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Copy of Otto Neururer und seine österlichen Augen

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Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Mit vierzehn war ich zum ersten Mal in Auschwitz und auch in Majdanek - dem zweitgrößten deutschen Vernichtungslager auf polnischem Boden. Gleichsam zwei Mal stand ich vor einem Berg menschlicher Brillen. Brillen der vergasten und eingeäscherten Opfer. Der große Berg aus menschlicher Asche, der in Majdanek unter einer Betonkuppel zu sehen ist, hat auf mich keinen so bedrückenden Eindruck gemacht als die Brillen. Jene Brillen, die keine Perspektive mehr fokussieren, Brillen, die wahllos da auf einem Haufen liegen, etliche Rahmen ohne Gläser, etliche Gläser zerbrochen, Brillen, die niemandem mehr gehören und eigentlich auch an niemanden mehr erinnern. Brillen, die nur noch die Statistik von hunderttausenden namenlsoen Opfern ins Bild setzen. Ein erhobener Zeigefinger und eine Anklagegeste! Der Berg anonymer Brillen soll ja ein Mahnmal bleiben für die nachfolgende Generationen. Ein Mahnmal und nichts mehr!

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Nicht aber die Brille von Otto Neururer, die Brille, die über den Tod des Trägers hinaus ihre Identität behält, eine Brille, die nicht durch die Logik der Statistik entwertet wird, eine Brille, die eine Perspektive fokussiert, eine bestimmte Perspektive. Auf der Einladung zur Eröffnung der Fotoausstellung: “Spuren bleiben” von Heinz Jörgen Hafele bietet sich diese Brille geradezu an: “Nimm mich! Nimm und lies! Nimm und schau!” (Es handelt sich dabei um die am 21. Mai 2008 im Haus der Begegnung in Innsbruck eröffnete Fotoausstellung). Lies die schwer lesbare Kurrentschrift, lies die Briefe, die aus dem KZ geschrieben - dem Ort des Zusammengepferchtseins - die obwohl aus dem KZ geschrieben, einzelne Menschen mit Namen ansprechen, scheinbar abgebrochene Beziehungen lebendig halten und von der Sehnsucht nach der Liebenswürdigkeit des banalen Alltags geradezu atmen und dies an den Orten der brutalen Gewalt. “Nimm mich und schau!” Schau die Adressenkarten mit den Nummern des Häftlings 32 615 in Dachau und 4757 in Buchenwald. Schau dir den Zensurstempel an und den Drahtzaun. Schau dir die Naturbilder an, die von der Vergänglichkeit zeugen, fokussierte aber deine Aufmerksamkeit auf die Augen! Die Augen der Kinder. Die scheinbar geschlossenen Augen, die konzentrierten Augen der Betenden, die verspielten Augen der Tanzenden, die dich liebenswürdig anlachenden Augen. Augen, die scheinbar noch nie von der Angstgelähmt wurden, nie von der Lüge betrogen. Die unverstellten Augen der Kinder aus dem Götzner Kindergarten.

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Durch den Fokus der Kamera des Künstlers zum Fokus der Ausstellung geradezu gemacht bietet sich die Brille Otto Neururers als Sehhilfe an. Mit Hilfe dieser Brille, jener unverwechselbaren Spur des Lebens des im KZ ermordeten Märtyrers, der unverwechselbaren Reliquie, im Fall des Otto Neururers möchte man fast sagen: mit Hilfe dieses Realsymbols, eines Symbol, der die Person für die das Symbol steht gegenwärtig setzt, mit Hilfe dieser Brille eines Pfarrers wird man wohl zuerst einen Blick in das liturgische Direktorium hineinwerfen und entdecken, dass am heutigen Tag der Gedenktag des jüngst selig gesprochenen Opfers des Nationalsozialismus gefeiert wird: Franz Jägerstätter, der seinem Gewissen folgte. Weil er im Nationalsozialismus einen Zug erblickte, der in die Hölle fährt, die schlimmste antichristliche Macht, verweigerte er den Eid auf Hitler. Am 6. Juli 1943 wegen “Wehrkraftzersetzung” zum Tod verurteilt wird er am 9. August 1943 in Brandenburg enthauptet. Am 26. Oktober 2007 im Linzer Mariendom seliggesprochen steht der Laie Jägerstätter als jüngstes österreichisches Kind des Himmels dem Götzner Pfarrer zur Seite.

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Die Brille des Pfarrers, der zur Zeit seines Studiums ein überdurchschnittlich begabter Student sein sollte -v.a. ein arbeitsamer Student -, einer den man gar zum Studium nach Rom schicken wollte (aus gesundheitlichen Gründen trat er zurück zugunsten seines Jahrgangskollegen Johann Geisler, des späteren Fürsterzbischofs), die Brille des fleißigen Studenten, der dann als Priester sich die tägliche Lektüre theologischer Werke zur Pflicht macht: diese Brille, die sich auf dem Bild von Häfele geradezu als Sehhife anbietet, fordert geradezu heraus sich nun im dritten Schritt auch die Biographien des Brillenträgers anzusehen. Denn: die geschriebenen Biographien stellen selbst eine exzellente Spur dieses Lebens dar, oder verhelfen zur Spurensuche. Das liebenswerte Büchlein von Pfarrer Erwin Gerst über den Tirolen Märtyrerpfarer mit dem Titel: “Ich, die Brille” (Edition Tirol 1999) im soll die jungen Menschen auf jene Helden aufmerksam machen, die “einfach still das Gute” tun und sich “durch nichts davon abbringen” lassen, “auch wenn es schwierig wird, und wen sie deshalb angefeindet und verfolgt werden, halten sie es eben aus, und wenn es sein muss, bis zum Tod”. Der Altbischof von Innsbruck Reinhold Stecher, der von Otto Neururer auf die Erstkommunion vorbereitet wurde hält “das Bauernbüblein aus dem Tiroler Bergdorf Piller” für einen solchen Helden. Und die Firmlinge der Pfarren Ried-Kaltenbach und Uderns im Zillertal visualisieren dieses Heldenleben und das Märtyrersterben mit ihren Bildern. Die Brille des Musterkatecheten animiert dazu die Spurensuche in der Dokumentation, die von der Diözese Innsbruck (im Jahre 1997) herausgegeben wurde: “Pfarrer Otto Neururer. Ein Seliger aus dem KZ “ genauso wie in den: “Zeugenaussagen über Leben und Tod des Tirolers Otto Neururer” von Wolfgang Pfaundler (im insbrucker Haymonverlag 1987 erschienen) fortzusetzen. Vor allem aber in der grundlegenden Biographie, die Pfarrer Helmut Tscholl geschrieben hat (Tscholl, der selber zur lebendigen Spur dieses Märtyrers wurde): “Otto Neururer. Priester und Blutzeuge” (im Tyrolia Verlag in der zweiten Auflage im Jahr 1983 erschienen). Tscholl, seinem emsigen Fleiß verdanken wir alle das meiste vom Sachwissen über den Götznerpfarrer. Schlupendlich darf auch die vom Verein Freunde der Wallfahrtskirche Götzens herausgegebene Dokumentation nicht unter den Tisch fallen: “Im Gewöhnlichen außergewöhnlich gut “ systematisiert die Spuren in Schrift und Bild. Aus all den Büchern können nun die facta bruta: die Eckdaten dieser gewöhnlichen Lebensgeschichte schnell zusammengestellt werden.

