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Das Theologen-Memorandum: Meine Unterschrift und meine noch größere Ratlosigkeit

Autor:Siebenrock Roman
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2011-03-01

Inhalt

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237 TheologInnen aus dem deutschen Sprachraum haben bereits ein Memorandum unterschrieben (Stand: 28.2.2011), das zu entschiedenen Reformen in unserer Kirche aufruft.1 Es hat mitunter harten Widerspruch in Inhalt und Entstehensform gefunden2, so dass ich mich gedrängt fühle, meine Motivation darzulegen, warum ich dieses Memorandum unterschrieben habe. Motivationen sind immer vielfältig, bisweilen unklar, und oft kommen wir uns selbst nicht immer auf die Spur. Daher hat mich gerade die Kritik der letzten Tage zu einer erneuten Prüfung meiner Motive herausgefordert. Es scheint mir wichtig zu sein, auch auf dieser emotionalen, von Ängsten, Sorgen und Enttäuschungen, aber vielleicht auch Wut und Resignation durchzogenen Ebene miteinander zu sprechen, wenn ein Dialog gelingen sollte. Ein Dialog in der Kirche spricht immer „von Herz zu Herz“, wie Newman es in seinem Kardinalswappen ausdrückte. Beginnen aber kann ein solcher Dialog nur, wenn jemand beginnt, etwas in sein Herz blicken zu lassen. Ich hoffe, dass mir dies hier etwas gelingt. Sonst sprechen wir wie rivalisierende Parteien im Kampf um Aufmerksamkeit und Quoten. Bei Euch aber soll es nicht so sein, …!

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Kurz: Das Memorandum müsste nicht spalten, sondern stellt eine Option von Katholizität dar, die wert ist, gehört und gewürdigt zu werden. Ich kann – angesichts einer nüchtern-sachlichen Textanalyse – nicht nachvollziehen, wenn von verschiedener Seite nach schärfsten disziplinären Maßnahmen gerufen wird. Auch sehe ich darin keine Unkirchlichkeit, sondern im Gegenteil, eine tiefe Sorge um die Kirche als entscheidende Motivation.3 Dass ein solches Memorandum auch seine Grenzen in Inhalt und Vorgehensweise hat, ist selbstverständlich. Jede Verlautbarungen von Menschen, selbst die Konzilien der Kirche zu allen Zeiten, hatten ihre Grenzen und unklaren bis prekären Verlaufs- oder gar Entstehensgeschichten. Wir schreiben immer in krummen Zeilen, bringen zerbrechliche Gefäße und sind nicht nur endliche Geschöpfe, sondern auch von allen Gefährdungen des alten Adams heimgesucht.

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Dass die Missbrauchsdebatte, wie Thomas Söding es sieht, nur wie ein Aufhänger erscheint, ist vielleicht die unglücklichste Wirkung des Memorandums. Aber ich habe deswegen meine Unterstützung nicht versagt, weil ich nirgends den Eindruck gewonnen habe, dass hier unverrückbare Positionen vertreten werden. Dieses Memorandum ist – meiner Ansicht nach – unpolemisch und sachlich verfasst. Ich kann deshalb die Radikalkritik an ihm nicht nachvollziehen. Daher möchte ich meine Motivation, dieses Memorandum zu unterschrieben, in folgenden Schritten darstellen. Zunächst muss der Inhalt analysiert werden: Was habe ich unterschrieben? Da das Memorandum stark in der deutschen Kirche verankert ist, möchte ich meine Motivation aus einer mehr österreichischen Perspektive einbringen, die auch von einer tiefen Ratlosigkeit und Sorge in der derzeitigen Kirchensituation geprägt ist. Gerade in dieser Hinsicht bin ich mir nicht sicher und ich habe auch keine Patentrezepte. Meine Unterschrift stellt daher auch eine Bitte und Ermunterung zur Korrektur und Erneuerung; und ist nicht mit innerer Vehemenz, sondern mit Ratlosigkeit und Skepsis erfolgt. Sie will aber den Spannungen nicht entfliehen, sondern spannendes Leben ermöglichen, wie es Willi Lambert einmal ausdrückte.4 Spannungen aushalten und spannend leben, das scheint mir eine gute Orientierung zu sein.

