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14.10.1958, Unterredung zwischen Bundeskanzler Adenauer und Botschafter Smirnow


14.10.1958, Unterredung zwischen Bundeskanzler Adenauer und Botschafter Smirnow

Streng vertraulich

Am 14. Oktober hatte der Botschafter der UdSSR in der BRD, Smirnow, eine Zusammenkunft mit Adenauer, auf Initiative des letzteren. Brentano nahm daran teil.
Adenauer sagte, daß er mit Smirnow die Frage des zwischen der UdSSR und der BRD abgeschlossenen Vertrages erörtern möchte, wobei er bemerkte, daß sich, nach den Angaben zu urteilen, die Hoffnungen der BRD bis zum heutigen Tage in keinerlei Weise erfüllt haben. Wir, so erklärte Adenauer, hofften auf eine Verbesserung des politischen Klimas. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums kauft Rußland bei uns herzlich wenig. Wir sind bereit, Ihnen mehr zu geben.
Dann versuchte Adenauer die Frage über die Lage der DDR zu berühren.
Smirnow legte, entsprechend den ihm aus Moskau erteilten Anweisungen, den Gesichtspunkt der Sowjetregierung über den Stand und die Methoden zur Entwicklung der Beziehungen zwischen der UdSSR und der BRD dar, wobei er Adenauer das Aide-memoire übergab, dessen Text in der sowjetischen Presse am 16. Oktober veröffentlicht wurde.
Smirnow unterstrich, daß das Bestreben der Regierung der BRD, die weitere Entwicklung der Beziehungen zwischen der UdSSR und der BRD davon abhängig zu machen, ob sich die Lage in der DDR in der von den westdeutschen herrschenden Kreisen erwünschten Richtung ändert oder ob sie sich auch in Zukunft entsprechend den Interessen der Bevölkerung dieses deutschen Staates und des gesamten deutschen Volkes gestalten wird, eine äußerst negative Reaktion in Moskau hervorgerufen hat. Smirnow kritisierte die Äußerungen von E. Lemmer im Bundestag darüber, daß die Verbesserung der Beziehungen zwischen der BRD und der UdSSR „im entscheidenden Maße“ von der Lage in der DDR abhängt. Smirnow wies weiter darauf hin, daß die Regierung der BRD riskiert, auf einen Irrweg zu geraten, wenn sie sich in ihrer Politik von der Konzeption Lemmers leiten läßt. In diesem Falle würden die Beziehungen zwischen der UdSSR und der BRD für viele Jahre zurückgeworfen und den nationalen Interessen des deutschen Volkes ernster Schaden zugefügt werden.
In der Antwort auf die Behauptungen Adenauers über die Lage der sogenannten Flüchtlinge aus der DDR und auf die Worte Adenauers „Ich bitte Sie, helfen Sie der Sowjetzone“ wies Smirnow den Versuch, eine solche Frage zum Gegenstand der Erörterung zu machen, entschieden zurück. Dabei unterstrich Smirnow, daß er die Frage über die Lage in der DDR nicht nur nicht erörtern wird, sondern daß er nach den ihm vorliegenden Anweisungen auch seine Regierung über solche Äußerungen zu dieser Frage, die während der Zusammenkunft mit offiziellen Personen der BRD gemacht werden, nicht informieren soll.
Diese Erklärung Smirnows entmutigte Adenauer stark, er sagte: „Ich lasse die Theorie über die DDR als selbständigen Staat beiseite, aber Sie sind mit diesem Staat befreundet, und ich glaube, daß ein Ratschlag Ihrer Regierung dort aufmerksam entgegen genommen wird. Wenn es eine solche Anweisung gibt, über die Sie, Herr Botschafter, sprechen, so kann das schlechte Auswirkungen für die Politik haben, da die Politik von den Beziehungen zwischen den Menschen abhängt. Ich bitte Sie, das Ihrer Regierung mitzuteilen. In unseren Augen ist die Sowjetregierung für die Lage in der DDR verantwortlich. Das wichtigste ist für uns die Frage der Menschlichkeit, der Humanität.“
Smirnow erwiderte, daß die Sowjetunion schon lange auf jedes Besatzungsrecht in der DDR verzichtet hat, und daß keine sowjetische Besatzungszone existiert. 9 Jahre besteht die Deutsche Demokratische Republik, erklärte Smirnow, mit der wir die gleichen diplomatischen Beziehungen unterhalten, wie mit jedem anderen souveränen Staat. Wir können nicht und werden uns nicht in ihre inneren Angelegenheiten einmischen. Wir sind bereit, sowohl Ihnen als auch der DDR bei der Normalisierung ihrer Beziehungen zu helfen unter der Bedingung, daß sie nicht zu einer Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten führt. Sie selbst müssen den Wunsch und den Willen in dieser Richtung bekunden.
Adenauer sagte, daß er nicht über die Beziehungen zwischen den deutschen Staaten gesprochen hat. Die UdSSR, erklärte er, hat die Charta für Menschenrechte unterschrieben. Diese Rechte werden in der Zone verletzt. Wir ertragen das nicht, wie das auch die anderen freien Völker nicht ertragen. Das hat keine Beziehungen zur Politik. Das ist eine Frage der Humanität. Ich bitte Sie, das der Sowjetregierung zu sagen.
Smirnow erklärte noch einmal, daß er die Frage über die Lage in der DDR nicht erörtern wird.

(SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/20/78)