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Von der EFTA-Gründung bis zum Scheitern des "ersten Alleingangs nach Brüssel" 1959/60-1967

1. Dokument
Vizekanzler DDr. Pittermann über die EWG, 28.6.1959

2. Dokument
"Austria and EFTA", note prepared by Vienna Embassy for visit by Kreisky to London 2/1960 [ohne genaueres Datum]

3. Dokument
Protokoll der Arbeitssitzung anläßlich des Besuches des österreichischen Außenministers Dr. Bruno Kreisky in Bonn, 7.-8.3.1960

4. Dokument
Record des Gesprächs Kreisky/Lloyd sowie Beamter (James Barclay, Franz Gschnitzer, Johannes Schwarzenberg u.a.) in Wien, 24.6.1960

5. Dokument
Note des Bundesministers für Auswärtige Angelegenheiten Dr. B. Kreisky an den Präsidenten des Ministerrates der EWG, 15.12.1961

6. Dokument
Kurzbericht über die Konferenz der Landesparteisekretäre am 10. und 11. Mai 1962 im Hotel Austria in Gmunden, Oberösterreich, Dr. Gattinger, 15.5.1962

7. Dokument
Amtsvermerk "Europäische Integration; Gespräch mit Außenminister Spaak", 17.5.1962

8. Dokument
Ministerrat bekundet neuerlich Österreichs Interesse an der Behandlung seines Ansuchens um Assoziierung, 26.2.1963

9. Dokument
Dienstzettel des BMfAA Zl. 71.782-6(POL)64 an das Kabinett des Herrn Bundesministers betreff "Sowjetische Äußerungen zur Frage der Assoziierung Österreichs an die EWG" zu Dienstzettel Zl. 302-K/64 vom 15.5.1964, 22.5.1964

10. Dokument
Schreiben von Botschafter Haymerle an das Außenministerium, 20.5.1964

11. Dokument
Vertrauliches Protokoll des Eidgenössischen Politischen Departements über die Arbeitssitzung im Anschluß an den offiziellen Empfang des österreichischen Bundeskanzlers Klaus, 7.7.1964, 16.30-18.30 Uhr

12. Dokument
Schreiben des BMfHW an das Büro des Herrn BMfAA mit Beilage "Gedächtnisnotiz über einen Besuch von Bundesminister Dr. Fritz Bock bei Präsident Hallstein vom 30.4.1965, 11.5.1965

13. Dokument
Amtsvermerk Tursky, Österreichische Botschaft Bern "Österreichs Verhandlungen mit der EWG; Äußerungen eines leitenden Schweizer Funktionärs", 15.2.1967

14. Dokument
Weisung des Bundesministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie an die Österreichischen Botschaften Paris, Den Haag, Brüssel und Luxemburg, 4.7.1967


Dokument 1

Vizekanzler DDr. Pittermann über die EWG, 28.6.1959

Vizekanzler DDr. Bruno Pittermann spricht auf dem Parteitag der Vorarlberger Sozialisten in Bregenz. Er bezeichnet die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft als einen Bürgerblock und wendet sich gegen den Versuch österreichischer Wirtschaftskreise, auch Österreich in diesen Bürgerblock hineinzumanövrieren.

Die beiden Machtblöcke im Westen und im Osten hielten das Schreckgespenst des anderen in ihrer Propaganda aufrecht. Dies sei nötig, um die Völker davon abzuhalten, ihre Aufmerksamkeit stärker der ökonomischen Entwicklung in den eigenen Ländern zuzuwenden.

In Europa werde damit vor allem der Versuch unternommen, von der neuen Form der Ausbeutung durch den Kartellkapitalismus abzulenken. Hüben wie drüben, erklärt DDr. Pittermann, vollziehe sich heute die Ausbeutung der arbeitenden Menschen viel weniger an der Produktionsstätte als vielmehr auf den Märkten. Im Osten halte der Staat auch den Marktmechanismus fest in seiner Hand. Aber auch die Manager des Westens hätten erkannt, daß ihnen an der Produktionsstätte durch eine geschlossene Organisation der arbeitenden Menschen ein sehr fühlbarer Widerstand entgegengesetzt werden könnte. Auf dem Markt hingegen sei die Gegenwehr noch unorganisiert, und außerdem sei der einzelne vielfach der Sklave seines Magens, seiner Gewohnheiten oder der modernen Werbemethoden geworden.

Um seine Gewinne zu sichern, benötige der Kartellkapitalismus die Regierungsgewalt, sowohl um sich die Konkurrenz vom Leibe zu halten, als auch um die Zölle zu manipulieren und um die übermäßigen Profite vor den Zugriffen des Fiskus schützen zu können. Der Kartellkapitalismus habe auch das der österreichischen Wirtschaftspolitik. Die Abwägung der wirtschaftlichen Interessen Österreichs spräche nach seiner Ansicht eindeutig für eine Assoziierung mit der EWG. Auch geographisch gehöre Österreich zum EWG-Raum, während es in der Freihandelszone fast isoliert sei.

Nach Äußerung maßgeblicher Persönlichkeiten scheine die EWG bereit zu sein, mit Österreich über eine Kompromißlösung zu verhandeln. Ein Assoziierungsvertrag Österreichs mit der EWG, der auf harmonisierten Außenzöllen basiere, Österreich jedoch eine gewisse handels- und wirtschaftspolitische Autonomie belasse, könne als Modell für weitere Assoziierungsverträge dienen. Auf der anderen Seite müßten die Aussichten auf eine baldige multilaterale Lösung sehr skeptisch beurteilt werden. Diese dürfte vielleicht Jahre auf sich warten lassen. Österreich werde daher vor die Notwendigkeit gestellt, erstmals seit 1945 einen eigenen Weg in der Außenwirtschaft zu beschreiten. Weder im Staatsvertrag noch im Neutralitätsgesetz seien Verpflichtungen übernommen worden, die eine Assoziierung ausschließen.

Quelle: 10 Jahre österreichische Integrationspolitik 1956-1966. Eine Dokumentation des Bundesministeriums für Handel und Wiederaufbau, Wien o. J., S. 55 f.


Dokument 2

"Austria and EFTA", note prepared by Vienna Embassy for visit by Kreisky to London 2/1960 [ohne genaueres Datum]

Dr. Kreisky has considerable personal sympathies with Sweden and the Scandinavian countries, very friendly feelings for the United Kingdom and a strong determination to lessen the political and economic dependence of Austria on Germany. Furthermore he and his predecessor had received from Russia strong indications that membership or association with the Common Market would be regarded as incompatible with Austria's neutrality obligations. It appears also that Dr. Kreisky has a personal antipathy towards Dr. Hallstein [...]. Austrian supporters of EFTA regard it as valuable mainly as the means for coming to a multilateral agreement with the Common Market [...]. Dr. Kreisky himself has told H.M. Ambassador that he regards Austria's entry into EFTA as entailing a departure from Austria's traditional policy of close association with Germany and the formation of a new association with the United Kingdom which it is his hope to develop vigorously in the political and cultural, as well as in the commercial fields. [...] Dr. Kreisky finds himself in a lonely and exposed position.

Quelle: Public Record Office London Kew (PRO), FO 371/150187/32.


Dokument 3

Protokoll der Arbeitssitzung anläßlich des Besuches des österreichischen Außenministers Dr. Bruno Kreisky in Bonn, 7.-8.3.1960

Sitzung am 8. März 1960, vormittags über Probleme EWG-EFTA

Außenminister Kreisky:

Die Auffassung, daß wir zu unserer Haltung betr. EWG-Beitritt durch massive Intervention durch die Russen gezwungen worden sind, ist nicht richtig. Seit 1955 haben in Österreich keine russischen Interventionen stattgefunden. Unsere Beziehungen zur Sowjetunion sind gut und wir haben allen Anlaß, diese guten Beziehungen aufrecht zu erhalten.

Zwischen Bundeskanzler Raab und Außenministerium gibt es keine Meinungsverschiedenheiten darüber, daß Beitritt zur EWG eine ernste Belastung österreichisch-sowjetischen Verhältnisses ergeben würde. Im Artikel 4 des Staatsvertrages heißt es, daß Österreich weder direkt noch indirekt eine Vereinigung mit Deutschland herbeiführen wird. Nach Kreiskys Ansicht würde Anschluß an EWG indirekt Anschluß an Deutschland bedeuten. Auch wirtschaftliche Gründe sprechen dagegen. Die schwache österreichische Wirtschaft würde in ihrer Selbständigkeit reduziert werden. Österreichs wirtschaftliche Unabhängigkeit muß jedoch erhalten bleiben. Deutschland müsse hier eine besondere Empfindlichkeit Österreichs verstehen. Die beiden großen Parteien, die 90% der Bevölkerung repräsentieren, seien für Unabhängigkeit.

Wenn Österreich [der] EWG beiträte, würde die Sowjetunion dies nicht als casus belli betrachten, doch würde wahrscheinlich die SU keinen Vertrag mehr mit Österreich abschließen und würde vermutlich auch nicht zulassen, daß die Atomexplosionskontrollbehörde [sic!] nach Wien komme, worauf Österreich größten Wert legt. Axiom österreichischer Außenpolitik sei, sowohl das Vertrauen des Westens wie das der SU zu haben. Dieses Axiom könne wegen ein paar Prozent Zollerleichterung nicht aufs Spiel gesetzt werden. Aus dem gleichen Grund könne Österreich auch dem Gedanken einer bilateralen Assoziierung mit der EWG nicht nähertreten. Englands Stellung: England habe bei der EFTA die größten substanziellen Konzessionen gemacht. Österreich habe das Interesse, daß England in die europäische Integration eingeschlossen werde. Der Zusammenschluß der 7 Länder der EFTA werde nicht aufgegeben werden, sondern die Integrierung werde weiter fortschreiten. Vielleicht werde man zu einer Angleichung der Außenzölle kommen. Mit England sei ein "technical exchange" vereinbart worden. Auch werde die österreichische Industrie sich stark nach England orientieren.

Wie könne man sich einen Brückenschlag vorstellen?

Am besten wäre eine europäische Freihandelszone. Sie erscheint jedoch im Augenblick nicht möglich. Eine andere Lösung wäre ein Rahmenvertrag zwischen den beiden Blöcken, der grundsätzlich die Freihandelszone begründet und der dann durch bilaterale Einzelverträge ergänzt werden müsse. Auch dieser Weg scheint nach der Einschaltung Dillons im Augenblick nicht gangbar. Österreich hielte eine europäische Lösung im Rahmen der OEEC, zu der die USA und Kanada assoziiert würden, für möglich, allerdings seien die Schwierigkeiten groß.

Sollte es sich zeigen, was er, Kreisky, allerdings nicht glaube, daß aus der Handelspolitik der EWG ernste wirtschaftliche Schwierigkeiten für Österreich entstünden, dann könnte Österreich seine gegenwärtige Liberalisierung nicht aufrecht erhalten. Es müsse dann Maßnahmen treffen, um seine Zahlungsbilanz in Ordnung zu bringen. Der Tourismus gleiche die Zahlungsbilanz nur zu einem Teil aus. Durch gute bilaterale Beziehungen könnten allerdings viele Nachteile behoben werden.

Wir sind der Meinung, daß die vorgesehene Beschleunigung im Aufbau der EWG die Schwierigkeiten vergrößern werde. Wir brauchen eine Pause, in der die gegebenen Veständigungsschwierigkeiten ausgeschöpft würden.

Außenminister von Brentano:

Dankt für klare Darstellung Kreiskys. Will auf Interpretation österreichischen Staatsvertrages nicht eingehen, da ihm Recht hierfür nicht zustehe. Dem Gemeinsamen Markt liegen in erster Linie nicht wirtschaftliche, sondern politische Erwägungen zu Grunde. Über die wirtschaftliche Zusammenarbeit wolle man zur politischen Integration kommen. Am Ende unserer Vorstellung steht der europäische Staatenbund. Es werde keine deutsch-französische Hegemonie angestrebt. Selbst wenn Franzosen diese Vorstellung hätten, würde Deutschland nicht daran teilnehmen. Es besteht nicht die Absicht, einen Block zu bilden, der sich nach außen durch Zollmauern abschirme. Wir haben auch große Interessen außerhalb der EWG. Die bilateralen Beziehungen zu anderen Ländern sind eine Lebensfrage für uns. Wir sind eindeutig entschlossen, das Mögliche zu tun, um die Verträge von Rom durchzuführen und nichts zu tun, was die Entwicklung des Zusammenschlusses stören könnte. Eine rückläufige Entwicklung würde große Gefahren mit sich bringen als eine nach vorne weisende Entwicklung. Ich begrüße Erklärung, daß Österreich EWG als Realität ansieht. Der Vertrag wurde geschlossen mit den Ländern, die dazu bereit waren. Auch Großbritannien wurde dazu aufgefordert, an den vorbereitenden Gesprächen teilzunehmen, hat jedoch hiervon leider keinen Gebrauch gemacht. Wir wären froh, wenn wir statt 6, 7 oder 8 wären, aber wir konnten nicht länger warten.

