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07.07.1959, Direktive für die DDR-Delegation zur Genfer Außenministerkonferenz


07.07.1959, Direktive für die DDR-Delegation zur Genfer Außenministerkonferenz

1. Während der Genfer Außenminister-Konferenz und insbesondere in der Konferenzpause haben die Erklärungen führender Bonner Politiker und die vielen Revanchisten-Demonstrationen besonders nachdrücklich gezeigt, daß die Revanchepolitik und die Atomrüstung der westdeutschen Militaristen als Haupthindernis der internationalen Entspannung und der Verständigung der Deutschen untereinander nach wie vor entschieden zu bekämpfen sind. Diese Aufgabe ist mit der Entwicklung eines positiven und konstruktiven Programms zu verbinden.
2. Auch im zweiten Verhandlungsabschnitt der Genfer Außenministerkonferenz bleibt es ihre politische Hauptaufgabe, eine Gipfelkonferenz vorzubereiten. Demzufolge muß die Delegation der DDR sich bei ihrem Auftreten in der Konferenz selbst und auch außerhalb der Konferenz davon leiten lassen, das Zustandekommen einer Gipfelkonferenz zu erleichtern. Sie muß dazu beitragen, eine Atmosphäre der Verständigung zu schaffen und eine Annäherung der Standpunkte in verschiedenen Einzelfragen herbeizuführen. Dabei ist jedoch zu beachten, daß keinerlei Junktim zwischen dem Ausgang der Außenministerkonferenz und dem Zustandekommen der Gipfelkonferenz anerkannt und daß die Gipfelkonferenz nicht durch Zugeständnisse in prinzipiellen Fragen erkauft werden kann.
3. Das Hauptanliegen der DDR besteht nach wie vor in der Vorbereitung des Abschlusses eines Friedensvertrages mit beiden deutschen Staaten. Die Delegation muß also alles unternehmen, um die Ansätze zu einer Diskussion über den Friedensvertrag, die es in der ersten Phase der Konferenz gegeben hat, in geeigneter Form weiterzuführen und zu entwickeln. Dazu gehören auch die von der sowjetischen Delegation unterbreiteten Änderungsvorschläge zum Friedensvertrags-Entwurf vom 10. Januar 1959. Mit besonderem Nachdruck ist zu begründen, daß der Abschluß eines Friedensvertrages mit den beiden deutschen Staaten oder einem bevollmächtigten Organ, das ganz Deutschland repräsentiert, unumgänglich ist, daß die Grundprinzipien des Friedensvertrages und sein schnellster Abschluß mit den nationalen Interessen des deutschen Volkes übereinstimmen.
4. Das zweite Hauptproblem wird auch im bevorstehenden Verhandlungsabschnitt der Außenministerkonferenz die Aufhebung des Besatzungsregimes in Westberlin sein.
Nach wie vor wäre die für alle Beteiligten, insbesondere für die westberliner Bevölkerung günstigste Lösung, eine entmilitarisierte Freie Stadt Westberlin zu schaffen. Da die Westmächte für eine solche Lösung keine Bereitschaft zeigen, sind die Verhandlungen auf der Grundlage der Vorschläge vom 10. und 19. Juni, die eine Vereinbarung über einen zeitweiligen provisorischen Status für Westberlin vorsehen, weiterzuführen.
Falls es sich in Verlaufe der Verhandlungen als unumgänglich erweisen sollte, kann die Delegation der DDR auch für ein Abkommen über einen provisorischen Status für Westberlin eine ausdrückliche Garantie-Erklärung abgeben, daß sich die DDR nicht in die inneren Angelegenheiten Westberlins einmischen wird. Sie wird keinen Einwand dagegen erheben, wenn die sowjetische Delegation namens ihrer Regierung das Einverständnis erklärt, daß das Vier-Mächte-Organ, das zur Kontrolle der Einhaltung der Verpflichtungen aus einem Abkommen über einen provisorischen Status für Westberlin gebildet wird, auch die Fragen behandeln wird, die mit der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten Westberlins zusammenhängen.
