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Psychoanalytische Erziehungswissenschaft


Lehrveranstaltungen WS 2000/01




AIGNER Josef Christian: Einführung in die Psychoanalyse

Die Psychoanalyse Sigmund Freuds liefert für die Humanwissenschaften eine Fülle von Anregungen. Dies gilt insbesondere auch für den Bereich der Psychologie und der Pädagogik, wobei Freud selbst von der Pädagogik einmal als von dem vielleicht fruchtbarsten Feld der Anwendung seiner Theorie gesprochen hat. Die Psychoanalyse rückt - um den Zusammenhang von persönlicher Geschichte, individuellem Leiden und auch der gesellschaftlichen Verwobenheit des letzteren zu erforschen - das Unbewußte in den Mittelpunkt des Interesses. Dies verlieh ihr seit jeher auch einen etwas sagenumwobenen, fast mythologischen Charakter. Die LV will - ausgehend von Freuds Leben und Werk - dieses Bild ein wenig "entmythologisieren", um die Botschaft der Psychoanalyse einerseits in ihrer Potenz als helfende, verstehende Praxis (in Erziehung und Therapie), aber auch in ihrer Radikalität als Instrument zur Erhellung und Kritik von teilweise beunruhigenden kulturellen Entwicklungsprozessen verständlich zu machen.


AIGNER Josef Christian: Sozialpsychologie und Psychoanalyse: Die vaterlose Gesellschaft

Die "Vaterlose Gesellschaft" ist eine berühmt gewordene Metapher aus der psychoanalytischsozialpsychologischen Diskussion (Paul Federn, Alexander Mitscherlich u.a.), die darauf verweist, dass etwas mit unseren leiblichen, sozialen wie symbolischen Vätern in Unordnung geraten sein könnte. Sozialpsychologisch sind dabei v.a. gesellschaftliche Faktoren sowie die Auswirkungen des Niedergangs väterlicher Macht und väterlicher Sozialisationswirkung interessant, die psychoanalytische Dimension verweist auf eine veränderte Strukturierung des Psychischen (Ödipuskomplex, Über-Ich-Bildung etc.), die ihrerseits wieder sozialpsychologische und auch gesellschaftliche Folgen zeitigt. Aber auch der Bedeutung des frühen Vaters, der in der Psychologie allgemein wie auch in der Psychoanalyse als vernachlässigte Dimension erscheint, und ihren Auswirkungen auf die psychoanalytische Entwicklungstheorie soll nachgegangen werden.


BICKEL Herbert: Psychoanalyse und Film I

Film ist Louis Lumière und Sigmund Freud [Philippe Garrel] – Film ist künstlerische Wissenschaft [August Ruhs] – Film ist Couch [der] Armen [Félix Guattari] – und insgesamt: Film ist [wie Literatur, Poesie, Kunst etc.] Argument und Aufforderung genug, Psychoanalyse auch zu einer Medienwissenschaft [August Ruhs] zu entwickeln.* Das Interesse der Psychoanalyse am Film mag zu einem Großteil darauf beruhen, dass sich Film als Ort psychischer, sozialer, kultureller und gesellschaftlicher Realität präsentiert, dass sich Film somit als ausgezeichneter Gegenstand psychoanalytischer Kultur- und Sozialforschung empfiehlt, dass Film zudem ungenützte Möglichkeiten kreativer Aneignung und Entwicklung psychoanalytischer Theorie enthält – und nicht zuletzt: dass Film ein ausgezeichnetes Setting schafft, in einem realitätsnahen und zugleich geschützten Freiraum in erfahrungsorientierter Aktivität mit eigenen Visionen experimentieren zu können. August Ruhs über zwei unterschiedliche Zugänge zu psychoanalytischer Erkenntnis und somit über zwei unterschiedliche Bereiche psychoanalytischer Forschung und Wissenschaft – wobei auffällt, dass die Formulierung des ersten Zugangs Historisches und die des zweiten Zugangs Programmatisches zu enthalten scheint: Psychoanalytische Erkenntnis verdankt sich dem Vermögen und der Kreativität zweier voneinander zu unterscheidenden Personengruppen: sicherlich sind es in erster Linie die "Fähigkeiten" der Psychoneurotiker zur Bildung jener pathologischen Produktionen und Symptome gewesen, die einen Zugang zu den tieferen Strukturen des menschlichen Seelenlebens eröffnet und damit auch Möglichkeiten für deren Beeinflussung geschaffen haben. Andererseits ist das schöpferische Potential nicht gering in Anschlag zu bringen, das uns von jenen begabten Menschen zukommt, welche es durch künstlerische und literarische Produktionen verstanden haben, intimen psychischen Regungen in privilegierter und sublimierter Form zum Ausdruck zu verhelfen. Freud ist Zeit seines Lebens nicht müde geworden, auf diese Lehrmeister der Psychoanalyse hinzuweisen und den Psychoanalytikern das Studium derartiger Kreationen zu empfehlen.* [* Zitate und Hinweise stammen aus Beiträgen zum Schwerpunkthema Film in: RISS, Zeitschrift für Psychoanalyse, Jg. 12, Nr. 39/40, Sep./Okt. 1997, S. 5, 13, 23, 41.]


