Witiko

H194, S. 243


winkte. Witiko schlug diesen Weg ein. Er ging am Waldsaume hin, er ging durch den Wald der auf eine Zeit den Weg verschlang, er gelangte wieder in das Freie an dem Saume des Waldes, und ging zu der Stelle des großen Gesteines empor. Da stand an einem ungeheuren Granitsteine, der wie ein Findling, wie es hie häufig vorkam, ganz allein ohne Genossen gleichsam von einer unsichtbaren allmächtigen Hand wie ein Haus in das weiche grüne Grasland gelegt war, Bertha die Tochter Stilichos. Sie stand an der Wand des Steines, die in der Richtung zwischen Mittag und Morgen das ganze Thal überblikte. Neben ihr war eine hölzerne Bank an der Steinwand angebracht. Der dichte kurze geschorene Rasen ging überall von dem Steine weg, erst in einiger Entfernung lagen gegen Mittag wieder ähnliche Steine, und im Abende war noch weiter weg eine große Anzahl derselben. In Mitternacht stand der hohe Wald empor.

Witiko hatte nun Ursache zu erstaunen.

Wenn alles in Stilichos Hause das Alte geblieben war, wenn er jedes so sah, wie er es an jenem Sonntage gesehen hatte, so war Bertha ganz anders: sie war höher und voller geworden. Wie damals ging das reichliche Gewand von dem Busenlaze zu den Knöcheln nieder, es war aber der Laz nicht wie damals roth, sondern er hatte die dunkle Veilchenfarbe des Kleides, auch war über die Arme nicht Linnen, sondern Ärmel des Kleiderstoffes und die braunen Haare waren nicht in Zöpfen sondern in einem silbernen Neze. So stand sie da erglühend in der hohen Röthe des Angesichtes. Witiko ging näher, und als er ihr gegenüber stand, sagte sie: "Bist du gekommen, Witiko?"

"Ja, Bertha," sagte er, "und du stehst wieder wie mein Schuzengel an dem Rande des Waldes, wie du damals standest, als ich zum ersten Male zu euch herauf ging. Nur den Kranz der rothen Waldrosen hast du nicht um dein Haupt."

"Es könnte ja auch ein anderer Kranz sein," entgegnete Bertha, "ein Kranz von dem Haidekraut des Waldes oder dem wohlriechenden Kunigundenkraute, oder gar kein Kranz."

"Die dunkelrothe Waldrose ist dein schönster Schmuk," sagte Witiko, "und sie ist das Zeichen meines Glükes. Bertha, du bist sehr schön geworden."

"Du bist auch schön geworden, Witiko," sagte Bertha, "du bist zwei Jahre in dem oberen Plane jenseits des Waldes gewesen."

"Meine Mutter hat dort ein kleines Häuschen," antwortete Witiko.

"Und in dem Häuschen bist du gewesen," sagte Bertha, "du hast geholfen kleine Arbeit verrichten, du bist zu den Leuten in ihre Stuben gegangen, du hast die Leute in deine Stube eingeladen, du bist mit deinem grauen Pferde die Wege um Plan hin und her geritten, du hast einige Nachbarn in dem Walde und außer dem Walde besucht, du bist sehr oft auf den Berg gegangen, auf welchem das rothe Kreuz steht."

"Ich habe von dem Berge auf manche Wälder geblikt, die dort rings herum zu sehen sind," antwortete Witiko.

"Die Mädchen von Plan nennen den Berg Witikos Berg," sagte Bertha.

"Das habe ich nie gehört," antwortete Witiko.

"Sie haben ihn schon so genannt, als du noch dort warest," entgegnete Bertha, "und nennen ihn erst recht so, seit du mit den Männern des Waldes auf den Berg Wysoka und in die Stadt Prag gegangen bist, und sie wieder in ihre Heimath zurük geführt hast."

"Woher weißt du denn diese Dinge, Bertha?" fragte Witiko.

"Unser Mann Wolfram," entgegnete Bertha, "geht weit und breit in den Wäldern herum, er geht mit großer Schnelligkeit und Sicherheit, und ist oft in dem oberen Plane gewesen, und hat ihnen Werkzeuge ausgebessert, und Töpfe gebunden. Dann ist mancher, der an der Moldau wohnt, dem der Weg nicht zu weit ist, zu uns über den Wald herüber zu gehen, und

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