Eine europäische Freihandelszone wäre nur möglich, wenn die EWG in ihr als Einheit erschiene.

Accelaration: Wir sind nicht bereit, etwas zu tun, was die Spannung zwischen EWG und EFTA vergrößern könnte. Deshalb werden wir die Vorschläge, die uns jetzt vorliegen, im Ministerrat sehr sorgfältig auf Auswirkungen auf die EFTA prüfen. Die Vorschläge sehen nicht nur eine Beschleunigung des Abbaus der Binnenzölle, sondern auch der Außenzölle vor. Abbau der Außenzölle würde das Verhältnis zur EFTA erleichtern. Wir werden auch mit Großbritannien sprechen. Wir sind uns über Bedeutung der wirtschaftlichen Mitarbeit mit Österreich völlig im klaren. Wir werden unser Menschenmöglichstes tun, um diese nicht zu zerstören.

Staatssekretär van Scherpenberg:

Wie sind nach wie vor aufs stärkste interessiert, daß eine gemeinsame europäische Politik aufrecht erhalten bleibt. Um die Jahreswende waren wir in großer Sorge, weil die OEEC ernstlich gefährdet erschien. Die Konferenz in Paris hat diese Gefahr gebannt.

1. OEEC bleibt weiter bestehen,

2. Es ist gelungen, bei der Reform der OEEC an Zielsetzungen festzuhalten, die auch weiterhin eine konstruktive Arbeitsmöglichkeit ergeben sollen.

Wir glauben nicht, daß die Assoziierung von USA und Kanada die europäische Arbeit der OEEC zum Erliegen bringen wird. An der künftigen Arbeit in der OEEC wird sich die EWG ebenso beteiligen wie die anderen Länder.

Verhältnis EWG zu anderen Ländern:

Man muß davon ausgehen, daß EWG eine Zollunion ist und als solche wirkt. Die Gefahren von Binnenzöllen werden von Außenstehenden sehr überschätzt. Unser Tarif ist eine Verhandlungsgrundlage, über die auf der GATT-Konferenz gesprochen werden kann. Wenn Außentarife nicht zu hoch sind, kann der Handel weitergehen. Mit den Ländern, die die Zölle herabsetzten, werden sich bessere Handelsmöglichkeiten ergeben. Bei den Ländern, wo sie heraufgesetzt werden, wirken sie sich nicht prohibitiv aus. Wir sind aufs stärkste bestrebt, daß unsere europäischen Partner ihre Warenströme zu uns fließen lassen können. Auch wir sehen in der EFTA eine Realität. Sie wird und soll sich entwickeln. Während EWG einheitliche Außentarife hat, hat EFTA verschiedene Außenzölle. Das Ausmaß der Auswirkungen im Handel hängt von der Höhe dieser Einzel-Zölle ab. Österreich ist ein Hochzolland. Die Zollsenkungen, die Österreich gegenüber EFTA-Ländern vornimmt, werden sich sehr bald stark gegen Deutschland auswirken. Daher haben wir mit großem Interesse von den Absichten einer Außenzollangleichung der EFTA-Länder gehört. Wenn man bei den Verhandlungen über die große Freihandelszone eine solche Haltung eingenommen hätte, wäre manches leichter gewesen. Wir glauben, daß Österreichs Sorge vor einer Acceleration unbegründet ist. Für alle Beteiligten wird es von Nutzen sein, wenn die in der Wirtschaft durch die lange Übergangszeit entstehende Unruhe abgekürzt wird. Wie wünschen, daß die EFTA ebenfalls acceleriert. Wir haben in nächster Zeit eine Sitzung des Handelsausschusses in Paris. Wir haben den Vorschlag des Kontakt-Ausschusses gemacht und hoffen, daß er fruchtbar arbeiten wird.

Quelle: Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes/Bonn, 203-82.21/94.19. VS-Nur für den Dienstgebrauch.


Dokument 4

Record des Gesprächs Kreisky/Lloyd sowie Beamter (James Barclay, Franz Gschnitzer, Johannes Schwarzenberg u.a.) in Wien, 24.6.1960

Kreisky: "The Common Market was for the French much more than a economic arrangement, it was a way for Germany to "delegate" part of her importance in Europe to France." Dr. Kreisky said that he had had personal contacts in Germany with representatives of a strong political group which were well satisfied with the present situation, that is with the United Kingdom outside Europe [...]. If it proved impossible to build a bridge between the Seven and the Six, the Seven should make real and evident efforts to make E.F.T.A. more than a temporary institution for the purpose of negotiating with the Six [...]. While Austria did not want additional political obligations, it was still possible to find ways of increasing economic co-operation. [...] At present the Commission in Brussels maintained that the E.F.T.A. was merely a temporary negotiating body. They would try to split it up and then negotiate with the Seven piecemeal. The E.F.T.A. countries must counter this by making E.F.T.A. and efficient institution and more than a simple free trade area. [...].

Dr. Kreisky said that he could promise, and had obtained the approval of the Minister of Commerce, Dr. Bock, for this promise, that, if all the other members of the Seven agreed that acceleration was desirable then Austria would also accept this. [...] Austria's trade with the other members of the Seven (except with Switzerland and to some extent Sweden) was still under-developed and there was plenty of scope for expansion. [...] The purchase of wheels for the State railways, in which Austrian imports could be switched to England. [...] In Dr. Kreisky's opinion Austria could over the next two years find compensation in E.F.T.A. markets for trade lost in the Common Market. If this could be done it would help the Austrian Government to justify its policy with the Parliamentary Commission on Economic Integration (to which it is pleadged to report quarterly) and with public opinion [...]. Kreisky suggested that E.F.T.A. should strengthen the Secretariat. It would be useful to have a strong Secretary-General of the calibre and rank to deal on equal terms with Professor Hallstein and others [...].

Quelle: PRO, T 236/6318.


Dokument 5

Note des Bundesministers für Auswärtige Angelegenheiten Dr. B. Kreisky an den Präsidenten des Ministerrates der EWG, 15.12.1961

Herr Präsident! Ich hatte die besondere Ehre, ihnen im August d. J. in meiner Eigenschaft als Vorsitzender der Europäischen Freihandelsassoziation die Deklaration des EFTA-Rates vom 31. Juli d. J. zu überreichen, in der die Mitgliedstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation ihre Bereitschaft zum Ausdruck brachten, mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Mittel und Wege zu prüfen, die es ihnen allen ermöglichen könnten, an einem umfassenden europäischen Markt teilzunehmen.

Die Österreichische Bundesregierung hat in der Zwischenzeit ihrerseits sorgfältig geprüft, ob und in welcher Weise Österreich eine diesem Bestreben dienende ausschließlich wirtschaftliche Vereinbarung mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft eingehen könnte, die der Aufrechterhaltung seiner immerwährenden Neutralität und seinen zwischenstaatlichen Vereinbarungen Rechnung trägt sowie die Erfüllung der damit verbundenen Pflichten jederzeit ermöglicht, anderseits aber hierbei die Integrität der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nicht beeinträchtigt. Sie ist zur Auffassung gelangt, daß ein solches Abkommen zu verwirklichen ist, wobei der Artikel 238 des Vertrages von Rom die Handhabe hiefür bieten könnte.

Ich bin daher ermächtigt, Ihnen zu diesem Zweck die Aufnahme von Verhandlungen vorzuschlagen, wobei ich glaube, daß Schweden und die Schweiz, die gleichfalls beschlossen haben, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die Aufnahme von Verhandlungen vorzuschlagen, hinsichtlich ihrer Neutralität gleichartige Probleme mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu erörtern und zu lösen haben werden wie Österreich. Darüber hinaus müßten auch gewisse besondere wirtschaftliche Probleme Österreichs Gegenstand dieser Verhandlungen sein.

Ich gebe der Hoffnung Ausdruck, daß die Aufnahme solcher Verhandlungen zu einem Zeitpunkt erfolgen kann, der die Gewähr dafür bieten würde, daß sich auch Österreich gleichzeitig mit allen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation an einem erweiterten europäischen Markt beteiligen kann. Ich bin überzeugt, daß bei entsprechendem gegenseitigem Verständnis dieses Ziel zu erreichen ist, das zur Hebung der Lebenshaltung und der Steigerung der Wirtschaftskraft der europäischen Staaten und damit auch zur Erweiterung der Wirtschaftsbeziehungen aller Staaten beitragen würde.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, den Ausdruck meiner besonderen Hochachtung.

gez. Kreisky

Quelle: Hans Mayrzedt/Waldemar Hummer, 20 Jahre österreichische Neutralitäts- und Europapolitik (1955-1975), Dokumentation (Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik und Internationale Beziehungen 9/I), Teilband I, Wien 1976, S. 352-353.


Dokument 6

Kurzbericht über die Konferenz der Landesparteisekretäre am 10. und 11. Mai 1962 im Hotel Austria in Gmunden, Oberösterreich, Dr. Gattinger, 15.5.1962

Gen.-Sekretär Dr. Withalm gab nach der Begrüßung einen kurzen Überblick über die politische Situation. Die Amerika-Reise des Bundeskanzlers Dr. Gorbach war schwerpunktmäßig der Integrationsfrage gewidmet. Nach Auffassung der Amerikaner sei die Assoziierung nicht der einzige Weg Österreichs zur EWG. Die Amerikaner wünschen keine Verwässerung der politischen Ziele der EWG. Man will aber andererseits auch von amerikanischer Seite in Europa keine neuen Konfliktstoffe schaffen. Es ist der Eindruck entstanden, als ob Verhandlungen zwischen USA und Rußland stattgefunden haben, wonach man Österreich von beiden Seiten keine Schwierigkeiten bereiten wolle, um zu vermeiden, daß Österreich zu einem zweiten Fall Berlin wird. Die Entwicklung der Integration läuft auf eine zunehmende wirtschaftliche Verpflichtung der westlichen Welt unter Ausschaltung Österreichs hinaus. Es besteht die Gefahr einer Isolierung unserer verstaatlichen Industrie. Dr. Kreisky ist über die Aktionen Gorbachs sehr verärgert und betrachtet diese als eine Einmischung in sein Ressort. Die nächsten Reisen Gorbachs gehen am 25.6. nach Paris und dann sofort nach Rußland. [...] Zur Wahltaktik ist beabsichtigt, die rote Katze in abgewandelter Form wieder aufleben zu lassen. Die Außenpolitik wird in den Wahlkampf einbezogen. Das Tiroler Landesparteipräsidium habe den Wunsch ausgedruckt, daß die Integrationspolitik in den Wahlkampf mit einbezogen werde.

Quelle: Tiroler Landesarchiv, Kanzlei Landeshauptmann. Sammelakten Position 94 (1-2), Karton 123, Pos. 94 (2) 1960-62.


Dokument 7

Amtsvermerk "Europäische Integration; Gespräch mit Außenminister Spaak", 17.5.1962

Anläßlich eines am 14. ds. vom Generalsekretär des Europarates BENVENUTI gegebenen Abendessens bot sich Gelegenheit zu einem längerem Gespräch mit Außenminister Spaak. Der nach Tisch in engem Kreise geführten Unterhaltung wohnten außer dem Gefertigten Generalsekretär BENVENUTI, der politische Direktor des Europarates LUC und Gesandter REICHMANN bei.

