Witiko

BZU102


(Beilage zu Witiko 102)

Schnee hervor ragte, bis zu dem rothen Kreuze empor. Dort that er ein kurzes Gebetlein, und sah dann herum. Zu seinen Füssen unter dem Berge lag der Ort mit den Schneedächern seiner Hütten und Häuser. Hie und da stieg ein Rauch [hervor] empor. Weiter unten war die längliche weiße Tafel des Thales. Witiko wußte, daß dort die Moldau sei; aber sie war nicht zu sehen, alles war durch die gleiche weiße Hülle des Schnees gedekt. Um das Thal war lauter Wald. Im Morgen ging nicht fern von den Häusern sanft ein Föhrenwald empor. Von ihm weiter gegen Mittag war ein breiter mächtiger Waldrüken, dessen Rand, wohl vier Wegstunden entfernt, schon bläulich dämmerte. Witiko kannte ihn sehr wohl. Es war der Wald des heiligen Thomas, auf dessen Rande er dort, wo das Bild des heiligen Apostels Thomas gewesen war, vor zwei Jahren mit dem Führer Florian gestanden war, und von dem er dann zu der Moldau und den Häusern von Friedberg hinab gestiegen war. Witiko sah lange auf den Wald. Dann blikte er gegen Mittag auf die Waldwand, jenseits welcher das Aigen sein mußte, von wo aus der Führer Florian mit ihm gegangen war. Hierauf lenkte er seine Augen gegen Abend auf eine noch größere Waldwand, die von Steinrippen durchzogen war, welche im Morgenlichte sichtbar wurden, und in welchen der schwarze See war, auf den er mit Wolf[xxx] hinab geschaut hatte, und dessen Dasein von dieser Ferne kaum zu ahnen war. Gegen Mitternacht sah er ganz nahe an seinem Berge den Waldhang, über den er gestern herein geritten war, und über welchen hin in großer Ferne Prag liegen mußte, das er vor zwei Jahren des Herzogs Sobeslaws willen gesucht, und das er nun wieder verlassen hatte.

Als er seinen Augen Genüge gethan hatte, sprach er vor dem Kreuze die Worte des Kreuzzeichens, und stieg über den Berg durch den glänzenden Schnee hernieder.

[Als] Da er zu den Häusern gekommen war, ging er auf ein kleines Steinhäuschen, das neben der Kirche stand, zu, ging in dasselbe hinein, und trat in die Stube. In derselben saß ein Greis mit weißem Barte vor einem großen Buche. Am Ofen saß ein Mütterlein, und spann.

"Seid mir willkommen, ehrwürdiger Herr," sagte Witiko, "ich bin in eure Stube getreten, euch zu grüßen, und euch zu besuchen."

"Ei, Witiko," sagte der alte Mann, indem er aufstand, "seid ihr auch wieder einmal nach Plan gekommen? Und wie schön und frisch ihr ausseht. Seid recht herzlich gegrüßt."

Das Mütterlein war von dem Spinnrade aufgestanden, wischte mit ihrer blauen Schürze einen Stuhl ab, und reichte ihn Witiko zum Sizen.

Dieser ließ sich auf den Stuhl nieder.

"So seid ihr noch immer auf der Pfarre in Plan?" sagte Witiko zu dem alten Manne.

"Ich bin noch da," entgegnete der Mann, "werde wohl auch da bleiben, und in nicht entfernter Zeit als Pfarrer von Plan sterben. Ihr kennt ja meine Schwester Anna auch noch?"

"Freilich," antwortete Witiko, und sah gegen die Spinnerin hin.

Diese blikte ihn mit freundlichen blauen Augen an.
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Beilage zu Witiko 102 (Rückseite)
"Plan ist ein sehr schöner Ort," sagte der Pfarrer, "er liegt lieblich in dem Walde, und er ist auch wichtig. Als das Christenthum noch wenig verbreitet war, als das ganze Land Böhmen noch am Heidenthume hielt, waren hier zwei christlich Einsiedler, die den Flek reuteten, darum er der obere Plan heißt, und die die christliche Lehre ausbreiteten. Darum ist dann auch eine Kirche geworden, die sehr alt ist. Die [man] vielen Einsiedler in dem großen langen Walde hinauf sind die ersten Prediger der christlichen Lehre in diesem Lande geworden. Werdet ihr lange hier bleiben?"

"Vielleicht länger als sonst," sagte Witiko, "es ist noch ungewiß."

"Dann werdet ihr doch auch zuweilen zu mir kommen, und gestatten, daß ich euch auch in eurem Hause begrüße," sagte der Pfarrer.

"Ich werde kommen, und es wird mir eine Freude sein, euch bei mir zu sehen," entgegnete Witiko.

Die alte Anna, welche aus der Stube gegangen war, kam jezt wieder herein, und brachte auf einem Teller Brod und Salz und in einem Kelchglase Meth.

Sie stellte die Dinge vor Witiko auf den Tisch, und sagte: "Wohl bekomme es zum Gruße.<">

Witiko nahm ein Schnittchen Brod, salzte es, und aß es. Dann that er einen Schluk aus dem Glase.

Hierauf erhob er sich, um sich wieder zu entfernen.

Der alte Pfarrer nahm einen Lammspelz von einem Nagel an der Wand, zog ihn an, und begleitete Witiko aus dem Hause.

Eine kurze Streke unterhalb des Pfarrhäuschens kam Witiko an der Schmiede vorüber. In derselben wurde ein Pferd beschlagen. Witiko ging näher, schaute zu, besah das Pferd, und redete dann mit dem Schmiede und dem Eigenthümer des Pferdes über das Pferd und über einige andere Dinge.

So sprach er auch mit mehreren Männern und Frauen, welche, da er an ihren Wohnungen vorüber ging, heraus kamen, und ihn grüßten.

Des Mittags mußten Martin Lucia und Raimund mit ihm an dem großen Tische in der Stube essen.

Am Nachmittage ritt er auf seinem Pferde in der Richtung gegen Morgen in den Wald, und kam nach zwei Stunden wieder zurük.

Am Abende, da das Pferd besorgt war, da Raimund und Lucia mit der Pflege der Rinder fertig waren, und Lucia ihre Milch aus dem Stalle in die Vorrathskammer gebracht hatte, wurde das Licht auf der Leuchte der Stube, die wie ein Herd in der Wand angebracht war, durch aufgelegte fette Kieferhölzer so verstärkt, daß [es in der] die ganze[n] Stube schimmerte. Martin Raimund und Lucia mußten zu [ihrer Nachtarbeit] ihrem Abendaufenthalte, wie sie auch sonst thaten, in die Stube kommen. Selbst Martins großer graugetigerter Hund mußte herein gelassen werden. Lucia spann an der Leuchte, Raimund flikte weiter entfernt an einem Dreschflegel, und Martin saß müssig auf der Ofenbank. Witiko saß auf einem Stuhle. Der Hund hatte sich unter den Tisch gelegt.

Nach der siebenten Stunde trat ein Mann in einem Lammspelze einer Lammspelzhaube und in groben weißwollenen Beinbekleidungen mit schweren Stiefeln in die Stube.
(Hier folgt 103)