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Inhalt und Optionen des Memorandums

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Das Memorandum greift einen Vorschlag des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch auf, der zu einem tiefgreifenden Dialog aufgefordert hat. Dass ein solcher nur in einer offenen Kommunikation nach innen und nach außen möglich ist, wie das Memorandum es sieht, halte ich für selbstverständlich. Gerade der Missbrauchsskandal hat gezeigt, wie wichtig für die innerkirchliche Erneuerung eine kritische Öffentlichkeit ist.5 Ich halte daher die Option der Pastoralkonstitution (Gaudium et spes 45) immer noch für unglaublich wichtig: Die Kirche hat selbst von der Welt gelernt, die sie verfolgt. Dabei meine ich nicht, dass wir in unseren Gesellschaften verfolgt werden, auch wenn die Fehler und Defizite der Kirche mit Lust und Wonne ausgewalzt und Glaubende oftmals zum Gespött werden.6 Die Unterscheidung der Geister ist uns daher immer aufgegeben. Auch das Memorandum ist nicht blind, sondern geht sehr differenziert vor. Wenn der Text genau gelesen wird, dann kann ich nicht erkennen, warum er so herb kritisiert wird. Selbst in seinen heiklen Punkten verstößt er tatsächlich kaum gegen die aktuelle kirchliche Lehre.

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Die theologische Grundoption des Memorandums.

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Wörtlich heißt es: „Die Kirche ist kein Selbstzweck. Sie hat den Auftrag, den befreienden und liebenden Gott Jesu Christi allen Menschen zu verkünden. Das kann sie nur, wenn sie selbst ein Ort und eine glaubwürdige Zeugin der Freiheitsbotschaft des Evangeliums ist. Ihr Reden und Handeln, ihre Regeln und Strukturen – ihr ganzer Umgang mit den Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche – stehen unter dem Anspruch, die Freiheit der Menschen als Geschöpfe Gottes anzuerkennen und zu fördern. Unbedingter Respekt vor jeder menschlichen Person, Achtung vor der Freiheit des Gewissens, Einsatz für Recht und Gerechtigkeit, Solidarität mit den Armen und Bedrängten: Das sind theologisch grundlegende Maßstäbe, die sich aus der Verpflichtung der Kirche auf das Evangelium ergeben. Darin wird die Liebe zu Gott und zum Nächsten konkret.“ Daraus leitet das Memorandum ein differenziertes, ich meine positiv-kritisches Verhältnis zur gegenwärtigen Gesellschaft ab. Der Vorwurf von Helmut Hoping, dass die Differenz zwischen Kirche und Welt abgeschafft werden sollte, erkenne ich nicht. Vielmehr kann die Option herausgelesen werden, gegen die Nostalgie der Vergangenheit heutig zu werden und die Zukunft der Kirche nicht aus dem zu entwickeln, was vergeht, sondern sich auf neue Wege einzulassen. Das Memorandum widerspricht – aber dann eher indirekt – dem neu aufkommenden Antimodernismus, den ich auch in der Kritik am Memorandum meine erkennen zu können; - vor allem in der Strategie undifferenzierter Pauschalverdächtigungen. Wie steht es um die Einzeloptionen?