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Am Fest Verkündigung des Herrn (damals: Maria Verkündigung), also am 25. März 1822 als 12. Kind einer Bauernfamilie in der alten Mühle am Piller geboren, wird Otto Neururer 1907 Priester, wirkt an verschiedenen Kaplanstellen, bemüht sich erfolglos v.a. um die Werktagsmesse, wird “Superkatechet” in Innsbruck und fällt schon da auf mit seiner Skepsis dem Nationalsozialismus gegenüber. 1932 notiert er: “Es heißt jetzt, gut ist, was dem deutschen Volk nützt, schlecht ist, was dem deutschen Volk schadet. Damit wird deutsches Blut und deutsche Rasse an die Stelle Gottes gesetzt, der allein die Norm für gut und schlecht ist und dem allein das zusteht. Darum ist das eine Irrlehre.” 1932 wird er Pfarrer in Götzens, fällt auf durch die außergewöhnliche intensive Seelsorgsarbeit. Modern würde man sagen: er war nicht jener Seelsorger, der in das Leben seiner Pfarre bloß involviert war; er lebte das, was das moderne Latein: “commitment” nennt: die Hingabe. Hingabe mit Haut und Haaren, bis in den Tod hinein. Da er die Zweithochzeit eines SA-Mannes mit einem seiner Pfarrkinder - einer jungen Frau, die in diese Hochzeit hineingedrängt wurde - verhindert, wird er am 15. Dezember 1938 verhaftet. Die Anklage wirft ihm die “besonders hinterhältige Verhinderung einer deutschen Ehe”. Neururer beim Verhör im Gestapogebäude in Innsbruck: “Meine Herren! Machen sie keine Umschweife, es geht nicht so sehr gegen mich als gegen den Glauben und die Kirche in unserem Land.” Am 3. März 1939 nach Dachau überstellt findet er dort schon einige österreichische Priester vor. Pfarrer Rieser von Bramberg in Salzburg erinnert sich: “Als Neururer kam, dachte ich mir, du armes kleines Pfarrerle, diese Hölle wirst du nicht aushalten.” Ende September 1939 nach Buchenwald verlegt, in der Liste der prominenten Häftlinge mit Bemerkung geführt: “Katholischer Priester, hartnäckiger und hinterlistiger Gegner der NSDAP”, wird er ende Mai in den berüchtigten Bunker eingesperrt. Weil er einem Häftling zur Konversion verholfen und die Taufe gespendet hat. An den Füßen aufgehängt - die Füße mit Lammfellen umwickelt um die Gewaltspuren zu verschleiern - stirbt er nach stundenlangem Todeskampf am 30. Mai um 15 Uhr (so die offizielle Todesmeldung, die die Herzschwäche als Ursache des Todes angibt. Das Begräbnis dieses ersten Priesters, der im KZ umgebracht wurde, findet einen Monat später am 30. Juni 1940 in Götzens unter der Leitung des späteren Märtyrers des apostolischen Protovikar Carl Lampertstatt statt. 1983 wird in Innsbruck der Seligsprechungsprozess eröffnet, am 24. November 1996 wird Pfarrer Otto Neururer in Romselig gesprochen. So weit die facta bruta, die für den Historiker und Kulturtheoretiker interessanten Eckdaten dieser gewöhnlich-ungewöhnlichen Lebensgeschichte.

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Ihre Spuren bleiben! Unterscheiden sich aber diese Spuren von den Spuren, die andere Opfer des Nationalsozialismus hinterlassen haben? Die Brille des Intellektuellen, die nüchterne wissenschaftliche Perspektive und die unparteiisch dokumentierende Kamera werden zuerst die Antwort: “Nein!” nahelegen. Eine solche Antwort ist ja an dem kleinsten gemeinsamen Nenner interessiert.. Und dieser wird wohl heißen: “Opfer!”. Opfer eines menschenverachtenden Systems. Und in der Statistik werden alle Opfer gleich. Nach und nach verlieren sie ihre spezifischen Konturen, ihre Identität, dann auch ihren Namen. Abstrakte Denkmale, gegebenfalls Berge von Asche und Brillen sollen an sie erinnern und die zukünftigen Generationen mahnen.

