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09.08.1944, Die sowjetische Europapolitik. Geheimes Memorandum des britischen Außenministers Anthony Eden für das Kriegskabinett


09.08.1944, Die sowjetische Europapolitik. Geheimes Memorandum des britischen Außenministers Anthony Eden für das Kriegskabinett

1. [...]
2. [...] [Aufgrund der Erfahrungen mit den Deutschen, den von ihnen in Rußland angerichteten Grausamkeiten und Zerstörungen wird] ... die sowjetische Regierung daher wahrscheinlich größten Wert auf die Zusammenarbeit mit ihren Alliierten legen, um gemeinsam mit ihnen durch äußerst harte und wirksame Maßnahmen zu verhindern, daß Deutschland wieder erstarkt und erneut zu einer Gefahr für Rußland wird. Sie wird in gleichem Maße höchst mißtrauisch sein, sollten wir und die Regierung der USA den Anschein erwecken, Deutschland milde behandeln zu wollen, oder wenn wir argumentieren, daß von einem prosperierenden Deutschland der Wohlstand ganz Europas und insbesondere Großbritanniens abhängt [...]
3. Es wird manchmal darauf verwiesen, daß die sowjetische Regierung im Gegenteil auf ein kommunistisches Deutschland hinarbeiten und sich dann gemeinsam mit ihm gegen uns wenden wird.
4. [...]
5. [...] Es gibt sehr gute Argumente, die gegen diese Annahme sprechen
Dies würde bedeuten, daß sich Rußland für fähig hält, ein wiedervereintes Deutschland zu kontrollieren. Dabei ist es gerade Deutschland – und Japan –, das zu einer direkten Gefahr für die Sicherheit der Sowjetunion werden kann – während die anderen Mächte dies weder wollen noch können. Außerdem ist die sowjetische Regierung nicht so schlecht über Deutschland informiert, als daß sie nicht wüßte, daß ein kommunistisches Deutschland fast sicher nationalistisch bleiben und schon bald wieder von Rache und Vorherrschaft träumen wird. Sie muß eine heilsame Furcht haben vor dem Organisationstalent der Deutschen und deren Fähigkeit, bei einer starken Führung Höchstleistungen zu vollbringen. Es kommt hinzu, daß ein kommunistisches Deutschland in dem Maße Rußlands Position als Führer der extremen Linksbewegung in der Welt gefährden kann, in dem sich die Sowjetunion vom wahren Pfad des Kommunismus entfernt. Wenn Deutschland von sich aus kommunistisch werden würde, könnten russische Ideologen versucht sein, sich des so Bekehrten hilfreich anzunehmen. Aber Stalin ist ein Realist und kein Ideologe [...]
6. Wir können ziemlich sicher sein mit unserer Annahme, daß Rußland nur dann versuchen wird, mit Deutschland zusammenzugehen, wenn es glaubt, daß die übrigen Weltmächte beabsichtigen, Deutschland als Bollwerk gegen Rußland wieder aufzubauen [...]
7. Deutschland seinerseits wird natürlich auf jede Schwächung der angloamerikanisch-russischen Zusammenarbeit warten und sich, entsprechend der jeweiligen Situation, der einen oder anderen Seite anbieten: der sowjetischen Regierung als kommunistischer oder sozialistischer Partner, bereit, dabei mitzuhelfen, die kapitalistischen Westmächte aus »Mittel- und Osteuropa« rauszuhalten, bei gleichzeitiger Bereitschaft, jede territoriale Ausdehnung, die die Russen wünschen, stillschweigend hinzunehmen. Den Westmächten gegenüber wird es sich als Vorkämpfer europäischer Kultur ausgeben, bereit, bei der Verteidigung Europas gegen russische und kommunistische Penetration mitzuhelfen.
8. Die Lösung liegt in der Fortsetzung einer möglichst engen Zusammenarbeit mit der sowjetischen Regierung, besonders was Deutschland betrifft; und es müssen so weit wie möglich alle Anzeichen von Freundschaft oder Milde gegenüber Deutschland vermieden werden [...]
9. Wir müssen auch bei unseren Beziehungen zu den übrigen europäischen Staaten, und insbesondere den osteuropäischen, darauf achten, daß wir der sowjetischen Regierung keinen Grund zu der Annahme geben, wir würden einen Block gegen sie aufbauen. Denn die sowjetische Regierung würde zu Recht davon ausgehen, daß ein solcher Block zwangsläufig früher oder später ohne die Beteiligung Deutschlands nicht auskommt.

(Public Record Office, London, CAB 66/53)