Witiko

H2, S. 1a


Witiko. Eine Erzählung von Adalbert Stifter 1t Band.

1.

Es sang und klang wie schmetternde Lerchen.

An der oberen Donau liegt die Stadt Passau. Der Strom, welcher klein aus dem tiefen Schwaben heraus gegangen war, hatte das Land Baiern durchwandert, hatte dort einige Gefährten, welche mit dem grünlichen klaren Wasser aus den Alpen gekommen, und andere, welche dunkles braunes Wasser führend aus den böhmischen Wäldern herab gestiegen waren, aufgenommen, und war nun selber jenen Wäldern so nahe gekommen, daß sie ihren äußersten mitta[l]glichen Fuß in seine Wasser sezten, und ihn mit seinen Wassern benezten. Dieser Fuß, welcher aus schönen festen aufstrebenden Gesteine besteht, ist mit einer Veste geziert, die in das Gestein herum gelagert, und hie und da mit ihr wie verwachsen ist. Die Veste heißt das Oberhaus, und sie hatte manchem alten Bischofe von Passau zur Wohnung und zum Truze gegen seine Unterthanen gedient. Gegen Morgen von dieser Veste ist eine tiefe Schlucht, jenseits welcher wieder ein Steinbühel aber ein sanfterer empor steigt, der auf seinem Haupte ein altes aber eingegangenes Klösterlein trägt. Zwischen beiden Büheln, dem des Oberhauses und dem des Klösterleins fließt ein anders Wasser hervor, welches den Fuß des Oberhauses an einer andern Seite benezt. Es ist die Ilz, welche mit einem Wasser, das von oben angesehen so schwarz wie Dinte aussieht, von den ferneren höheren Lagen des böhmischen Waldes durch das hüglige mit vielen Berghalden und Felsklippen in einander gestürzte Land herab gegangen ist, und sich hier mit der Donau vereinigt, deren Wasser sie an der Mitternachtseite weithingehend mit ihrem schmalen schwarzen Bande säumt, bis durch lebendigere Strömungen an den Bergen, welche weiter gegen Morgen hingehen, das Band zerfasert wird, und endlich seine Theile unkenntlich in dem größeren und mächtigeren Wasser vergehen. Das Oberhaus und das Klösterlein schauen in der Richtung gegen Mittag auf die alte Stadt Passau hernieder, welche ihren Saum an der andern Seite der Donau nezt, und welche über einen mäßig erhöhten Erdriegel hinüber gelagert ist. Jenseits der Stadt ist ein drittes Wasser, welches aus sanften breiten Bergen kommend so an die Stadt heran drängt, daß es dieselbe gleichsam in eine spizige Zunge zusammenkeilt, welche in die Vereinigungsstelle dieses Wassers mit der Donau hinaus ragt. Dieses Wasser ist der Inn, der weit aus den Alpen herkommend sein rasches

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