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Die Reliquie, die verbliebene Spur Otto Neururers, das Realsymbol seiner Person, das unvermischt aber auch ungetrennt von und an seinem Gesicht haftet, am Portraitbild und dem Heiligenbildchen, diese Brille, die der Künstler Heinz Jörgen Hafele auf der Einladung zur Fotoausstellung als Fokus, als Lesehilfe seiner Bilder präsentiert, diese Reliquie lenkt aber - und hier nähern wir uns den Zügen der Unverwechselbarkeit der Person an - unser alle Aufmerksamkeit auf jene Augen, die uns durch diese Brille anschauen: Auf die Augen Otto Neururers. Jene Augen, die von den Mithäftlingen als “gute, helle Augen” beschrieben wurden. Welche Botschaft vermitteln sie uns, den Menschen des 21. Jahrhunderts? Ist es die allgemein verständliche Botschaft, die auf das Auf- und Ab- im Leben fokussiert bleibt, auf Leben und Sterben, auf die Logik von Aufstieg und Fall und die Bemühung sich nicht Aufzugeben beim Misserfolg, bei scheinbaren Niederlage? Wir kennen das alle aus unserer alltäglichen Erfahrung. Gerade ann, wo man schon dabei ist alles hinzuschmeißen, weil alle Türe zugeschlagen wurden. gerade dann öffnet sich doch meistens ein Fenster. Ganz unerwartet! Es geht ja im Leben immer weiter, wenn schon nicht in Götzens und auch nicht in Buchenwald, so doch irgendwo in der Welt. Wollen uns die Augen Neururers nur diese Botschaft vermitteln, so ganz nach dem Motto: “Selbst wenn du stirbst, v.a. für eine gerechte Sache stirbst, werden andere für dich leben, deine Freunde und Weggenossen. Sie werden dich ja nicht vergessen, so wie man mich nicht vergessen hat. Und wenn schon, so werden u.U. die Feinde dafür sorgen, dass man sich deiner erinnert!” Ist als alles, was uns diese Augen und auch dieser Tod zu sagen haben? Ist das alles, was das Gedenken des Märtyrers kulturpolitisch heutzutage bedeutet?

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Meine Damen und Herren, exakt nach dieser Logik will die liberale Öffentlichkeit auch die Bedeutung des Bekenntnisses: “Auferweckt von den Toten” übersetzen. Die wissenschaftliche Brille, die sich diese Öffentlichkeit aufzusetzen pflegt, erlaubt ihr die Übersetzung: “Jesus lebt! Das heißt aber nichts anderes als: Die Sache Jesu geht weiter. Trotz aller Hindernisse. Trotz Kreuzigung und trotz dem Tod. Weil sich Menschen für dasselbe Programm einsetzen.” So ganz falsch ist diese Deutung zwar nicht. Sie bringt ein wenig Licht in die Dunkelheit des Karfreitags und der Osternacht. Zum entscheidenden Kern des Geheimnisses von Ostern, damit auch zum entscheidenden Kern einer christlich geprägten Haltung der Hingabe des Lebens im Martyrium vermögen solche Deutungsversuche nicht ganz durchzustoßen. Und warum dies?

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Die Alltagserfahrung von Misserfolg und Glück, vom Aufstieg und Fall und Neubeginn, von der mich lähmenden Decke, die mir auf den Kopf fällt, von den klar bilanzierbaren Hoffnungen und dem Zusammenbruch dieser Hoffnungen: all das stellt so etwas dar, wie die Hilfskrücken. Hilfskrücken, auf denen die gebrechliche menschliche Kreatur, jenes Wesen, das unter all dem Lebendigen dieser Welt allein seiner Sterblichkeit weiß, sich ihrer menschliche Hoffnung zu vergewissern trachtet. All diese Erfahrungen bereiten den Boden vor auf dem de Same des Glaubens keimen kann. Was soll das heißen? Erlauben Sie mir einen kleinen Exkurs zum Thema: Osterglaube der Jüngerinnen und Jünger im Neuen Testament. “Da sagte der Jünger, den Jesus liebte zu Petrus: Es ist der Herr!” ( Joh 21,7) “Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar” - sagte der Fuchs zum Kleinen Prinzen bei Saint-Exupery. “Die Frau meinte, es sei der Gärtner und sagte zu ihm - (vgl. Joh 20, 11-18) -: Herr, wenn du ihn weggebracht hast.., so sage mir, wo du ihn hingelegt hast. Jesus sagte zu ihr: Maria! Da wandte sie sich ihm zu und sagte auf Hebräisch: Rabbuni!”Jene Frau, die viel geliebt, wenig moralisiert, aber eine Menge gelitten und noch mehr geliebt hat, Maria von Magdala, sie vermag im vermeintlichen Gärtner den auferweckten Christus zu erkennen. “Man sieht nur mit dem Herzen gut!”. Worauf will ich hinaus? Auf dem Boden der gleichen Erfahrung von Misserfolg und Glück, von Vergänglichkeit des Lebens öffnet das Evangelium einem Jünger die Augen auf, ... einer Jüngerin. Einem bestimmten, einer bestimmten..., jenen, die Jesus liebte. Nur der Geliebte vermag die Identität des Fremden aufzuklären. Sie und Er erkennen ihn. Ihr Herz/sein Herz fängt an zu brennen. Ihm/Ihr werden die Augen des Glaubens geschenkt, jenes Glaubens, der in all den Alltagserfahrungen von Pechsträne und Glück, vom Zusammenbruch der Decke über meinen Kopft und dem Hoffnungsschimmer, dass es doch weitergeht, vom qualvollen Sterben, dem Abschiednehmen von jenem Menschen, den man liebt, von der Sprachlosigkeit des scheinbaren Falls ins Nichts und der winzigen Hoffnung, dass Liebe doch

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stärker ist als der Tod noch etwas anderes zu entdecken vermag. Dem Jünger, den der Herr liebte, der Maria von Magdala werden österliche Augen geschenkt, Augen, die in all den Alltagserfahrungen von Bruch und Abbruch die Kontinuität zu sehen vermögen. Jene Kontinuität, für die nicht sie selber mit ihrem liebenden Erinnerungsvermögen und auch nicht ihre Hoffnung Sorge trägt, sondern der lebendige Gott selber. Er der große Liebhaber des Lebens zeichnet für die Kontinuität verantwortlich. Er, der in Jesus von Nazareth auf das menschliche Niveau herabgestiegen ist, Mensch, ja Mitmensch wurde und dem Sterbenden ein Sterbender. Und warum dies? Um Sterbende zu begleiten. Und wohin? Bloß zurück ins Leben? In die von Bruch und Abbruchgezeichnete Existenz? Der Sohn Gottes wurde Mensch, stieg in die von Gewalt und Tod gezeichnete Abgründe menschlicher Existenz hinab, um Fallende aufzufangen, um Scheiternde zu halten, um Sterbende durch den Tod hindurch in das göttliche Leben zu integrieren. Der Liebhaber des Lebens ist in Christus in den Tod gegangen, ist auch als Auferweckter erschienen, hat Einigen, hat Etlichen die österlichen Augen geschenkt, dass sie ihn erkennen und auch das Zeugnis ablegen, damit auch andere Menschen mitziehen auf dem Weg der Erkenntnis. So wie Maria von Magdala und der Jünger, der den Herrn erkannte Petrus mitgezogen haben, den Versager par excellence. Uns so wie dann von Generation zu Generation bis in unsere Zeit hinein Menschen mitgezogen werden, weil ihnen österliche Augen geschenkt werden und sie die Gnade bekommen, das Wesentliche zu sehen: mit dem Herzen zu sehen.

