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17.04.1946, Sitzung des britischen Kabinetts


17.04.1946, Sitzung des britischen Kabinetts

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Diskutiert wurden die Vorschläge zur künftigen Kontrolle der Ruhr. Das Kabinett war sich einig, daß man sich dem französischen Plan, der die politische Abtrennung des Ruhrgebietes von Deutschland vorsieht, widersetzen müsse. Was die zwei Ruhrpläne [... ] betraf, so gingen die Meinungen darüber auseinander. Für den zuletzt [... ] vom Außenminister genannten Plan [Sozialisierung] wurden folgende Argumente vorgetragen:
(a) Eine internationale Behörde aus Vertretern verschiedener Regierungen ist wahrscheinlich nicht das geeignete Instrument, um die Unternehmen an der Ruhr erfolgreich zu führen. Wenn die Unternehmen dem Staat gehören, wird es, bei gleichzeitiger internationaler Kontrolle, eher möglich sein, für ein leistungsfähiges Management zu sorgen.
(b) Wir sollten bei der Formulierung unserer Politik nicht von der Annahme ausgehen, daß man Deutschland durch internationale Kontrollen für ewige Zeiten niederhalten kann. Es ist eine bessere Politik, in Deutschland die Errichtung einer fortschrittlichen, sozialen Demokratie zu fördern, die es Deutschland erlaubt, in die Gemeinschaft der zivilisierten Völker zurückzukehren. Mit diesem Ziel vor Augen ist es besser, wenn diese Industrien in deutschem Besitz bleiben.
(c) Bei diesem Plan brauchen wir die sowjetische Regierung nicht stärker an der Kontrolle der Ruhrindustrie zu beteiligen, als sie umgekehrt uns in Ostdeutschland beteiligt, z. B. an der internationalen Kontrolle der Industrie in Sachsen.
(d) Dieser Plan wird der Tatsache gerecht, daß Europa jetzt in zwei Einflußzonen geteilt ist, und er bietet uns die Chance zu beweisen, daß wir in einem demokratischen Westdeutschland eine leistungsfähige Wirtschaft aufbauen können, die zum Vergleich mit jener Wirtschaftsordnung herausfordert, die unter einem anderen System in Ostdeutschland aufgebaut wird.
(e) Bei diesem Plan, bei dem die Unternehmen, in deutschem Besitz bleiben, wird es weniger wahrscheinlich, daß es zu einer erneuten nationalistischen, auf Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung gegründeten Bewegung kommt. Wenn man diese Industrien in den Händen einer kleinen, aber mächtigen Gruppe deutscher Unternehmer läßt, besteht die große Gefahr, daß sie für die Produktion von Kriegsmaterial benutzt werden; aber dieses Risiko braucht erst gar nicht zu entstehen, wenn wir die Gelegenheit nutzen und diese Industrien sozialisieren.
Auf der anderen Seite sprachen sich etliche Minister für eine Internationalisierung der Industrie [... ] aus. Die wichtigsten Argumente für diesen Plan lauteten:
(f) Eine der größten Gefahren für den zukünftigen Frieden in Europa liegt in der Möglichkeit, daß wahrscheinlich im Laufe der Jahre die Siegermächte mehr und mehr in ihrem Bemühen nachlassen werden, in Deutschland eine Kontrolle auszuüben, die notwendig ist, um in Deutschland den Wiederaufbau eines Kriegspotentials zu verhindern. Die Internationalisierung wird eine solche fortdauernde Kontrolle garantieren.
(g) Es wird schwierig sein, in Deutschland Sozialdemokraten zu finden, die genügend Wissen und Erfahrung haben, um. die Staatsgesellschaft zu führen, die die Unternehmen an der Ruhr betreibt. Höchstwahrscheinlich gerät die Führung einer solchen Gesellschaft in die Hände von Industriellen und Technikern, die dem Wiederaufbau einer extrem nationalistischen Bewegung in Deutschland wahrscheinlich wohlwollend gegenüberstehen.
(h) Eine deutsche Gesellschaft kann eine für unsere Wirtschaftsinteressen nachteilige Politik betreiben. Wenn die Ruhrindustrie durch ein internationales Gremium kontrolliert wird, in dem wir mitbestimmen, können wir eher für eine Entwicklung sorgen, die den wirtschaftlichen Interessen des Vereinigten Königreiches am besten entspricht.
(i) Die Internationalisierung der Ruhrindustrie wird mit dazu beitragen, Frankreich als große Industrienation wieder aufzubauen und wird auch den wirtschaftlichen Aufschwung in Holland und Belgien fördern helfen.
Der Außenminister sagte, er habe gezögert, seinen ursprünglichen Plan, die Ruhrindustrie zu internationalisieren, aufzugeben. Gleichzeitig halte er jedoch einen Punkt in dem neuen Plan für sehr wichtig, nämlich die Schaffung des vorgeschlagenen neuen Landes. Angesichts der im Kabinett geführten Diskussion schlug er nun vor, daß er in den von ihm gewünschten Sondierungsgesprächen mit interessierten ausländischen Regierungen versuchsweise beide Pläne vorlegen und überlegen wolle, falls man dort eher zur Internationalisierung neige, ob dies nicht mit der Errichtung eines neuen Landes an der Ruhr kombiniert werden könne.

Das Kabinett
(1) ermächtigt den Außenminister, zunächst mit den Ministern der Dominien, die sich anläßlich der bevorstehenden Konferenz in London aufhielten, und anschließend mit den Regierungen interessierter ausländischer Staaten, insbesondere Frankreichs, Belgiens und Hollands, Gespräche über die Zukunft der Ruhr und Westdeutschlands auf folgender Basis zu führen:
(i) Als erstes soll versucht werden, die prinzipielle Zustimmung zur Errichtung eines neuen deutschen Landes an der Ruhr zu erreichen. Vorbehaltlich dieser Zustimmung soll die zukünftige Kontrolle der Ruhrindustrie entweder durch Internationalisierung [... ] oder durch Sozialisierung und Schaffung einer deutschen Gesellschaft bei internationaler Kontrolle [... ] erreicht werden. Die Dominion-Minister und die ausländischen Regierungen sollen um ihre Meinung zu beiden Plänen gebeten werden.
(ii) Französische, belgische und holländische Truppen sollen in dem Gebiet westlich des Rheins für unbestimmte Zeit stationiert werden; dieses Gebiet soll aber nicht von Deutschland abgetrennt werden.