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16.08.1961, “Information zu den Schutzmaßnahmen"


16.08.1961, “Information zu den Schutzmaßnahmen"


Aus den Tagesberichten der Kreise werden eine ganze Anzahl feindlicher Handlungen und besonderer Vorkommnisse bekannt.
Aus dem Kreis Köpenick wird berichtet:
Im Betrieb Progreß wird die Meinung diskutiert, daß 90 % der Republikflüchtigen durch unsere Schuld die Republik verlassen haben.
Der Kollege Grober äußerte, daß es viele gibt, die nicht damit einverstanden sind, daß neben der Polizei auch Armee und Panzer eingesetzt wurden.
Aus der Abteilung IV wird berichtet, daß Kollegen erwarten und vereinzelt auch fordern, daß von Seiten des Betriebes Großversammlungen durchgeführt werden, damit sie ihre Meinung sagen können.
Provokatorisch wurde die Frage gestellt, warum denn die VP mit dem Gummiknüppel rum läuft, es bedrohe sie doch niemand.
Im Funkwerk in der Abteilung Normenleere [sic!] gab es bei 15 Ingenieuren und den Schreibkräften nur negative Äußerungen:
"das Beste, man wäre tot, denn das ist ein entsetzlicher Zustand, so in Ungewißheit zu leben."
"Jetzt haben wir die Freiheit, die wir uns wünschen."
"eine Schweinerei, daß wir jetzt nicht nach Westberlin können, jetzt sitzen wir im KZ."
"Die Westberliner können rüber und wir sitzen hinter Stacheldraht."
"Das ist die Unfähigkeit des Regimes, da gibt es noch was, das läßt sich der Westen nicht gefallen."
"Der Russe ist an allem schuld."
"Jetzt wird es noch schlechter, wären wir doch schon abgehauen."
Im W F Labor haben die Kollegen von 14 – 14 Uhr 25 die Arbeit niedergelegt. Anschließend sind sie durch andere Abteilungen des Werkes gegangen und haben bis Schichtende nicht wieder gearbeitet (der ganze Vorfall wurde erst nachträglich von den Genossen von MFS festgestellt).
Im K W O Abt. EW gab es folgende Argumente:
"Der westberliner Senat sollte die SDP verbieten, da sie doch diejenigen sind, welche ..."
"Wenn ich sage, Walter Ulbricht muß weg, dann sitze ich bestimmt bald hinter Gittern."
In einer Verkaufsstelle in Schmöckwitz kam es zur Zusammenrottung mehrerer Jugendlicher, die von den Zeltplätzen kamen und mit ihren Kofferradios öffentlich den Rias propagierten. Diese Raudis konnten ohne fremde Hilfe von den Verkäuferinnen hinausgeworfen werden.
Aus dem Kreis Prenzlauer Berg wird mitgeteilt, daß im Berliner Druckhaus über einen Artikel des ND, "Friedensvertrag mit Deutschland heißt Frieden und Glück", Schimpfworte geschmiert wurden.
Die R B D teilt mit, daß auf westberliner Gebiet auch in der vergangenen Nacht S-Bahn-Beschädigungen auf der Strecke Lichtenrade-Halensee und Schienensperren zwischen Buckauer Chaussee und Lichtenrade vorkamen.
Verstärkt werden Eisenbahner von Jugendlichen in Westberlin angepöbelt. Das reicht von üblen Beschimpfungen bis zu tätlichen Angriffen.
Gestern abend wurden 2 Schlafwagenzüge von Stupos und englischen Besatzern zeitweilig zurückgehalten.
Ein Verbindungsmann war vorher mit den Engländern und Stupos im RAW Grunewald und wollte Zutritt zu den bereits reparierten Schlafwagen. Das wurde ihm jedoch mit Erfolg verweigert.
Auf der Strecke Treptow/Sonnenallee haben 2 Jugendliche nachts die Sektorengrenze überschritten.
Ein Versuch auf dem Bahnhof Friedrichstraße von 3 DDR-Bürgern, den westberliner Bahnsteig zu erreichen, konnte verhindert werden.
Der Personalchef des amerikanischen Transportunternehmens RTO suchte die Dienststelle Lichterfelde auf und fragte einen Kollegen, was sie und ihre Kollegen tun, wenn sie keinen Umtausch mehr erhalten. Der Kollege antwortete, daß er und einige andere sich dann wahrscheinlich um andere Arbeit bemühen müßten.
Der Ami war über die Antwort sehr befriedigt.
Auf dem Bahnhof Neukölln überreichten 2 Kollegen ihre Austrittserklärung aus der Konfliktkommission und der Ständigen Produktionsberatung mit der Begründung, daß sie mit den Maßnahmen der DDR nicht einverstanden sind.
Der Genosse Gräfe teilt mit, daß der Brigadier der Brigade aus der Baustelle Plänterwald, die wegen Trunkenheit festgenommen wurde, spurlos verschwunden ist.
In der Stalinallee riß am 16.8.16 ein Seil am Rapid 5.
Das ist derselbe Kran, an dem vorgestern die elektrische Anlage defekt war und an dem noch immer der gleiche Kranführer arbeitet.

Seidel gez. Frey
Abteilungsleiter

(SAPMO-BArch, DY 30/IV, 2/12/1278)