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Kehren wir noch einmal zur Reliquie der Brille zurück, zu jener Spur, die geblieben ist, zum Realsymbol der Person und zu den Augen, die uns durch diese Brille anblicken. Es sind österliche Augen, Augen des Glaubens, Augen, die den Auferweckten erkannt haben, damit uns alle mehr vermitteln wollen, als bloß eine allgemeinverständliche Botschaft: Es geht halt im Leben immer irgendwie weiter. Also bloß nicht verzagen, sondern weitermachen, v.a. dann, wenn es um die richtige Sache geht. Die österlichen Augen des Märtyrers Otto Neururer wollen uns dasselbe mitteilen, was die Maria von Magdala den Jüngern mitteilen wollte und auch der Jünger, den Jesus liebte dem Petrus - diesem Versager - mitteilte, als er zu ihm sagte: es ist der Herr. Und was ist das? Für die Jüngerinnen und Jünger Jesu bedeutete diese Erfahrung der österlichen Augen eine Neupositionierung ihres ganzen Lebens. Der Auferweckte nahm ja die Beziehung zu ihnen wieder auf - eine Beziehung, die durch den Tod unterbrochen wurde. Nicht sie waren es, die an ihn dachten, sich um die Erinnerung an ihn bemühten. Nicht sie sorgten für Denkmale und für Spuren. Er war es! Er stiftete die Beziehung neu..., aus der Kraft des lebendigen Gottes. “Da gingen ihnen die Augen auf!”, deswegen ist ihnen ihr eigenes Leben in ein neues Licht gerückt, v.a. aber ihr eigener Tod. Weil der Auferweckter die Beziehung zu ihnen aufgenommen hat, sind sie in ihrem alten Leben, dem Leben, das von Vergänglichkeit, Sünde und Tod geprägt war, sie sind in diesem Leben eigentlich schon gestorben. “Wisst ihr denn nicht, dass wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind?” fragt Paulus im Römerbrief (Röm 6,3). “Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod; und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben.” (Röm 6,4). Mehr noch: Die österlichen Augen erlauben es, die ganze Schöpfung neu einzuschätzen. “Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden” (2 Kor 5,17). Und wer in Christus ist, der ist eine neue Schöpfung. Selbst mitten in der Hölle eines Konzentrationslagers.

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Otto Neururer ist diese Gnade zuteil geworden, dass er schon seine Taufe und dann auch seine Priesterweihe als Bindung an das Geschick Christi nicht nur verstanden hat - das tun die meisten Christen, sofern sie ein bisschen im Katechismus unterrichtet wurden und das tun auch die meisten Priester. Neururer hat die Sakramente der Taufe und der Weihe nicht nur als Bindung verstanden, sondern auch erlebet: Nicht ich lebe... Nein. Es lebt Christus in mir. Und durch mich. Christus, der durch mich die Haltung der Hingabe lebt, der Totalhingabe. Noch einmal: die österlichen Augen erlauben es, die Welt und die Schöpfung im Modus der Versöhnung zu sehen und dies selbst mitten in der Hölle eines Konzentrationslagers. “Wie ratlos blickten seine guten und hellen Augen auf all das Elend und die Quall, auf all die Bosheit und Gemeinheit, die ihm im Lager begegneten. Er konnte die teuflische Bosheit nicht fassen, der er sich plötzlich preisgegeben sah. Er konnte es einfach nicht glauben, und wenn er es zehnmal selber erleben mußte.” War er denn blind? Abgehoben von der Wirklichkeit? Ein hoffnungsloser Fall dessen, was man Realitätsverweigerung nennt. Ein Fall für Psychiatrie also? Der KZ-Mithäftling, Münchner Priester Alfred Berchtold setzt seinen Bericht fort: “Er war so zutiefst von der Güte der Menschen überzeugt, dass er immer glaubte, er müsse plötzlich aus diesem hässlichen, furchtbaren Traum erwachen. Immer wieder sagte er mit einem ungläubigen kindlichen Staunen: ‘Ja, können die Menschen so schlecht sein?’” Der verstorbene Innsbrucker Dogmatiker Raymund Schwager hat in seiner Durchbuchstabierung der Erlösungslehre der Unterscheidung zwischen Opfer und Täter eine fundamentale Bedeutung beigemessen. Demnach habe Jesus im Sünder, auch in seinem direkten Gegner primär nicht den bösen Täter gesehen, sondern das Opfer. Das Opfer seiner eigener Taten, das Opfer der Geschichte, das Opfer der Verblendung. Selber zum Opfer geworden identifizierte sich Jesus mit den Opfern, auch mit den Opfern in seinen Gegnern: “Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun.” Weil sie verblendet sind, und zum Opfer ihrer verblendeten Logik fallen, können sie gar nicht so schlecht sein, wie sie in ihrem Tun nach außen erscheinen. Ein Dialog zwischen Neururer und Pfarrer Berchtold weist darauf hin, dass Neururer die KZ-Schergen nicht dämonisierte: Als er zu Unrecht vom Kapo bestraft wurde - und dies gerade weil er redlich gearbeitet hat, und ihn die Kräfte verlassen haben ausgerechnet in dem Moment als der Kapo nachschaute -, mußte Neururer über Mittag strafstehen. Neururer war traurig. Nicht die Strafe schreckte ihn. Die Ungerechtigkeit konnte er nicht begreifen. “- Otto? Glaubst Du in Dachau an Gerechtigkeit. Der Kapo ist doch gekommen, um ein Opfer zu suchen. Nun bist du eben eines geworden. - Du glaubst nicht, dass er meint, dass ich faul bin? - Ob du faul oder fleißig bist, ist ihm ganz egal. Wenn er zu einem Arbeitskommando kommt, will er ein paar Opfer haben. Da wartet er so lange, bis einer auffällt. Dann ist er befriedigt. - Geh, so schlecht kann ein Mensch doch gar nicht sein” (Helmut Tschol, Otto Neururer. Priester und Blutzeuge. Innsbruck1983,65). Der Versuch in jedem, selbst im schlimmsten Peiniger etwas Positives zu sehen, stellt eine Gnade dar, ist das Ergebnis der Perspektive der österlichen Augen, welche das Leben mit dessen Widersprüchen im Modus der Versöhnung wahrnehmen, deswegen im Sünder letztlich das Opfer der Verblendung sehen: “Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun.” Die spärlichen Zeugnisse solchen Handelns mitten in der Hölle sind durch die Haltung des Gebets zu ergänzen. Weil Neururer die Sakramente der Taufe und der Priesterweihe als Bindung an Christus erlebte, verstand er schon seine bloße Präsenz als Priester - und dies in der Gemeinde, in der Schule und auch im KZ - als Beitrag zur Wandlung des Bösen in der Welt. Deswegen betete er und er betete viel. Deswegen feierte er sakramentale Wandlung und spendete das Sakrament der Taufe, auch dann, wenn dies den sicheren Tod für ihn bedeuten konnte. Es hat in den letzten Jahren für mich keinen überzeugenderen Versuch gegeben, diese Logik bildhaft einzufangen, als den Film: “Der neunte Tag” von Völker Schlöndorf. Erlauben sie mir nun den Exkurs zu diesem Film: der Film soll jene Lücken in unserer Vorstellungskraft zu schließen helfen, die aufgrund des fehlenden Materials zum Thema: “Otto Neururer im KZ und Priesterexistenz im KZ” immer noch da sind.