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Die sechs Optionen des Memorandums

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Die Optionen sind weder radikal noch erstaunlich, sondern würden– wenn sie verwirklicht würden – die selbstverständlichen Strukturmerkmale einer wirklichen „Communio-Ekklesiologie“ darstellen. Diese Optionen sind genauerhin: Strukturen der Beteiligung, Gemeindeleben und Einheit mit dem Lebensraum, Rechtskultur, Gewissensfreiheit, Versöhnung und Gottesdienst durch Teilnahme aller. Natürlich könnten noch andere Optionen angefügt werden. Aber ich verstehe nicht, warum diese Optionen gegen jene Ekklesiologie verstoßen sollten, die mit der Bischofssynode von 1985 als die Ekklesiologie des Konzils entwickelt worden ist: Kirche als Communio. Im Grunde fordert das Memorandum Defizite dieser ekklesiologischen Grundoption für die Realität ein, die seit Jahrzehnten diskutiert werden. Man kann nicht von Communio sprechen und die Partizipationsformen und Rechtsstrukturen nach dem Muster einer „ungleichen Gesellschaft/ societas inaequalis“, wie die Ekklesiologie vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil es lehrte, gestalten.7

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Davon zu unterscheiden sind die Optionen zur Pastoralstrategie. Die an der Priesternot orientierte Zusammenlegung von Pfarreien oder die Gestaltung von Pfarrverbänden u.a.m. haben genau jene Konsequenzen, die das Memorandum anspricht: Seelsorge als Management und immer weniger Zeit für reale Lebensbegleitung. Was das Memorandum positiv anzielt, ist so traditionell wie notwendig: Geistliche Seelsorger in ausreichender Zahl. In welcher Weise diese Situation behoben werden könnte, lässt das Memorandum offen. Allein der Pflichtzölibat für Weltpriester wird zugunsten von „viri probati“ in Frage gestellt. Daran ist nichts Aufregendes oder gar prinzipiell zu Kritisierendes, zumal vor allem durch die anglikanischen Konversionen, also nicht allein in der langen Tradition der unierten orientalischen Kirchen, derzeit sehr viele nicht-zölibatäre Priester innerhalb der katholischen Kirche Ihren Dienst ausüben dürfen. Der derzeitige Papst hat diese Option schon im Jahre 1970 erhoben und für das Jahr 2000 als Realität „vorausgesagt“. Es sei aber daran erinnert, und daher ist das Festhalten am Zölibat auch verständlich, dass bis zum letzten Konzil die Frage des Zölibats eher eine disziplinäre war. Erst das letzte Konzil sprach von einer Übereinstimmung von Zölibat und priesterlicher Lebensform. Lumen gentium spricht in offener Form im Kapitel über die Heiligkeit vom Zölibat als einer Gnadengabe (LG 42). Das Priesterdekret sagt: „Der Zölibat ist jedoch in vielfacher Hinsicht dem Priestertum angemessen“ (PO 16) und sieht ihn im Geheimnis Christi und seiner Sendung begründet. Und es sei auch daran erinnert, dass eine universalkirchliche Bischofssynode sich nach dem Konzil für den Zölibat ausgesprochen hatte. Das Memorandum entwickelt aber auch keine Option für die Ausgestaltung einer solchen Aufhebung.

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Dass solche Strukturreformen allein reichen, glaube ich persönlich nicht. Eher meine ich, dass die Erneuerung der Kirche von einem neuen Glaubensleben, einer neuen Frömmigkeit, wie es Rahner immer gesagt hatte, und einer erneuerten „Intellektualität des Glaubens“ ausgehen muss und wird. Vielleicht denkt das Memorandum hier zu stark von der „priesterlichen Versorgung“ her, und nicht primär aus der Gemeindentwicklung. Aber diese beiden Perspektiven möchte ich nicht gegeneinander ausspielen. Strukturverantwortung ist ein Prinzip katholischer Frömmigkeit, weil die Kirche dem Glauben nicht äußerlich ist, sondern seine Form und die Theologie als kirchliche Glaubenswissenschaft schon von ihrer Epistemologie hier ekklesiale Verantwortung wahrnehmen muss. Von einem Bruch oder gar einer anderen Kirche kann daher nach dem Text des Memorandums mitnichten die Rede sein. Professoren der katholischen Theologie haben von Ihrem Amt her ein ekklesiale Strukturverantwortung; - auch wenn sie kein Entscheidungsrecht besitzen.

