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19.06.1946, Aufzeichnung von Patrick Dean für Sir Orme G. Sargent - Die Größe des neuen Landes an der Ruhr


19.06.1946, Aufzeichnung von Patrick Dean für Sir Orme G. Sargent - Die Größe des neuen Landes an der Ruhr

Wie Sie wissen, steht diese Frage auf der Tagesordnung der O. R. C.-Sitzung am 21. Juni, und die Argumente für und gegen die Errichtung eines großen neuen Landes, mit der abschließenden Empfehlung für ein solches Land, sind im O. R. C.-Me-morandum (46) 41 vom 11. Juni aufgelistet. Diese Empfehlung geht auf einen nahe-zu einstimmig gefaßten Beschluß zurück, der am Ende einer Besprechung vor zehn Tagen2 stand, auf der Sir William Strang und Generalleutnant Robertson mit großer Klarheit und sehr überzeugend für die Schaffung eines Landes, an der Ruhr durch Zusammenschluß der beiden Provinzen Westfalen und Nordrhein plädiert haben. Lediglich die Stabschefs hatten gewisse Zweifel, die sie auch jetzt noch haben, aber sie sind offensichtlich bereit nachzugeben. Mir ist jetzt vertraulich mitgeteilt wor-den, daß Mr. Hynd und einige seiner Mitarbeiter im Kontrollamt von General Ro-bertsons Argumenten nicht überzeugt sind und auf der Sitzung des O. R. C. am Freitag möglicherweise Widerspruch anmelden werden. Mr. Hynd hat offensicht-lich folgende Einwände:
(1) das neue Land sei mit zwölf Millionen Einwohnern und der Masse der Industrie
etc. zu groß und zu stark;3
(2) er glaubt nicht, daß es auf deutscher Seite Zustimmung für den Zusammen-
schluß der Provinz Westfalen mit der Nordrheinprovinz gibt;4
(3) die Schätzungen im Hinblick auf die Stärke der Kommunisten im Ruhrgebiet sei-en enorm übertrieben und die gegenwärtigen Größenverhältnisse lauteten: 60 % Sozialdemokraten, 30 %. Christdemokraten und nur 10 % Kommunisten;s
(4) ein großes Land, so wie vorgeschlagen, würde von Christdemokraten be-herrscht, und die Sozialdemokraten würden ihre Mehrheit verlieren, die sie dort an-geblich haben.
Es ist bedauerlich, daß das Kontrollamt in dieser Sache offensichtlich nicht mit einer Stimme spricht und nicht mit der einstimmigen und mit Nachdruck vorgetragenen Meinung seiner Leute vor Ort übereinstimmt. Sollten diese unterschiedlichen Meinungen in der O. R. C.-Sitzung zur Sprache kommen, so empfehle ich, daß wir nachdrücklich an unseren Vorschlägen festhalten sollten, ein Land durch Zusam-menschluß der Provinzen Westfalen und Nordrhein zu schaffen (wobei, falls not-wendig, im Osten auf bestimmte Gebiete verzichtet werden könnte). Zusätzlich zu den bereits im O. R. C.-Memorandum (46) 41 genannten Argumenten könnten noch vier weitere gute Gründe vorgebracht werden, und zwar:
1) Der Außenminister will mit klaren Entscheidungen in die Beratungen und Ver-handlungen in Paris gehen. Eine Rückverweisung dieser entscheidenden Frage und erneute Diskussionen sind nicht das, was er will und werden seine Verhandlungspo-sition schwächen.
2) Wir wollen, daß das neue Land schne116 errichtet wird. Es muß daher das große Land aus Nordrhein und Westfalen sein, das nach Aussage von General Robertson nahezu über Nacht gebildet werden kann, weil Verwaltungsfragen und andere da-mit zusammenhängende Probleme leicht zu lösen sind. Wenn wir neue Grenzen zie-hen, wird alles viel länger dauern.
3) Es ist die einhellige Meinung der Männer vor Ort - General Robertson, Sir Wil-liam Strang, Sir Percy Mills und Mr. Steel -, daß das große Land die beste Lösung ist. Es ist eine schwerwiegende Sache, gegen deren Rat zu handeln, wenn es nicht wichtige politische Gründe dafür gibt. Mr. Hynds gegenwärtige Haltung läßt sich zumindest teilweise darauf zurückführen, daß er seinen eigenen Leuten in der briti-schen Zone nicht vertraut.
4) Die Bildung eines Landes aus dem Ruhrgebiet, erweitert um einen schmalen Strei-fen im Norden und Osten, und der Nordrheinprovinz bis hinunter zur französi-schen Zonengrenze (das ist es, was Mr. Hynd möglicherweise vorschlägt)7, hat zwei Nachteile:
(a) Im Norden und Osten wird eine künstliche Grenze geschaffen, es werden die Ge-fühle der Deutschen verletzt, und es wird zu großen Verwaltungsschwierigkeiten kommen. Von der alten Provinz Westfalen wird ein beträchtliches Stück herausge-rissen, und das wird zu politischer Unzufriedenheit führen.
(b) Im Norden und Osten Westfalens wird fast ausschließlich ländliches Gebiet üb-rigbleiben, mit einer künstlichen Grenze im Süden und Westen und wegen des Ver-lustes der Gebiete im Süden und Westen - einschließlich des Ruhrgebietes - mit dem gleichen Gefühl der Unzufriedenheit bei den Bewohnern. Wirtschaftlich wird das Ruhrgebiet vom landwirtschaftlichen Hinterland im Norden und Osten ab-geschnitten, das aber aus wirtschaftlichen und politischen Gründen dazugehören sollte.

1 Entspricht Dok. Nr. 192 in der Edition „Ruhrfrage".
2 Genauer: am 6. 6. 1946.
3 Handschriftliche Randnotiz von P. Dean: „Größe ist kein ausschlaggebendes Argument. Lieber ein grö-ßeres Land, ausgewogen, zufrieden und lebensfähig, als ein kleineres, das von all dem das Gegenteil ist."
4 Handschriftliche Randnotiz von P. Dean: „Seine wichtigsten Mitarbeiter vor Ort haben alle das Gegen-teil gesagt."
5 Handschriftliche Randnotiz von P. Dean: „Vermutungen; Schätzungen variieren immer. Der Ernstfall ist nicht die heutige Ruhr, sondern wie es dort später bei einer Wirtschaftskrise aussieht."
6 Hervorhebung im Original.

(PRO, FO 371155405/C 6668114118)