Suche:

14.12.1963: Gespräch zwischen Bruno Kreisky und Giuseppe Saragat in Paris

Verschluß

1.

Über Einladung Außenminister Saragats fand am 14. d. M. ein Gespräch zwischen diesem und Bundesminister Dr. Kreisky im Hotel Rafael in Paris statt. Von italienischer Seite wohnten der Besprechung die Botschafter Fornari und Toscano, von österreichischer Seite Gesandter Waldheim bei. Nach einigen Bemerkungen allgemeiner Natur brachte Bundesminister Kreisky das Interesse Österreichs an einer engeren Zusammenarbeit mit Italien auf den verschiedensten Gebieten zum Ausdruck und stellte die Frage, welche weiteren Schritte italienischerseits in der Südtirolfrage geplant sind.

Außenminister Saragat erklärte, daß man um eine möglichst baldige Vorlage des Berichtes der Neunzehnerkommission bemüht sein werde, worauf die italienische Regierung unverzüglich die Überprüfung dieses Berichtes vornehmen werde. Man hoffe in Rom, daß es möglich sein werde, auf der Basis der Ergebnisse der Neunzehnerkommission eine "globale" und "vollständige" Regelung der Südtirolfrage zu erzielen. Keine andere italienische Regierung werde mehr als die derzeitige bereit sein, das Südtirolproblem durch entsprechend großzügige Konzessionen, die bei weitem über das Pariser Abkommen hinausgehen, zu bereinigen. Damit müsse aber das Problem wirklich geregelt werden.

In prozeduraler Hinsicht schlage er vor, daß die maßgebenden Funktionäre der beiden Außenämter vor dem nächsten Außenministertreffen zu Beratungen zusammenkommen, um die notwendigen Detailfragen zu besprechen. Es sei nur zu hoffen, daß der Mailänder Prozeß die so fruchtbar begonnene Zusammenarbeit nicht stören werde.

Bundesminister Kreisky erklärte, daß er mit der von Saragat vorgeschlagenen Vorgangsweise durchaus einverstanden sei. Was das Ergebnis der Neunzehnerkommission betreffe, so sei es derzeit schwierig, die Haltung der Südtiroler vorauszusehen. Es bleibe zu hoffen, daß sich die gemäßigte Richtung durchsetzen werde, doch müsse der Parteikongreß der SVP im Feber 1964 abgewartet werden, dem die diesbezügliche Beschlußfassung vorbehalten sei. Magnago habe es jedenfalls nicht leicht, da immer noch gewisse Ressentiments bestehen.

Saragat verwies auf die Wichtigkeit, die Situation ruhig zu halten und weitere Bombenanschläge zu vermeiden.

Bundesminister Kreisky erklärte, daß das Zentrum der Terroristenbewegung nicht in Österreich liege und man österreichischerseits jedenfalls alle Maßnahmen an der Grenze getroffen habe, um weitere Infiltrationen zu verhindern. Innenminister Olah sei diesbezüglich sehr energisch vorgegangen.

Saragat nahm diese Mitteilung mit Befriedigung zur Kenntnis.

Bundesminister Kreisky kam sodann wieder auf den Bericht der Neunzehnerkommission zu sprechen und wies auf die Wichtigkeit hin, daß dieser Bericht auch die Vorbehalte der Südtiroler Vertreter in der Kommission berücksichtige.

Saragat versicherte, daß dies der Fall sein werde.

Bundesminister Kreisky bemerkte sodann, daß es wichtig wäre, das Südtirolproblem nach einer befriedigenden Lösung auf der Basis der Neunzehnerkommission zu entpolitisieren. Hiezu erscheine es ihm wichtig, eine internationale juridische Instanz zu vereinbaren, die im Streitfall zu entscheiden hätte. Hiefür gebe es drei Möglichkeiten:

1. Eine Schiedskommission, die ad hoc von beiden Staaten bestellt würde. Sie könnte sich aus einem italienischen, einem österreichischen und etwa einem neutralen Vertreter zusammensetzen.

2. Eine Schiedskommission gemäß der europäischen Schiedskonvention.

3. Der IGH.

Eine solche Instanz könnte allerdings nur unter der Voraussetzung akzeptiert werden, daß vorher ein "Accord" zwischen Italien und Österreich über die Ergebnisse der Neunzehnerkommission gefunden wird, der eine entsprechende internationale Verankerung finden müsse.

Was schließlich die offenen Fragen betreffe, die nicht von der Neunzehnerkommission einvernehmlich geregelt werden würden, sollte den Südtirolern die Möglichkeit gegeben werden, diese auf der inneritalienischen Ebene weiter zu behandeln.

Außenminister Saragat erklärte, daß seinen Informationen zufolge der Großteil der Fragen von der Kommission einstimmig geregelt würde und er sich vorstelle, daß die dann noch verbleibenden Fragen auf dem Verhandlungswege mit Österreich geklärt werden.

Das Gespräch, das etwa eine Dreiviertelstunde dauerte, fand in einer sehr freundschaftlichen Atmosphäre statt, wobei Bundesminister Kreisky mehrmals auf die besondere Wichtigkeit der Schaffung einer günstigen Atmosphäre für eine schließliche Regelung des Problems verwies. In diesem Zusammenhang wurde auch die Wichtigkeit einer Amnestie für die allenfalls verurteilten Südtiroler erwähnt. Man müsse sich vor allem davor hüten, daß der Mailänder Prozeß neuerlich Öl ins Feuer gieße und die mühsam erreichte Beruhigung zerstöre.

Saragat bemerkte, daß der Vorsitzende des Gerichtshofes ein sehr fähiger und vernünftiger Mann sei, der die politische Tragweite der Prozeßführung wohl abzuschätzen wisse.

2.

Streng vertraulich !

Herr Botschafter! [Löwenthal in Rom]

In der Anlage erhalten Sie zu Ihrer streng vertraulichen persönlichen Kenntnisnahme die Kopie eines ha. AV über das Gespräch, das der Herr Bundesminister mit Außenminister Saragat am 14. d. M. in Paris geführt hat.

Auf die besondere Vertraulichkeit dieses Schriftstückes wird verwiesen.

Empfangen Sie, Herr Botschafter, den Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung.

Quelle: Institut für Zeitgeschichte/Univ. Innsbruck, Bestand 3, Südtirol.