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Die zwei „heiklen“ Punkte des Memorandums: „Frauenpriestertum“ und Homosexualität

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Sehr scharf haben die Kritiker zwei Punkte des Memorandums aufs Korn genommen: die angebliche Forderung des Frauenpriestertums und die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Beziehungen. Wenn genau gelesen wird, dann kann ich die Schärfe der Kritik nicht nachvollziehen.

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Wörtlich heißt es zum ersten Punkt, der aus der Not der Gemeinden und – wie es Bischof Stecher schon vor vielen Jahren formulierte – der Gefahr einer Entsakramentalisierung des Glaubenslebens formuliert ist: „Das kirchliche Amt muss dem Leben der Gemeinden dienen – nicht umgekehrt. Die Kirche braucht auch verheiratete Priester und Frauen im kirchlichen Amt.“ Wer die selbstverständliche Unterscheidung von Ordination und kirchlichem Amt („ministerium“, bzw. „officium ecclesiasticum“) kennt und weiß, dass mit der Kirchenkonstitution (Lumen gentium 33) und der Bestimmung des CIC (can 145ff) bestimmte kirchliche Ämter (und tatsächlich nicht nur wenige oder unbedeutende) auch ohne Ordination kanonisch rechtmäßig übertragen werden können, kann die Kritik an diesem Punkt nur als unsachlich zurückweisen und als bewusst verzerrend einschätzen. Der Text ist sehr vorsichtig gehalten; - steht aber so, wie er geschrieben ist, mit der derzeitigen kirchlichen Lehre ohne Einschränkung in Übereinstimmung. Konkret gefragt: Bekleiden Mag. Elisabeth Rathgeb aus unserer Diözese und Dr. Veronika Prüller-Jagenteufel in Wien als Leiterinnen des jeweiligen Seelsorgeamtes kein kirchliches Amt? Was stellen Äbtissinen, die Leiterinnen von Orden oder der Fokulare-Bewegung dar? Und auch das ist doch nichts Neues, wenn in Erinnerung gehalten wird, welche Iurisdiktionsvollmacht in der Tradition Frauen und Laien schon inne hatten. Es mag durchaus sein, dass mit dieser Formulierung die Option für die Ordination von Frauen nicht ausgeschlossen ist, sondern im Horizont der Möglichkeiten bleibt, aber ausdrücklich gefordert ist sie hier nicht.8

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Der zweite kritisierte Punkt betrifft innerhalb der Option für die Gewissensfreiheit die Aussage zur gleichgeschlechtlichen Partnerschaft. Wiederum wörtlich: „Die kirchliche Hochschätzung der Ehe und der ehelosen Lebensform steht außer Frage. Aber sie gebietet nicht, Menschen auszuschließen, die Liebe, Treue und gegenseitige Sorge in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft oder als wiederverheiratete Geschiedene verantwortlich leben.“ Wiederum verstehe ich die Kritiker nicht ganz, denn es wird wiederum moderat nur gefordert, „nicht auszuschließen“, konkrete Formen der Anerkennung werden nicht genannt. Damit steht das Memorandum genau in jenem Dilemma, in der die katholische Kirche mit ihrer doppelten Aussage steht (Katechismus der Katholischen Kirche 2357, 2358): Auf der einen Seite wird die gleichgeschlechtliche Orientierung mit Schrift und Tradition als objektive Fehlorientierung bezeichnet, auf der anderen Seite aber sagt der Katechismus, dass wir uns davor hüten sollten, „sie in irgend einer Weise ungerecht zurückzusetzen. Auch diese Menschen sind berufen, in ihrem Leben den Willen Gottes zu erfüllen und, wenn sie Christen sind, die Schwierigkeiten, die ihnen aus ihrer Verfaßtheit erwachsen können, mit dem Kreuzesopfer des Herrn zu vereinen“. Gewiss formuliert das Memorandum offener auch positiver, weil der KKK nur die Enthaltsamkeit als Lebensform kennt (KKK 2359), doch – im Blick auf die Erkenntnisse der Forschungen aus den letzten Jahrzehnten – könnten die Kritiker bedenken, dass die Naturrechtsargumentation in sich zusammenfällt, wenn diese sexuelle Ausrichtung nicht erworben, sondern „natural“ vorgegeben ist. Gewiss: Das Memorandum formuliert an dieser Stelle offener als der KKK. Ich bin aber der Überzeugung, dass zu diesem Thema die Kirche noch einen längeren Lernprozess vor sich haben wird, ohne dass ich selber sagen könnte, in welcher Weise solche Lebensgemeinschaften eine offizielle Anerkennung oder Duldung im Sinne der klassischen Toleranz erfahren könnten.

