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04.04.1961, Aufzeichnung Auswärtiges Amt: Das Verhältnis USA-Bundesrepublik


04.04.1961, Aufzeichnung Auswärtiges Amt: Das Verhältnis USA-Bundesrepublik

Aus fast allen vorliegenden Berichten geht hervor, daß das Klima in Washington für die Bundesrepublik leicht ungünstiger geworden ist. Die neue amerikanische Regierung wird beeinflußt von intellektuellen Professorenkreisen, die den Deutschen und der Bundesrepublik mit einer gewissen Reserve gegenüberstehen. Man kann nicht sagen, daß Präsident Kennedy diesen Kreisen unbedingt folgen wird. Er ist zu sehr Politiker, um sich von vorgefaßten Meinungen solcher Professoren bestimmen zu lassen. Wie ein Kenner der Verhältnisse es formulierte, ist Kennedy ein intellektueller Politiker, nicht aber ein politischer Intellektueller.
Bei dieser Lage dürfte es sich empfehlen, zur Zeit unsererseits nicht die bilateralen Beziehungen USA-Bundesrepublik in den Vordergrund zu stellen. Vorteilhafter dürfte es sein, wenn sich die Bundesrepublik und ihre Politik in europäischem Konzept präsentiert, d.h. wenn die Bundesrepublik und ihre führenden Politiker sich in den Vereinigten Staaten als die Mitarbeiter bzw. die Vorkämpfer der europäischen Einigung vorstellen. Die Einigung Europas stellt auch für die zur Zeit Einfluß ausübenden Professoren ein faszinierendes Ziel dar. Das Positivste, das in dieser Richtung bisher geleistet worden ist, ist die Schaffung der EWG und der in Bildung begriffene Gemeinsame Markt. Wir wissen, daß die Regierung Kennedy die bisherige amerikanische Politik der EWG gegenüber unbeirrbar fortsetzen will. Wenn wir deshalb – auch bei dem bevorstehenden Amerika-Besuch des Herrn Bundeskanzlers – mit Nachdruck auf den bisherigen Beitrag der deutschen Politik zum Entstehen der EWG hinweisen und die Fortsetzung dieser Politik als festes Ziel der gegenwärtigen und der künftigen deutschen Regierung hinstellen, dürften manche der angedeuteten zur Zeit bestehenden Reserven uns gegenüber überspielt und ins Positive verkehrt werden.
Dabei sollte auch auf die Rolle hingewiesen werden, die hierbei der deutsch-französischen Versöhnung zukommt. Diese Versöhnung wird in den Vereinigten Staaten sehr positiv eingeschätzt. Von amerikanischer Seite ist sogar schon geäußert worden, die deutsch-französische Annäherung sei einer der wenigen positiven Faktoren, die der Westen seit 1945 überhaupt aufzuweisen habe. Wir können also davon ausgehen, daß das heutige, von Bundeskanzler und Bundesregierung mitherbeigeführte günstige deutsch-französische Verhältnis hoch gewertet wird. In den Vereinigten Staaten kann man darüber hinaus immer mit einer latenten Frankophilie rechnen (Kennedys erste Auslandsreise geht nach Frankreich). Das gilt auch in gewissem Maße von der oben erwähnten intellektuellen Professorenschicht. Wir sollten deshalb die Befriedung zwischen Deutschland und Frankreich den Amerikanern gegenüber bewußt ausspielen.
Zusammenfassend dürfte es also vorteilhaft für uns sein, auf das hinzuweisen, was die Bundesrepublik im Bereich der europäischen Einigung und hiermit zusammenhängend bezüglich der deutsch-französischen Befriedung bereits geleistet hat und daß sie unbeirrbar ihre bisherige Politik in dieser Richtung weiterverfolgen will. Wir lenken damit von dem Feld der rein bilateralen Beziehung USA-Bundesrepublik ab, auf dem zur Zeit wenig für uns zu holen ist. Es dürfte günstiger sein, auf bereits Erreichtes und Realisiertes hinzuweisen, von dem wir außerdem wissen, daß die Amerikaner ihm günstig gegenüberstehen, als wenn wir versuchen wollten, völlig neue politische Ideen zu entwickeln, um hierüber in ein intensives Gespräch mit der neuen amerikanischen Regierung zu kommen.

(Politisches Archiv, Auswärtiges Amt)