Witiko

H199, S. 254


Berge, die von Tirol heraus kommen, und nach dem Salzburger Lande nach der steirischen Mark nach Österreich und nach dem Lande Ungarn hingehen.

Als die Sonne schon gegen den Untergang neigte, ritten sie über einen Hals in ein Thal, zu einem schwarzen Wasser hinunter, und ritten an dem Wasser in eine Schlucht zwischen zwei Bergen zur Donau hinaus. Das Wasser war die Ilz, die sich hier in die Donau ergoß, und am jenseitigen Ufer der Donau sahen sie die Stadt Passau, hinter welcher der Inn seine grünen Wasser zur Vereinigung mit der Donau heran rollte.

Sie ritten an der Donau eine Streke aufwärts, und dann über eine Brüke in die Stadt. Witiko geleitete in derselben seine zwei Genossen durch eine Gasse auf einen freien Plaz, der auf einer sanften Anhöhe lag. An dem Plaze stand die große Kirche des Hochstiftes Passau. Sie ritten an der Kirche vorüber gegen Morgen wieder etwas abwärts zu einem sehr großen dunklen Hause, das in schweren und sehr starken Gliedern gebaut war. Witiko ritt gegen eins der alterschwarzen Thore, neigte sich an demselben etwas von seinem Pferde, und schlug mit dem Klöppel drei mal auf eine Schiene des Thores. Sofort öffnete sich ein Pförtchen in dem Thore, und es erschien ein Thorwart, der eine veilchenfarbene Haube ein veilchenfarbenes Mäntelchen und ein gelbes Wamms hatte. Seine Haare und sein Bart waren schneeweis. Er sah Witiko eine Weile an, und dann sagte er: "Hatte ich doch nicht geglaubt, daß ich euch so bald wieder sehen werde, da ihr um den Tod des sehr hochseligen Bischofes Regimar so großen Schmerz empfunden habet, und sogleich in die Welt gegangen seid, um Großes zu verrichten. Wie ist es euch denn ergangen, Witiko?"

Witiko antwortete ihm: "Lieber Freund Odilo, ich werde dir meine Schiksale sehr genau erzählen, aber jezt ist mir sehr daran gelegen, zu eurem Bischofe zu gelangen, und ihm Wichtiges zu hinterbringen."

"Wenn ich sagte, Witiko," antwortete der Thorwart, "daß ich nicht eine große Freude habe, euch wieder zu sehen, so wäre es gelogen. Ich bin froh, daß ihr aus dem Lande wieder zurük seid, wo sie sich todschlagen, und im Kriege die Kinder umbringen. Der sehr hochselige Bischof Regimbert der herrliche Herr, gewährt mir wieder einiges Vertrauen, und ich mißbrauche es nicht, und ich habe ihm von euch schon erzählt, was du für ein [lieb]gutes junges Bübelein bist."

"Ich kenne deine Wichtigkeit, Odilo, von jeher," sagte Witiko, und bitte, daß du uns deinen Schuz gewährest, damit unsere Pferde ein wenig angebunden, und wir zu dem Bischofe geführt werden."

"Ich habe es ja dem sehr hochseligen Herrn gesagt, wie gut und treu du bist, und wie tapfer du werden wirst, [und]" antwortete der Thorwart, "und ich habe es dem sehr herrlichen Herrn auch gesagt, und es hat dir nicht geschadet. Wenn du aber meinst, daß ich einen Freund, der an mein Haus klopft, fort schike, so irrest du dich, Witiko[,]. Hanns!"

Auf diesen Ruf erschien ein großer junger Mann, der gleichfalls die veilchenartige und gelbe Farbe an seinen Kleidern trug, aber einen Eisenpanzer um seine Brust und eine Eisenhaube auf seinem Kopfe hatte. Er öffnete einen Flügel des Thores, und stellte sich so, daß zum Einreiten Plaz wurde.

Witiko und seine Genossen ritten in den Hof des Hauses, und stiegen von den Pferden. Es erschienen Stallbuben, die Witiko grüßten, die Pferde in einen luftigen Stall führten, und dort anbanden.

Jezt kam auch der Thorwart mit einem fast ritterlich gekleideten Manne herzu, nachdem der gewappnete Mann den Thorflügel wieder in seine Riegel gelegt hatte, und sagte: "Es ist Witiko, der ein Schüler in der Schule unseres Herrn gewesen ist, ich empfehle ihn zur Vorstellung."

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