Auf eine Bemerkung meinerseits, daß wir mit Interesse seinen angekündigten Erklärungen in der Konsultativversammlung entgegensehen, erwiderte Spaak spontan, es treffe sich sehr gut, daß er mit uns über die Angelegenheit sprechen könne. Es habe in den letzten Tagen eingehend den Rom-Vertrag studiert und sei zur Überzeugung gekommen, daß dieser eine Vollmitgliedschaft der drei neutralen Staaten durchaus zulasse. Im Vertragstext seien keinerlei Bestimmungen enthalten, die politische Bindungen der Mitgliedstaaten verlangen. Ich bemühte mich gemeinsam mit Gesandten REICHMANN, SPAAK klar zu machen, daß der Rom-Vertrag die politische Integration der EWG-Staaten zum Ziel habe und es schon deshalb für einen neutralen Staat nicht möglich sei, der EWG als Vollmitglied beizutreten. Darüberhinaus führten wir alle jene Argumente an, die im Arbeitspapier Gesandten KIRCHSCHLÄGERs enthalten sind und eindeutig zeigen, daß eine Vollmitgliedschaft neutraler Staaten bei der EWG nicht möglich sei. Herr SPAAK nahm die diesbezüglichen Ausführungen zur Kenntnis, erklärte jedoch, daß den von uns vorgebrachten Argumenten durch Aufnahme einer Klausel, die ... neutralen von allen künftigen politischen Bindungen ausdrücklich befreit, Rechnungen getragen werden könnte. Wir erklärten SPAAK, daß auch dieser Weg für die Neutralen nicht gangbar sei, da aus Neutralitäts-Gründen nicht alle Bestimmungen des Rom Vertrages wie etwa jene der Institutionen tel quel übernommen werden können. Daraufhin erwiderte SPAAK, daß er schon am Vortag von Handelsminister LANGE eine ähnliche Argumentation gehört habe, wobei dieser u. a. die "treaty making power" für die Neutralen verlangt habe. Er sei über diese Bemerkung LANGEs "schockiert" gewesen, da er sich nicht vorstellen könne, wie es bei einer Aufrechterhaltung dieser Forderung zu einer Assoziierung kommen könne. Eine solche Forderung sei für die EWG absolut inakzeptabel. Wörtlich sagte SPAAK: "Wenn Sie an dieser Forderung festhalten, brauchen Sie erst gar nicht nach Brüssel zu kommen." - Ebenso seien, erklärte SPAAK, Vorbehalte der Neutralen hinsichtlich des Osthandels abzulehnen. Nachdem wir eine Reihe von Argumenten zur Unterstützung des Standpunktes der Neutralen angeführt hatten, die SPAAK teils akzeptierte, teils ablehnte, kam das Gespräch auf die Majoritätsentscheidungen. Auf den Hinweis, daß die Neutralen zur Aufrechterhaltung einer qualifizierten Unabhängigkeit verpflichtetet seien und daher Souveränitätsrechte nur in einem eingeschränkten Maße aufgeben können, erwiderte SPAAK, daß ihm diese Haltung nicht gerechtfertigt erscheine. Es gehe nicht an, daß die EWG-Staaten erhebliche Opfer und Souveränitätseinschränkungen zugunsten der europäischen Integration akzeptiert hätten, während andere Staaten hiezu nicht bereit seien, trotzdem aber in den Genuß der Vorteile der EWG zu gelangen trachten. Wir verwiesen darauf, daß die Neutralen schon in ihrem Schreiben vom 15. Dezember 1961 anerkannt haben, daß durch eine Assoziierung die Integrität der EWG nicht leiden dürfe; die Neutralen würden keine einseitigen Vorteile anstreben, sondern eine auf Reziprozität aufgebaute echte Koordination, die sich nicht nur auf den freien Warenaustausch oder Zollregelungen beschränkt, sonder auch andere Wirtschaftsmaßnahmen erfaßt, die im Rom-Vertrag geregelt sind. SPAAK sah dies ein, meinte aber, daß trotzdem ein Weg gefunden werden müsse, in dieser Frage zu einem auch den Interessen der EWG Rechnung tragenden Ergebnis zu gelangen. Der Rom-Vertrag sehe eine Wirtschaftsunion und nicht nur eine Zollunion vor, die Neutralen müßten sich überlegen, ob sie bereit seien, sich den künftigen wirtschaftspolitischen Entwicklungen der EWG, eventuell auf dem Währungssektor oder im Bereich einer "gesamteuropäischen" Wirtschaftsplanung, anzuschließen und ob es für sie nicht unerläßlich sei, sich an den Organen, die diese Politik bestimmen würden, zu beteiligen.

Schließlich warnte SPAAK vor einer Forcierung der Aufnahme der Assoziierungsverhandlungen. Er glaube, daß es besser wäre, mit diesem zuzuwarten, bis völlige Klarheit über den britischen Beitritt zur EWG bestehe. Da er aber wisse, wie sehr wir auf eine rasche Aufnahme drängten, werde er sich formell nicht gegen diesen Wunsch stellen. Er möchte uns jedoch davor warnen, anläßlich der ersten Präsentierung unseres Falles zu weitgehende Ausnahmebestimmungen zu verlangen. Er hoffe, daß die Neutralen seinen Gedanken Rechnung tragen werden, da er sich eine befriedigende Lösung unserer Assoziierungswünsche unter den von Minister Lange und uns angedeuteten Bedingungen nicht gut vorstellen könne. Es sei entscheidend, unsere Wünsche so zu formulieren, daß sie dem Wesen des Rom-Vertrages Rechnung tragen, da ansonsten gleich zu Beginn unsere Verhandlungen eine Atmosphäre geschaffen werden würde, die einer positiven Regelung unseres Problems keineswegs förderlich sein könnte.

Straßburg, am 17. Mai 1962

Waldheim m.p.

Quelle: Österreichisches Staatsarchiv Wien (ÖStA), AdR, BMfAA, II pol, Zl. 68.084-4a(Pol)62.


Dokument 8

Ministerrat bekundet neuerlich Österreichs Interesse an der Behandlung seines Ansuchens um Assoziierung, 26.2.1963

Der Ministerrat beschließt auf Grund eines gemeinsamen Berichtes der Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten und für Handel und Wiederaufbau, die österreichischen Botschafter in den sechs EWG-Staaten zu beauftragen, die Regierungen in Kenntnis zu setzen, daß Österreich an der Behandlung seines Ansuchens vom 15.12.1961 interessiert sei. Gleichzeitig beschließt die Bundesregierung, durch die österreichischen Botschafter den EWG-Staaten ein Aide-mémoire überreichen zu lassen, in dem die Stellungnahme, die Österreich bei der letzten EFTA-Konferenz abgegeben hat, enthalten ist und in dem um einen Termin für informative Besprechungen ersucht wird.

Quelle: 10 Jahre österreichische Integrationspolitik 1956-1966, S. 149.


Dokument 9

Dienstzettel des BMfAA Zl. 71.782-6(POL)64 an das Kabinett des Herrn Bundesministers betreff "Sowjetische Äußerungen zur Frage der Assoziierung Österreichs an die EWG" zu Dienstzettel Zl. 302-K/64 vom 15.5.1964, 22.5.1964

Die Sektion II beehrt sich, folgende Zusammenstellung der sowjetischen Äußerungen zur Frage eines Arrangements Österreichs mit der EWG zu übermitteln:

Im Februar 1961 bemerkte der Stellvertretende Abteilungsleiter der Dritten Europäischen Abteilung im Sowjetischen Außenministerium, Lawrow, Legationsrat Dr. Karasek gegenüber, daß alle, die einen Beitritt Österreichs zur EWG propagieren, eine Politik vorschlügen, die im Widerspruch zum Staatsvertrag stehe.

Im Mai desselben Jahres erschien in der Monatszeitschrift "Mesbdunarodnaja Shisn" eine Stellungnahme zu Österreichs Außenpolitik mit besonderer Berücksichtigung der Stellung Österreichs zur EWG.

Am 27.08.1961 überreichte der sowjetische Botschafter in Wien dem Herrn Bundeskanzler eine Denkschrift des Inhaltes, daß der Beschluß der österreichischen Regierung, in Verhandlungen über die Teilnahme Österreichs an der EWG einzutreten, mit der Stellung Österreichs im Widerspruch sei, weil die EWG die wirtschaftliche und politische Organisation der NATO sei.

Österreich beantwortete diese Denkschrift am 02.10.1961 dahingehend, daß es nur solche Vereinbarungen anstreben werde, die insbesondere seine handelspolitischen Interessen berücksichtigen, und nur solche Verpflichtungen eingehen werde, die seinen außenpolitischen Status entsprächen.

Im November 1961 betonte Herr Lawrow Legationsrat Dr. Karasek gegenüber neuerlich das besondere Interesse der Sowjetunion an der österreichischen Haltung gegenüber der EWG, wobei er auch auf Artikel 4 des österreichischen Staatsvertrages hinwies. Legationsrat Dr. Karasek erklärte hiezu, daß Österreich ein Arrangement mit der EWG werde treffen müssen, das es vor wirtschaftlichen Nachteilen schütze, ohne daß es deshalb die politischen Bedingungen des EWG-Vertrages übernehmen werde.

Am 1. Dezember 1961 erschien in der "Prawda" ein Bericht ihres Wiener Korrespondenten, wonach Österreich aus einer Teilnahme am Gemeinsamen Markt große wirtschaftliche Schwierigkeiten erwachsen würden. Besonderer Nachdruck wird aber auf die politische Seite des Problems gelegt, wobei "Beitritt" und "Assoziation" wieder einmal vermengt werden. Eine Teilnahme Österreichs am Gemeinsamen Markt sei nicht nur mit seiner Neutralität unvereinbar, sondern werde auch zu einem wirtschaftlichen und politischen Bündnis mit der BRD führen, welches durch den Staatsvertrag verboten sei.

In einem neuerlichen Aidé-Mémoire vom 12.12.1961 führte die Sowjetregierung unter Bezugnahme auf das obengenannte österreichische Aidé-Mémoire aus, daß die EWG die wirtschaftliche Untermauerung der NATO bezwecke und somit politisch-militärischen Charakter habe, wobei die führende Rolle der BRD hervorgehoben wurde. Gleichzeitig wurde Österreich abermals an die Bestimmungen des Artikels 4 des Staatsvertrages erinnert.

Dieses Aidé-Mémoire wurde österreichischerseits zunächst durch den Herrn Bundesminister mündlich beantwortet, wobei dem sowjetischen Botschafter in Wien die Abschrift eines am selben Tage dem Präsidenten des Ministerrates der EWG übermittelten Briefes überreicht wurde, worin erklärt worden war, daß die österreichische Regierung den Abschluß einer ausschließlich wirtschaftlichen Vereinbarung mit der EWG anstrebe, die der Aufrechterhaltung seiner Neutralität und seinen zwischenstaatlichen Verpflichtungen voll Rechnung tragen würde. Vorstehendes wurde auch schriftlich in einem am 26.02.1962 überreichten österreichischen Aidé-Mémoire niedergelegt.

Im Artikel der "Prawda" vom 10.02.1962 "mit offenem Visier gegen die Neutralität" ist nicht mehr wie in dem vom 01.12.1961 von einem "Beitritt", sondern bereits von einer "Assoziation" zur EWG die Rede, die aber ebenfalls mit der Neutralität unvereinbar sei. Der Artikel ist allerdings allgemeiner gehalten und bezieht sich zeitweise auch auf die Schweiz und auf Schweden.

Der Artikel "Donauschaum" in der "Iswestija" vom 13.03.1962 bezeichnet jegliches Arrangement Österreichs mit der EWG als zur Aufgabe der Neutralität führend.

Am 16.03.1962 wurde die Frage der EWG-Assoziierung von Herrn Lawrow gegenüber Legationsrat Dr. Karasek kurz angeschnitten. Hingegen kam Herr Lawrow Attaché Dr. Hinteregger gegenüber anläßlich dessen Abschiedsbesuches im April 1962 ausführlich auf das Problem zu sprechen. Er unterstrich, daß jedes direkte oder indirekte Eintreten Österreichs in den Gemeinsamen Markt mit der Neutralität und Artikel 4 des Staatsvertrages unvereinbar sei.

Anläßlich des Besuches des Herrn Bundeskanzlers und des Herrn Bundesministers im Juni 1962 in Moskau wurde sowjetischerseits ein näheres Eingehen auf Detailfragen bezüglich der österreichischen Teilnahme am Gemeinsamen Markt sowie eine Nuancierung zwischen Beitritt und Assoziierung vermieden. Die Stellungnahme der Sowjetregierung zu diesem Problem war in ihrer Grundhaltung hingegen eindeutig. Ministerpräsident Chruschtschow verwies darauf, daß die EWG ein Instrument der NATO sei. Bei einem Eintritt in diese Gemeinschaft werde Österreich die Möglichkeit verlieren, seine Neutralitätspolitik weiter zu verfolgen.