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Und allen Verantwortlichen sollte doch klar sein: Unsere Kirche hat im Bereich der Sexualität für die allergrößte Mehrheit der Menschen nichts mehr zu sagen. Auch die von Johannes Paul II. entwickelte Theologie des Leibes und die Zurückhaltung von Benedikt XVI. zu Sexualfragen werden nicht wahrgenommen. Seine Aussagen zum Kondom wurden ja als Sensation gehandelt. Und noch eines: In diesem Bereich ist ein offenes Gespräch nie leicht; - und es wäre eine wunderbare Sache, wenn unsere Kirche es wagen könnte, hier einmal unverstellt die Erfahrungen verschiedener Lebensformen schlicht wahr zu nehmen, die auch subjektiv redlich ein christliches Leben führen wollen. Dabei könnten die große Weisheit und Humanität der katholischen Morallehre, auch von Humanae vitae, neu zum Leuchten kommen. Bedingung hierfür aber scheint mir, im Grundprinzip des Memorandums ausgedrückt zu sein: Vorbehaltlose Anerkennung der Freiheit der Menschen in ihrer Suche nach gelingenden Lebensformen. Diese können und müssen nicht dadurch anerkannt werden; aber die alte Klugheit der Toleranz und der Achtung könnten einen Dialog ermöglichen.

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Fazit: Sachlich gesehen halte ich das Memorandum daher für ausgeglichen, moderat, in vielen Fragen für konkrete Ausgestaltung offen und von einer tiefen Sorge um die Zukunft der Kirche geprägt: Eine profilierte Position für den Dialog!

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Mein hermeneutischer Horizont: eine nicht allein „österreichische Perspektive“

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Das Memorandum ist von der deutschen Perspektive geprägt. Wenn ich aus meiner österreichischen Erfahrung sprechen darf, möchte ich sie folgendermaßen zusammenfassen. Ich erlebe das persönliche Gespräch mit Bischöfen in großer Offenheit, tiefer Anerkennung und ohne Vorbehalt. Ohne Einschränkung bin ich dankbar für unseren Ortsbischof und für viele Akzente, die Kardinal Schönborn in den letzten Jahren gesetzt hat. Dennoch lässt mich die „österreichische Perspektive“ im Blick auf einen möglichen gelingenden Dialog eher skeptisch werden. Welche Gründe habe ich dafür? Ich erinnere mich an den Aufbruch von „Wir sind Kirche“, der gegen die Strategie des Leugnens und Täuschens der Bischöfe Groer und Krenn (so muss das heute gesehen werden und wurde später auch von österreichischen Bischöfen so gesagt!) entstand. Dieser Gruppe aus Innsbruck, vor allem von ReligionslehrerInnen, die tägliche mit dem Außenbild der Kirche konfrontiert sind, gelang damals eine Veränderung der öffentlichen Aufmerksamkeit auf Kirche. Doch diese Entwicklung wurde nach allen Regeln der Kunst ausgegrenzt.9 Auch ich teile manche Optionen dieser Gruppe nicht, aber auf der anderen Seite wurden in den letzten Jahren immer stärker „betontraditionalistische“ Gruppen10 geduldet und oft mit päpstlichen Rechtsformen anerkannt. Kardinal Ratzinger war selbst bei den Sommertagungen jener Gruppe, zu der auch Bischof Krenn gehörte, dabei, die Bischof Aichern von Linz, um es höflich zu sagen, das Leben recht schwer gemacht haben. Erst der „Sexskandal“ im Priesterseminar von St. Pölten führte zu einem kirchlichen Eingreifen gegenüber Bischof Krenn. Aber dieses Eingreifen kam nicht von innen, sondern wurde „von außen“ aufgedrängt. Der Dialog für Österreich versandete im Nirgendwo und den jetzt anstehenden Bischofsernennungen in Österreich schauen nur wenige mit Erwartung entgegen. Gibt es überhaupt noch konservative, geistliche Profile mit einem großen Herz? Was ich in den letzten Jahrzehnten an „konservativem“ Profil erlebt habe, hat mit diesem guten Adjektiv kaum noch etwas zu tun. Als im letzten Jahr Kardinal Schönborn mutig die damalige Schweigestrategie ansprach, wurde ihm das nicht honoriert. Deshalb trifft die Aussage von Helmut Hoping voll, aber ganz anders zu: Wir alle müssen zeigen, wofür die Kirche steht. Wodurch wird Katholizität in der Öffentlichkeit erkennbar? In Österreich – so sehe nicht nur ich das – wurde versucht, der Ära König ein Ende zu bereiten. Das Ergebnis war ein Desaster. Ich frage mich, gehört ein katholisches, liberal-konservatives Profil wie es Franz Kardinal König auszeichnete, heute nicht mehr in die Mitte der Kirche?

