verleger war 1998 das Buch selbst ein großes Thema. Nie zuvor wurde in so vielen Neuerscheinungen die Lektüre als eine existentielle Erfahrung beschworen. Letzte Zuckungen eines überkommenen Lebensstils angesichts der Übermacht computeranimierter Phantasien oder Vorboten einer Renaissance des Buches?" (Schweizer Monatshefte) Warum lesen wir (wenn wir lesen)? - lautet die Frage, die Univ. Prof. Dr. Thomas Anz und Dr. Michael Klein (Institut für Germanistik, Innsbruck) diskutieren werden. Thomas Anz ist Literaturwissenschaftler an der Universität Marburg und Autor des Buches Literatur und Lust. Glück und Unglück beim Lesen. Piper (1998).

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Ein russischer Europäer

Mittwoch, 19. Mai, 20 Uhr: Lesung, Gedankensplitter, Bilder und Lieder anläßlich des 200. Geburtstages A.S. Puschkins. Eine Veranstaltung des Instituts für Slawistik.
Eintritt frei.

Thomas Mann rühmt an Puschkin den "Europäismus seiner Form", eine an Goethe gemahnende "Klassizität" und lebensgesegnete Vollkommenheit" (1937, anläßlich des 100. Todestages des russischen Dichters). Obwohl Puschkin mit seinen Reisen zeitlebens innerhalb der Grenzen des russischen Reiches blieb, stand er dennoch in regem Dialog mit den europäischen Geistesströmungen seiner Zeit und sein "russischer Europäismus" ist eine wesentliche Grundlage für die Entwicklung des historischen und ästhetischen Denkens in Rußland geblieben. Die sprachliche Gestalt seiner Werke hat entscheidend zur Begründung der modernen russischen Literatursprache beigetragen. Ironie und Distanz kennzeichnen Puschkin als Dichter, Publizisten und Herausgeber ebenso wie Witz und Engagement. In seiner Pointiertheit und mit seinem Mut zum Fragmentarischen und Aphoristischen ist Puschkin ein moderner Dichter, der es wert ist, ein weiteres Mal entdeckt zu werden.


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Weibliches Gedächtnis/Deftige Reise

Donnerstag, 20. Mai, 20 Uhr: Lesung Kathrin Schmidt (Berlin) aus der Familiensaga
Die Gunnar-Lennefsen-Expedition (1998).
Eintritt frei.

Der Erstlingsroman der als Lyrikerin schon bekannt gewordenen Kathrin Schmidt aus dem ostdeutschen Gotha (Jg. 1958) hat im Vorjahr in der deutschsprachigen Presse hohe Wellen geschlagen. Das sprachgewaltige, ausschweifende Werk voll witziger und grotesker Episoden, gleichzeitig mit einem scharfen Blick auf die historische Realität dieses Jahrhunderts, wurde als die neue Stimme der deutschen Literatur bejubelt und in der Tradition von Günter Grass und Irmtraud Morgner gesehen. Josepha Schlupfburg ist schwanger, der Vater des Kindes verschwunden: Gemeinsam mit der Urgroßmutter Therese will die junge Frau ihrem Kind eine Geschichte geben. In einer neun Monate dauernden Erinnerungsreise wird das Jahrhundert unter weiblichem Blickwinkel neu erzählt. In zahlreichen verschlungenen Episoden entsteht eine Familiensaga, die von der Abwesenheit der Väter und unehelichen Kindern geprägt ist - eine Geschichte des weiblichen Körpers, voller Erotik und Sinnlichkeit. )


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Zeitgenosse der österreichischen Moderne

Donnerstag, 27. Mai, 20 Uhr: Vernissage - Buchpräsentation - Kurzlesung: Paul Engelmann. Die Ausstellung ist bis 15. Juni geöffnet (Montag bis Freitag 9-12, 14-17 Uhr). In Zusammenarbeit mit dem Brenner Archiv.
Eintritt frei.

Den jüdischen Architekten Paul Engelmann (1891-1965) verband eine enge Freundschaft mit den wichtigsten Vertretern der österreichischen Moderne: Loos, Wittgenstein, Kraus u.a. Bis zu seiner Emigration nach Palästina nahm er rege am Wiener Kulturleben teil, sein Interesse galt zeitlebens der Philosophie und Literatur. In der Ausstellung werden Paul Engelmanns Herkunft und die Stationen seines Lebens beleuchtet, welche vom architektonischen und literarischen Schaffen geprägt waren. Allan Janik, promovierte 1971 an der Brandeis University. Unterricht an amerikanischen und europäischen Universitäten. Mitarbeiter des Brenner Archivs, Innsbruck. Leiter des Paul- Engelmanns-Projekts. Veröffentlichungen zur Philosophie- und Kulturgeschichte Österreichs. Judith Pakacsy, Übersetzer- und Dolmetscherausbildung, Mitarbeiterin des Brenner Archivs, Innsbruck. Koordination des Paul- Engelmanns-Projekts. Ursula A. Schneider, Studium der Germanistik und der Vergleichenden Literaturwissenschaft, Mitarbeiterin des Brenner Archivs, Innsbruck. Betreuung und Koordination des Paul- Engelmanns-Projekts. Zahlreiche Fachveröffentlichungen zu Literatur und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts.


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Tour de force auf bayrisch

Montag, 31. Mai, 20 Uhr: Buchpräsentation und Lesung mit Bernhard Setzwein: Das Buch der sieben Gerechten (Haymon 1999).
Eintritt frei.