Auf die Äußerung des Herrn Bundeskanzlers, daß keine Rede von einem Eintritt sei, sondern von einem Gespräch, welche Möglichkeiten für die Aufrechterhaltung des Handels Österreichs mit den EWG-Ländern bestehen, erwiderte Herr Chruschtschow, daß die Sowjetunion die Bemühungen Österreichs, eine solche Situation zu erreichen, daß Österreichs Handel mit den EWG-Ländern keinen Schaden erleide, mit Verständnis verfolgen werde, doch dürfe dadurch nicht der Staatsvertrag oder die Neutralität verletzt werden.

Beim Besuch des Herrn Vizekanzlers in Moskau im September 1962 wurde das Problem der Assoziierung nicht angeschnitten.

Am 16.10.1962 erinnerte der sowjetische Botschafter in Wien anläßlich einer Vorsprache beim Herrn Bundesminister daran, daß der sowjetische Ministerpräsident beim Besuch des Herrn Bundeskanzlers im Sommer 1962 deutlich zum Ausdruck gebracht hätte, daß ein "Anschluß an die EWG" die Grundlage der Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Österreich zerstören würde. Diese negative Haltung der Sowjetunion zur Absicht Österreichs, sich der EWG in der einen oder anderen Form anzuschließen, habe sich nicht geändert. Auf die Erwiderung des Herrn Bundesministers, daß die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen und die Wahrung der Neutralität Richtschnur des österreichischen Handelns sei, meinte Botschafter Awilow, daß die von Österreich gesetzten Fakten seine diesbezüglichen Erklärungen widersprächen.

Am 13.01.1963 behauptete die "Prawda", daß jedwede Form der Teilnahme Österreichs Neutralität und Staatsvertrag widerspräche. Diese These wurde auch vom Leiter der Dritten Europäischen Abteilung im sowjetischen Außenministerium, Iljitschow, gegenüber Botschafter Dr. Haymerle in einem Gespräch im Februar 1963 vertreten.

In einem Artikel der in Österreich herausgegebenen "Nachrichten der TASS" vom Februar 1963 wird die Auffassung, daß die Sowjetunion den Standpunkt der österreichischen Regierung während des Besuchs des Herrn Bundeskanzlers im Juni 1962 zur Kenntnis genommen habe, als unrichtig bezeichnet. Laut diesem Artikel wäre eine "Beteiligung" Österreichs am Gemeinsamen Markt mit der Neutralität unvereinbar. Eine "Assoziierung" Österreichs würde auch seine Verpflichtungen aus dem Staatsvertrag widersprechen.

Ein Artikel in der "Prawda" vom 08.03.1963, der sich auf die obangeführte Erklärung der "TASS" bezieht, erinnert daran, daß ein Beitritt Österreichs zur EWG keine rein österreichische Angelegenheit sei.

Nicht derjenige störe die gut nachbarlichen Beziehungen, der vor voreiligen Schritten warne, sondern derjenige, der diese Schritte setze. In einem dem Herrn Bundeskanzler am 03.05.1963 vom sowjetischen Botschafter überreichten Aidé-Mémoire wurde erklärt, daß die Sowjetregierung den Passus der österreichischen Regierungserklärung betreffend die absolute Vertragstreue Österreichs mit Befriedigung zur Kenntnis genommen habe. Besorgnis habe aber der Teil der Regierungserklärung hervorgerufen, in welchem die Regelung der Beziehungen Österreichs zur EWG als vordringliche Aufgabe bezeichnet wird. Der Herr Bundeskanzler wurde daran erinnert, daß ihm gegenüber sowjetischerseits im Sommer 1962 bemerkt worden sei, daß eine Teilnahme Österreichs am Gemeinsamen Markt ernste, negative Folgen für die Beziehungen zwischen Österreich und der Sowjetunion zur Folge haben würde. Abschließend wurde die Hoffnung ausgedrückt, daß die österreichische Bundesregierung nichts unternehmen werde, was die Beziehungen zwischen den beiden Ländern komplizieren würde.

In ihren Ausgaben vom 15.05.1963 brachte die "Prawda" und die "Iswestija" je einen Artikel, in dem die Vorzüge der Neutralität Österreichs und die Gefahren einer Assoziierung an die EWG geschildert werden.

Der Artikel "Zwischen zwei Stühlen" der "Prawda" vom 09.04.1963 beschäftigt sich ebenfalls mit den Beziehungen Österreichs zur EWG.

Ein Artikel der "Iswestija" vom 25.04.1964 betont die Unvereinbarkeit der Erklärungen Bundeskanzlers Dr. Klaus betreffend die Beibehaltung der immerwährenden Neutralität mit der Absicht der österreichischen Regierung, eine Regelung mit der EWG herbeizuführen.

Auch anläßlich der Abschiedsbesuche Botschafters Dr. Haymerle bei den Ersten Stellvertretenden Ministerpräsidenten Mikojan und Kossygin kam das Assoziierungsproblem zur Sprache.

Herr Mikojan nannte folgende Gründe für die Ablehnung der Teilnahme Österreichs am Gemeinsamen Markt: 1. widerspreche sie der österreichischen Neutralität, weil die EWG eine politische Union und Instrument der NATO sei, 2. werde sie Österreich handelspolitische Nachteile bringen und 3. bedrohe sie im Hinblick auf die Gefahr eines politischen Anschlusses an die 6 westeuropäischen Staaten die österreichische Souveränität.

Herr Kossygin meinte, daß die EWG eine gegen die Sowjetunion gerichtete Organisation sei und fragte, ob sich Österreich wirklich einem anti-sowjetischen Block anschließen wolle. Botschafter Dr. Haymerle legte den beiden Herren als Antwort auf die Ausführungen die bekannte österreichische Auffassung über eine österreichische EWG-Assoziierung dar.

Der Stellvertretende sowjetische Außenminister Semjonow erklärte anläßlich des Abschiedsbesuches Botschafter Haymerles, daß die Sowjetunion jeden Versuch einer Annäherung Österreichs an die NATO, in welcher Form dies auch immer geschehen möge, mit größtem Ernst betrachte. Hierbei stellte er ebenfalls die militaristische und revanchistische Politik der BRD, deren Ziel es sei, eine Änderung des status quo herbeizuführen, in den Vordergrund. Die BRD habe einen ausschlaggebenden Einfluß auf den Gemeinsamen Markt. Der Gemeinsame Markt wiederum sei ein wirtschaftliche Instrument in den Händen der NATO.

Am 11. Juni 1964 hatte Botschafter Avilow dem Herrn Bundesminister gegenüber betont, daß die Sowjetunion für den Fall einer Verletzung des Staatsvertrages durch Österreich, sich nicht mehr an die Verpflichtungen des Staatsvertrages gebunden erachten würde.

Bei einem Essen am 12. Juni 1964, zu dem Botschafter Avilow Botschafter Wodak eingeladen hatte, begründete Ersterer ausführlich unter vier Augen, weshalb der Sowjetunion ein Arrangement Österreichs mit der EWG nicht gleichgültig sein könne. Die Sowjetunion hätte im Zweiten Weltkrieg unerhörte Opfer gebracht, um Deutschland zu besiegen. Sie tue daher alles, um Deutschland nicht wieder stark werden zu lassen. Es dürfe daher nicht verwundern, wenn die Sowjetunion jede Stärkung der unter deutschen Einfluß stehenden EWG zu verhindern suche.

Wien, am 22. Mai 1964

Haymerle m.p.

Quelle: Stiftung Bruno Kreisky-Archiv Wien (SBKA), Bestand Integration, Box 1267.


Dokument 10

Schreiben von Botschafter Haymerle an das Außenministerium, 20.5.1964

Österreichische Botschaft
in der UDSSR
Zl. 53 - Pol/64

Gespräche mit dem stellvertretenden Außenminister Semjonow
Verfolg Drahtbericht 25055
vom 19. Mai 1964

Moskau, am 20. Mai 1964

Vertraulich!

Herr Bundesminister!

Gestern empfing mich der Stellvertretende Außenminister Semjonow, in dessen Wirkungsbereich auch Österreich fällt, über seinen Wunsch, um mir mitzuteilen, daß seine Regierung der Erteilung des Agréments für Botschafter Wodak zugestimmt habe. Auf den diesbezüglichen Drahtbericht darf verwiesen werden.

Auf meine im darauffolgenden Gespräch fallengelassene Bemerkung, daß ich überzeugt sei, daß sich die Beziehungen zwischen dem Außenministerium und der Botschaft unter meinem Nachfolger in der gleichen herzlichen und freundschaftlichen Art weiterentwickeln werden, replizierte mein Gesprächspartner, daß es nicht so sehr auf die Botschaft, sondern in erster Linie auf Wien ankommen werde, ob das österreichisch-sowjetische Verhältnis sich weiterhin günstig entwickeln werde. Es sei dies zwar nicht Gegenstand der heutigen Aussprache; nachdem ich aber nun in wenigen Wochen nach Wien zurückkehren werde, halte ich es für angezeigt, auch mir gegenüber nochmals den sowjetischen Standpunkt in aller Klarheit darzulegen, wie dies auch die Stellvertretenden Ministerpräsidenten Kossygin und Mikojan anläßlich meiner Abschiedsbesuche getan hätten.

Es gebe ein Problem, das seine Schatten auf unsere Beziehungen werfen könnte, nämlich die Bemühungen Österreichs um den Gemeinsamen Markt. Über dieses Problem hätten wir ja bereits öfters Gelegenheit gehabt, uns zu unterhalten.

Ich erläuterte Herrn Semjonow neuerlich den österreichischen Standpunkt, wies in diesem Zusammenhang auf die Darlegungen Altbundeskanzlers Dr. Gorbach und auf Ihre Ausführungen, Herr Bundesminister, anläßlich des Besuches der österreichischen Regierungsdelegation im Jahr 1962 hin und betonte unter Zitierung der einschlägigen Stellen der jüngsten beiden Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers, daß sich an dieser österreichischen außenpolitischen Linie nichts geändert habe.

Herr Semjonow erwiderte darauf, daß er die Regierungserklärung und die außenpolitische Erklärung des neuen Bundeskanzlers gelesen habe. Zwischen diesen Worten und der zur Schau getragenen Absicht der Österreichischen Bundesregierung bestehe jedoch offensichtlich ein Widerspruch. Die Sowjetunion betrachte in ihren Beziehungen zu dem neutralen Österreich jeden Versuch einer Annäherung unseres Landes an die NATO, in welcher Form dies auch immer geschehen möge, mit größtem Ernst. Hierüber hätten auch Kossygin und Mikojan in den vorerwähnten Unterredungen keinen Zweifel gelassen. Für Österreich werde es darauf ankommen, ob es eine langfristige Politik betreiben oder die Vorteile des vom Bundeskanzler Raab auf weite Sicht eingeschlagenen Kurses um kurzfristiger wirtschaftlicher Ziele willen preisgeben wolle. Die österreichische Neutralitätspolitik habe nicht nur Bedeutung für Österreich, sondern für die gesamte internationale Lage. Man möge hier nur an die Schweiz denken. Die Schweiz sei ein kleines Land, das aber in der Weltpolitik eine große Rolle spiele. In ihren Beziehungen zu dem Gemeinsamen Markt lege sie sich aus Gründen, die sich klar aus ihrer Neutralitätspolitik ergeben, große Zurückhaltung auf. Die strikte Beachtung der Neutralität erweise sich als ein Element der Stabilität in der Welt.

Es liege ihm, Semjonow, ferne, sich in die inneren Angelegenheiten Österreichs einmischen zu wollen. Aber als Freund unseres Landes und als ein Funktionär, der an der Vorbereitung des Staatsvertrages aktiv teilgenommen habe und daher wisse, um was es dabei gegangen sei, halte er es für notwendig, mir seine Warnungen auf dem Weg nach Wien mitgeben zu müssen. Die Neutralität Österreichs bestehe erst neun Jahre, die der Schweiz 150 Jahre. Auch die Schweiz habe zu Beginn Schwierigkeiten gehabt, eine richtige neutrale Linie zu finden. Diese Problematik sei jedoch längst überwunden. Der Weg, den sie einschlage, erfordere Mut und Hartnäckigkeit.