5. Die Einräumung eines vorläufigen Status für Westberlin steht in unlösbarem Zusammenhang mit der Bildung und Tätigkeit einer auf paritätischer Grundlage von dem beiden deutschen Staaten gebildeten gesamtdeutschen Kommission. Die Hauptaufgabe dieser Kommission soll es sein, sich mit der Vorbereitung und dem Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland zu beschäftigen sowie konkrete Maßnahmen zur Wiedervereinigung Deutschlands auszuarbeiten und die Entwicklung von Kontakten zwischen den beiden deutschen Staaten zu fördern. Unabdingbares Erfordernis bleibt es, daß für die Arbeit dieser Kommission die gleiche Frist gesetzt wird, wie für die Gültigkeit des provisorischen Statuts für Westberlin. Die Delegation kann auch auf andere Formen der Zusammenarbeit, als die einer Kommission, sofern der Grundsatz der Parität gewahrt bleibt, eingehen. Keinesfalls jedoch dürfen Versuche unterstützt werden, die auf eine Preisgabe des Grundsatzes hinauslaufen, daß die Lösung der Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands, daß Wege und Methoden der Wiedervereinigung Sache des deutschen Volkes selbst sind.
6. Die Initiative der DDR, zwischen den beiden deutschen Staaten einen Nichtangriffspakt, eine Vereinbarung über den Gewaltverzicht abzuschließen, ist von der Delegation fortzuführen. Bei geeigneter Gelegenheit hat sich die Delegation der DDR erneut an die westdeutsche Delegation mit dem Vorschlag auf entsprechende Verhandlungen zu wenden.
7. Das ruhige und sachliche Auftreten der Delegation in den Plenarsitzungen hat sich bewährt. Daran ist festzuhalten. Das schließt nicht aus, daß noch mehr als in der ersten Phase die Behauptungen der westlichen Seite sowohl innerhalb als auch außerhalb der Konferenz mit solchen Argumenten widerlegt werden, die für die breitesten Volksmassen verständlich sind.
Die Delegation soll nach Möglichkeit sofort nach der Wiederaufnahme der Verhandlungen noch einmal den prinzipiellen Standpunkt der Regierung der DDR zu den Fragen des Friedensvertrages, der Aufhebung des Besatzungsregimes in Westberlin und der Wiedervereinigung Deutschlands und dabei ihr bisheriges Entgegenkommen sowie ihre weitere Verständigungsbereitschaft darlegen.
8. Bei aller Wendigkeit und Geschmeidigkeit in der Taktik des Auftretens muß die Delegation stets von unserer strategischen Zielsetzung und von unseren Grundaufgaben ausgehen. Das schließt nicht aus, daß Vorschläge und Argumente der Westmächte in den Verhandlungen diskutiert und darauf geprüft werden, ob sich in ihnen Elemente für die Entwicklung eigener Vorschläge befinden. In allen Fällen, in denen eine derartige Taktik für nützlich betrachtet wird, hat vorher eine Verständigung mit Partei und Regierung zu erfolgen.
9. Während der Konferenzpause zeigte sich im Auftreten der Regierungsvertreter der Westmächte und insbesondere der Bonner Regierung das Bestreben, die Genfer Außenministerkonferenz zu einer Vier-Mächte Konferenz zu reduzieren und damit auch die de-facto-Anerkennung der DDR aus der Welt zu schaffen. Gleichzeitig unternimmt die Bonner Regierung besonders in den neutralen Staaten angestrengte Versuche, einen Druck auf die Regierungen auszuüben und die DDR zu diskreditieren.
Aufgabe der Delegation der DDR muß es sein, in engster Zusammenarbeit mit der Delegation der SU für möglichst häufige offizielle Beratungen der Delegationen der sechs Mächte sowie für die Hinzuziehung deutscher Vertreter auch zu den inoffiziellen Besprechungen einzutreten.
Gleichzeitig sollte die Delegation stärker als es in den letzten Wochen des ersten Verhandlungsabschnittes der Genfer Außenministerkonferenz geschah, durch die Abgabe von Erklärungen, durch eigene Pressekonferenzen sowie Gespräche mit Journalisten durch Rundfunk- und Fernseh-Interviews dafür Sorge tragen, daß die aktive Teilnahme der DDR an der Genfer Konferenz weit über die Grenzen Deutschlands hinaus sichtbar und wirksam wird.
10. Die Delegation hat die technisch-organisatorischen Schlußfolgerungen aus ihrer bisherigen Arbeit zu ziehen. Das gilt besonders hinsichtlich der Berichterstattung an Partei und Regierung. In jeder Woche hat ein Mitglied der Delegation in Berlin mündlich Bericht zu erstatten.
11. Die enge Zusammenarbeit mit der sowjetischen Delegation hat sich bewährt. Es sind auch weiterhin möglichst häufige Beratungen beider Delegationen anzustreben.
12. Gegen Ende der Konferenz hat die Delegation den vier Außenministern die schriftliche und mündliche Einladung zum Besuch der Deutschen Demokratischen Republik auszusprechen.

(SAPMO-BArch, DY 30, NL 90/464.)