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Ob uns die Geschichte von Kain und Abel etwas über Bin Laden sagen kann?

Autor:Solan Franz
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:
Publiziert in:# Gastkommentar von Franz Solan Nüßlein, OFMCap, Sögel, Bremen
Datum:2001-10-19

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Manchmal ist es gut, wenn wir die uns so gut bekannte Bibel neu lesen, und zwar so, als würden wir sie das erste Mal entdecken. So auch die Geschichte von Kain und Abel.

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Da heißt es gleich in der Einleitung ganz lakonisch: „Gott sah auf das Opfer des Abel, aber auf das Opfer des Kain sah er nicht."

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Wenn ich jemanden fragen würde, woran Abel erkannte, daß Gott sein Opfer angenommen aber auf Kains Opfer nicht geschaut hat, dann bekäme ich recht häufig die Antwort: Die Opfergabe des Abel brannte lustig nach oben, Kains Gabe aber qualmte abscheulich. So sahen doch die Illustrationen zur Bibel aus. Aber so recht will uns das nicht befriedigen. So tut sich Gott doch nicht kund. Die ganze Geschichte wird irgendwie vorzeitig abgewürgt.

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Wie wär's, wenn wir uns in die Lage des Kain versetzten. Wir haben unsere Opfergabe als Zeichen der Anerkennung und Verehrung Gottes und mit der Bitte um eine gute Ernte dargebracht genau so wie jener Viehzüchter Abel. Der aber liegt nun inmitten seiner großen fetten Herden im Gras und läßt den lieben Gott einen guten Mann sein. Ich aber, ich habe geackert, gesäht und gejätet ... und nun verdorrt mir die Ernte unter den Händen. Soll man da nicht die Wut kriegen? Was ist das für ein Gott, der den einen begünstigt und den andern einfach hängen läßt? Kains Gesicht - so wörtlich - „fällt herab", er fühlt sich getroffen und tief beleidigt. Gott redet ihm - ohne übrigens für sein „Verhalten" irgend eine Erklärung nachzuschieben - gut zu. Wenn er, Kain, ein guter und rechtschaffener Mensch sei, dann könne er doch aufrecht ( = erhobenen Gesichts) durchs Leben gehen, was immer auch geschehen mag.

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Für Kain aber hat sich Gott als ein ungerechter Gott gezeigt. Allerdings kann er Gott nichts anhaben, kann sich an ihm nicht rächen. Und so läßt er seine Wut an dem für diese Lage wirklich unschuldigen Abel aus.

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In der Kain-und-Abel-Geschichte ist eine ganz gefährliche Falle verborgen: wir neigen zum Urteil, daß Kain schlecht gewesen sein muß, weil Gott sein Opfer „nicht annahm". Eine auch sonst in den Lebensbildern der Bibel immer wieder aufscheinende und fast unausrottbare Deutungsweise des persönlichen Unglücks. Aber gerade im Buch Ijob wird vehement gegen den Generalverdacht angegangen, daß nämlich ein schweres Unglück immer Zeichen für eine Strafe Gottes sei. Von Ijob wird aber dreimal(!) ausgesagt - einmal vom Verfasser des Buchs (1,1), zweimal von Gott selbst in den Himmelsszenen (1,8 u. 2,3) - daß Ijob chemisch frei von Sünde war. Und Saten selbst stellt vor Gott fest: „Das Tun seiner Hände hast du gesegnet"(1,10). Und trotzdem trifft ihn aus heiterem Himmel schwerstes Unheil. Ijob gerät fast in das Fahrwasser des Kain, als seine Frau - sie ist wohl die Personifizierung der emotionale Komponente seiner Leidenserfahrung - zu ihm sagt: „Fluche Gott und stirb!" Ijob reagiert aber überlegen(d): „Nehmen wir das Gute an von Gott, sollen wir dann nicht auch das Böse annehmen?" Selbst seine drei Freunde, die immerhin zunächst sieben Tage bei ihm saßen und angesichts seines Elends schwiegen, wollen ihm einreden, daß er irgend etwas, und sei es unbewußt, angestellt haben muß. Ijob wehrt sich heftig und erbittet von Gott eine Bestätigung seiner Unschuld, verlangt allerdings nie, daß Gott sich wegen des ihm übergestülpten Elends rechtfertigen soll.

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Wir sehen, wie das Unschuldsbewußtsein - sei es unberechtigt oder berechtigt - zusammen mit dem Gefühl der Gottverlassenheit eine explosive Mischung ergibt. Bei Kain kam es zur Explosion, bei Ijob „nur" zu langen und heftigen Wortgefechten mit seinen Freunden.

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Nun zu der in der Überschrift gestellten Frage: Kann uns die Bibel eine Hilfe geben, wie wir das Verhalten von Bin Laden und seiner Gesinnungsgenossen deuten können? Unter der Prämisse, daß wir uns unserer eigenen gewalttätigen Tendenzen bewußt sind, dürfen wir vermuten, daß Bin Laden und seinesgleichen auf ihren Gott wütend sind, weil er ihnen trotz ihrer idealistisch-fanatischen Frömmigkeit nicht die Freiheit und den Reichtum geschenkt hat, deren sich vor allem die „ungläubigen" und gedankenlosen Amerikaner erfreuen dürfen. Und so lassen sie an ihnen ihre blinde Wut aus. Zugleich glauben sie, „Gott einen Dienst erwiesen zu haben" (vgl.Joh 16,2), indem sie selbst die Gerechtigkeit in die Hand nehmen. Allerdings verrät das auch, daß sie von Gott her nichts mehr erwarten außer den Tod.

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 Clemenswerth, 18.10.2001

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 P.Franz Solan Nüßlein, Kapuziner

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