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20.3.1959: Aufzeichnung DDR-Außenministerium betr. Genfer Außenministerkonferenz


20.3.1959: Aufzeichnung DDR-Außenministerium betr. Genfer Außenministerkonferenz

I. Durch Konsultation mit der Sowjetunion zu klärende Fragen

1. Wird die DDR noch besonders zur Konferenz eingeladen und gegebenenfalls durch wen?
Wenn eine Einladung erfolgt, so könnte das wie folgt geschehen:
maximal: Die Einladung könnte durch das zu bildende Konferenzsekretariat oder -büro erfolgen.
minimal: Zu akzeptieren wäre die Einladung durch die Sowjetunion, sofern sie im Einverständnis mit den Westmächten erfolgt.

Die Einladung durch die Sowjetunion allein ohne Einverständnis der Westmächte würde bedeuten, die faktische Anerkennung der DDR durch die Westmächte zu erschweren; sie sollte daher nicht erfolgen.
Wenn in den Noten der Westmächte bestätigt wird, daß eine Vereinbarung über die Einladung der beiden deutschen Staaten vorliegt, dann könnte sich eine besondere Einladung der DDR erübrigen. In diesem Falle würde es genügen, wenn die DDR den vier Mächten Mitteilung über ihre Teilnahme und über die Zusammensetzung der Delegation macht.

2. Wann wird die DDR eingeladen?
Die Einladung der DDR muß vor Beginn der Konferenz erfolgen, um zu unterstreichen, daß die DDR eine gleichberechtigte Stellung auf der Konferenz einnimmt. Eine Zurückstellung der Frage der Einladung bis nach Eröffnung der Konferenz könnte bei vorheriger Anreise unserer Delegation dazu führen, daß diese bei Nichteinigung der vier Mächte über die Teilnahme der beiden deutschen Staaten unverrichteter Dinge wieder abziehen muß.

3. Für welchen Zeitraum wird die DDR zur Teilnahme eingeladen?
Da sich die Konferenz mit Fragen befaßt, die die DDR unmittelbar berühren, ist es notwendig, ihre Einladung für die gesamte Dauer der Konferenz zu erwirken.

4. Form der Teilnahme der DDR
Es muß gewährleistet sein, daß die DDR die gleiche Stellung wie die vier Mächte einnehmen kann, d.h. selbständiges Auftreten, gleichberechtigte Teilnahme an der Diskussion, Möglichkeit der Unterbreitung von Materialien usw.

5. Wirkt die DDR bei der Vorbereitung der Tagesordnung mit?
Hierzu ist es notwendig zu klären:
a) Mit welchen Fragen wird sich die Konferenz befassen?
b) In welcher Form ist eine Teilnahme der DDR vorgesehen?

Zu a):
Der sowjetische Vorschlag hinsichtlich der Gipfelkonferenz umfaßte alle wichtigen internationalen Streitfragen, d.h. also keineswegs nur die Deutschlandfrage. In den letzten Noten der Sowjetunion an die Westmächte zur Außenministerkonferenz heißt es: „Fragen, die sich auf Deutschland beziehen, einschließlich des Friedensvertrages mit Deutschland und der Westberlinfrage“. Hinzugefügt ist der Hinweis, daß diese beiden Fragen auf eine Entscheidung der beteiligten Mächte warten.
In der Note an Bonn ist gesagt, daß diese beiden konkreten Fragen zur Entscheidung reif sind und die Sowjetunion davon ausgeht, daß ein Einverständnis der vier Mächte besteht, „an die Lösung der aktuell gewordenen internationalen Fragen heranzugehen“.
In der Note an die DDR wird um eine Nuance schärfer betont, daß diese beiden konkreten Fragen schon lange für eine Annahme entsprechender Beschlüsse herangereift sind und die Sowjetunion davon ausgehe, daß ein Übereinkommen erreicht wurde, an die Lösung der herangereiften internationalen Fragen heranzugehen.
Nach der amerikanischen Note will die USA „die Deutschland betreffenden Fragen, einschließlich des Friedensvertrages mit Deutschland und der Frage Berlins“, erörtern.
Den gleichen Standpunkt bringt die englische Note zum Ausdruck, während es in der französischen Note heißt, daß es „um die Diskussion der Deutschlandfrage und der europäischen Sicherheit“ geht.
maximal: Ausschließliche Beschränkung auf die Diskussion über den Friedensvertrag mit Deutschland und die Lösung der Westberlinfrage.
minimal: Sachliche Diskussion über Friedensvertrag mit Deutschland und Lösung der Westberlinfrage und Abgabe von Erklärungen über das Problem der Wiedervereinigung, und zwar dahingehend, daß diese Frage nicht Angelegenheit der vier Mächte, sondern der beiden deutschen Staaten ist.

