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"Mysterium tremendum et fascinosum - erschreckend und faszinierend: das Geheimnis..."
(Predigt zum zweiten Fastensonntag)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2013-03-05

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Predigt zum zweiten Fastensonntag im Anschluss an Gen 15,5-12;17-18, gehalten in der Jesuitenkirche am 24. Februar 2013 um 11. Uhr 

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Erschreckend! Erschreckend und faszinierend kommt der zweite Fastensonntag daher. Zumindest im liturgischen Gewand. Da kann schon einem der Mund offen bleiben. Vom Staunen und auch vom sakralen Schrecken! Der menschenleere Hügel. Der einsame Abram: Ein Mann, der seine wilden Jahre bereits hinter sich hat, ein Mann, der in einer Orientierungskrise sondergleichen steckt. Einer, der in seiner Jugend alles auf eine Karte setzte, bei dem aber die Rechnung scheinbar nicht aufgegangen ist. Der erhoffte Erfolg lässt auf sich warten. Anstatt des prallen Lebens: Leerlauf. Sara und Abram: zwei einander entfremdete Eheleute. Perspektivlosigkeit. Kein Kind trotz Kinderwunsch. Und weit und breit niemand, mit dem man reden kann, auch oder gerade, obwohl man genug Herden, genug Besitz, genug Geld, genug Aktien hat. Wellnessseminare, Watsu und Schiatsu, Fastenkuren und Feuerlaufen: alle möglichen esoterisch anmutenden Spiritualitätsszenarios suchen die modernen Abrams auf, wenn sie nicht weiterkönnen: in Sachen Menschlichkeit. Unser Abram, der Abram vom zweiten Fastensonntag, ein Mann an der Grenze des Wahnsinns sitzt da: auf dem menschenleeren Hügel. Die Hände blutverschmiert. Er sitzt zwischen den zerteilten Tieren, scheucht die Raubvögel weg und wartet... Es wird immer windiger und windiger und dunkler und gespenstiger. Doch er wartet. Wartet! Und worauf? Auf das Außergewöhnliche? Auf den letzten Kick? Auf den Touch des Transzendenten? Hat es denn in seinem Leben nicht genug davon gegeben? Es war doch ein Leben, das von der Risikobereitschaft und Initiativfreudigkeit sondergleichen geprägt war. Innovation hieß die Devise. Der Sponti folgt der Stimme Gottes - oder war es bloß seine Einbildung? oder der Trend der Zeit? oder die Erfahrung der Not zu Hause und der Langeweile? - der Stimme Gottes also gehorchend, verlässt der junge Schnösel die alte Heimat, setzt alles auf eine Karte, löst sich aus den alten Bindungen und geht ein Risiko ein. Ein kalkulierbares freilich. Die Herden nimmt er mit, die Frau und die Mitarbeiter, das Kapital und den Geschäftspartner - seinen Neffen Lot. Die neuen Ufer, zu denen sie aufgebrochen sind und auch das neue Leben ließen allerdings lange auf sich warten. Fast so wie bei den Asylwerber. Überleben heißt dann die Devise. Der Sponti lernt Kompromissbereitschaft, Selbstverleugnung und Lüge. Auf dem Tiefpunkt angelangt, ist er sogar bereit, seine Frau zu verleugnen und zu verraten, gar zu verkaufen. Um des Überlebens willen! Der Traum, den er zu träumen wagte: das mysterium fascinosum, das den Alltag seiner Jugend begleitete, verwandelt sich nach und nach in ein mysterium tremendum; der Traum wird zum Trauma, einem Trauma, das man nur noch managen kann, so gut es halt geht. Oft ein Leben lang. Das erschreckende Geheimnis des Lebens besteht oft, ja allzu oft in dessen Banalität. Wie soll man da die lähmende Perspektivlosigkeit managen? Durch Steigerung des Konsums ... bis an die Grenze der Verdauungsmöglichkeiten? Wie die schreckliche Erkenntnis bewältigen, dass er selber und seine Frau immer älter werden und die qualitative Verbesserung des Lebens nicht in Sicht ist. Und auch die Kinder ausbleiben, jene Kinder, die mir die Perspektive der Zukunft offenhalten, einer Zukunft unter dem Vorzeichen der Beziehung, unter dem Vorzeichen der tragenden Gemeinschaft. Kinderlos und ohne Heimat, durch blutige Kriege abgehärtet, durch unzählige Alltagslügen abgestumpft, sitzt nun dieser Mann im mittleren Alter, ein Mensch, der in einer Orientierungskrise steckt, er sitzt auf dem gespenstigen Hügel und wartet. Was er da gerade selber vollbracht hat, das grenzt an Wahnsinn - es übersteigt radikal seine Vorstellungskraft. “Jetzt spinnt er vollkommen!” - würde Sara dazu sagen. Das Drama, in das er einbezogen wurde, jenes Drama, das so harmlos angefangen hat, als er den Wink des Himmels wahrgenommen hat, die Stimme Gottes gehört - oder war es seine eigene Einbildung -, dieses Drama steuert auf den Kulminationspunkt zu. Die fromme Gottestrunkenheit ist längst weg, die Sprache der Verheißung und der Hoffnung unverständlich: “So zahlreich wie die Sterne am Himmel werden deine Nachkommen sein”- nicht, das ich lache bei der frommen Illusion! Zeichen! Mehr noch: Garantien will ich jetzt sehen. Handfestes. Bodenständiges. Abram wird zum Esoteriker, würde der moderne Manager sagen. Er zelebriert die Liturgie der Selbstverfluchung, abgeschaut bei exotisch anmutenden Fremdkulturen: den Durchmarsch durch die zerteilten Leichenteile.  Der durch die getrennten Teile des getöteten Tieres Schreitende wünscht sich selber den Tod - die gleiche Zerteilung seines Leibes - für den Fall, dass er das Wort bricht, das Wort, das sein Leben bindet. Es ist eine Liturgie, die im Grunde nur das besiegelt, was Wirklichkeit werden wird. Angesichts des Scheiterns! 