Die Nachkriegszeit sei durch den "Revanchismus" und "Militarismus" der Bundesrepublik gekennzeichnet, deren Ziel es sei, eine Änderung des status quo herbeizuführen. Dies sei ein Faktum, ob man es in Österreich gerne hören wolle oder nicht. Die Bundesrepublik habe einen ausschlaggebenden Einfluß auf den Gemeinsamen Markt. Der Gemeinsame Markt wiederum sei ein wirtschaftliches Instrument in den Händen der NATO. Im Hinblick auf diese Umstände sei es nicht zu verwundern, daß die Sowjetunion sich angesichts der Bemühungen unseres Landes, an der EWG in irgendeiner Form teilzunehmen, Sorgen um die Entwicklung Österreichs machen müsse. Der alte Weg des Anschlusses, der im Jahre 1938 zu einer Katastrophe geführt habe, werde, soweit man hier in Moskau informiert sei, von der überwiegenden Mehrheit der österreichischen Bevölkerung abgelehnt. Es wäre traurig, wenn sich die Geschichte nunmehr unter anderen Vorzeichen wiederholen würde. Deswegen habe ja auch der Stellvertretende Ministerpräsident Mikojan mir gegenüber zum Ausdruck gebracht, daß die Sowjetunion die Politik, die Bundeskanzler Raab initiiert habe, voll und ganz unterstützen werde. Was die sowjetische Seite anbelangte, so sei sie jedenfalls sehr interessiert daran, daß sich die freundschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen mit dem neutralen Österreich in der bisherigen erfreulichen Weise weiterentwickeln.

Herr Semjonow beendete seine Darlegungen mit den Worten: "Habe ich Ihnen die Laune verdorben?"

Die gegenständliche Unterredung mit Minister Semjonow war die im Ton freundlichste, inhaltlich aber weitaus ernsteste, die ich während meines vierjährigen Aufenthaltes in der Sowjetunion mit sowjetischen Gesprächspartnern zu führen Gelegenheit hatte.

Es war zu erwarten, daß meine sowjetischen Gesprächspartner meine Abschiedsbesuche zum Anlaß nehmen würden, um nochmals mit aller Klarheit und Deutlichkeit den sowjetischen Standpunkt in der Frage des Arrangements Österreichs mit der EWG darzulegen. Es lag auch auf der Hand, daß sie es eindringlicher und drastischer tun würden, als dies sonst der Fall gewesen wäre. Nichtsdestoweniger muß den Worten Semjonows nach hiesiger Auffassung deswegen besondere Bedeutung beigemessen werden, weil ihm kraft seiner Stellung und seines Wirkungsbereiches ein maßgebender Einfluß auf die Formulierung der zukünftigen sowjetischen politischen Linie Österreich gegenüber zukommen wird.

Genehmigen Sie, Herr Bundesminister, den Ausdruck meiner vollkommenen Ergebenheit.

Haymerle m. p.

Quelle: SBKA, Aktenbestand Integration.


Dokument 11

Vertrauliches Protokoll des Eidgenössischen Politischen Departements über die Arbeitssitzung im Anschluß an den offiziellen Empfang des österreichischen Bundeskanzlers Klaus, 7.7.1964, 16.30-18.30 Uhr

Anwesend

von österreichischer Seite:
Herren Bundeskanzler Klaus
Außenminister Kreisky
Staatssekretär Bobleter
Botschafter Tursky
Sektionschef Meznik
Sekretär Parak

von schweizerischer Seite:

Herren Vizepräsident Tschudi
Bundesrat Wahlen
Bundesrat Schaffner
Botschafter Micheli
Botschafter Stopper
Botschafter Escher
Minister Bindschedler
Minister Jolles
Vizedirektor Marti
Sektionschef Janner

Herr Bundesrat Tschudi eröffnet die Sitzung mit dem Dank für die Bereitschaft des österreichischen Bundeskanzlers und seiner Begleiter, zu einer Aussprache über Probleme, welche die beiden Länder interessieren, Hand zu bieten. Als Hauptthema schlägt er die europäische Integration vor.

Herr Bundeskanzler Klaus begrüßt vor allem eine Aussprache über jene Fragen, die sich aus der Neutralität der beiden Länder ergeben. Dazu gehören neben den Fragen der europäischen Integration auch andere, z.B. die Beteiligung an der Aktion in Zypern. Ferner gibt die ähnliche Situation in der Wirtschaft der beiden Länder Anlaß zu Vergleichen. Wir verfolgen z.B. mit großem Interesse die schweizerischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Konjunkturüberhitzung, denen in Österreich das Programm der Preisstabilisierung gegenübersteht. Bei den außenwirtschaftlichen Beziehungen geht unser Streben dahin, uns auf den angestammten Märkten zu behaupten. Wir stehen hier vor wichtigen Entscheiden. Wir haben wirtschaftlich einen kürzeren Atem als die Schweiz und eine stärkere Verflechtung mit den EWG-Staaten. Mit der EFTA arbeiten wir in loyaler Weise weiter zusammen. In der Regierungserklärung vom 2. April 1964 wurde diese Zusammenarbeit ausdrücklich erwähnt. Daneben wünschen wir eine Regelung unserer Beziehungen zur EWG. Unter Integration verstehen wir nicht ein Aufgehen in einer größeren Einheit, sondern eine Zusammenarbeit unter selbständigen Staaten. Wir gehen vorsichtig und ohne Überstürzung an die sich uns bietenden Lösungen heran. Die Erschließung neuer Märkte soll durch die Zusammenarbeit mit der EWG nicht ausgeschlossen werden. In dieser Beziehung können wir von der Schweiz viele Erfahrungen übernehmen. Sowohl der multilaterale als der bilaterale Weg sollen uns unserem Ziel näher bringen. Ueberall sehen wir uns vor ähnliche Probleme gestellt wie die Schweiz: Beide Länder sind Binnenländer, beide haben sich mit dem Problem Bundesstaat - Gliedstaat auseinanderzusetzen, in beiden ist die Frage der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und der Forschung von großer Aktualität, für beide ist die Teilnahme an Europa als selbständige Länder von schicksalshafter Bedeutung. Deshalb ist die gegenseitige Information sehr wichtig. Die Wege die wir einschlagen, mögen im einzelnen verschieden sein, die Ziele aber sind gleich.

Herr Bundesrat Wahlen: Tatsächlich sind Österreich und die Schweiz in vieler Beziehung in einer ähnlichen Lage, weshalb es auch unser Bedürfnis ist, Erfahrungen auszutauschen und die gegenseitige Haltung zu klären. Wir bitten dabei, es nicht als eine Einmischung in österreichische Angelegenheiten aufzufassen, wenn wir in einzelnen Punkten eine unterschiedliche Auffassung zum Ausdruck bringen, sondern als Ausdruck der Offenheit, auf der unsere Freundschaft beruhen soll. Wir gehen von der Erklärung aus, mit der der Bundesrat am 24. September 1962, kurz nach der entsprechenden österreichischen Erklärung, in Brüssel sein Assoziationsgesuch begründet hat. Diese Erklärung basierte auf der Voraussetzung, daß für alle EFTA-Partner eine Lösung gefunden werde, wobei zuerst Großbritannien seine Zulassung zur EWG bewerkstelligen sollte, da eine EWG mit Großbritannien als Mitglied ein ausgeglicheneres Gebilde (Vermeidung des Übergewichts einzelner Mächte) mit einer anderen Integrationsphilosophie (liberalere Auffassungen) geworden wäre. Eine Verbindung mit der EWG in ihrer heutigen Form ist nicht dasselbe wie eine Verbindung mit einer EWG der 10 oder 13. Für die Schweiz wäre eine Assoziierung auch so noch schwer genug gewesen, denn sie hätte nicht nur wie die andern Neutralen Neutralitätsvorbehalte zu machen, sondern auch institutionelle Schwierigkeiten wegen ihres Föderalismus und der direkten Demokratie zu überwinden gehabt. Nach dem 14. Januar 1963 entstand eine neue Lage. Trotzdem haben wir das Assoziationsgesuch nicht zurückgezogen. Wir haben aber auch nichts getan, um es zu aktivieren. Diese Haltung wurde uns, vom Wirtschaftlichen her gesehen, erleichtert, weil die Diskriminierung durch die EWG von geringerer Wirkung war als erwartet und weil die Hochkonjunktur anhielt. Ja, man kann sich sogar fragen, ob nicht vom Gesichtspunkt der Konjunkturüberhitzung eine fühlbarere Diskriminierung erwünscht gewesen wäre. Jedenfalls kamen wir nicht in eine wirtschaftliche Zwangslage, so wenig übrigens wie Österreich. Dazu kommt, daß in der EWG ein innerer Widerspruch immer offenkundiger wird: sie möchte sich liberal geben, aber unter dem Zwang der gegenseitigen Interessen greift sie immer mehr zu protektionistischen Lösungen. Sie ist auch durch allerhand politische Probleme belastet: das ungelöste Deutschlandproblem, die unsichere innenpolitische Lage Italiens usw. Wir wissen, daß trotzdem eine Lösung für die Probleme, die sich für die Schweiz aus dem Bestehen der EWG stellen, gefunden werden muß, aber wir können sie heute noch nicht erkennen.
Sie wird abhängen von der weiteren Entwicklung und besonders vom Erfolg oder Mißerfolg der Kennedy-Runde. Sie wird sich aber immer an einige unverrückbare Grenzen halten wozu wir in erster Linie die Aufrechterhaltung der integralen bewaffneten Neutralität zählen, die am besten geeignet ist, unsere Unabhängigkeit zu erhalten. Es wird gesagt, unsere Neutralität sei überholt, weil wir von lauter unter sich befreundeten Nationen umgeben sind. Gewiß hat sie im europäischen Rahmen nicht mehr die gleiche Bedeutung wie früher. Dafür ist sie aber im weltweiten Rahmen wichtiger geworden. Die Stellung, die einst die schweizerische Neutralität in Europa einnahm, ist heute derjenigen der österreichischen Neutralität vergleichbar, da Österreich an einer Nahtstelle sitzt wie früher die Schweiz zwischen Frankreich, Deutschland und dem habsburgischen Reich. Europäisch gesehen ist heute die Neutralität Österreichs wichtiger als diejenige der Schweiz. Sie haben die schöne Mission eines vermittelnden Elementes zwischen Ost und West. Sie kennen die östliche Denkart besser als wir. Die österreichische Neutralität erhöht den Wert der schweizerischen Neutralität, und gibt ihr im europäischen Rahmen ihre volle Bedeutung. Wenn für die Schweiz die Neutralität Voraussetzung der Unabhängigkeit ist, so gilt das in noch viel stärkerern Maße für Österreich. Der österreichische Staatsvertrag und mit ihm die Neutralität sind das Ergebnis einer der wenigen echten und hoffentlich dauerhaften Verständigungen zwischen Ost und West.
Wir haben Erfahrungen mit der differentiellen Neutralität aus der Völkerbundszeit und diese sind nicht ermutigend. Wir sind deshalb entschlossen, an der integralen Neutralität festzuhalten und der Landesverteidigung weiterhin alle Aufmerksamkeit zu schenken, was auch immer dies für einen Kleinstaat an unvermeidlichen Opfern mit sich bringt.
In unserem Gesuch an die EWG dachten wir an eine Assoziation gemäß Artikel 238 des Römervertrages, ohne indessen andere Lösungen auszuschließen. Wir sind uns aber bewußt, daß jede institutionelle Lösung mit großen Schwierigkeiten und Gefahren, sowohl völkerrechtlicher als staatspolitischer Natur verbunden ist. Ein echtes Mitspracherecht wäre nur bei einem Vollbeitritt möglich. Die Assoziierten müssen die Regelungen der EWG mehr oder weniger unverändert übernehmen. Eine gewisse Satellisierung ist fast unvermeidlich. Sie wird das Vertrauen in die Neutralität schwächen.
Ungeklärt sind auch die Fragen der Überführung der Beschlüsse des Assoziationsrates ins Landesrecht (Ausschaltung des Parlaments, des Volkes und der Kantone?). Angesichts dieser Umstände ist unsere Haltung für die unmittelbare Zukunft diejenige des Abwartens, bis sich die Dinge klären. Das schließt indessen Gespräche mit der EWG über bestimmte Fragen wie Verkehrspolitik, Patentrecht, Zolldisparitäten nicht aus. Die österreichischen Bemühungen um eine generelle Regelung der Beziehungen mit der EWG verfolgen wir mit wachem Interesse und wir hoffen sehr, daß wir mit Ihnen in Fühlung bleiben können.

