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20.5.1954: Das Südtiroler Memorandum. Johannes Schwarzenberg (Rom) an Leopold Figl (Wien)

Geheim!

Herr Bundesminister!

Anverwahrt beehre ich mich, das soeben mir vom Abgeordneten Dr. von Guggenberg übergebene Exemplar des Memorandums vorzulegen, das die Südtiroler Parlamentarier dem italienischen Ministerpräsidenten am 9. April überreicht haben.[1]

Zur Entschuldigung der verspäteten Übergabe der für uns bestimmten Abschrift führte Herr von Guggenberg den Umstand an, daß in den letzten Wochen in der Leitung der SVP eine Krise geherrscht habe, die zur Demission Guggenbergs als Obmann und zur schließlichen Neuwahl Dr. Tinzls zum Obmann mit vier Vizepräsidenten (darunter Dr. v. Guggenberg) geführt hat. Als Kandidaten für den Posten des Vorstandes hatten übrigens bisher Dr. Volgger und Dr. Benedikter gegolten, beides Persönlichkeiten, die wegen ihrer Leidenschaftlichkeit und Streitsucht gefürchtet und von den fünf Parlamentariern an leitender Stelle nicht gerade gern gesehen worden wären. Falls einer der beiden genannten Kandidaten gewählt worden wäre, so hätte dies für die gesamte Politik der SVP eine grundlegende Änderung namentlich in der Schärfe des Tones sowohl uns als der italienischen Regierung gegenüber bedeutet. Sogar Form und Inhalt des bereits überreichten Memorandums wären vermutlich in Frage gestellt worden. Da dasselbe möglicherweise sogar hätte zurückgezogen werden müssen, wollte der bisherige Vorstand der SVP mit der Befassung der österreichischen Bundesregierung bis nach Bereinigung der Vorstandskrise zuwarten.

Auch wegen der noch immer nicht fertiggestellten Übersetzung und der noch nicht zu Ende geschriebenen, für uns bestimmten Denkschrift entschuldigte sich Herr v. Guggenberg. Was letztere Denkschrift betrifft, so glaube ich persönlich nicht, daß wir derselben allzugroße Bedeutung beimessen sollten. Es scheint sich um eine Fleißarbeit Dr. Volggers zu handeln, der nicht immer mit den Anschauungen der Parlamentarier übereinstimmt. Obwohl diese Denkschrift mit dem Memorandum im Grunde übereinstimmen soll, so dürften wir doch sicherer fahren, wenn wir unsere Konklusionen auf das "offizielle", in der Beilage mitfolgende Memorandum basierten, das der italienischen Regierung vorliegt.

Was nun dieses Memorandum betrifft, so habe ich nach einer einmaligen Durchsicht den rein persönlichen Eindruck, daß dessen allgemeiner Teil, das eigentliche "Memoriale", gut und brauchbar ist; es scheint aus der Feder des für seine Gründlichkeit und juristisches Wissen bekannten Dr. Tinzl zu stammen.

Beilage A) geht uns weniger an als Beilage B), die ebenfalls gut redigiert zu sein scheint und wegen ihrer wiederholten Bezugnahme auf den Pariser Vertrag durchaus als Grundlage für eine allfällige Intervention unsererseits dienen könnte.

Beilage C) enthält endlich gewisse neue Gesichtspunkte und Unterlagen, die wir schon seit langem erwarteten.

Die übrigen Beilagen scheinen mir mit weniger Sorgfalt ausgearbeitet zu sein und entbehren auch des Beweismaterials. Dies gilt, nach meinen Eindrücken, allerdings überhaupt für die Behandlung des Problems der Unterwanderung. Zur Illustration darf ich - streng geheim - hier anführen, daß ich die Südtiroler Parlamentarier gelegentlich gefragt habe, ob sie denn nicht die Absicht hätten, auf die Grünbücher Innocentis und die darin enthaltenen statistischen Nachweise zu reagieren. Die Antwort war negativ und es wurde zugegeben, daß die SVP nicht über den technischen Apparat und über die Fachleute verfüge, die den Behauptungen des Ministerratspräsidiums, wonach es nicht nur keine Zuwanderung, sondern eher eine Abwanderung italienischer Elemente gäbe, entgegenzutreten in der Lage wären.

Ich darf schließlich bitten, den Südtirolern die verspätete Vorlage ihres Memorandums nicht verübeln zu wollen und dem Gedanken einer Unterstützung, vorläufig lediglich in Richtung einer Beschleunigung der Prüfung des Memorandums durch die italienische Regierung, geneigtest nähertreten zu wollen. Die Furcht der Südtiroler, in Zeitnot zu geraten, ist insofern verständlich, als sie der eindeutigen Meinung sind, die übrigens von manchen hier geteilt wird, das Kabinett Scelba werde den Herbst nicht überleben, vielleicht gar nicht sehen; mit dem Sturz Scelbas würden aber die Versprechungen dahin sein, die bei der Regierungsbildung den Südtirolern gemacht wurden.

Genehmigen Herr Bundesminister den Ausdruck meiner vollkommenen Ergebenheit.

Dr. Schwarzenberg

[1] Nicht abgedruckt.

Quelle: ÖStA, AdR, BKA,AA, II-pol, Südtirol, Karton 21.