BICKEL Herbert: Psychoanalytische Sozialforschung

Psychoanalytische Sozialforschung als zentraler Bereich Psychoanalytischer Erziehungswissenschaft kann sich im wesentlichen auf drei Konzepte stützen:

1. auf das Konzept einer psychoanalytischen KulturAnalyse, die den Zugang zu sozialer Realität über unterschiedliche Medien und Produkte kulturellen Schaffens sucht [z.B. Film etc.];

2. auf das Konzept einer psychoanalytischen EthnoAnalyse, die sich mit sozialer Realität im Sinne des Ethnischen und somit auch mit kultureller Differenz innerhalb der eigenen Kultur befasst [z.B. Jugendkultur etc.];

3. auf das Konzept einer psychoanalytischen SozioAnalyse, die soziale Realität im Sinne des Gesellschaftlichen als Inszenierung ödipaler Auseinandersetzung beschreibt [z.B. Nationalsozialismus etc.]. Die Veranstaltung soll die Möglichkeit bieten, Grundlagen der drei genannten Konzepte auf Basis einführender Lektüre zu erarbeiten, ihre jeweils spezifische Atmosphäre anhand konkreter Forschungsberichte, Anekdote etc. zu erleben und die praktische Bedeutung Psychoanalytischer Sozialforschung im Rahmen einer Psychoanalytischen Erziehungswissenschaft zu diskutieren.


BICKEL Herbert: Psychoanalytische Lektüre

Psychoanalytische Lektüre meint nicht Lektüre psychoanalytischer Theorie: Psychoanalytische Lektüre meint – um nicht das Adjektiv belletristisch ins Spiel bringen zu müssen – Lektüre literarischer, d.h. lyrischer, epischer, dramatischer Literatur zu einem jeweils ausgewählten thematischen Schwerpunkt – im aktuellen Semester zum Themenschwerpunkt Vater [vgl. auch Veranstaltungen von Hierdeis und Aigner]: zur Thematik des anwesenden, des abwesenden, des beschützenden, des bedrohlichen, des sanftmütigen, des gewalttätigen, des geliebten, des gehassten, des gefürchteten Vaters sowie zur Thematik gesellschaftlicher, kultureller, religiöser Repräsentanzen väterlicher Autorität. Zur Bedeutung literarischer Texte im Rahmen psychoanalytischer Forschung sowie im Kontext der Aneignung psychoanalytischer Kompetenz sei auf entsprechende Anmerkungen zur Veranstaltung Psychoanalyse und Film und nicht zuletzt auf Sigmund Freud verwiesen: Wertvolle Bundesgenossen sind aber die Dichter, und ihr Zeugnis ist hoch anzuschlagen, denn sie pflegen eine Menge von Dingen zwischen Himmel und Erde zu wissen, von denen sich unsere Schulweisheit noch nichts träumen lässt. In der Seelenkunde gar sind sie uns Alltagsmenschen weit voraus, weil sie da aus Quellen schöpfen, welche wir noch nicht für die Wissenschaft erschlossen haben. [Sigmund Freud: Der Wahn und die Träume in W. Jensens "Gradiva". Studienausgabe X: Bildende Kunst und Literatur. Frankfurt a.M. 1997]