Herr Minister Kreisky: Wir haben seit jeher auf eine offene Darlegung Ihres Standpunktes großen Wert gelegt. Die Besprechungen unter den drei Neutralen über die Neutralitätserfordernisse waren für uns von hohem Interesse. In der Auffassung der Neutralität bestehen zwischen uns keine wesentlichen Meinungsverschiedenheiten. Größer schon sind vielleicht die Unterschiede in der öffentlichen Meinung der beiden Länder, weil im österreichischen Volke die Neutralitätsidee noch nicht so verankert ist wie im schweizerischen. Unter den vier Signaturmächten des Staatsvertrags bestehen verschiedene Grade der Zurückhaltung gegenüber einem österreichischen Arrangement mit der EWG. USA, Frankreich und Großbritannien sind der Ansicht, es komme wesentlich darauf an, wie die Sowjetunion reagiere. Die russische Haltung ist gleich negativ geblieben wie vor 2 Jahren, ja die russischen Bedenken haben sich heute noch verdichtet, was sich in den Gesprächen des österreichische Botschafters mit Mikoyan, Kossygin, Gromyko und Semjonow in letzter Zeit deutlich zeigte. Dabei macht Rußland keinen Unterschied zwischen Mitgliedschaft bei der EWG und andern Lösungen. Jede Annäherung an die EWG ist für Rußland eine Annäherung an die NATO. Da Deutschland in der EWG eine dominierende Rolle spiele, sei die Annäherung an die EWG nicht nur mit der Neutralität unvereinbar, sondern auch mit Artikel 4 des Staatsvertrages, der weder eine direkte noch indirekte, weder eine politische noch wirtschaftliche Angliederung Österreichs an Deutschland erlaubt. Rußland läßt durchblicken, daß es sich nicht mehr für an den Staatsvertrag gebunden halten werde, wenn Österreich seinen Bedenken nicht Rechnung trage. Die österreichische Antwort auf diese Vorstellungen geht dahin, daß Österreich keinen Vertrag mit der EWG schließen werde, der in Widerspruch zu seiner Neutralität und dem Staatsvertrag stehe. Die russischen Befürchtungen in dieser Hinsicht seien unbegründet.
Im übrigen sind wir der Meinung, daß es unsere Sache ist, die Grenzen zu bestimmen, die uns unsere Neutralität und der Staatsvertrag ziehen. Das Verhältnis zu den östlichen Nachbarn Österreichs hat in letzter Zeit erfreuliche Verbesserungen zu verzeichnen (erfolgreiche Vermögensverhandlungen mit Ungarn, wie schon früher mit Bulgarien und Rumänien). Österreich ist sich bewußt, daß die beiden neutralen Alpenrepubliken ein wichtiger Stabilisierungsfaktor in Europa sind. Auf seiten der EWG weiß man heute noch keineswegs, ob es überhaupt möglich sein werde, mit Österreich zu einem Vertrag zu kommen. Insbesondere kann man sich nur schwer institutionelle Lösungen denken, die unseren Wünschen entsprechen. Fest steht, daß, wie immer auch der Vertrag mit Österreich ausfällt, er nach Ansicht der EWG (Äußerungen von Spaak und Schröder) kein Präzedenzfall für andere Staaten sein soll. Ebenso steht fest, daß man in der EWG die Zugehörigkeit zu zwei Präferenzsystemen für undenkbar hält. Wir haben diese Auffassung der EWG zur Kenntnis genommen, haben aber keinerlei Zusagen über den Austritt aus der EFTA gemacht. Wir wollen zu dieser Frage nicht Stellung nehmen, bevor wir wissen, wie der Vertrag mit der EWG aussieht. Bei der Beurteilung unseres Vorgehens muß der speziellen Situation Österreichs, sowie dem Umstand Rechnung getragen werden, daß die Regierung aus zwei Parteien mit verschiedenen Ausgangspunkten besteht. Zu verschiedenen grundsätzlichen Fragen ist bisher noch keine eindeutige Stellungnahme der Regierung zustande gekommen, weder in unbedingter noch in bedingter Form. Deshalb haftet unserer Darstellung der heutigen Situation noch sehr viel Präliminäres an.

Herr Bundesrat Schaffner fragt, ob die Regierung die Auffassung teile, daß ein Vertrag sui generis zwischen EWG und Österreich sich aus dem besonderen Charakter der österreichischen Neutralität rechtfertige, welche im Gegensatz zur schweizerischen und schwedischen eine auferlegte Neutralität sei, von der sich Österreich nicht in freier Wahl lösen könne.

Herr Minister Kreisky verneint dies. Die österreichische Neutralität ist auf eine österreichische Initiative zurückzuführen. Sie ist nicht eine auferlegte Neutralität. Ein Vertrag sui generis bietet sich deshalb an, weil Österreich so weit in den Osten vorgeschoben ist (1200 km gemeinsame Grenze mit kommunistischen Ländern).

Herr Bundeskanzler Klaus: Beim Besuch in Brüssel ist das Wort von der auferlegten Neutralität nicht mehr gefallen, weder in den Gesprächen mit der belgischen Regierung noch in denjenigen mit der EWG. Der Grund für einen Vertrag besonderer Art liegt in Österreichs politischer und wirtschaftlicher Lage. Wir sind wirtschaftlich schwächer als Sie und werden durch die Diskriminierung der EWG stärker betroffen.

Herr Minister Kreisky: Wir sind nicht unglücklich über die italienische Assoziationsdoktrin. Wir stellen uns einen Vertrag vor, der zwischen einer Assoziation nach italienischer Doktrin und einem Handelsvertrag liegt.

Herr Bundeskanzler Klaus: Ein vielschichtiges Gefüge der EWG kann uns Neutralen nur sympathisch sein. Es kann darin jeder seinen Platz finden. Wir unterstreichen bei jeder Gelegenheit, daß die österreichische Neutralität ein Lebensfundament des Staates geworden ist. Diese einzigartige Stellung zwischen Ost und West wollen wir nicht verspielen. In der Regierungserklärung vom 2. April haben wir die Neutralitätsvorbehalte genannt. Nur bei der Sicherstellung der Versorgung haben wir uns etwas weniger deutlich als Sie ausgedrückt und die Garantie vor Überfremdung haben wir nicht genannt. Sie ist aber auch für uns wichtig und übrigens auch für die Russen (Beherrschung durch deutsches Kapital), so daß wir diesen Punkt noch näher prüfen werden.

Herr Bundesrat Wahlen: Wenn der Vertrag mit der EWG mehr als ein Handelsvertrag ist, stellt sich die Frage des Mitspracherechts. Wie soll ein solches wirksam werden? Ist es unwirksam, so ist die Neutralität gefährdet.

Herr Bundeskanzler Klaus: Diese Frage ist in dem Bericht der EWG-Kommission offen geblieben. Die Vorschläge der EWG-Juristen werden für uns wahrscheinlich unannehmbar sein. Wir haben sie nicht zurückgewiesen, sondern sie werden Gegenstand der Verhandlungen sein.

Herr Minister Kreisky: Neben dem Mitspracherecht Österreichs in Brüssel gibt uns auch das Problem der Umwandlung der Entscheide des Assoziationsrates in österreichisches Recht viel Kopfzerbrechen. Auf diese konstitutionelle Frage wird es als Antwort kaum eine einfache Formel geben. Was die Einstellung der Russen betrifft, so mag ihre Argumentation hart erscheinen. Wir glauben aber nicht, daß sie nach Gründen suchen, um mit uns zu brechen. Ihre Befürchtungen sind echt. Wir unsererseits müssen versuchen, sie von unserem Standpunkt zu überzeugen. Wir steuern nicht auf einen Konflikt mit Rußland hin, aber wir können den Russen auch nicht einfach nachgeben. Ein gutes Verhältnis zu Österreich ist für die Russen sehr wichtig. Wir sind gewissermaßen ihr liebstes Kind.

Herr Bundesrat Schaffner: Wie beurteilen Sie die seinerzeit in London vereinbarte EFTA-Solidarität? Wir brachten damals Großbritannien dazu, auch die Interessen der kleinen Partner zu berücksichtigen. Die britische Presse hat damals die britische Regierung heftig kritisiert, daß sie auch noch die Sorgen der Neutralen zu den ihren mache. Die EFTA ist zwar kein Gefängnis; man kann aus ihr austreten. Aber dann kann man die Solidarität der andern nicht mehr für sich beanspruchen.

Herr Bundeskanzler Klaus: Wir haben uns damals auf den gleichen Weg zum gleichen Ziel gemacht. Wir haben uns an die Abmachungen gehalten. Wir haben beide in Brüssel das Gesuch um Assoziation gestellt. Als wir dieses Gesuch weiter verfolgten, haben wir dies in ständiger Fühlung mit unseren EFTA-Partnern getan. Unsere Schritte ergeben nun gewisse Möglichkeiten. Es ist nur logisch, daß wir sie weiter verfolgen und in Verhandlungen zu konkretisieren versuchen. Es werden dabei keine eindeutigen Lösungen herausschauen. Zudem wird es eine Reihe von Übergangslösungen geben müssen. Wenn wir diesen Weg wählen, so deshalb, weil wir es der Bevölkerung und der Wirtschaft schuldig sind, sie vor Diskriminierung zu schützen. Der Diskriminierungseffekt wurde für letztes Jahr auf 863 Millionen Schilling geschätzt. Er würde sich bis zum vollständigen Abbau der EWG-internen Zölle noch verdoppeln. Wir können nicht wie Sie zuwarten, weil die österreichische Wirtschaft Klarheit wünscht, wohin der Weg geht. Manche Firmen müßten sich umstellen, wenn sie wüßten, daß die gewünschte Verbindung zur EWG nicht zustande kommt.

Herr Bundesrat Schaffner: Bedeutet der Londoner pledge für Österreich, daß es mit der Inkraftsetzung seines allfälligen Arrangements mit der EWG wartet, bis die legitimen Interessen der EFTA-Partner Berücksichtigung gefunden haben? Das jedenfalls ist der Sinn der Londoner Erklärung: einzelne EFTA-Mitglieder können schneller vorgehen, sollen dann aber warten, bis die andern ebenfalls eine Verständigung erzielt haben.

Herr Bundeskanzler Klaus: Wir würden in Loyalität gegenüber und im Einvernehmen mit unseren EFTA-Partnern beitreten.

Herr Minister Kreisky: Es ist zutreffend, daß Österreich am Zustandekommen der Beschlüsse von Genf und London mitgewirkt hat und durch diese Beschlüsse ebenfalls gebunden ist. Wir haben bisher nichts getan, was mit ihnen in Widerspruch stehen und die Solidarität verletzen würde. Die EFTA-Partner wurden über alle unsere Schritte orientiert und haben von unserem Vorgehen Kenntnis genommen. Sollte eine Verständigung Österreichs mit der EWG ins Stadium der Realisierung gelangen, müßten Verhandlungen mit den EFTA-Partnern aufgenommen werden, um auch innerhalb der EFTA zu einer Einigung zu kommen. Ehrlicherweise kann nicht behauptet werden, daß die österreichischen Verhandlungen in Brüssel für die anderen EFTA-Länder einen Pioniercharakter haben, da es dabei eben, nach ausdrücklichem Wunsch der EWG, um einen Vertrag sui generis geht, der somit keinen Präzedenzfall darstellen würde. Trotzdem könnte eine Lösung mit Österreich nicht ohne Beispielsfolgen bleiben, insbesondere für die übrigen Neutralen.