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Liebe Schwestern und Brüder, der gespenstig anmutende Hügel, der Ort des mysterium tremendum, des Ort des erschreckenden Geheimnisses kann überall sein: im heruntergekommenen Gasthaus, in dem sich der abstürzende Mensch angesichts der Ausweglosigkeit einsam nieder sauft, genauso wie im bürgerlich ausgestatteten Wohnzimmer, das Zeuge einer ähnlichen Liturgie sein kann: Abend für Abend. Am Tiefpunkt angelangt, fast ohnmächtig und doch noch angsterfüllt, um die letzten Hoffnungsfunken bangend, erlebt aber unser Abram das mysterium fascinosum. Gott selber repräsentiert durch Feuer - schreitet den Weg durch die zerteilten Leichen ab, er geht den Weg der Selbstverfluchung - setzt sich, wenn sie so wollen zum einsam sich niedersaufenden dazu - und bindet sich. Was in dieser tiefen Orientierungskrise des biblischen Abram, eines Menschen im mittleren Alter besiegelt wird, ist die irrwitzige Treue- und Liebesgeschichte. Einmalig in der Geschichte der ganzen Menschheit: Die Geschichte der Beziehung Gottes zum Volk Israel, in die hinein alle anderen Völker durch Jesus Christus mit aufgenommen werden. Und warum ist diese Geschichte irrwitzig? Warum einmalig? Weil auf der Treue des einen Partners bauend! Auf der unverbrüchlichen Treue!

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Weil Gott sich an die Grenze der Selbstverfuchung wagte, sich auf eine Art und Weise erniedrigte, die der normale, die der gesunde Menschenverstand nicht mehr begreift! Begreifen tun wir es nicht, diese Logik des mysterium fascinosums, das sich in unsere mysteria tremenda entäußert. Begreifen tun wir es nicht, aber leben tun wir davon. Vor allen in unseren Orientierungskrisen, im Kontext der Enttäuschungen, der Verbitterungen und lähmenden Perspektivlosigkeit. Am Tiefpunkt des Scheiterns! Wenn ein Mensch in die Tiefen der Niedertracht hinunterfällt und der Umkehr unfähig ist vermag nur die unverbrüchliche Treue des anderen Partners ihn leben zu lassen, gar sich aufzurichten. Die irrwitzige Logik des christlichen Glaubens wagt nun zu hoffen, dass es keinen so schreckenserregendenHügel im menschlichen Leben geben kann, an dem diese Verwandlung nicht stattfindet. Eine Verwandlung, die nicht durch unsere emsige Bemühung bewirkt wird, sondern durch diesen Gott, der sich an Abram gebunden hat. Ihm deswegen auch zu einem neuen Namen verhalf: Abraham! Und auch zu Nachkommen. Gerade jener Nachkommenschaft, die am zweiten Fastensonntag die Jesuitenkirche füllt und eine Liturgie zelebriert: jenes erschreckende Geheimnis also vergegenwärtigt, in dem Gott selber in Jesus Christus das Schicksal der zerteilten Tiere erlebte. Stellvertretend für uns alle erlebte. Stellvertretend für uns alle erlitt er ja den Fluch der Selbstverfluchung, den Fluch der Selbstpreisgabe. Für uns alle, die wir doch ständig treubrüchig sind. Mehr noch: Für uns, die Postmodernen, die wir nicht einmal des Glaubens an Gottes unverbrüchliche Treue fähig sind, geschweige denn des glaubwürdigen Zeugnisses für diesen Glauben. Aber gerade deswegen, weil uns allzu oft der Glaube und das Vertrauen fehlt, weil wir wie Abram oft in einer Orientierungskrise stecken, weil uns die Perspektivlosigkeit lähmt, feiern wir den Ritus, der uns den wunderbaren Tausch vergegenwärtigt. Den Tausch unserer mysteria tremenda, unserer erschreckenden und banalen Geheimnisse des Alltags, den Tausch unserer Treulosigkeit in ein mysterium fascinosum: in das faszinierende Geheimnis göttlicher Treue. Der unverbrüchlichen Treue den treubrüchigen Partnern gegenüber. Auf dem “Hügel der Jesuitenkirche” feiern wir am zweiten Fastensonntag Eucharistie: die Danksagung für diesen Tausch, den Tausch, der uns leben lässt. Gerade uns, die Postmodernen. Gerade in der Situation unserer uns oft lähmenden Perspektivlosigkeit.

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