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Versuchungen Christi
(Dialogpredigt auf den Ersten Fastensonntag 2010)

Autor:Siebenrock Roman
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2011-03-10

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Evangelium: Lukas 4,1-13

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SITUATION: Eine schwarze Gestalt (Roman A. Siebenrock; RS) hörte während des Evangeliums, das Peter Fritzer SJ; PF) verkündet, von der Kanzel der Jesuitenkirche aus, also von oben aus, zu. Die Predigtsituation strukturiert sich als Dialog zwischen der Gestalt oben und dem Verkünder des Evangeliums, unten.

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PF:

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Du hast aufmerksam zugehört…da oben…Wer bist du denn?

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RS (Ich-Rede des Versuchers)

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Sie haben gerade von mir gesprochen, nicht wahr? Ich habe ja die negative Hauptrolle in dieser Geschichte, die Ihr alle hier ja immer nur aus Eurer Perspektive erzählt und hört. Ein bedeutender Dichter nannte mich den Geist, der stets verneint. Dass er zudem meinte, dass ich ein Teil von jener Kraft sei, die stets das Böse will und stets das Gute schafft; – erscheint mir nach dem 20. Jahrhundert als etwas schmeichelhaft und harmlos. In Euerer Heiligen Schrift werde ich zutreffender der Gegner oder Ankläger der Menschen (Ijob 2,1) genannt.

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Ach ja, der Teufel hat heute wieder Konjunktur. Die verehrte katholische Kirche etabliert wieder neu nicht nur einen Exorzismus, sondern bildet Priester darin aus. Ich bin dieser existenzerhaltenden Aufmerksamkeit sehr zu Dank verpflichtet.

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Bisweilen kann ich mich daran richtig erheitern, dass das Böse fasziniert, während die Rede von der Gnade und der Liebe Gottes die Zeitgenossen langweilt. Und auch viele Eurer Witze laufen nach dem gleichen Muster: angesichts der Langeweile im Himmel hilft nur ein Abenteuer der Unterwelt.

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Macht es Euch also nicht zu leicht. Zur Ruhe kommen lasse ich Euch nicht. Wenn ich mir dabei vorstelle, was sich die frömmsten Christgläubigen unter dem Satan, dem Diabolos vorgestellt haben (und vielleicht noch vorstellen), dann kann ich nur heiter grinsen. Schreckgespenst mit Schwanz und Hörnern (so wie letzten Sonntag im Fasching vielleicht gesehen): Ha, da seid ihr mir schön auf den Leim gegangen; - schon fast in die Falle getappt. Ich frage mich, warum sich die Christenheit nicht an die aufklärende Kraft des heutigen Evangeliums gehalten hat. Hier ist meine Macht entlarvt. Aber gut für mich und schlecht für Euch, dass die Christenheit über lange Jahrhunderte Mythologien und Phantastereien wie den Hexenwahn-Vorstellungen, die dazu noch hier in Innsbruck am Ende des 15. Jahrhunderts Ihren Ausgang nahmen, gefolgt sind.

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PF:

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Jesus erfuhr in seiner Taufe am Jordan…ein Licht, das ihn ganz durchdrang… einen geöffneten Himmel…einen leisen Flügelschlag, der auf ihn zukam, einen unendlich zarten Atem, der ihn „umhauchte“ und tief in seine Seele sich einsenkte…jene Macht, die ihn aus der Höhe des Himmels und in der unsichtbaren Tiefe seines Herzens angesprochen hatte…eine Kraft trieb ihn von den Menschen weg in die Wüste…sie nahm ihn auf…und da begegnete er Dir? Wirklich Dir?

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RS:

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Zwar bin ich damals bei Jesus, dem Gerechten, gescheitert. Aber: Überlegt Euch alle hier und heute wenigstens einmal: Waren meine Angebote und ehrlichen Aussichten, die ich diesem Rabbi und der Menschheit angeboten habe, so schlecht? Legt diese Geschichte von heute einmal von anderer Warte aus; nicht immer nur von Euerer; - mit mir als Negativfigur schlechthin. Mein erstes Angebot an den Herrn Sohn Gottes, Messias, wenn es Euch lieber ist: Bitte, wer will etwas dagegen sagen? Trifft mein Angebot nicht die Not aller Menschen. Alle Sorgen wären heute weg, wenn seit damals Steine in Brot verwandelt würden; - natürlich gäb‘s Speck und Vernatsch als Zugabe in Tirol dazu. Meine erste Versuchung ist doch das ideale Wahlprogramm jeder nur denkbaren Partei heute: Schlaraffenland, ein Leben ohne Kampf ums tägliche Brot, voller Bauch für die Ärmsten auch! Schon damals war ich ein Verfechter des Mindesteinkommens!

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PF:

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Er hat Dich wohl erkannt in deiner einschmeichelnden Stimme…mit den Worten des Mose hat er dir geantwortet…dass der Mensch nicht nur von Brot lebe, sondern von allem lebt…was der Mund des Herrn spricht. Der Mensch stirbt am Brot allein. Ist es nicht eine irre Verführung zu meinen, die Menschen wären glücklich, wenn sie zu essen, zu trinken und Vergnügen hätten? Die Sehnsucht des Menschen wird durch die ganze Welt nie erfüllt. Aber: So schnell hast du wohl damals nicht nachgelassen?

