Suche:

17.10.1946, Deutschland. Kabinettsvorlage von Außenminister Ernest Bevin

 

17.10.1946, "Deutschland". Kabinettsvorlage von Außenminister Ernest Bevin

[...]
Es geht um folgende Hauptprobleme:
I.
Wirtschaftliche Einheit
23. Damit die auf der Potsdamer Konferenz vorgesehene wirtschaftliche Einheit [Deutschlands] erreicht wird, können wir mit Recht folgende Forderungen an Rußland stellen:
a) gleichmäßige Verteilung der in den vier Zonen vorhandenen Ressourcen und gleich hoher Versorgungsstandard [in allen vier Zonen];
b) Ausarbeitung eines ganz Deutschland umfassenden gemeinsamen Import / Export-Programms;
c) keine Entnahme von Reparationen aus der laufenden Produktion, solange es in einer der vier Zonen noch ein Zahlungsdefizit gibt.
Aus diesen Prinzipien ergeben sich zwei weitere Forderungen, um zu einer für Rußland und die Westmächte gleichen Ausgangslage zu kommen, nämlich
d) Rußland leistet zum Abbau des in der britischen und amerikanischen Zone aufgelaufenen Defizits Zahlungen entsprechend dem Wert der bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt von den Sowjets entnommenen Reparationen;
e) die vier Besatzungsmächte übernehmen in einem noch auszuhandelnden Verhältnis das bei der Finanzierung Deutschlands entstehende Defizit.
24. Die Russen werden d) niemals, e) höchstwahrscheinlich nicht und c) [...] wahrscheinlich nicht akzeptieren. Wenn man mit den Russen bei der wirtschaftlichen Einheit zu einem Kompromiß nur auf der Grundlage von a) und b) und mit gewissen Einschränkungen von c) kommt, wird die finanzielle Belastung für die USA und Großbritannien in jedem Fall höher, als wenn sie nur für ihre eigenen Zonen verantwortlich wären.
Wenn es zu einem völlig freien Warenaustausch in Deutschland kommt, und Rußland fortfährt, Reparationen aus der eigenen Zone zu entnehmen, dann werden die nach Westdeutschland importierten oder dort produzierten Waren mit Sicherheit in den Osten fließen, um dort das entstandene Vakuum zu füllen.
25. Auf der anderen Seite werden wir gezwungen sein, wenn wir diese Zugeständnisse nicht machen, unsere Zonen getrennt vom übrigen Deutschland zu entwickeln, wobei zu bezweifeln ist, ob sie erfolgreich aufgebaut werden können, ohne daß wir zentrale politische und wirtschaftliche Verwaltungsstellen errichten und möglicherweise eine eigene Währung einführen. Das aber wäre gleichbedeutend mit der Spaltung Deutschlands in zwei Teile.
26. Es muß auf der anderen Seite festgestellt werden, daß die politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen der Russen in ihrer Zone (z. B. die Bildung der Sozialistischen Einheitspartei, die fortlaufende Integration der deutschen Wirtschaft in die der Sowjetunion) praktisch auf die Errichtung eines separaten Staates in Ostdeutschland hinauslaufen. Selbst wenn die Russen der wirtschaftlichen Einheit unter bestimmten Bedingungen zustimmen würden, so sprächen doch alle Anzeichen dafür, daß sie ein solches Abkommen nicht entsprechend seinem Geist einhalten würden. Wir hätten wenig Möglichkeiten, die Russen in ihrer Zone zu kontrollieren und sie zur Zusammenarbeit zu zwingen. Es kommt hinzu, daß Rußland durch die wirtschaftliche Einheit freien Zugang nach Westdeutschland erhält, das außerordentlich anfällig ist für kommunistische Unterwanderung, solange die wirtschaftlichen Schwierigkeiten und die politische Zersplitterung dort andauern.
27. Trotzdem sind die Russen sehr um die Einheit bemüht, allerdings nur zu ihren Bedingungen, d. h. Beherrschung einer deutschen Zentralregierung und durch diese wiederum Kontrolle, zumindest aber gleiches Stimmrecht bei der Verwaltung der Ruhr. Es kommt hinzu, daß die Russen die Wirtschaft in ihrer Zone in einem solchen Maße überstrapazieren, daß sie, selbst bei der relativ gut funktionierenden Landwirtschaft, zu einer ernsten finanziellen und politischen Belastung für sie wird, es sei denn, sie erhalten die Möglichkeit, auf die Ressourcen Westdeutschlands zurückzugreifen. Wenn wir und die Amerikaner daher darauf bestehen, daß es eine Einheit nur zu unseren Bedingungen geben wird, ist es zumindest möglich, daß die Russen einen anderen Ton anschlagen und uns ein ganzes Stück entgegenkommen. Selbst wenn das nicht ausreicht und daraus die Spaltung Deutschlands resultiert, werden die Russen dies mit ziemlicher Sicherheit nur als eine vorübergehende Maßnahme betrachten und den Kontrollrat in Berlin beizubehalten wünschen. Wir sollten dem natürlich zustimmen, obwohl die Kompetenzen des Kontrollrates dann sehr gering sein werden.
28. Die gegenwärtige Lage ist nachteilig für uns, und dies wird wohl auch so bleiben; insofern wäre es unklug von uns, auf die Einheit zu drängen, es sei denn, die Russen sind bereit, sämtliche in Paragraph 23 genannten Bedingungen zu akzeptieren, möglicherweise mit Ausnahme von (d). Auf jeden Fall sollten wir anfangs auf allen fünf Bedingungen bestehen. Führt diese Haltung zur Spaltung Deutschlands, muß das nicht notwendigerweise ein Dauerzustand werden. Dies würde jedoch eine außergewöhnlich günstige Gelegenheit schaffen, die Wirtschaft in der britischen und amerikanischen Zone aufzubauen. Dies würde unsere Verhandlungsposition gegenüber den Russen verbessern und sie eher geneigt machen, als Gegenleistung für die Vorteile, die ihnen die Einheit bringen würde, unsere Bedingungen für die Einheit zu akzeptieren.
29. In den Verhandlungen in Washington sollten wir versuchen, die Amerikaner auf eine ähnliche Linie einzuschwören [...]

(Public Record Office, London, CAB 129/13)