HIERDEIS Helmwart: Der abwesende Vater

Der Vater spielt in der Freud’schen Triangulationstheorie, Oedipustheorie, Verführungstheorie, Kulturtheorie… eine bedeutende Rolle. Aus den Sozialwissenschaften kommen Informationen über die Folgen der Vaterpräsenz und Vaterabwesenheit im Zusammenhang mit der Sozialisation. Für die Psychoanalyse ist dabei die Frage entscheidend, welche Funktionen dem realen Vater und welche dem im Unbewußten repräsentierten Vater zuzuschreiben sind. Die Lehrveranstaltung wird sich mit der wichtigsten Literatur ebenso befassen wie mit der Analyse von Interviews mit vaterlos Aufgewachsenen aus einem Projekt.


KENNEDY Paul: Einführung in die Analytische Psychologie

>Wer die menschliche Seele kennenlernen will, der wird von der experimentellen Psychologie soviel wie nichts darüber erfahren. Ihm wäre zu raten, lieber die exakte Wissenschaft an den Nagel zu hängen, den Gelehrtenrock auszuziehen, der Studierstube Valet zu sagen und mit menschlichem Herzen durch die Welt zu wandern, durch die Schrecken der Gefängnisse, Irrenhäuser und Spitäler, durch trübe Vorstadtkneipen, Bordelle und Spielhöllen, durch die Salons der eleganten Gesellschaft, die Börsen, die sozialistischen Meetings, die Kirchen, die Revivals und Ekstasen der Sekten zu gehen, Liebe und Haß, Leidenschaft in jeder Form am eigenen Leibe zu erleben, und er käme zurück mit reicherem Wissen beladen, als ihm fußdicke Lehrbücher je gegeben hätten, und er wird seinen Kranken ein Arzt sein können, ein wirklicher Kenner der menschlichen Seele.<
C.G. Jung in: Jolande Jacobi (Hg.) Psychologische Betrachtungen. Eine Auslese aus den Schriften von C.G. Jung, Zürich 1945. S.87
Somit wird in dieser Vorlesung eine Führung durch eine Lesestube in der Maria-Theresien-Straße, durch die Videos von Madonna und von einer griechischen Insel nach Zürich erfolgen, um die Grundbegriffe der analytischen Psychologie Jungs kennenzulernen. Die Kontroversen um Jung (Mystiker? Nazi? Psychotiker?...) werden besprochen, wie auch die Weiterentwicklung und Anwendungen seiner Gedanken - besonders die "arche-typische Psychologie" von James Hillman, für den die Psychologie "die Erkenntnislehre des Herzens" ist.


SCHÜLEIN Johann August / WALTER Hans Jörg: Methodologische Aspekte der Psychoanalyse

Von der Neurophysiologie zur "Wissenschaftlichen Weltanschauung" (über Freuds Wissenschaftstheorie) – Positionen in der weiteren wissenschaftstheoretische Diskussion – die Psychoanalyse zwischen Naturwissenschaft u. Hermeneutik – die Logik d. Psychoanalyse – Theorie psychoanalytischer Praxis.


WALTER Hans Jörg / WORSCH Michael: Analytische Dramaarbeit

Inszenieren bedeutet am Theater, einen Text zur Aufführung zu bringen. Der Text, mit dem wir arbeiten wollen, ist Sophokles: Antigone. Der erste Schritt wird der Austausch in der Gruppe über die Lektüreerfahrungen sein: Welche Vorstellungen sind über die Personen und ihr Zusammenwirken entstanden? Welche Beweggründe des Handelns in den verschiedenen Situationen können erschlossen werden? Wie haben sich die eigenen Beziehungen zu den Personen im Text entwickelt? Der zweite Schritt wird in der Inszenierung von Vorstellungen bestehen, die sich auf Beweggründe des Handelns in bestimmten Situationen beziehen. Eine Vorstellung spielen bedeutet: Raum und Zeit durch Bewegung zu gestalten. Wir wollen dabei nicht den Text im Sinne ausgestalteter Szenen zur Aufführung bringen, sondern beabsichtigen, elementare Erlebnis- und Beziehungsfiguren in den theatralen Rahmen zu holen. um so weitere Spuren in der Erschließung des Textes der Fallgeschichte suchen zu helfen.

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15.03.01
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