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RS:

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Nicht vom Brot allein, das gebe ich ja gerne zu; - aber ohne geht es ja auch nicht. Geld macht nicht glücklich, aber es beruhigt. Die zweite Versuchung knüpft daher an die erste nahtlos an. Wer für Brot (und natürlich für Spiele) sorgt, der bekommt die Macht. Sie wird ihm nachgeworfen. Wer die Macht über alle Reiche will, angefangen bei Alexander und aufgehört bei Napoleon, Hitler, Stalin und Mao, wird in Eueren Geschichtsbüchern „groß“ genannt. Euere Kinder lernen diese Gestalten in der Schule. Aber: Ich bin die Macht dieser Welt, ich verfüge darüber. Also ich hätte diesem komischen Rabbi einen Platz, einen von allen Historikern unbestreitbaren Platz in den Geschichtsbüchern sehr wohl ermöglichen können. Denn die Sieger schreiben die Geschichte. Stellt Euch vor, der wäre als Sieger in Rom eingezogen oder hätte Palästina Unabhängigkeit verschafft. Keiner würde an seiner Existenz zweifeln. Ich werde ja der Gott dieser Welt genannt. Und dann: Wie viel Gutes hätte ein so reiner Charakter wie Jesus tun können; ja mehr noch: Er hätte dann mit einem „Schnipp“ sein Reich errichten können; zum Segen und Wohl der Menschheit. Und was ist aus seinem Traum, der Sehnsucht seines Lebens geworden? Pilatus und die Folgen; – Ihr wisst es alle gut. War mein Angebot nicht um Längen besser als dieses, sein Ende am Kreuz?

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Die Menschen wollen immer an etwas glauben. Muss man es Ihnen denn so schwer machen? Sein Reich sei nicht von dieser Welt; - das stimmt, und zwar in erschreckender Weise. Ist es überhaupt zu bemerken? Nicht einmal in seiner Kirche hält es sich durch; - ist es zu bemerken. Zu stark erscheint mir dieses Reich nicht von dieser Welt. Ich jedenfalls hätte ihm eine bessere Performance ermöglicht als diese windige Gruppe aus Handwerkern, Fischern, abgehalfterten Damen und übersensiblen religiösen Träumern.

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PF:

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Mir kommen Worte Alfred Delps in den Sinn…wenige Tage vor seiner Hinrichtung und wenige Tage nach dem lächerlichen Schauprozess hat er in seiner Gefängniszelle geschrieben….eine Weihnachtsbetrachtung…und da stehen die Worte…lieber im Stall anbeten, als auf dem Thron erschrecken…Mensch lass dich los zu deinem Gott hin und du wirst dich selbst wieder haben…

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RS:

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Gut, ich korrigiere meine Auslassung; einige wenige Mutige hat es schon gegeben. Aber zurück zum Thema: Dritte Versuchung: Bin ich nicht mitunter auch ein frommer Typ? Ich weiche dem Tempel, den Gotteshäusern nicht aus; mitten unter Euch sitze ich bis heute. Ich kann ja nur grinsen, wenn jemand meint, er könne vor dem Versucher hinter Klostermauern fliehen: Ihr nehmt mich immer mit!

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Und ich kenne die Heilige Schrift. Was habe ich denn anderes verlangt, als was Eure Theologen jahrhundertelang gepredigt und bedacht haben: ein absolut tolles, unschlagbares Wunder wollte ich sehen; - öffentlich evident. Ich nehme noch heute Eure Apologeten ernst: Wer würde z.B. denn Ihren Anspruch, verehrtester Herr Pater, abstreiten, wenn Sie auf einmal von dieser Kuppel ohne Seil und doppeltem Boden herunter schwebten? Wäre dann nicht Ihre Predigt unbestreitbar legitimiert und Sie selbst fast schon im Himmel? Was ist so Schlechtes an diesen drei Versuchungen? Ich habe nur ausgesprochen, was als Möglichkeiten, Wünsche, Sehnsüchte in so vielen, armen Menschen sind. Die Menschen wollen Spektakel, sinnliche Evidenz und absolut unschlagbare Demonstration – ich hätte es geliefert.

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Wer Gutes tun will, benötigt dazu die entsprechende Macht: Auch das wäre möglich gewesen. Menschen wollen Brot und Spiele – ich hätte noch eins drauf gesetzt. Sag’ mir, Sohn Gottes seltsamer, warum sollte das finster und ablehnenswert sein?