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Der Film basiert auf den Erinnerungen eines luxemburgischen Pfarrers: Jean Bernanrd. 1945 publizierte er seine Erinnerungen aus Dachau: Am 6. Januar 1941 von den Deutschen verhaftet, wurde er ins Konzentrationslager Dachau gebracht, bekam aber im Februar 1942 mit der lakonischen Bemerkung: „Was stehst du so dumm da, du Saupfaff, du blöder? Geh heim deine Muter begraben!“, zehn Tage „Urlaub“ vom KZ. Überraschenderweise nützte er die Gelegenheit nicht um zu fliehen, sondern kehrte nach Dachau zurück. Seine Erinnerungen sollten zum Verzeihen motivieren: „Verzeihen müssen wir. Und zwar bewusst verzeihen, Aug in Auge mit dem ganzen Horror des Geschehenen. Nicht nur, weil sich auf Hass nichts aufbauen lässt: kein neues Europa und keine neue Welt. Sondern vor allem Dem zu Gebot und zulieb, vor Dem wir selbst, Opfer und Henker, nur rechtlos armselige Schuldner sind.“ Wie ein roter Faden durchziehen die schriftlichen Aufzeichnungen des Pfarrers Berichte über die im Gefängnis und auch im Lager selbst gefeierte Eucharistie. Das Sakrament wird als Quelle der Kraft und Quelle der Versöhnung in Erinnerung gerufen. Inmitten des Grauens wurde also Kirche durch das Erleiden des Opferschicksals gelebt, auf sakramentale Art und Weise fand die Transformation des Bösen statt: „’Hoc est enim Corpus meum.’ Ich schaue auf die beiden Stückchen Brot in meiner Hand, und die Tränen rollen mir nur so die Wangen hinunter, während derjenige, für den wir alles leiden, in unsre Mitte kommt, während Hunderte von Priesterherzen ihr Opfer mit dem des Heilandes vereinen zu einem einzigen, das ganz gewiss neue Fäden zwischen Himmel und Erde spinnt. Bei der heiligen Kommunion legen die Priester die kleinen Partikel zusammen; es kommunizieren dann die Nichtpriester, die ihnen ein Teilchen anvertrauten. Es ist ein Meer von Trost, das sich über die Versammelten ergießt. Trost und Hoffnung und Kraft zu neuem, freudig hingenommenem Leiden.“

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Otto Neururer war der erste “deutsche” Priester, der in Buchenwald gestorben ist. Mit den Augen des nüchtern urteilenden Historikers betrachtet wird man festhalten müssen: Sein verhältnismäßig früher Tod stand am Anfang einer erschreckend langen Reihe von Priestern, die ihr Leben in den KZ opfern müßten. Legt man sich die Brille Neururers an, betrachtet man die Sache theologisch: mit österlichen Augen sozusagen, so wird man sagen dürfen, dass das Leben der Priester im Lager sich nur in der Logik der Hingabe und der Stellvertretung erschließt. Diese Priester durchlebten stellvertretend für die christliche Geistlichkeit das schlimmste Martyrium in der Geschichte der Neuzeit. Von 2720 Priestern in Dachau starben 1034 - das sind 38%. 868, also fast die Hälfte der insgesamt 1780 polnischen Geistlichen kamen um, d.h. fast jeder zweite inhaftierte polnische Priester überlebte das Grauen in Dachau nicht. Der Film: “Der neun Tag” bringt die Perspektive der österlichen Augen in die Situation des KZ hinein - auf eine kaum zu überbietende Art und Weise zeichnet Schlöndorf nach, was der nicht reduzierbare Wert der Existenz der Priester im KZ war:

