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06.06.1946, Die Entscheidung für Nordrhein-Westfalen: Besprechung im Foreign Office


06.06.1946, Die Entscheidung für Nordrhein-Westfalen: Besprechung im Foreign Office

Protokoll einer Besprechung im Foreign Office, Raum 25, 15.00 Uhr, 6. Juni 1946. Streng geheim. Vorsitz: Sir Oliver Harvey. Anwesend: Generalleutnant [Lieutenant-General] Sir Brian Robertson, Sir William Strang, C. E. Steel, Sir Percy Mills, Sir David Waley, Sir Gilmour Jenkins, Brigadegeneral (Brigadier] R. H. Calthorpe, Oberst [Group Captain] D. M. MacDonald, M. J. Dean, Sir Mark Turner, John Churchill, E. L. Hall-Patch, J. M. Troutbeck, P. Dean, B. A. B. Burrows.

1. SIR O. HARVEY wies zunächst auf den Zweck des Treffens hin und erläuterte dann kurz die Pläne für die vorgesehene Kontrolle der Ruhrindustrie. Demnach sollten in einer ersten Phase bestimmte Industrien vom britischen Oberbefehlshaber beschlagnahmt werden, genauso wie das schon mit den Bergwerken geschehen sei, in einer späteren Phase sollten diese Industrien dann einer internationalen Kontrolle unterstellt werden. Um diese Kontrolle durchführen zu können, müsse ein besonderer Ruhrstaat errichtet werden, und zwar entweder
(a) entsprechend dem französischen Plan ein kleiner Ruhrstaat, der nur das Ruhrgebiet umfasse; oder
(b) [ein kleiner Ruhrstaat] in einer etwas veränderten Variante des französischen Plans im Westen über den Rhein hinaus um einen Korridor erweitert bis zur holländischen Grenze, oder
(c) entsprechend dem Vorschlag der Kontrollkommission ein großer Ruhrstaat durch Zusammenschluß der Provinzen Nordrhein und Westfalen zu einem Land.
2. Die Stabschefs seien konsultiert worden; sie hätten sich mit Schreiben vom 5. Juni für einen kleinen Ruhrstaat ohne Korridor westlich des Rheins ausgesprochen; sie hätten auch betont, daß sie absolut gegen die Teilnahme der Russen an der Ruhrkontrolle seien.

3. GENERAL ROBERTSON sagte, die zuständigen Stellen der Kontrollkommission in Berlin hätten die Frage sehr genau geprüft, wobei ihnen klar gewesen sei, daß die Franzosen mit Sicherheit und das Foreign Office mit Wahrscheinlichkeit lieber einen kleinen Ruhrstaat sehen würden. Sie hätten sich aber trotzdem einstimmig für die Bildung eines großen Ruhrstaates durch den Zusammenschluß der beiden Provinzen Nordrhein und Westfalen ausgesprochen. ROBERTSON nannte dafür folgende

(a) wirtschaftliche Gründe
(I) Eine Vielzahl voneinander abhängiger Industrien mit einem engmaschigen Netz von Bahnlinien und anderen Verkehrsverbindungen bildet in diesem Gebiet eine wirtschaftliche Einheit, die nicht auf das Ruhrgebiet beschränkt ist, sondern große Teile der Provinzen Nordrhein und Westfalen umfaßt. Falls durch dieses Gebiet Grenzen gezogen würden, würde damit diese Wirtschaftseinheit zerstört. Wir müssen davon ausgehen, daß es bei einer internationalen Kontrolle zu Schwierigkeiten beim wirtschaftlichen Wiederaufbau kommen wird, aber diese Schwierigkeiten sollten auf ein Minimum reduziert werden, indem die Grenzen des Ruhrstaates so gezogen werden, daß sie mit den bestehenden Grenzen übereinstimmen. Falls der Industrieniveauplan durchgeführt wird, geht Deutschland schweren Zeiten entgegen, und alle weiteren Dinge, die den Wiederaufbau behindern könnten, müssen vermieden werden. Die Probleme, die durch die Schaffung eines künstlichen Ruhrstaates entstehen, könnten sehr wohl zu katastrophalen Folgen führen.
(II) Jedes kleine, hochindustrialisierte Gebiet ist besonders abhängig von Konjunkturschwankungen. Bei einem größeren und in sich ausgewogenen Gebiet kann dieses Risiko reduziert werden, da dieses Land mit solchen Schwankungen besser fertig wird. Das ist besonders wichtig, da in der ersten Phase die Alliierten für die Folgen einer Krise an der Ruhr direkt aufkommen müßten.
(III) Ein hochindustrialisiertes Gebiet benötigt ein Hinterland, von wo aus die dichtbevölkerten Stadtgebiete mit Agrarprodukten versorgt werden können. Die Schaffung eines neuen Ruhrstaates wird wohl nicht zu neuen Zollschranken führen, aber unterschiedliche Verwaltungsbestimmungen innerhalb und außerhalb dieses Gebietes werden logischerweise Warenaustausch und Kommunikation mit den angrenzenden Agrargebieten erschweren.
(IV) Falls ein Teil der Grenzen des neuen Landes nicht mit der Staatsgrenze Deutschlands übereinstimmt, wird später jede deutsche Regierung versucht sein, diesem Land, dessen Verbindungen nach außen durch deutsches Gebiet führen, durch steuerliche oder andere Maßnahmen Schwierigkeiten zu bereiten. Obwohl das nicht unbedingt ein Argument gegen die Schaffung eines kleinen Ruhrstaates sein muß, sollten wir uns darum bemühen, daß die Grenzen dieses Landes mit den Staatsgrenzen Deutschlands übereinstimmen.