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PF:

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Du erinnerst mich an die Gestalt des Großinquisitors von Dostojewskij aus seinem Roman die Brüder Karamasow…dort lässt der Dichter Jesus erneut auf Erden wandeln und gelangt in das Sevilla des 16. Jahrhunderts…das Zeitalter der Inqusition… gerade sind hundert Häretiker qualvoll hingerichtet worden…Jesus spricht kein Wort und wird doch von allen erkannt…auch an einem Wunder, das er vollbringt…der Großinquisitor lässt Jesus verhaften und lange Zeit allein in der Zelle warten…um Mitternacht besucht er ihn zum Verhör…Jesus schweigt weiterhin…im Verhör führt der Inquisitor für Jesus sein Gespräch mit dem Teufel in der Wüste…

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Nachdem der Inquisitor geendet hatte, wartet er einige Zeit auf eine Antwort des Gefangenen…

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Dessen Schweigen wird ihm peinlich…er hat bemerkt, w i e ihm der Gefangene die ganze Zeit still zugehört u n d eindringlich in die Augen gesehen hat – offenbar ohne die Absicht, etwas zu erwidern… Der Inquisitor möchte, dass ER etwas sagt…und sei es etwas Bitteres, Furchtbares…Doch ER nähert sich plötzlich wortlos dem Greis und küsst ihn sacht auf die blutlosen welken Lippen…das ist seine ganze Antwort…der Greis fährt zusammen…um seine Mundwinkel zuckt es…er geht zur Tür…öffnet sie und sagt zu Ihm: „Geh und komm nicht wieder! Komm überhaupt niemals wieder! Niemals, niemals!“…Und er lässt Ihn hinaus auf die dunklen Straßen und Plätze der Stadt…der Gefangene geht!“

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Und der Greis?

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Der Kuss brennt ihm im Herzen…

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Beginn einer Freiheits- und Liebesgeschichte…?

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RS:

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Meine Masche, ich verrate Sie Euch gerne, weil Eure klügsten Köpfe schon längst dahinter gekommen sind. Doch immer wieder bin ich erstaunt darüber, dass dieser Trick immer noch funktioniert: Das Geheimnis des Bösen liegt in seiner Verwechselbarkeit mit dem Guten. Deshalb kommt das Verhängnis immer unter dem Banner der Verheißung. Doch eines bin ich nicht: Ich bin nicht demütig. Lieben? Hauptsache sie fürchten mich. Ich steige nicht herab von der Möglichkeit der Gewalt: So will ich angebetet werden. Lieben? Hauptsache, Sie fürchten mich.

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PF:

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Einsam erscheinst Du mir, beziehungslos, ohne wirklichen Mut, Dich der Freiheit und der Liebe auszusetzen. Deine Vorschläge waren an sich nicht schlecht; - aber Freunde und Liebe will das Evangelium… nicht Knechte, Unterdrückte oder von Angst erfüllte.  Gegen den Gott dieser Welt hilft nur der wahre Gott! Der Mensch hat keine Wahl, so sagt ein Philosoph vor knapp 100 Jahren: Gott oder Götze…

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Der wahre Gott ist aber daran zu erkennen, dass er andere Freiheit will, sie fördert und so die Antwort der Liebe sucht. Auch Dir gegenüber wird der Herr sein Wesen nicht verleugnen. Er unterläuft Deinen Abergeist mit der sanften Macht der Barmherzigkeit. Und auch Du kannst der Barmherzigkeit Gottes keine Grenze setzen…

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RS:

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Wer bin ich nun? Euer derzeitiger Papst nannte mich eine Unperson; leider ziemlich zutreffend. Denn ich bin nicht aus mir selbst, ich nähre mich aus dem Funktionszusammenhang der Negationen, der Verwerfung, des Durcheinanderbringens, des stets berechtigten und daher umso abgründigeren Misstrauens. Ich nähre mich aus Euren Ängsten, Abgründen und Hilflosigkeiten. Ich habe jene Macht, die ihr aufbaut durch Eure Rivalitäten, Ehrgeize, verqueren Frömmigkeiten und Gotteswahnvorstellungen. Ich bin die Macht des Dazwischen, purer Faszination simulierter, heiliger, ja höchst humaner Versprechen. Doch bleibe ich mit Euch verwandt: Ich bin die Macht, die im Töten ihren höchsten Ausdruck findet. Es könnte mich zu Tode ärgern, dass ich nicht die Macht habe, Tote auf zu erwecken.

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(nachdenklich)

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Eines aber ist mir seit dieser Begegnung in der Höhe damals geblieben: Seit der Begegnung mit diesem Jesus von Nazareth bleibt eine mich sehr beunruhigende Faszination hängen. Ich weiß mich bis heute nicht dieser sanften Faszination zu widersetzen. Ich werde sie nicht los.

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Wie sollte ich dagegen kämpfen, wie sie verachten? Er hat mich mit so gütigen Augen angeschaut, dass ich nur Reißaus nehmen konnte. Und dann später, ich sah und hörte es in der Hoffnung, er werde Gott fluchen, hat er in seiner letzten Stunde, übergossen von Verachtung und Gewalt, noch dem Schächer vergeben und zu seinem verborgenen Vater in einem abgründigen, selbst mich berührenden Sinne gebetet; - und selbst seinen Jüngern, die ja alle Reißaus genommen und ihn verraten hatten, am Ostermorgen mit seinem Friedensgruß in seinen neuen, taufrischen Schöpfungsmorgen hineingenommen. Dieser Friedensgruß hallt auch in mir nach? Gilt er auch mir? Was soll aus mir werden?

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