Herr Botschafter Stopper: Die seinerzeit hinsichtlich der Neutralitätsvorbehalte unter den Neutralen festgelegte Linie wurde, so viel wir feststellen konnten, von allen drei Neutralen befolgt. Es kommt nun aber noch darauf an, welchen Gebrauch man von diesen Vorbehalten machen, was für einen Inhalt man ihnen geben will. Die Dinge haben sich gegenüber der Zeit vor zwei Jahren grundsätzlich geändert. Wir sind damals davon ausgegangen, daß die EWG durch den Anschluß neuer Mitglieder und Assoziierter eine neue Gemeinschaft werde, sehr viel liberaler und weniger zentralistisch, mit nur einem Minimum von verbindlichen Beschlüssen Brüssels.
Diese Erwartungen haben sich nicht verwirklicht. Die protektionistische Politik der EWG führt zu Konflikten mit den außerhalb der EWG stehenden Ländern, in die der neutrale Assoziierte Gefahr laufen würde hineingezogen zu werden. Er müßte eine Unmasse von Beschlüssen übernehmen und zwar ohne einen angemessenen Einfluß auf ihr Zustandekommen zu haben. Wenn er Beschlüsse nicht übernehmen will, so drohen ihm kompensatorische Maßnahmen. In den österreichischen Sondierungsgesprächen in Brüssel soll sich Österreich fast auf der ganzen Linie mit einer praktisch vollständigen Harmonisierung einverstanden erklärt haben. Eine Ausnahme bildet lediglich die Beibehaltung des status quo im Osthandel. Bei einer so weitgehenden Harmonisierung insbesondere der Außentarife scheidet Österreich praktisch als internationaler Handelspartner aus, obwohl eine unabhängige Handelspolitik für einen Neutralen wesentlich ist. Wenn, abgesehen vom Osten, keine Möglichkeit mehr besteht, mit andern Staaten besondere Handelsverhältnisse zu unterhalten, so kommt dies einem Zollanschluß an die EWG gleich und es ergibt sich für die Aufrechterhaltung der Neutralität eine wenig günstige Lage. Würde die EWG ausgeweitet, so wären die Risiken wesentlich geringer. Insbesondere wäre der allfällige Druck mit kompensatorischen Maßnahmen, wenn der Neutrale die EWG-Beschlüsse nicht übernehmen möchte, geringer. Er würde wohl nur in einigen extremen Fällen in Erscheinung treten. Leider lassen sich keine formalen Konstruktionen finden, die diese Probleme lösen würden. Sobald man die Neutralitätsvorbehalte ausnützen will, läuft man die Gefahr neuer Diskriminierungen. Es stellt sich somit die Frage, ob noch ein genügender Spielraum für die Weiterführung einer Neutralitätspolitik bestehen wird.
Abgesehen von den Folgen für die Neutralitätspolitik ist aber auch an verschiedene wirtschaftliche Folgen einer Annäherung an die EWG zu denken. Die Gefahr der Überfremdung ist für Österreich viel größer als für die Schweiz. Österreich würde sich beim isolierten Anschluß an die EWG sehr bald einer verschärften Konkurrenz der mit größeren Serien arbeitenden EWG-Industrie ausgesetzt sehen. Dazu käme die Beeinträchtigung des Exportes nach den EFTA-Märkten. Die Folgen wären ein Druck auf den Ertrag der österreichischen Industrie, was zweifellos auch das österreichische Lohnniveau ungünstig beeinflussen könnte, während umgekehrt der gemeinsame Markt als Folge der strukturellen Produktionsverbesserungen (Produktivitätssteigerung) die Tendenz zu substantiellen Lohnsteigerungen hat.
Diese Lohndiskrepanz würde Österreich als ein interessantes Gebiet für Niederlassungen großer EWG-Firmen erscheinen lassen. Diese würden österreichische Firmen zu relativ hohen Preisen aufkaufen, um das niedrigere österreichische Lohnniveau auszunutzen. Im Falle einer gesamteuropäischen Lösung wäre diese Gefahr sehr viel kleiner, denn der Expansionsraum wäre größer.
Nicht zu unterschätzen ist auch das größere Risiko der Inflationsbeschleunigung. Die EWG ist in geringerem Maße als es früher ihre Mitgliedstaaten waren, auf den internationalen Handel angewiesen. Sie ist deshalb weniger gezwungen, die Inflation aus Zahlungsbilanzgründen zu bremsen. Von der gemeinsamen Zollmauer geschützt, richtet sich der Ausbau des Handels nach innen. Österreich würde in den Sog dieser Entwicklung hineingerissen und würde immer abhängiger von der EWG. Das wichtigste Gegenmittel ist der Abbau der Zölle, der aber wohl nur bei einer gesamteuropäischen Lösung gegeben wäre.
Das Argument zugunsten der Annäherung an die EWG, wonach Österreichs Lage schwieriger sei als diejenige der Schweiz, wirkt wenig überzeugend. Zwar liegt der Anteil der EWG am österreichischen Export etwas höher (50% gegenüber 43%), aber Österreich ist der Diskriminierungsgefahr weniger ausgesetzt als die Schweiz, nicht nur wegen der Verschiedenheit der Exportprodukte, sondern auch wegen der Verschiedenheit in der Arbeitsmarktsituation. Die Schweiz muß der Lohn-Hausse in der EWG wegen der großen Fremdarbeiterzahl folgen, ohne von den Vorteilen zu profitieren, welche diese Hausse ausgelöst hat. Der österreichische Arbeitsmarkt dagegen ist autonom und kann den negativen Effekt der Diskriminierung durch eine langsamere Hausse auffangen. Setzen wir den österreichischen Erlös aus der Außenwirtschaft mit 100 ein, so entfallen etwa 20 auf die unsichtbaren Exporte. Vom Rest kommt die Hälfte, d.h. 40, aus der EWG. 60% davon, d.h. 24 Einheiten werden nicht oder unbedeutend diskriminiert; es bleiben 16. Nimmt man an, daß 30% dieses Exportes infolge der Diskriminierung verloren gehen, so macht das noch 5% vom Gesamterlös aus. Dies dürfte umso eher tragbar sein, als ja der Export nach der EFTA zunimmt (bisher von 12 auf 18% der Gesamtausfuhr Österreichs; kein einziges Land hat seinen Export in die EFTA so steigern können wie Österreich).
Es ist zu befürchten, daß die schweizerisch/österreichischen Wirtschaftsbeziehungen unter der Annäherung Österreichs an die EWG und der dieser vorangehenden Unsicherheit leiden. Die Zukunft der österreichischen Orientierung scheint nicht klar. Zu häufige Umstellungen (zuerst EFTA-Orientierung, dann EWG-Orientierung, später vielleicht gesamteuropäische Lösung) sind den wirtschaftlichen Beziehungen nicht förderlich. Es entstehen auf beiden Seiten Investitionsverluste. Bei einem Festhalten am EFTA-Kurs wären noch große Möglichkeiten einer Steigerung der Beziehungen vorhanden, insbesondere auf dem Gebiet der finanziellen Zusammenarbeit.

Herr Bundeskanzler Klaus verweist auf die Untersuchungen des österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung über den Diskriminierungseffekt. Wir können nicht auf 5-6% unseres Exportes nach der EWG verzichten, Österreich ist ein Holzland. 70-80% des Holzexportes geht nach der EWG. Der Export stagniert. Die Landwirtschaft ist mit ihren konkurrenzfähigen Preisen sehr an der Annäherung an die EWG interessiert. Im Inland bestehen keine Möglichkeiten der Ausdehnung ihres Absatzes. Auch der Fremdenverkehr kommt zu 80% aus der EWG. Die Schweiz steht viel stärker da als wir. Ihr Bruttonationalprodukt ist in den letzten Jahren um 10% jährlich gestiegen, das unsere nur um 4%. Die Spareinlagen pro Kopf der Bevölkerung sind 5 mal so groß wie bei uns. Die schweizerischen Exporte sind von 1962 auf 1963 um 10% gestiegen, die unsrigen nur um die Hälfte davon. Wohl haben wir große Fortschritte zu verzeichnen, aber die Ausgangsposition war 1945 fast null. Die Löhne steigen bei uns ungefähr 10% im Jahr wie in der Schweiz und zwar ebenfalls unabhängig von der Steigerung der Produktivität. Unser Arbeitsmarkt ist nicht ausgelastet. In einzelnen Branchen haben auch wir Arbeitermangel (Baugewerbe, Fremdenverkehr). Im Jahrbuch der Neuen Helvetischen Gesellschaft wird in den Abschnitten über die schweizerische Industrie dargetan, daß der Diskriminierungseffekt der EWG nicht etwa geringer ist als erwartet worden war. Die Schweiz kann sich ein Abwarten auch deshalb eher leisten als Österreich, weil sie faktisch weit mehr integriert ist. Der Kapitalverkehr z.B. ist für sie kein Problem. Wir wollen keineswegs nur auf die EWG-Karte setzen. Wir wollen bloß unseren Handel mit ihr aufrecht erhalten.
Um den Handel mit unseren andern Partnern werden wir weiterhin bemüht sein, auch um denjenigen mit den Oststaaten. Ihre Hinweise auf die Überfremdungsgefahr haben uns sehr interessiert. Auch die Fragen der Arbeitskräfte und der Niederlassungen werden wir aufmerksam studieren. Österreich muß sich fragen, was für eine Alternative es hat. Da wir nicht abwarten können, müssen wir die Auseinandersetzung mit der EWG suchen. Wir wissen keineswegs, ob wir mit unsern Vorbehalten durchkommen. Wir werden vorsichtig vorgehen und wenn nötig auch den Mut haben, den Versuch nicht weiterzuverfolgen. Eine gesamteuropäische Lösung bleibt nach wie vor auch unser Ziel. Wir bitten, unsere Lage zu verstehen und mit uns in Informationsverbindung zu bleiben.

Herr Bundesrat Wahlen: Ihre heutigen Äußerungen bestätigen mir erneut, daß eine der größten nationalen Tugenden Österreichs die Bescheidenheit ist. Was Österreich alles seit Kriegsende zustande gebracht hat, ist eine überragende Leistung. Österreich ist von Natur aus ein reicheres Land als die Schweiz. Was es im Gegensatz zur Schweiz nicht hatte, ist eine stetige, durch keinen Krieg gestörte Entwicklung. Österreich ist leistungsfähiger als es selber glaubt und braucht seiner Entwicklung nicht mit einem Pessimismus entgegenzusehen, der zu allzu großen Konzessionen Anlaß geben könnte.

Herr Minister Kreisky teilt diese Auffassung, Wir unterschätzen unsere Ressourcen nicht. Trotzdem gehört Herr Minister Kreisky zu denen, welche die Notwendigkeit eines Arrangements mit der EWG vertreten. Ein großer Teil der Öffentlichkeit in Österreich denkt so wie der Bundeskanzler. Wenn es sich irgendwie politisch vertreten läßt, sind wir bereit und entschlossen, die Möglichkeiten einer Annäherung an die EWG auszuschöpfen. Die Größe der Inflationsgefahr in der EWG wird von uns erkannt. Wir prüfen alles sehr genau. Obwohl wir billigere Arbeitskräfte haben, produzieren wir teurer wegen der höheren Geldkosten und können deshalb die Diskriminierung weniger gut verarbeiten.

Herr Bundesrat Tschudi bedauert, daß die hochinteressante Aussprache aus zeitlichen Gründen nicht weitergeführt werden kann. Es gäbe wohl noch viel zu sagen, wenn man die beiden Volkswirtschaften vergleicht. So wurde z.B. die stärkere Verschuldung der schweizerischen Landwirtschaft nicht genannt. Die Hauptsache ist, daß beide Teile füreinander viel Verständnis aufbringen. Dies möge auch weiterhin der Fall sein.

Herr Bundeskanzler Klaus erinnert daran, daß das Integrationsthema in den Händen von Minister Bock liegt. Wir sind fest entschlossen, innerhalb der Neutralitätsvorbehalte zu bleiben. Herr Bundeskanzler Klaus dankt für die Offenheit der Aussprache. Es ist gut, wenn Nachbarn nicht nur über den Zaun reden, sondern manchmal zusammensitzen. Wir sind bereit, dies auch in Zukunft zu tun.

Der Protokollführer:

R. Pestalozzi

Quelle: SBKA, Bestand Integration, Box 1274.


Dokument 12

Schreiben des BMfHW an das Büro des Herrn BMfAA mit Beilage "Gedächtnisnotiz über einen Besuch von Bundesminister Dr. Fritz Bock bei Präsident Hallstein vom 30.4.1965, 11.5.1965

1) Bundesminister Dr. Bock gab seiner Freude Ausdruck, daß Österreich nunmehr in offiziellen Verhandlungen mit der Kommission in der EWG befinde und dankte dem Präsidenten für alle Mühe, die er und die Kommission sich gegeben haben, um dieses Ziel zu erreichen. Er wisse, daß die Bemühungen über das gewöhnliche Maß hinausgehe und daß vor allem durch den persönlichen Einsatz des Präsidenten das Mandat erreicht werden konnte. Der Präsident erwiderte, daß er nur pflichtgemäß gehandelt habe, diese Pflicht aber im speziellen Fall ihm auch ein Herzenswunsch gewesen sei und daß nunmehr, wo die Verhandlungen im Zuge seien, auch an einem guten Ausgang nicht mehr zu zweifeln wäre.

