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07.03.1945, Reparationen und Zerstückelung. Memorandum des britischen Schatzkanzlers J. Anderson


07.03.1945, Reparationen und Zerstückelung. Memorandum des britischen Schatzkanzlers J. Anderson

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14. Abgesehen von solchen Überlegungen, die genauer untersucht werden sollten, ist es meine Auffassung, daß wir entweder eine Reparationspolitik oder eine Zerstückelungspolitikverfolgen können, ganz sicher aber nicht beide auf einmal. Eine brauchbare Reparationspolitik muß Deutschland einige Aussicht auf ein Existenzminimum lassen und, solange Reparationsleistungen verlangt werden, auch Aussichten auf ein gewisses Maß an Exporten zum Ausgleich für die erforderlichen Importe. Nur wenn die deutsche Wirtschaft insgesamt zu Reparationsleistungen herangezogen wird, ist eine Reparationen größeren Umfangs vorsehende Politik, die diese Bedingungen erfüllt, möglich.

All dies wird von der Entscheidung Amerikas beeinflußt, seine Besatzungstruppen nach Ablauf von zwei Jahren abzuziehen. Zwei Jahre sind nach Auffassung der Militärbehörden notwendig, um eine Abrüstung zu erzielen. Wir können aber nicht hoffen, nach Ablauf dieser Zeit mehr als nur die ersten Schritte in Richtung auf eine Beseitigung des wirtschaftlichen und politischen Chaos in Deutschland getan und eventuell einen geringen Fortschritt bei den einmaligen Reparationslieferungen erzielt zu haben. Wenn die amerikanische Zone in einen neuen südwestdeutschen Staat übergehen soll, dürfte sich das Interesse der Vereinigten Staaten während der Besatzungszeit und auch danach auf den Reichtum dieses Gebietes beschränken. Vermutlich würden die Amerikaner dem gleichen Gebiet am Schluß finanzielle Hilfe zur Verfügung stellen als Rechtfertigung für den Abzug ihrer Truppen. Für uns ist es jedoch wesentlich, daß die amerikanische Hilfe gleichmäßig zur Beseitigung der Wirtschaftsprobleme ganz Deutschlands, oder zumindest Westdeutschlands, gewährt wird.
15. Solange es uns unmöglich ist, das Prinzip eines einheitlichen deutschen Staates sowohl hinsichtlich der Reparationsleistungen als auch der notwendigen Hilfsimporte zu garantieren, werden wir uns finanziellen und ökonomischen Verpflichtungen gegenübersehen, für deren Erfüllung wir keinerlei Mittel zur Verfügung haben, es sei denn auf Kosten unseres eigenen Volkes, das dann nicht nur für die Niederlage Deutschlands, sondern auch für sein Wiederaufleben zu zahlen hätte.
Mit einem Großteil dieser schweren Belastungen müßten wir in der ersten Zeit fertig werden. Wir müssen dann eine Besatzungsarmee unterhalten, Krieg gegen Japan führen, unsere Garnisonen verstärken, Hilfslieferungen
finanzieren und dazu beitragen, unsere in Mitleidenschaft gezogenen Kolonien und Schutzgebiete im Osten wiederaufzubauen. Selbst wenn ein Teil dieses Geldes eines Tages zu uns zurückfließt, müssen die Kosten in der Zwischenzeit doch finanziert werden. Unsere Reserven sind in bedenklichem Maße unzureichend, und wir nehmen zum großen Teil Anleihen aus armen Ländern in Anspruch, für deren Entwicklung eine Rückzahlung unserer Schulden lebenswichtig ist. Zur Zeit – davon bin ich überzeugt – sind wir in der Lage, diese Schulden auf uns zu nehmen und sie über eine Reihe von Jahren hinweg durch eigene Kraft zurückzuzahlen. Wir können vielleicht auch auf etwas Hilfe von den Vereinigten Staaten hoffen, aber wir dürfen es nicht riskieren, finanziell abhängig von ihnen zu werden.
16. Wenn wir voraussetzen müssen, daß die russische Besatzungszone allmählich das Berliner Gebiet umfassen und sich zu einem Regierungs- oder Verwaltungssystem herausentwickeln wird, das der russischen Politik entgegenkommt, so sollten wir wenigstens überlegen, ob es nicht ein vereinigtes Westdeutschland geben sollte, das in die allgemeine Wirtschaft der westeuropäischen Länder eingegliedert werden kann.
17. Angesichts der schwerwiegenden Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, müssen wir vor allem sicher sein, daß sich unsere Politik fest auf das überlegte Verständnis unseres eigenen Volkes und der Commonwealth-Länder stützen kann und daß es sich dabei um eine Politik handelt, die sowohl in finanzieller als auch in personeller Hinsicht unsere Möglichkeiten nicht übersteigt. Dann kann sie von uns und unseren Nachfolgern in unmißverständlicher Weise dargelegt und entschlossen verfolgt werden. Wenn wir zulassen, daß gewisse Tendenzen der Jalta-Konferenz zu festen Beschlüssen werden, ohne wesentliche Änderungen zu erfahren, könnte das Ergebnis sehr wohl die finanziellen Kräfte unseres Landes und der Commonwealth-Länder übersteigen, die doch von uns Unterstützung erwarten, und unsere Eignung für eine gebührende Führungsposition in Europa beeinträchtigen.
Schatzamt, London, S. W. 1,
am 7. März 1945 J. A [nderson]