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Sinnsuchefasten
(Tiroler Tageszeitung und die Diözese Innsbruck begleiten durch die Fastenzeit.)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:
Publiziert in:Tiroler Tageszeitung 86 vom 12./13. April 2003, 16.
Datum:2003-04-17

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Vielleicht ist der 90-jährige Großvater noch eine Ausnahme. Ansonsten sind wir alle dran! Die Modernen und die Postmodernen. Die Kirchenfresser und die Prälaten. Menschen, die fest im Glauben verwurzelt sind und die Zweifler und Spötter. Wir alle suchen unablässig nach dem Sinn! Je besser es uns im Alltag geht, umso mehr scheint uns der Lebenssinn abhanden zu kommen! Natürlich können wir noch alle! Wir essen und trinken und schlafen auch miteinander. Orgasmus ist uns ja kein Fremdwort. Und trotzdem: Von Gier nach Lebenslust getrieben, tauchen wir ja immer wieder in die Tiefen verschiedener Sinnwelten ein. Wollen den Sinn des Lebens erleben und zwar "subito"! Finanziell betucht, besuchen wir ein Sinnsucheseminar nach dem andern. Waten im Schlamm und springen auf den glühenden Kohlen. Fürs Billigangebot weichen wir auf Bücher, Magazine und Internet aus. Wir suchen nach Antworten, quälen uns mit faktischen Fragen und eingebildeten Problemen. Und dann sitzen wir wiederum an der Kasse im Supermarkt oder an der Hotelrezeption. Stehen vor der Schulklasse, oder vor den Studierenden im Hörsaal, gehen den Touristengruppen voran, oder zwicken die Fahrkarten. Und lächeln! Zu Hause liegt zwar ein kranker Vater. Eine in Brüche gehende Beziehung auf dem Hals. Oder eine ganze Familie in Kurdistan; Monat für Monat wartet sie auf "ein Lebenzeichen". Was soll man da tun?

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Sinnsucheseminar aus dem unüberschaubaren Angebot, oder Konfrontation mit der Realität? Das ist ja die Frage, die auch ich als Theologe mir am besten in der Karwoche stellen soll. Karwoche ist nämlich ein seltsames Ding. Da geraten Leben und Tod ganz dicht aneinander. Und so seltsam es klingen mag: gerade die Kirche feiert da die Katastrophe. Den Zusammenbruch jeglicher Sinnsuche und auch der möglichen Sinnfindung.

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Der Mann auf dem Gipfelpunkt seiner Kraft. Dreiunddreißig ist er gerade geworden. Nicht nur Frauen liegen ihm zu Füßen. Die ganze Welt tut es. Der komentenhafte Aufstieg. Alles unter besten Vorzeichen: Ein Leben, das seinen Namen verdient! Und dann: der Sturz. Von allen verlassen und verspottet. Stirbt er den grauenhaften Tod und fällt scheinbar ins Nichts! Dabei hat er doch jahrelang nicht nur nach dem Sinn gesucht - Nein! Den Sinn hat er schon fest in der Tasche gehabt. "Gottessohn" nannten ihn die Konservativen. Und "Menschenfreud" die Linken. Jenseits von links und rechts kam aber der Sturz in den Tod. Und in die Bodenlosigkeit des scheinbar Sinnlosen.

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Ist das nicht etwas, was auch wir immer wieder erleben? Was tagtäglich gang und gäbe ist! Weil man verraten und verlassen wird. Nicht von den Schurken und Feinden. Die besten Freunde machen sich ja aus dem Staub. Hals über Kopf! Oder, weil alles einem durch die Hände zerrinnt Man das Selbstvertrauen verliert, in Depressionen abrutscht und keinen Lebenswillen mehr hat.

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Was helfen da die Sinnsuchseminare? Die Wochenendkurse? Die Recherchen im Internet? Von den einsam zelebrierten Wellnessbädern schon ganz zu schweigen. Wie wir es drehen und wenden, eines kommt immer wieder zum Vorschein. Wir scheinen eines verlernt und auch vergessen zu haben. Dass es im Leben Situationen gibt, die der Karwoche gleichen! Die Angst des Gründonnerstags, das Leiden des Karfreitags und vor allem die scheinbar bodenlose Sinnlosigkeit des Karsamstags. Totenstille! Da gibt es keine andere Lösung, als Aushalten! Der vom Schmerz sprachlos gewordenen Mutter nicht ganz unähnlich.

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Die Freude von Ostern lernt nur derjenige zu schätzen, der auch die scheinbare Sinnlosigkeit der Zusammenbrüche auszuhalten vermag. Nicht dauernd nach dem Sinn sucht. Sich Sinnsuchefasten verordnet und die Konfrontation mit der Widerfahrnis zulässt. Vor allem aber auszuhalten lernt. Die Haltung des Karsamstags also einübt. Ostern am Kreuz: das gibt es nicht. Zwischen dem Zusammenbruch und dem neuen Leben liegen eigentlich ganze drei Tage. Eine Ewigkeit für den sinnhungrigen modernen Menschen. Auch für mich: den Theologen!

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