(b) politische Gründe
(I) Die Kontrollkommission ist absolut davon überzeugt, daß in dieser Angelegenheit auf die Gefühle der Deutschen Rücksicht genommen werden muß. Wenn das neue Land und die internationale Kontrolle funktionieren sollen, dann sind wir auf die Zusammenarbeit mit den Deutschen angewiesen. Es gibt aber bereits Hinweise darauf, daß wir auf großen Widerstand stoßen werden, falls wir traditionell Gewachsenes nicht berücksichtigen und lokale Gegebenheiten einfach übergehen.
(II) Das Vorhandensein von Kommunisten in diesem Gebiet, die von den Russen unterstützt werden, wird zu einer schwierigen Situation führen. Um kommunistischem Druck zu widerstehen, geht unsere Politik dahin, die Unterstützung aller antikommunistischen Parteien zu gewinnen (SPD und insbesondere den linken Flügel der CDU). Wir werden mit dieser Politik keinen Erfolg haben und wir werden diesen Parteien einen Bärendienst erweisen, wenn wir eine Lösung durchdrücken, die sie gegenüber ihren eigenen Landsleuten nicht verteidigen können.
(III) Es ist völlig klar, daß ein kleines Gebiet eine kommunistische Enklave sein wird. Selbst wenn keine Russen in der Kontrollbehörde sitzen, werden sie die Arbeit dieser Behörde in hohem Maße beeinflussen, weil sie die Unterstützung der Einwohner haben.
(IV) Es sollte unser Ziel sein, eine Lösung zu finden, die Bestand hat. Ein kleiner Ruhrstaat ist zwangsläufig ein künstliches Gebilde und von daher nur eine Lösung auf Zeit. Ein Land mit gewachsenen und anerkannten Grenzen hat eine viel bessere Überlebenschance als ein rein künstliches Gebilde.
(V) Wenn es darum geht, eine schnelle Lösung zu finden, dann muß dies eine einfache Lösung sein. Wenn wir uns an die bestehenden Grenzen und die vorhandenen Verwaltungsstrukturen halten, dann kann das neue Land in wenigen Wochen errichtet werden. Ist das neue Land dagegen ein künstliches Gebilde, wird es zu endlosen Verzögerungen kommen. Wenn das neue Land erst einmal existiert, dann ist es auch wünschenswert, daß die Sache so schnell wie möglich funktioniert. Mit den anfänglichen Schwierigkeiten eines kleinen Landes müßten die Briten fertig werden, und damit wiederum würde es schwierig werden, die Besatzungskosten zu reduzieren.

(c) militärische Gründe
Nach Meinung des Hauptquartiers der Rheinarmee wäre es militärisch nicht sinnvoll, einen kleinen Ruhrstaat zu schaffen, weil dann kein Gelände vorhanden wäre, wo die Truppe operieren und üben könnte. Es wäre so, als ob man eine Armee in ein Kriegsgefangenenlager verlegen würde.