2) Bundesminister Dr. Bock brachte vor, daß eine der wesentlichsten Bedingungen für den Vertragsabschluß österreichischerseits die Erhaltung der Treaty Making Power wäre. Die Vertragshoheit ist eine der wesentlichen Folgerungen der Neutralität und daher wäre dieses österreichische Petit unabdingbar, aber auch aus politischen Gründen gegenüber der Sowjet-Union von besonderer Bedeutung. Man müsse diese Bedingung im Vertrag auch festhalten, wobei das Osthandelsproblem darunter zu subsumieren wäre. Es ist hierbei selbstverständlich, daß Österreich von seiner Vertragshoheit nicht illimitiert Gebrauch machen werde, sondern nur in jenem Ausmaß, das die Aufrechterhaltung des österreichischen Osthandels und seine Entwicklung sicherstellt. Bundesminister Dr. Bock wies besonders darauf hin, die Ziffern von 1963 beweisen, daß der österreichische Osthandel qualitativ und quantitativ gegenüber den Handelsquantitäten der EWG eine echte "quantité négligeable" gegenüber den Handelsquantitäten der EWG [sic!] darstelle. Präsident Hallstein zeigte Verständnis für diese Auffassung und meinte, daß man eine juridische Form finden müsse, die diesen Bedingungen Rechnung trage. Er verwies darauf, daß insbesondere die deutschen Juristen schon bisher streng zwischen der Vertragshoheit und ihrer Anwendung unterschieden haben.

Diese Auffassung ist allerdings bisher von französischer Seite noch nicht geteilt worden, er werde sich daher bemühen, diesbezügliche Vorschläge von deutschen Juristen ausarbeiten zu lassen und hat hierbei insbesondere auf den bekannten deutschen Völkerrechtler Ophüls, mit dem er diesbezüglich die besten Erfahrungen gemacht hat, hingewiesen.

3) Bundesminister Dr. Bock stellte sodann unter Hinweis auf die Nachrichten über eine verstärkte britische Aktivität bezüglich der Wiederaufnahme von Annäherungsversuchen zwischen EWG und EFTA an Präsident Hallstein die Frage, ob er diesbezüglich über Informationen verfüge und welche Chancen er gegenwärtig solchen allfälligen Initiativen zumuten könne. Präsident Hallstein antwortete darauf, daß ihm von solchen Initiativen nur die in der Presse verlautbarten Meldungen bekannt sei, er persönlich aber nicht glaube, daß die Möglichkeit für realisierbare Vorschläge überhaupt bestünde. Er glaube auch nicht, daß in dem Gespräch zwischen Präsident De Gaulle und Premierminister Wilson diesbezüglich irgendwelche konkrete Vorschläge gemacht worden seien; er werde aber bemüht sein, darüber und über die Gespräche in Chequers allfällige Informationen zu erhalten, die er Botschafter Dr. Lemberger sofort weitergeben würde.

Bundesminister Dr. Bock wies ferner darauf hin, daß nach im Augenblick vorliegenden Meldungen auf der bevorstehenden Wiener EFTA-Konferenz unter Umständen britische Vorschläge erwartet werden könnten und meinte, daß Österreich sich natürlich an Initiativen, die sich die Regelung gesamteuropäischer Integrationsprobleme zum Ziele setzen, nach wie vor beteiligen würde, wenn tatsächlich reale Chancen hiefür gegeben wären, worauf Präsident Hallstein erklärte, daß die Teilnahme Österreichs auf solchen Initiativen, wenn diesen wirklich realer Wert zugemessen werden kann, auch nach seiner Meinung schon deshalb selbstverständlich sei, weil Österreich auf bilateraler Ebene verhandle und daher alle derartigen Initiativen nur unterstützen könne.

4) Bundesminister Dr. Bock warf die Frage auf, ob zweckmäßigerweise ein Antrag auf Beginn von Verhandlungen bei der Hohen Behörde in Luxemburg gestellt werden sollte und verwies darauf, daß sich deren Präsident Del Bo, in äußerst hilfsbereiter Weise gegenüber den österreichischen Belangen verhalten habe. Präsident Hallstein antwortete, daß man selbstverständlich jede Initiative, die von Del Bo diesbezüglich ausgeht begrüßen sollte, daß es jedoch kaum sinnvoll wäre, die Verhandlungen mit einer Behörde zu beginnen, deren Lebensdauer nur mehr auf 7 Monate geschätzt werden kann.

Quelle: SBKA, Bestand Integration, Box 1267.


Dokument 13

Amtsvermerk Tursky, Österreichische Botschaft Bern "Österreichs Verhandlungen mit der EWG; Äußerungen eines leitenden Schweizer Funktionärs", 15.2.1967

Von den Ausführungen von Botschafter Dr. Jolles, Direktor der Handelsabteilung des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements bei einem "Abendessen" anläßlich der Anwesenheit Hofrat Wessely's von der Bundeswirtschaftskammer, bei welchem Fragen der europäischen Integration besprochen wurden, wäre folgendes festzuhalten:

Botschafter Jolles beklagte sich über die mangelnde Information der Schweiz durch die österreichischen Stellen über die österreichischen Verhandlungen zwecks Erreichung eines Arrangements mit der EWG. Dies sei umso bedauerlicher, als in dieser Frage seinerzeit ein enger Kontakt bestanden habe, der insbesondere zur gemeinsamen Erarbeitung der Neutralitätsvorbehalte geführt habe. Botschafter Jolles machte auch im weiteren Verlauf der zwanglosen Diskussion verschiedene bittere Bemerkungen über die mangelnde Informierung der Schweizer Behörden durch Österreich, welche ihn offenbar ziemlich verstimmt. Auf die Bemerkung eines Diskussionsteilnehmers, Österreich hole sozusagen bei seinen EWG-Verhandlungen die Kastanien für die anderen EFTA-Mitglieder, insbesondere die Schweiz, aus dem Feuer, sagte er, dann solle man jenen, für die man angeblich die Kastanien aus dem Feuer hole, auch erzählen, was man tue.

Er halte es für fehlerhaft, daß Österreich jetzt schon bei der Kommission der EWG über den Zollaufbau gegenüber der EFTA spreche. Österreich gebe so eine wertvolle Karte für die Verhandlungen vorzeitig aus der Hand. Überhaupt sei er der Meinung, daß frühzeitige Gewährung von Konzessionen taktisch verfehlt sei. Es bedeute übrigens einen Widerspruch, wenn die EWG bzw. zumindest fünf ihrer Mitglieder einerseits angeblich bereit seien, Großbritannien und in dessen Nachfolge andere EFTA-Staaten in die EWG aufzunehmen (oder sie mit ihr zu assoziieren), andererseits aber von dem als erstes Land auftretenden Österreich den Austritt aus der EFTA verlange.

Schweizerischerseits sei man der Auffassung, daß Österreich sich in manchen Punkten nicht an die gemeinsam erarbeiteten Neutralitätserfordernisse halte. Übrigens seien diese auch seinerzeit unter der Hypothese des gemeinsamen Vorgehens gegenüber der EWG verfaßt worden, eine Arbeitshypothese, die sich dann nicht bewahrheitet hat. Durch das selbständige Vorgehen Österreichs würden allfällige künftige Verhandlungen der beiden anderen Neutralen jedenfalls präjudiziert. Jolles bestritt ausdrücklich, daß schweizerseits anläßlich der letzten offiziellen Kontakte eingeräumt worden sei, Österreich habe sich in seinen Verhandlungen mit der EWG-Kommission bisher im Rahmen der Neutralitätserfordernisse gehalten.

Auf eine diesbezügliche Bemerkung eines Diskussionsteilnehmers erklärte er, die EFTA sei nur dann tot, wenn ihre Mitglieder sie für tot erklären. Eine solche negative Haltung wäre jedoch ein Fehler.

Die Haltung Frankreichs gegenüber dem EWG-Beitritt Großbritanniens sei nach den in der Schweiz vorliegenden Informationen vorsichtig und zurückhaltend, ohne daß jedoch Frankreich die Türen zuschlagen wolle.

Bern, den 15. Februar 1967

Tursky m.p.

Quelle: ÖStA, AdR, BMfHGI, Sektion II, Karton 7484, AV 63.378-I/4/67 (60.003/67).


Dokument 14

Weisung des Bundesministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie an die Österreichischen Botschaften Paris, Den Haag, Brüssel und Luxemburg, 4.7.1967

Die italienische Regierung hat durch ihren Vertreter im EGKS-Ministerrat am 29. Juni sowie durch ihren ständigen Vertreter im Ausschuß der ständigen Vertreter in Brüssel am 28. Juni Erklärungen abgeben lassen, denen zufolge sie sich dem Beginn von Verhandlungen und präliminaren Kontakten zwischen der EGKS und der Bundesregierung so lange widersetze, bis sie imstande sein wird, festzustellen, daß das österreichische Hoheitsgebiet nicht für die Organisation von Terrorakten auf italienischem Hoheitsgebiet und als Zufluchtsstätte für die Terroristen gebraucht werde.

Die italienische Regierung hat ihre Berechtigung zu dieser Stellungnahme, welche ein Junktim zwischen dem politischen Problem Südtirols und den österreischischen Vertragsbemühungen an EGKS-Sektor [sic!] herstellt, aus den Bestimmungen des Vertrages von Paris abgeleitet, welche ihr zu dieser Stellungnahme das Recht gäbe.

Außenminister Brandt hat dem Herrn Vizekanzler Dr. Bock in Bonn gestern, Montag, den 3. Juli erklärt, daß er zwar der Ansicht sei, diese offizielle Erklärung der italienischen Regierung beim letzten EGKS-Ministerrat, sei durch das Aufhören des Bestehens dieses Ministerrates untergegangen. Diese italienische Haltung werde jedoch anläßlich des EWG-Ministerrats vom 10. und 11. Juli in Brüssel, dessen Vorsitz er innehat, Gegenstand von Erörterungen zwischen den einzelnen Außenministern sein. Herr Brandt hat im übrigen auch der Stellungnahme des Herrn Vizekanzlers beigepflichtet, derzufolge eine Junktimierung des Südtirolproblems mit den Bemühungen Österreichs um Regelung seiner Beziehungen zur EGKS oder auch zu den Verhandlungen Österreichs mit der EWG nicht gerechtfertigt sei.

Wollen Sie daher den zuständigen Stellen im do. Außenamt die Auffassung der Bundesregierung zur Kenntnis bringen, daß es ihr ungerechtfertigt erscheint, ihre Bemühungen um einen Vertrag zur Regelung der wirtschaftlichen Beziehungen mit den beiden Gemeinschaften mit der Regelung des Südtirolproblems in Zusammenhang zu bringen, so bedauerlich auch die letzten teilweisen noch ungeklärten Vorfälle an der österreichisch-italienischen Grenze sind, und so sehr sie sich auch von dem bekannten Urteil des Linzer Geschworenengerichts distanziert, worin ihr im übrigen die gesamte österreichische öffentliche Meinung gefolgt ist.

Wollen Sie anläßlich ihrer Vorsprache im do. Außenamt das Ersuchen aussprechen, daß der Vertreter der do. Regierung beim EWG-Ministerrat der nächsten Woche, die von Italien eingenommene Junktimierung als nicht gerechtfertigt ablehnen möge. In diesem Zusammenhang könnten sie nach ihrem Ermessen auch darauf hinweisen, daß die Bundesregierung die Junktimierung eines Wirtschaftsvertrages zwischen Österreich und der EWG sowie der EGKS mit aus dem Inhalt des Pariser- bzw. Römer-Vertrages Italien zustehenden politischen Rechten auch aus grundsätzlichen und optischen Gründen als äußerst bedenklich erachtet.

Handelsministerium

Quelle: ÖStA, AdR, BMfHGI, Sektion II, Karton 7484, AV 70.255-I/4/67 (60.003/67).