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„Das Geheimnis lass uns künden, das uns Gott im Zeichen bot...“, stimmt der Priester Kremer - die Hauptfigur im Film - an angesichts der Bilder vom Aufziehen eines Mitbruders auf ein Kreuz. Gleich zu Beginn des Films wird die Spannung bis zum Äußersten ausgereizt. Die hinter den Scheiben der Baracke sichtbaren Priester - unter ihnen auf dem ersten Platz Kremer - sehen das makabre Spiel an. Einer der Priester wird von den SS-Männern zu einem Kreuz gezerrt. Auf sein Haupt wird eine Stacheldrahtkrone gesetzt. „Glaubst du also wirklich, dass es einen Gott gibt... Und wo ist er?“, brüllt der SS-Mann den Priester an. Gewissermaßen als Antwort auf die Frage fangen die Priester das Lied noch einmal an: „Das Geheimnis lass uns künden, das uns Gott im Zeichen bot, Jesu Leib für unsere Sünden hingegeben in den Tod. Jesu Blut, in dem wir finden Heil und Rettung aus der Not. Von Maria uns geboren, ward Gottes Sohn uns Menschen gleich, kam zu suchen, was verloren, sprach das Wort vom Himmelreich, hat den Seinen zugeschworen: Allezeit bin ich bei euch.“ Auch im KZ gibt es österliche Augen: Mit ihrem Lied interpretieren die Priester ja das Gesehene und deuten das makabre Spiel um. In der Hölle des KZ verorten sie die Spuren von Ostern: Das in seiner Brutalität kaum zu übertreffende „Spiel der Gewalt“ wird durch das im Lied Gegenwart werdende „Spiel der Hingabe“ des Gottessohnes überblendet. Mit dem Gebet wollen sie einander - und auch dem Sterbenden - den Glauben stärken. Sie sind sich dessen bewusst, dass das makabre Spiel auch eine ftlineStellvertretungsdimension hat: Jeder von ihnen könnte die Stelle des Gehängten annehmen. Für die Henker stellt das Lied allerdings eine Herausforderung dar. Von der Bühne des Geschehens abtretend brüllt der SS-Mann: „Wer weiter singt, ist der nächste am Kreuz“.

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Die singenden Priester bringen das Martyrium ihres Mitbruders in Verbindung zu jenem Geschehen, das sie selbst gerade gefeiert haben. Die vorhergehende Szene des Films spielt in der Baracke. Abgeschirmt durch eine Reihe singender Priester (sie singen das Lied: „Wir lagen vor Madagaskar...“) feiert ein junger Geistlicher Eucharistie. Von diesem Mysterium kündet dann der eucharistische Hymnus, den Kremer angesichts der Marter seines Mitbruders gleich in der nächsten Szene anstimmen wird. Aber schon die Feier der Eucharistie selbst verwandelt sich im Film in ein Martyrium. Im Handumdrehen wandelt sich das liturgische Spiel zu einem blutigen Drama. Während der Kommunion betritt der SS-Mann Bertram die Baracke. Der Altar mit dem Kelch, Kruzifix und Kerzen werden hastig zugedeckt. Die Priester singen weiter das Madagaskarlied. Der SS-Mann wählt sich einen polnischen Priester aus, dem er den Takt und das „richtige Singen“ mit den Schlägen eines Feuerhakens auf den Kopf beibringt. Das Geheimnis des Kreuzes, das eucharistische Opfer, die Priester als Opfer und jene, die sie zu Opfern machen, werden in diesen beiden Szenen aufs Engste miteinander verbunden, die Dimensionen überlappen sich, Bilder werden durch andere Bilder überblendet, das Spiel der Gewalt geht in jenes der Stellvertretung und auch in jenes der Hingabe über.

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In einer der nächsten Szenen wird neben dem Kreuz, an dem schon ein Priester hängt, ein zweites Kreuz aufgerichtet. Auf den toten Mitbruder schauend beten die Priester den „De profundis-Psalm“, der in der traditionellen Totenliturgie einen festen Platz hatte. Der Nazioffizier holt Kremer aus der Baracke, um ihn in den „Urlaub“ zu schicken. Seine Augen auf das Kreuz gerichtet geht Kremer auf das Kreuz zu in der Erwartung, nun werde er selber auf das Kreuz gezogen.

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Die Existenz des Priesters im KZ wird von Schlöndorf in Verbindung gebracht mit dem Kreuzesopfer Jesu und der durch ihn stattgefundenen Wandlung der Sünde und des Grauens durch die Hingabe des Lebens und die Liebe. Dies nicht zuletzt deswegen, weil jene Theologie, in der Abbé Kremer unterrichtet wurde und die auch Pfarrer Neururer gelernt und sein Leben lang seelsorgerlich umgesetzt hat, davon ausging, dass Gott den Menschen nach seinem Willen die Rolle des Opfers auferlegen kann. “Der Herrgott hat mich auf diesen Platz gestellt, darum muss ich meine Arbeit fleißig und gewissenhaft verrichten. Ob mich der SS sieht oder nicht, darauf kommt’s nicht an. Der Herrgott sieht micht immer. Darauf kommt es an.” Neururer ist kein frontaler Widerstandskämpfer. Selbst mitten in der Hölle des KZ will er noch an Ordnungen glauben, klammert sich an jede Spur des Lebens mitten in der Kultur des Todes. Deswegen ist er dann über die ungerechte Behandlung enttäuscht, will aber den Henker trotzdem nicht dämonisieren.

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Ähnlich der Pfarrer Kremer im Film “Der neunte Tag”. Er kehrt freiwillig zurück ins KZ, weil er nicht zur Kooperation mit den Nazis zustimmen will, die Rolle des Judas nicht spielen will und weiß auch, dass im Fall der Flucht, seine luxemburgischen Mitbrüder im KZ getötet werden. Er kehrt also freiwillig zurück an jenen Ort, an dem er und auch andere Priester mit österlichen Augen die Hölle des KZ betrachten und aus dieser Neubewertung auch leben. Sie werden ja tagtäglich von den KZ-Schergen zu Opfern und nur zu Opfern degradiert, geschlagen, schikaniert: Eine der perfidesten Schikanierungen bestand in der Umfunktionierung einer auf die Bitte des Papstes gewährten „Sonderbehandlung der Geistlichen“ in eine Torturaktion. So durften die Priester täglich einen Viertelliter Wein trinken: „‚Aussaufen!’ Der Blockführer springt auf einen Schemel und passt unheimlich auf. Nicht jeder bringt es fertig, in einem Zug einen Viertelliter Wein zu schlucken. Sobald geleert, müssen wir die Becher nach unten gekehrt hoch über die Köpfe heben. Da verschluckt sich jemand in der Aufregung und kriegt Verspätung. Schon haut ihm der SS-Mann mit solcher Gewalt die Faust auf den Becher, dass dieser Lippen und Wange in einem Halbkreis bis auf die Zähne und Knochen durchschneidet. Der Mann blutet fürchterlich und muss zum Verbinden ins Revier.” Von den KZ-Schergen also zu Opfern und nur zu Opfern degradiert, geschlagen, schikaniert, buchstäblich aufs Kreuz aufgezogen, feiern diese Priester Eucharistie. Sie machen also das, was Christus tat, bevor er von seinen Gegnern im Spiel der Gewalt viktimisiert wurde: zum Opfer gemacht wurde. Er definierte „das Spiel“ neu, er selber bestimmte die Spielregeln im „Drama“ seines Lebens. Und dies war das „Spiel der Hingabe“ und auch das „Spiel der Stellvertretung“. Für die Stellvertretung sorgten aber nicht die Gewaltmechanismen, nicht die Gegner, die ihn zum Tod auslieferten. Die Hingabe war das „logische“ Ergebnis der besonderen Beziehung des Vaters zum Sohn und der Beziehung Christi zum Vater.