4. GENERAL ROBERTSON fuhr dann fort und ging auf die Argumente ein, die für ein kleines Land sprächen, nämlich
(I) Ein großes Land würde zu stark sein. Die Kontrollkommission würde dieses Argument überhaupt nicht verstehen. Die britische Politik gehe dahin, die Macht Deutschlands als Ganzes zu reduzieren; entsprechend würde doch, falls ein starkes Gebiet international kontrolliert würde, das übrige Deutschland an Macht verlieren. Ähnliches gelte auch für die erhebliche Machtkonzentration in dem neuen Land; das entspreche der Dezentralisierung Deutschlands in „Länder"2, was ja eines unserer Ziele sei.
(II) Es sei nicht wünschenswert, die Verantwortung für ein Gebiet zu übernehmen, das größer sei als für die von uns durchzuführenden Sanktionen unbedingt notwendig. Das (oben unter (c) genannte) Argument der Militärs scheine dem zu widersprechen.
(III) Die Franzosen hielten ein kleines Gebiet für notwendig, um den besonderen Charakter und unsere Gründe für diese Sonderbehandlung erkennbar zu machen. Die Kontrollkommission könne darauf keine andere Antwort geben als die, daß dies eben die Forderung der Franzosen sei; die eigentliche Frage sei aber die, ob es sinnvoll sei, eine unbefriedigende Lösung zu akzeptieren, nur weil dies die Franzosen so wollten.
5. Falls es helfen würde, wäre es nach Meinung von General Robertson auch möglich, Teile Ostwestfalens, die nicht unbedingt zum Hinterland für die Industriegebiete an der Ruhr gehörten und nicht Bestandteil der Wirtschaftseinheit „Ruhrgebiet" seien, abzutrennen; er machte sich für diese Idee allerdings nicht besonders stark. Er wies noch einmal darauf hin, daß sich die Kontrollkommission einstimmig für einen Ruhrstaat ausgesprochen habe, der ganz Nordrhein und Westfalen umfassen solle.
6. SIR O. HARVEY erinnerte noch einmal an die Überlegungen des Außenministers, daß es an der Ruhr eine internationale Kontrolle geben solle - ähnlich wie vom Planungsstab für Wirtschaft und Industrie [E. I. P. S.] vorgeschlagen -, egal, ob die Industrien nun sozialisiert oder internationalisiert würden. Zur Zeit denke der Außenminister noch an eine Teilnahme der Russen an der Kontrolle, was allerdings nicht die Anwesenheit russischer Besatzungstruppen bedeuten müsse. Bei den Planungen für die Ruhr sollte man sich alle Wege offenhalten für den Fall, daß die im Potsdamer Abkommen festgelegten Produktionsbeschränkungen aufgehoben würden. Als Ideal schwebe dem Außenminister eine Entwicklung vor, wo die Ruhr eines Tages zum Wohle ganz Europas genutzt werde. Das Kabinett habe bereits zugestimmt, daß französische, belgische und holländische Besatzungstruppen in dem Gebiet westlich des Rheins auf Dauer stationiert werden sollten. Möglicherweise könnten britische Truppen, die für Besatzungszwecke im Ruhrgebiet vorgesehen seien, außerhalb des eigentlichen Ruhrstaates westlich des Rheins stationiert werden.

7. BRIGADIER CALTHORPE sagte, die Stabschefs hätten sich bei ihrer Entscheidung von rein militärischen Überlegungen leiten lassen; wirtschaftliche Aspekte hätten keine Rolle gespielt. Die ganze Angelegenheit müsse in einem sehr viel größeren Zusammenhang gesehen werden; es gehe nicht nur um die unmittelbar anstehende Ruhrfrage. Den Stabschefs gehe es darum, daß
(I) mit Blick auf mögliche russische Intentionen das Gebiet, das international besetzt und/oder von dem aus auf Westeuropa Einfluß ausgeübt werde, so klein wie möglich sei;
(II) unsere militärischen Verpflichtungen so gering wie möglich seien. Was das Argument der Rheinarmee betreffe, so müßten die Aufgaben der im Ruhrgebiet stationierten Truppen genau definiert werden. Es gehe nicht darum, einen größeren Angriff abzuwehren; Aufgabe der Truppe sei es vielmehr, den Entscheidungen der Kontrollbehörde Nachdruck zu verleihen. Von daher ergebe sich nicht die von der Rheinarmee erwähnte Notwendigkeit für ein großes Gebiet, um dort Manöver abhalten zu können. Die Teilnahme britischer Truppen an der Besetzung des Gebiets westlich des Rheins sei nicht wünschenswert; die Stabschefs seien zufrieden, wenn die britischen Besatzungstruppen im Ruhrstaat selbst stationiert würden.

