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Wir wollen nicht beten! Eine Glosse zur liturgischen Sprache

Autor:Lumma Liborius
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2013-01-15

Inhalt

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1. „Oremus“ – „Lasst uns beten“ – „Wir wollen beten“

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In römisch-katholischer Liturgie werden Orationen mit dem lateinischen Oremus eingeleitet; im Deutschen heißt es „Lass(e)t uns beten“. Landauf, landab hört man aber auch „Wir wollen beten“. Was hat es damit auf sich?

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Zunächst ein Blick auf Oremus und „Lasst uns beten“: Oremus ist Konjunktiv Präsens Aktiv, 1. Plural, von orare (beten). Diese Form dient als Imperativ, ist also als Befehl, Aufforderung oder Einladung zu verstehen. Im liturgischen Kontext kann es sich nicht um einen Befehl handeln, denn erstens lässt sich Gebet ohnehin niemals befehlen und zweitens bleibt die liturgische Oration vom abschließenden „Amen“ der Angesprochenen abhängig. Oremus kann also nur Aufforderung bzw. Einladung sein. Die Liturgievorsteherin/der Liturgievorsteher spricht eine Einladung aus und bezieht sich dabei selbst mit ein (1. Plural!). Die Angesprochenen sind frei, sich ansprechen zu lassen oder sich zu verweigern; ebenso wie ihnen die abschließende Zustimmung durch „Amen“ freisteht.

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Mangels einer eigenen Imperativform 1. Plural im Deutschen muss auf die Konstruktion „Lasst uns...“ ausgewichen werden. So ergibt sich als sachgerechte Übertragung von Oremus „Lass(e)t uns beten“.

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Mir ist nicht klar, was dazu geführt hat, dass so viele Liturgen stattdessen „Wir wollen beten“ verwenden. Möglicherweise erscheint ihnen die Formel „Lasst uns...“ zu abgenutzt und daher bedeutungslos, vielleicht auch altertümlich oder gar unverständlich. Möglicherweise soll durch das unkomplizierte „Wir wollen...“ eine Form gefunden werden, die der Alltagssprache eher entspricht und daher leichter mitgetragen werden kann.

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2. „Wir wollen beten“ – sprachliche Probleme

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Der semantische Unterschied zwischen „Lasst uns beten“ und „Wir wollen beten“ ist allerdings dramatisch, und das bleibt nicht ohne theologische Folgen. „Wir wollen beten“ ist ein Indikativ Präsens Aktiv, 1. Plural, also ein Aussagesatz. Woher aber weiß der Liturge, dass „wir wollen“? Gewissheit hat er doch nur über sein eigenes Wollen! „Ich will beten“ ist eine sinnvolle Aussage, aber „Wir wollen beten“? „Wir wollen beten“ ist keine Einladung, sondern eine Vereinnahmung der Angesprochenen. Der Satz stellt etwas fest, um dessen Wahrheit er nicht wissen kann. Er impliziert: „Ich weiß, dass du willst“; das aber ist unmöglich, denn den Willen des Menschen – gerade im Gebet – kennen nur Gott und der Mensch selbst. „Wir wollen beten“ lässt keinen Raum für den Zweifelnden, Zögernden, der sich erst an das Gebet herantastet, der erst abwartet, ehe er zuzustimmen wagt. „Wir wollen beten“ überfährt den Hörer mit dem Willen des Sprechers, denn es heißt nichts anderes als: „Ich will, dass ihr dasselbe wollt wie ich.“ Wo also jemand ausruft „Wir wollen beten“, kann die Antwort nur lauten: „Woher weißt du, was ich will?“

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Nun könnte allerdings hinter dieser Formulierung auch eine Art Redewendung aufscheinen, die etwas anderes bedeutet als ihre Oberflächensemantik besagt. Im Fall von „Wir wollen“ gibt es das im Deutschen tatsächlich, es ist das „Krankenschwester-Wir“: „Wie geht es uns denn heute?“, „Haben wir schon unseren Mantel angezogen?“, oder „Jetzt wollen wir aber noch unsere Tabletten nehmen“, womit wir bei „Wir wollen“ als einem verklausulierten Imperativ wären. Auch im Umgang mit kleinen Kindern ist diese Wendung verbreitet: „So, jetzt gehen wir schlafen“, „Wir wollten doch nicht im Wohnzimmer herumspringen“, „Wir wollen immer unseren Teller aufessen.“ Aber sollte es das Ziel katholischer Liturgen sein, derart infantile Redewendungen zum liturgischen Standard zu machen?

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3. „Beten wir“

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Nun sei mit dieser Glosse keinem seelenlosen Rubrizismus das Wort geredet. Vielleicht ist es ja wirklich so, dass der schon von Pius X. zum Reformprinzip der Liturgie erhobene Grundsatz Variatio delectat seinen zutiefst wahren Kern darin hat, dass eine immer wieder ausgesprochene sprachliche Formel irgendwann zur Floskel degeneriert und der Abwechslung bedarf, um bewusst wahrgenommen werden zu können. Im Fall von Oremus bietet das Deutsche tatsächlich Möglichkeiten, die naheliegendste lautet „Beten wir!“ Möglich wäre auch – wenn die Rolle des Liturgen als zugleich Aufforderndem und Aufgefordertem zum Ausdruck kommen soll – „Betet mit mir!“

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Das wären Arten, den liturgietheologisch bestens begründeten Gehalt von Oremus sinnvoll ins Deutsche zu übertragen. „Wir wollen beten“ ist hingegen vor allem eines: falsch.

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