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Die Eucharistie in Dachau bringt also das Grauen des Alltags die Viktimisierung der Priester durch die KZ-Schergen mit dem Drama Christi in Verbindung. Die Opfer aus Dachau feiern also Eucharistie. Im Film ist das - neben dem Gebet - die einzige Handlung, die nicht notwendig ist. Physiologisch nicht und auch nicht gewaltsam aufgedrängt. Sondern aufgrund freier Entscheidung vollzogen - eben gefeiert. Nur in diesem Kontext erleben sich die Priester als Handlende: eben als Täter - als Mitspieler im Drama des Lebens, aber einem Drama, das Gott selber zum Autor hat und nicht den Teufel. Deswegen schützten sie ihre Feier vor Missbrauch, nach den Regeln einer Arkandisziplin. Nach außen verborgen - ja verschleiert durch den Gesang des Liedes: „Wir lagen vor Madagaskar“ gleichen sie den Christen der Katakombenzeit. Sie feiern Eucharistie und sie durchbrechen damit zeichenhaft die Zwänge. Sie sind zwar eine durch verkommene Sprache der Henker ständig erniedrigte Schicksalsgemeinschaft. Sakramentales Leben lässt aber diese Schicksalgemeinschaft immer wieder das Wunder erleben: das Wunder der Gemeinschaft der Heiligen. Die Schlusssequenz bezieht diese eucharistische Logik klar ein. Abbé Kremer teilt nach seiner Rückkehr ins Lager die Wurst, die er hineingeschmuggelt hat. Mit derselben Andacht mit der die Priester zu Beginn des Films an der Eucharistie teilgenommen haben, sind sie nun bei diesem symbolischen Mahl dabei. Ihre Augen strahlen Hoffnung aus. Inmitten des mysterium tremendum erleben sie das mysterium fascinosum, das Geheimnis des Leibes Christi: sie sehen dieses förmlich: mit ihren österlichen Augen.

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Vielleicht vermag dieser Exkurs auf den Film uns die Plausibilität jener Handlung vor Augen zu führen, die beim Pfarrer Neururer das Todesurteil zur Folge hatte. Die Begleitung des Konvertiten und die Taufe. Für den Menschen mit österlichen Augen, den Priester, dessen ganze Existenz sich aus dem Geheimnis der Hingabe Gottes an die Menschen erschlossen hatte, dem der eigene Tod zwar schmerzhaft, aber nicht schicksalshaft tragisch erschien, war die Weitergabe der sakramentalen Logik der entscheidende Wert in seinem Leben. Weil die Taufe den anderen Menschen Christus selbst verbunden hat, ihm also zum lebendigen Zeugen göttlicher Kraft in der Kultur des Todes machte, war es für Neururer unvorstellbar Taufe jemandem zu verweigern.

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Betrachtet man das Leben der Priester in den KZ-s auf diese Weise, sieht man das Zeugnis von Neururer so, dann wird man festhalten müssen. Dass dies nur die konsequente Fortsetzung jener Haltung war, die er schon vor dem Krieg als Seelsorger lebte. Denn: “Martyrium ist Konsequenz des Glaubens in einer Situation der Verfolgung. Es ist Ausdruck der Liebe unter den Bedingungen der Lieblosigkeit und der Vergeltung”, schreibt Bischof Manfred in der Dokumentation: “Im gewöhnlichen außergewöhnlich gut”. Wenn Neururer in der extremen Situation des Hungers im KZ geteilt hat: - „Hast du alles selber gegessen? Er wird verlegen. Ich habe dem Werkzeugwart ein Stückchen geschenkt. Sei mir nicht bös. Er hat mich mit so hungrigen Augen zugesehen. Ich konnte nicht anderes. Sei nicht bös. Aber schau, ich kann nicht anders; es hätte mir gar nicht geschmeckt, wenn ich dem andern nichts gegeben hätte” (Erinnerung von Pfarrer Berthold) -, wenn Neururer dort geteilt hat, so tat er nichts anderes als das, was er schon als Seelsorger tat, indem er scheinbar problemlos sein ganzes Geld, das er bei sich hatte mit den Worten: “So, des is alles. Mehr hab’ i net” bei der Innsbrucker Witwe Friederike Hupfau (die sich im Elend mit drei Kinder durchschlug) lässt, oder Sammlungen für die Murenopfer organisiert. Weil er sein Priesterdasein als Bindung an das Geschick Christi erlebt, kann er Seelsorge als Hingabe an die Menschen begreifen und leben.