Zu b):
Die sowjetischen Noten berechtigen dazu, der Sowjetunion vorzuschlagen, die DDR in die Vorbereitung der Konferenz, die offensichtlich in Zusammenarbeit mit den Botschaftern der Westmächte in Moskau in Angriff genommen ist, einzuschalten. Das könnte durch Bevollmächtigung des Botschafters König – die Sowjetunion und evtl. auch die Westmächte könnten hierüber durch Noten unterrichtet werden – geschehen.
Falls dieser Weg nicht gangbar ist, sollte mindestens eine ständige Unterrichtung der DDR erreicht werden, damit eine Stellungnahme zu den jeweiligen Fragen möglich gemacht wird.

6. Wie erfolgt die Teilnahme der DDR-Delegation an den Beratungen?
In den sowjetischen Noten an die Westmächte wird gesagt, daß die Frage der Vertretung der beiden deutschen Staaten eine beschlossene Sache ist. In der Note an die Bundesrepublik heißt es, daß zur Kenntnis genommen wird, daß die Bundesrepublik Vertreter zur Konferenz entsenden wird. In der Note an die DDR wird gesagt, daß die Sowjetunion die Bereitschaft der DDR zur Teilnahme an der Beratung der Außenminister zur Kenntnis nimmt.
In der Note der USA wurde festgestellt, daß die Sowjetunion zustimmt, „deutsche Berater zu dem Treffen vom 11. Mai einzuladen und zu konsultieren“. Das gleiche besagt die englische Note.
In der Note der USA wurde festgestellt, daß die Sowjetunion zustimmt, „deutsche Berater zu dem Treffen vom 11. Mai einzuladen und zu konsultieren“. Das gleiche besagt die englische Note. Im Unterschied zu diesen beiden Noten wird in der französischen Note nicht von „Beratern“, sondern deutschen Sachverständigen gesprochen, die als Beobachter zugelassen wären.
Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Klärung der Frage der Form der Teilnahme der Vertreter der beiden deutschen Staaten. Es ist die gleichberechtigte Teilnahme der beiden deutschen Staaten an der Konferenz anzustreben.
Auch die Frage der Sitzordnung bedarf der Regelung, zumal westdeutsche Zeitungen davon sprechen, daß die zu entsendenden deutschen Berater nur in der zweiten Reihe sitzen würden. Da die DDR ihren Außenminister entsendet, kommt eine Placierung in der zweiten Reihe nicht in Frage.
Neben Russisch, Englisch und Französisch ist Deutsch als Verhandlungssprache durchzusetzen. Wenn das nicht zu erreichen ist, dann wird von unserer Seite in jedem Fall deutsch gesprochen und von Fall zu Fall entschieden, in welche der Verhandlungssprachen durch unsere Dolmetscher übersetzt wird, z.B. in die Sprache der Fragesteller.