8. GENERAL ROBERTSON stimmte zu, daß niemand daran gedacht habe, die Ruhr gegen einen größeren Angriff zu verteidigen, aber er gab zu bedenken, daß mit einer Vergrößerung des zu verwaltenden Gebietes nicht notwendigerweise auch die militärischen Verpflichtungen größer würden. Die Truppe hätte die Aufgabe, bestimmte zentrale Punkte zu besetzen. Die Anzahl dieser Punkte könne man ganz nach Belieben vergrößern oder verkleinern; das habe mit der Größe des vorgeschlagenen Landes nichts zu tun.

9. BRIGADIER CALTHORPE war im Gegensatz dazu der Meinung, daß mit einer Vergrößerung des Gebietes auch die militärischen Aufgaben größer würden.

10. MR. TROUTBECK stimmte dem nicht zu; die logische Schlußfolgerung dieser Argumentation würde nämlich bedeuten, so gab er zu bedenken, daß, um völlige Sicherheit zu erreichen, möglicherweise die Zentralregierung in Deutschland übernommen und das ganze Land wieder besetzt werden müßte.

11. MR. STEEL ergänzte, daß, falls etwas schieflaufen werde, es dann gleichzeitig innerhalb und außerhalb des neuen Landes schieflaufen werde. Wir würden aber eine bessere Chance haben, die Sache im Griff zu behalten, wenn das neue Land, das es zu kontrollieren gelte, die alten deutschen Grenzen habe.
12. SIR WILLIAM STRANG wies darauf hin, daß die Kontrollbehörde in der Hauptstadt des Landes, Düsseldorf, im Herzen des Industriegebietes, eingerichtet werden müsse.

13. SIR MARK TURNER betonte, daß die Franzosen bei den Gesprächen in Paris unseren Vorschlag günstig aufgenommen hätten, weil damit in der Frage der politischen Abtrennung des Landes nichts präjudiziert werde. Falls Sanktionen gegen Deutschland durchgeführt werden müßten, dann sei es mit diesem Vorschlag immer noch möglich, die Regierung des Landes zu übernehmen. je nach der Größe des Landes sei diese Aufgabe schwierig oder weniger schwierig.

14. MR. BURROWS fragte, ob man daran denken könne, auf diese Weise ein ganzes Land aus Deutschland herauszuschneiden. MR. STEEL antwortete, es sei einfacher, ein ganzes Land von Deutschland abzutrennen als nur Teile davon.

15. Als Antwort auf eine Frage von Mr. Burrows wurde mitgeteilt, daß in dem vorgeschlagenen großen Land 12 Mio. Menschen leben würden gegenüber 5 1/2 Mio. in dem kleinen Land. Von den 12 Mio. seien viele in der Landwirtschaft tätig, die Anhänger der CDU seien und ein Gegengewicht zu den kommunistisch beeinflußten Industriearbeitern bilden würden.

16. SIR MARK TURNER fragte, ob die Lebensfähigkeit kleiner Staaten nicht in hohem Maße davon abhänge, wie flexibel ein föderalistisches System sei, von dem sie ja ein Teil seien. Er nannte als Beispiele die Vereinigten Staaten und Kanada und meinte, daß in diesem Fall Handel und Wandel mit dem kleinen Staat kein Problem sein dürften.

17. SIR PERCY MILLS gab zu bedenken, daß die Grenzen in den Augen der Deutschen immer wichtig sein würden.

18. MR. TROUTBECK wies darauf hin, daß viel davon abhängen werde, wie die finanziellen Dinge zwischen Landes- und Zentralregierung geregelt würden. Er nannte als Beispiel die Zahlung von Arbeitslosenunterstützung, die für ein kleines Land zu einer schweren Belastung führen könnte.

19. SIR DAVID WALEY betonte, daß der schlimmste Fehler, den man bei der Bildung des neuen Landes machen könne, der sei, ein Gebiet zu schaffen, das besonders extremen Konjunkturschwankungen ausgesetzt sei. Er wies auch darauf hin, daß die politische Sicherheit in einem kleinen Land nur schwer aufrechtzuerhalten sei, weil politische Gegner aus diesem Land fliehen und in ein Gebiet wechseln und dort weiteragieren könnten, wo es keine internationale Polizeikontrolle gebe und die Sicherheitsmaßnahmen weniger effizient seien.