Bei ihrer Tour de force durch München und seine jüngste Vergangenheit treffen Fulizer und Kreutner u.a. ein geheimnisvolles Mädchen, deren Großvater Episoden aus den Tagen der Räterepublik zu erzählen weiß. Diese und andere Schicksale, die ein Anonymus im Internet auftischt, verbindet Kreutner zu einer immer wilder werdenden Phantasmagorie, die deutsche Geschichte in überraschenden Volten erzählt. Bernhard Setzwein, geboren 1960 in München, lebt in Waldmünchen an der bayerisch-böhmischen Grenze. Verschiedene Auszeichnungen, zuletzt Bayerischer Staatsförderungs-preis für Literatur (1998). Mehrere Lyrikbände (u.a. OberländerEckeDaiser, 1993), Erzählungen (u.a. Brandwunden, 1981), ein Roman (Wurzelwerk, 1984) und zwei Theaterstücke (zuletzt 1998 Watten, Wagner, Wichs).


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Ton tut Not

Mittwoch, 9. Juni, 20 Uhr: Palindrome, Schleifen und Lieder in ladinischer Sprache vorgetragen von Armin Moser (Text), Margit Rubatscher (Gesang, Geige) und Klex Wolf (Fagott, Kontrafagott, Loops, Samples).
Eintritt frei.

Das Palindrom ist eine Buchstaben- oder Wortfolge, die vorwärts und rückwärts gelesen einen Sinn ergibt, z.B. sei fies! So etwas wie Palindrome gibt es auch in der Musik, die Krebsführung eines Themas oder einer Melodie. Durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit des Autors Armin Moser und des Ensembles Buna Löna (Margit Rubatscher und Klex Wolf) entstand die neue Form von "akustischen" Palindromen. Diese können auf einem Tonband sowohl von vorwärts als auch von rückwärts abgespielt eine Bedeutung haben. Armin Moser, geb. 1971 in Innsbruck, studiert Germanistik und Geschichte an der Universität Innsbruck. Bücher: Regentanz. Eine Suite: Gedichte. (mit Herbert Edenhauser und Martin Rusch). Innsbruck: Eigenverlag, 1993. Feuerprobe. Eine Bilanz: Gedichte. (mit Hebert Edenhauser). Innsbruck: Tak, 1996. Diverse Veröffentlichungen in Anthologien und Literaturzeitschriften. Margit Rubatscher, geb. 1965, Studium der Musikerziehung und Instrumentalmusikerziehung am Mozarteum, Unterrichtstätigkeit an der Musikschule Innsbruck; Mitwirkung bei zahlreichen Ensembles, sowohl als Geigerin als auch als Sängerin: Kammerchor "Stimmen", Vokalensemble "Xang", Orchester "InnStrumenti" u.a. Klex Wolf, geboren 1968, studiert Musikerziehung und Instrumentalmusikerziehung am Mozarteum, Instrumentallehrer. Als Instrumentalist vorwiegend in Jazz- und Kammermusikensembles tätig, als Arrangeur und Komponist regelmäßig für Theaterproduktionen aktiv.


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Kalender 2000
Schreiben in Tirol

Freitag, 18. Juni, 20 Uhr: Präsentation Literatur Haus Kalender 2000 mit 52 Autorinnen und Autoren aus Tirol. Vernissage zur Foto-Ausstellung Monika Zanolin: AutorInnenporträts. Anschließend Literatur-Baustellen-Fest mit Musik, Essen & Trinken sowie (literarischen?) Überraschungen.
Eintritt frei.
Die Ausstellung M. Zanolin ist bis 30. Juni (Mo-Fr 9-12 Uhr, 14-17 Uhr) zu besichtigen.
Der Wochenkalender 2000 beleuchtet einen wichtigen Ausschnitt der Tiroler Literaturszene in Bild / Text und anhand einer Dokumentation. Das Projekt, welches einerseits die Freunde der Literatur durchs nächste Jahr begleiten wird, andererseits die literarische Produktion in und außerhalb Tirols bekannter machen soll, wird im Rahmen einer Foto-Ausstellung mit Porträts Tiroler AutorInnen (Monika Zanolin) vorgestellt. Raoul Schrott, Toni Kleinlercher und Helmuth Schönauer lesen Kurztexte. Anschließend wird 2 Jahre Baustelle Literaturhaus am Inn gefeiert: Essen, Trinken, Musik auf der Baustelle und womöglich im Straßengraben. Herzlich eingeladen zu freier Kost!

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Einmal Tenerife und zurück

Freitag, 25. Juni, 20 Uhr: Gotthart Kuppel (Bremen, Tenerife): Szenische Lesung aus A. v. Humboldt, P. Bichsel, K. Tucholsky, H. Böll, J. Chr. Lichtenberg und G. Kuppel.
Eintritt frei.

Er schauspielert Texte. Er liest Szenen. Er inszeniert Sprache. Dabei steigt er auf Leitern, springt über echte und imaginäre Seile, fällt in Abgründe und brüllt in Leopardengewändern. Gotthart Kuppel (zwischen Bremen und Teneriffa unterwegs) ist vielseitig und literarisch versiert. Der Mediziner und Judomeister kann einradfahren und feuerschlucken, vor allem aber kann er Literatur inszenieren. U.a. bei Peter Zadek in Bochum wurde er Schauspieler, Körpertrainer, Dramaturg und Regisseur, dazu ganz nebenbei auch Autor. Im Literaturhaus am Inn wird er sich eine Badekappe über den Kopf ziehen, ein Sandeimerchen in die Hand nehmen - und literarisch reisen: Was nach massentouristischem Klischee klingt, entpuppt sich bald als feinsinnig liebevolles Bild der Kanareninsel Teneriffa, die Kuppel zur Heimat wurde.



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