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Weil ihm die Gnade der österlichen Augen geschenkt wurde, versteht er diese Hingabe nicht als destruktives Opfer und als Viktimisierung. Er, der zu Schwermut neigende Priester zerstört sich selber nicht und auch nicht die Anderen. Im Gegenteil: Durch seine Hingabe, sein sacrificium, sein Commitment kann er den anderen helfen aus der Position des Opfers herauszufinden. Das wird besonders deutlich in seinem Engagement bei der Verhinderung der Ehe mit dem SA-Mann. Die Bauerntochter Liese wird schwanger von einem verheirateten Mann, der um sie loszuwerden, diese an den SA-Mann verkuppelt.., der sie dann gleich heiraten will, weil er glaubt, sie sei von ihm schwanger geworden. Die junge Liese - gleichsam auf doppelte Art ein Opfer - sieht in der schnellen Heirat einen Rettungsanker, weiß nichts von der Vergangenheit des SA-Mannes (von seiner Scheidung), noch etwas von seinem Charakter. Sie weiß auch nicht, dass eine kirchliche Trauung nicht stattfinden kann. Durch Neururer aufgeklärt lässt sie den Plan fallen (die spätere Geschichte des Freiers, sein Alkoholismus und die Verantwortlichkeit gegenüber der Frau, die er gleich nach dem Scheitern der Pläne mit Liese geheiratet hat und seinem Kind, die er ins materielle Elend stürzte, bestätigen die Richtigkeit der Aktion Neururers nachträglich). Neururer muss seine Intervention mit der Verhaftung bezahlen. Entscheidend für ihn war die Sicht der Ehe als Sakrament. Analog zur Priesterweise sah er im Sakrament der Ehe eine Bindung Christi an die eheliche Gemeinschaft, eine Bindung, die durch Treue und Hingabe geprägt bleibt. Selbst in der Situation der Widersprüche und Sackgassen.

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“Spuren bleiben?” - heißt die Ausstellung. Auf den Bildern findet der Betrachter Spuren aus dem Wirkstätten Neururers, Orte, die er besucht und aufgesucht hat, Gegenstände, die in Verbindung zu ihm stehen. Man findet auch Naturbilder, die die Bewegung festhalten und auf die Veränderung und Vergänglichkeit hinweisen. Und man findet Bilder von Kindern, v.a. Kinderaugen: Bilder aus dem Götzner Kindergarten. Lebendige Spuren einer vergangenen Generation. Die Kinder stehen immer auf den Schultern der Riesen! Das sagte auch Neururer und sah sich selber sicher nicht in der Rolle eines Riesen. Was bleibt noch? Welche Spur hinterlässt der Selige für eine Zeit, in der die Logik der Totalitarismen für viele endgütlig in die Vergangenheit verbannt wurde? In der Zeit der Postmoderne, die sich immer noch damit rühmt, dass sie verbindliche Rahmen zu Konventionen verwandelt hat, die Geschichte zu Geschichten und den einen Gott entthront zugunsten vieler Götter. Welche Hoffnung vermitteln die österlichen Augen Neururers den Pfarrgemeinden die ohne Priester auskommen müssen, den Priestern, die immer älter werden und den wenigen jungen Geistlichen, die an ihrem Außenseiterndasein leiden? Welche Hoffnung vermitteln die österlichen Augen eines priesterlichen Märtyrers in einer Zeit, in der die Sehnsucht nach verbindlichen Lebensgemeinschaften groß ist, in der Zeit, in der Menschen liebestrunken einander Treue versprechen, sich auch mit bestem Wissen und Gewissen bemühen wollen, sich gar bedingungslos aufeinander einlassen und scheitern? In der Zeit, in der Scheidungen kulturpolitisch zu Regel geworden sind und nicht mehr als Ausnahme von der Regel (als notwendiges Übel) zugelassen werde? In einer Zeit, in der sich die Katholische Kirche weigert die sakramentale Dimension der Ehe der Rationalität der kulturpolitischen Trends anzugelichen, und die sakramentale Trauung durch Segensfeier für alle möglichen Formen von Partnerschaften zu ersetzen? Schlussendlich in einer Zeit, in der die katholische Ehepastoral tagtäglich mit einer prekären Situation leben muss, weil Menschen die rechtlich gesehen, oft nach einem jahrelangen Rosenkrieg geschieden und einander mit Hassgefühlen begegnen, weil die Bindung dieser Menschen aneinander ein Zeichen der Einheit Christi mit der Kirche darstelle - sub contrario, wenn sie so wollen -, während die Gemeinschaft der Wiederverheirateten nicht nur dieser Zeichenhaftigkeit entbehrt, sondern als “Verharren in der Sünde” begriffen wird, und dies auch dann, wenn die Partner ihre Hingabe aneinander tagtäglich leben und erfahren? Weil die eheliche Liebe “durch Christi Sakrament geheiligt ist, bedeutet sie unlösliche Treue und sei darum unvereinbar mit jedem Ehebruch und jeder Ehescheidung” (so Gaudium et spes 49)

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Welche Antwort würde er - gerade aus seiner Erfahrung der Totalhingabe - wagen? Wie würde seine Zeitdiagnose aussehen? Vermutlich würde er positiv ansetzen und darauf hinweisen, dass unsere Zeit deswegen angefangen hat die Hingabe zu reduzieren, weil sie Angst hatte vor Viktimisierungen und Selbstviktimisierungen. Sie wollte die frustrierende Opfermentalität - jene Opferhaltung, die ihre Verwurzelung im Glauben verloren hat und zur lästigen Pflicht wurde - abschaffen. Doch - und hier beginnt der Teufelskreis -: die Verweigerung der Hingabe brachte erst recht Viktimisierungen zustande. Viktimisierungen, die wir durch gerichtliche verfahren in den Griff zu bekommen trachten. Der Weg des gelebten Sacrificium wäre hier besser. Der Weg der gelebten Hingabe, der Weg des Commitments. Dieser Weg, der nicht im Sinne des moralischen Imperativs, sondern kraft der Glaubenserfahrung gelebt werden kann. “Verstehe nicht...” - wird der Zeitgenosse sagen. Da kann ich nur den Rat geben, den der Künstler mit seiner Einladung zur Ausstellung möglich macht. Die Reliquie, die Brille Neururers, das Realsymbol seiner Person scheint dort zu sagen: “Nimm mich und lies. Nimm mich und schau!” Schau in die österlichen Augen des Märtyrers und lass dich durch diese Augen verwandeln. Die Jüngerinnen und Jünger haben am Karsamstag auch nicht geglaubt, dass die entscheidende Zukunft noch bevorsteht. Und doch... Lässt man sich diese Logik ein, wird man Ostern selbst im KZ feiern können. Warum also nicht in Innsbruck. Von Götzens schon ganz zu schweigen!

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