20. SIR OLIVER HARVEY wies darauf hin, daß das Argument betr. Belastung des britischen Steuerzahlers noch nicht aktuell sei, da wir in jedem Fall bis zum Ende der Besatzungszeit für das Gebiet verantwortlich seien; es gehe jetzt aber darum, etwas zu schaffen, das wir, wenn der Zeitpunkt gekommen sei, einer internationalen Kontrolle unterstellen könnten.

21. GENERAL ROBERTSON fügte hinzu, daß, falls bis dahin die Sache nicht richtig funktioniere, die Briten allein die Kosten zu tragen hätten.

22. SIR O. HARVEY und SIR WILLIAM STRANG meinten, die Ruhrfrage müsse in Etappen gelöst werden, nämlich:
(a) in einer ersten Phase Planungen und Beratungen mit den übrigen betroffenen Verbündeten;
(b) zu einem geeigneten Zeitpunkt Beschlagnahme bestimmter Industrien durch den britischen Oberbefehlshaber;
(c) Schaffung eines neuen Landes als Gebiets- und Verwaltungseinheit;
(d) zu einem geeigneten Zeitpunkt Übergabe der Befugnisse des britischen Oberbefehlshabers an eine internationale Kontrollbehörde.

23. Die Runde war sich einig, daß es nicht Ziel britischer Politik sei, mittels Ruhrkontrolle der deutschen Wirtschaft „das Rückgrat zu brechen".

24. GENERAL ROBERTSON legte dann eine Kartei vor, auf der die Lage der Industrien und die wirtschaftlichen Zusammenhänge sowie die Verkehrsverbindungen zu sehen waren, um zu zeigen, daß bei einem kleinen Land in jedem Fall zahlreiche wichtige Einheiten durchschnitten würden. Auf der Karte war auch zu sehen, daß etliche dieser Einheiten, weit östlich des Rheins lagen. SIR O. HARVEY war davon beeindruckt.

25. SIR O. HARVEY sagte, der Außenminister habe an ein großes Land gedacht, das in drei Bezirke aufgeteilt werden könnte; in einem dieser Bezirke würden dann die wichtigsten Industrien liegen, dort würde auch die internationale Kontrollbehörde ihren Sitz haben.

26. GENERAL ROBERTSON antwortete, daß man über diese Idee sehr wohl nachdenken könne; es sei aber absolut notwendig, daß die Landesregierung mit den entsprechenden Befugnissen Gesprächspartner der Kontrollbehörde sei und nicht lediglich eine Bezirksregierung. Mit diesem Vorschlag würde die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, der Landesregierung vorzuschreiben, bestimmte, nur auf das Industriegebiet beschränkte Maßnahmen durchzuführen. Ein solcher Vorschlag würde möglicherweise auch bei den Stabschefs auf Zustimmung stoßen. Es sei wünschenswert, die besonderen Kontrollmaßnahmen im Ruhrgebiet so weit wie möglich zu reduzieren, aber angesichts einer internationalen Kontrolle sei eine unterschiedliche Behandlung nun einmal nicht zu vermeiden.

27. MR. HALL-PATCH wies darauf hin, daß, wenn man bestimmte Kontrollmaßnahmen nur in einem Teil eines Landes durchführe und im übrigen Land nicht, damit ein politischer Infektionsherd geschaffen werde.

28. SIR MARK TURNER wollte wissen, wieviel Prozent der gesamten deutschen Industrie in dem großen Land liegen würden. Er vermutete 90 % der Steinkohleförderung, 80 % der Stahlproduktion und mehr als 35 % der chemischen Industrie; d. h. praktisch genau so viel, wie in dem von den Franzosen vorgeschlagenen Gebiet. SIR PERCY MILLS bestätigte das.

29. SIR MARK TURNER nannte die politischen Argumente, die für die Schaffung eines großem Landes vorgebracht worden seien, überzeugend und stimmte der Überlegung zu, daß, falls an eine spätere Abtrennung des Landes gedacht sei, wirtschaftliche Gründe gegen die Schaffung eines kleinen Landes sprächen.

30. SIR DAVID WALEY gab zu bedenken, daß es leichter sei, mit einem großen Gebiet zu beginnen und dieses dann später zu verkleinern, als den umgekehrten Weg zu gehen.

