Suche:

11.6.1959: Otto Winzer (Genf) an Walter Ulbricht


11.6.1959: Otto Winzer (Genf) an Walter Ulbricht

Die Unterredung H e r t e r mit Genossen G r o m y k o dauerte 1 1/2 Stunden. Sie läßt sich in vier Punkte zusammenfassen:

1. Herter erklärte, er sei in höchster Erregung darüber, daß die sowjetischen Vorschläge wie ein Ultimatum wirken. Sorin habe in der Pressekonferenz erklärt, sie seien kein Ultimatum oder Diktat. Er möchte das von Gromyko bestätigt haben. Gromyko antwortete, er habe schon in der inoffiziellen Sitzung den Vorwurf des Ultimatums zurückgewiesen. Es handele sich um unsere Stellungnahme, die ebenso für die Verhandlung bestimmt ist, wie ihre, Herter fragte, ob man das der Presse mitteilen könne, was Gromyko bejahte.

2. Eisenhower habe Herter den Auftrag gegeben, hier von Genf die Gipfelkonferenz vorzubereiten. Nach diesen sowjetischen Vorschlägen habe er die Befürchtung, daß es zu keiner Gipfelkonferenz komme, wenn keine Verständigung erfolge. Gromyko antwortete, die Gipfelkonferenz sei kein Handelsobjekt. An ihr ist nicht nur die Sowjetunion, sondern sind alle Beteiligten interessiert.
Ein Junktim zwischen dem Ausgang der Außenministerkonferenz und dem Zustandekommen der Gipfelkonferenz könne nicht anerkannt werden. Wer Hindernisse auf dem Wege zur Gipfelkonferenz errichtet, habe die Verantwortung dafür zu tragen.
Herters Äußerungen zu dieser Frage waren ein offenkundiger Versuch der Erpressung.

3. Die Vorschläge wären nicht annehmbar. Sie enthielten eine ultimative Frist für die Liquidierung ihres Besatzungsregimes in Westberlin.
Gromyko antwortete, nachdem von unserer Seite bereits drei Varianten vorgelegt wurden, seien die neuen Vorschläge gewissermaßen die vierte Variante.
Herter erklärtete, auch sie wollen nicht ewig in Westberlin bleiben. Sie wollen eine für sie akzeptable zeitweilige Lösung. Mögen die beiden deutschen Staaten nebeneinander bestehen. Für Westberlin müßte man dann einen zeitweiligen provisorischen Status finden, um die Verhandlungen über die Wiedervereinigung zum Erfolg zu führen. Bleibe der Erfolg aus, so müsse man von neuem verhandeln. Diese Gedanken würden nicht sehr klar geäußert, aber Herter schien damit eine Lösung andeuten zu wollen.

4. Die Konferenz solle fortgesetzt werden, bis eine Verständigung gefunden wird. Zu diesem Zwecke schlug Herter weitere Besprechungen zwischen ihm und Gromyko am Sonnabend und Sonntag, evtl. auch Montagvormittag vor.

Lloyd und Murville fahren Freitagmittag in ihre Hauptstädte. Nach ihrer Rückkehr wolle Herter sie informieren, so daß etwa Mitte der Woche die Konferenz beendet werden könne.
Zu einer Verständigung über die Termine dieser zweiseitigen Verhandlungen kam es noch nicht.
Zusammenfassend kann man sagen, sie fürchten einen Abbruch der Konferenz und wollen um eine für sie zufriedenstellende Lösung schachern. Nachdem sie Lärm gemachten haben und mit dem Abbruch der Konferenz gedroht haben, suchen sie jetzt zu beruhigen und zwar möglichst so, daß sie sagen können, unter Herters Druck habe Gromyko nachgegeben.
Nach Erhalt heutiger Westpresse scheint uns besonders wichtig, der Verfälschung unserer Vorschläge entgegen zutreten und besonders nach Westdeutschland ihren Wortlaut zu verbreiten.
Die USA-Delegation verteilt neben einer Broschüre über unsere Nationale Volksarmee jetzt auch eine Broschüre mit ihren sogenannten Friedensplan.
Uns scheint zweckmäßig, die schnelle Herausgabe einer Broschüre zu veranlassen, die evtl. Walters Stellungnahme zur Genfer Konferenz der vier Außenminister, die Reden von Dr. Bolz und evtl. einige Interviews von uns enthalten könnte.
Bisher verteilen wir hier an die Delegationen den abgezogenen Text unserer Reden auf der Konferenz.
Winzer

(SAPMO-BArch, DY 30/NL90/464)