7. Teilnahme von Vertretern Polens und der CSR
Es ist anzustreben, die gleichberechtigte Teilnahme von Vertretern Polens und der CSR an der Konferenz

8. Welches Ziel soll erreicht werden?
a) maximal: Vorschlag an die Regierungschefs, in die Tagesordnung der Gipfelkonferenz den Punkt anzunehmen, Durchführung einer Friedenskonferenz zur Beratung und zum Abschluß eines Friedensvertrages mit beiden deutschen Staaten, und soweit eine Konföderation besteht, mit beiden deutschen Staaten und dieser Konföderation sowie Schaffung einer entmilitarisierten Freien Stadt Westberlin.
b) minimal: Die Feststellung der unterschiedlichen Standpunkte zu den behandelten Fragen und ihre Weiterleitung an die Regierungschefs zur Besprechung auf einer Gipfelkonferenz.

II. Der Kontakt mit der Delegation der Deutschen Bundesrepublik
Der Kontakt sollte unmittelbar nach der Ankunft in Genf in offizieller Weise angestrebt und mit Vorschlägen zu einer gemeinsamen Besprechung – zwecks Herbeiführung einer möglichst weitgehenden Übereinstimmung im Auftreten der deutschen Vertreter –verbunden werden. Darüber hinaus sind Kontakte mit evtl. anwesenden westdeutschen Parteidelegationen aufzunehmen.

III. Die Zusammensetzung der Delegation
Es wird vorgeschlagen, mit der Vertretung der DDR den Minister für Auswärtige Angelegenheiten, Dr. Lothar Bolz, zu beauftragen, der neben anderen Personen von folgenden Vertretern der Blockparteien begleitet wird:

1. Ebert ? (SED)
2. Sefrin (CDU)
3. Gerlach (LDP)
4. Rose (DBD)
5. Rößer oder Hohmann (NDPD)
6. Kirchner (FDGB)

Es ist zu erwägen, ob ein Vertreter der Nationalen Front teilnimmt.

IV. Festlegung des Reiseweges der Delegation
Falls möglich, sollte der in Aussicht genommene Sonderzug den direkten Weg über westdeutsches Gebiet nehmen.
Für die Sicherung einer ständigen Flugverbindung, die über Prag-Zürich organisiert werden muß, bedarf es der Zustimmung Westdeutschland. Die hierzu erforderlichen Schritte sind eingeleitet.

V. Es sind folgende Erklärungen der Delegation vorzubereiten
1. Notwendigkeit der Beendigung des Kriegszustandes mit Deutschland, des Abschlusses eines Friedensvertrages und Umwandlung Westberlins in eine entmilitarisierte Freie Stadt.
2. Die Zerstörung Potsdam in Westdeutschland durch die Revanchepolitik und die Wiedererrichtung des deutschen Militarismus sowie die Errichtung eines antidemokratischen Regimes.
3. Ursache der Konflikte bezüglich Westberlins und Wege zu ihrer Lösung.
4. Durchführung des Potsdamer Abkommens in der sowjetischen Besatzungszone.
5. Die Gefährdung der Völker Westeuropas durch die westdeutsche Atomrüstung und den westdeutschen Militarismus.
6. Die Wiedervereinigung ist eine nationale Sache des deutschen Volkes.
7. Die DDR unterstützt den Plan einer atomwaffenfreien Zone sowie alle Bestrebungen zur Schaffung von Sicherheit in Europa.
8. Anspruch der beiden deutschen Staaten auf gleichberechtigte Teilnahme an internationalen Beratungen, soweit sie die deutschen Interessen berühren.
9. Die DDR hat der Bundesrepublik vorgeschlagen, die Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten anhand konkreter Fragen zu entwickeln und zu normalisieren.
10. Die DDR ist stets für die Schaffung eines Systems der kollektiven Sicherheit eingetreten.
11. Die Effektivität der DDR (Zurückweisung der Ausschließlichkeitsanmaßung der Bonner Regierung. Die Bonner Regierung spricht nur für einen kleinen Kreis. Beide deutsche Staaten zusammen sind Deutschland. Wenn die Frage der Legitimität aufgeworfen wird, dann ist nur die DDR der einzige legitime Staat in Deutschland).

(SAPMO-BArch, DY 30/NL 90/464)