31. MR. STEEL sagte, falls man sich für die Schaffung eines großen Landes entscheide, könnten die Provinzen Nordrhein und Westfalen leicht zusammengeschlossen werden; der Oberpräsident der Nordrheinprovinz habe sich sogar mit Nachdruck für diesen Zusammenschluß ausgesprochen, damit dieses Gebiet wirtschaftlich ausgeglichen sei und der durch die Kampfhandlungen am Ende des Krieges entstandene Schaden in den landwirtschaftlichen Gebieten westlich des Rheins durch die weniger zerstörten Gebiete Westfalens ausgeglichen werde. Die Südrheinprovinz stelle kein großes Problem dar; deren Zukunft hänge davon ab, wie Franzosen und Amerikaner ihre Zonen reorganisieren würden. Es müsse aber offen gesagt werden, daß es nach Schaffung eines kleinen Landes zu sehr großen Schwierigkeiten kommen werde, das Gebiet, das von den Provinzen Westfalen und Nordrhein dann übrigbleibe, politisch, wirtschaftlich und verwaltungsmäßig zu organisieren.

32. MR. HALL-PATCH sagte, den Argumenten jener, die mit den Problemen vor Ort vertraut seien, müsse großes Gewicht zugemessen werden. Wir müßten daher die Idee, ein kleines Land zu schaffen, fallenlassen und könnten vielleicht den Franzosen vorschlagen, daß die internationale Kontrollbehörde ihre Kontrolle auf ein bestimmtes Gebiet beschränke, ihre Arbeit und ihre Anweisungen aber über die Landesregierung des großen Landes laufen lassen würde.

33. SIR OLIVER HARVEY meinte, daß die politische Abtrennung eines großen Gebietes äußerst schwierig sei. Er schlug vor, die Ergebnisse dieser Besprechung in einem Memorandum für das O.R.C. zusammenzufassen; der Außenminister habe beschlossen, das O.R.C. zu reaktivieren. In dem Memorandum sollten die gewichtigen Argumente für die Schaffung eines großen Landes betont werden. Er, Harvey, möchte gern noch etwas mehr darüber erfahren, wie eine auf ein bestimmtes Gebiet in einem großen Land beschränkte Kontrolle funktionieren würde.

34. GENERAL ROBERTSON sagte, es sei schwierig, dazu jetzt schon etwas zu sagen, aber in jedem Fall gehöre die Besatzung dazu, die man auf dieses Gebiet beschränken könne; das werde möglicherweise auch die Stabschefs zufriedenstellen. Er fügte hinzu, daß man noch nicht festgelegt habe, welche Gebiete mit welchen Industrien kontrolliert werden sollten.

35. SIR PERCY MILLS übernahm es, im Laufe der Woche eine entsprechende Karte anzufertigen, die dem O.R.C.-Memorandum beigelegt werden sollte. Dieses Memorandum sollte dann dem Außenminister vor seiner Abreise nach Paris vorgelegt werden und, falls er damit einverstanden sei, dann dem O.R.C. zugeleitet werden.

36. GENERAL ROBERTSON sagte, ihm liege sehr daran, daß eine Entscheidung über die Größe des Landes noch vor den Landtagswahlen getroffen werde. Er beabsichtige, mit den deutschen Stellen die genaue Grenzziehung und einige andere kleinere Dinge zu besprechen, die für uns ohne Bedeutung seien.

37. SIR OLIVER HARVEY fragte, was im Vorfeld der Landesgründung noch alles getan werden könne, z. B. im Hinblick auf die Beschlagnahme der Unternehmen; eine entsprechende Entscheidung habe man angesichts der Beratungen über die Stahlindustrie [im Alliierten Kontrollrat] vertagt.

38. MR. TROUTBECK fragte, wie lange es dauern könnte, bis das neue Land gegründet worden sei.

39. GENERAL ROBERTSON antwortete, wenn das Land groß und so unkompliziert sei, wie er das aufgezeigt habe, dann könne das praktisch über Nacht geschehen; wenn das Land aber klein sei und aus den bestehenden Provinzen herausgeschnitten werden müsse, dann sei das Unternehmen sehr viel komplizierter und werde länger dauern. Als Beispiel nannte er die Erstellung von Wählerlisten.

40. SIR O. HARVEY war der Meinung, daß die ganze Frage bis Ende Juni erledigt sein könnte.

41. BRIGADIER CALTHORPE machte den Vorschlag, und die Runde stimmte zu, das Memorandum des Foreign Office für das O. R. C. zuvor den Stabschefs zuzuleiten. Die Stabschefs würden dann ein eigenes Memorandum erarbeiten; beide Memoranden zusammen sollten dann dem O.R.C. vorgelegt werden.

(PRO, FO 371/55405/C 9794/14/18)