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Eine zweite, sicherlich sehr persönliche Motivation muss genannt werden. Erschüttert und bewegt hat mich in den letzten Wochen das Outing von David Berger11; vor allem auch deswegen, weil die darin geschilderten Vorkommnisse für andere nichts Neues waren und sind. Zwei Aspekte dieses Buches bewegen mich sehr. Einerseits die – nachweisbare – wachsende Anerkennung und wachsende Privilegierung (durch – ich sagte es schon oben - Institutionalisierungsformen päpstlichen Rechts, die sie der bischöflichen Autorität entziehen) von sehr „traditionalistischen“ Gruppen, die – wie z.B. die Priesterbruderschaft St. Petrus, wie auch schon in der Konsenserklärung mit Erzbischof Lefebvre im Mai 198812 - nie eine volle Zustimmung zum Zweiten Vatikanischen Konzil geben mussten. Andererseits die Konkordanz von Trienter Liturgietradition mit ästhetischer Inhaltlosigkeit und ihre Nähe zum homosexuellen Milieu andererseits.13 Ein Aspekt aber hat mich vor allem erschüttert: Die gezielte und instrumentalisierte Polemik gegen Karl Rahner und jenen – zu denen ich mich auch zählen darf -, die seiner Theologie in der Kirche eine weitere Wirksamkeit ermöglichen wollen.14 Gerade angesichts der Rahnerschen Analysen der Gegenwartssituation von Kirche und Glauben und seinen Reformvorschlägen halte ich es für einen Irrweg, seine Theologie in den letzten Jahrzehnten immer stärker auszugrenzen.

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Um was es meiner Ansicht nach wirklich geht: Die Zukunft des Zweiten Vatikanischen Konzils

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Damit stehe ich vielleicht im innersten Kreis meiner Motivation zur Unterschrift. Ich sehe in den letzten Jahren immer stärker und deutlicher – auch bei jenen jungen Theologen, die durch den aktuellen Kirchenkurs gestärkt werden – eine kenntnislose Abkehr vom Zweiten Vatikanischen Konzil. Ich stimme mit Benedikt XVI. darin überein, dass die trennende Unterscheidung von „vorkonziliarer und nachkonziliarer“ Kirche oftmals fehl geht, aber seine Hermeneutik der Reform mit einer starken Option für die Kontinuität halte ich für nicht ganz durchführbar. Das Zweite Vatikanische Konzil steht an einer epochalen Geschichtswende der Kirche und kann – meiner Ansicht nach – nur mit einer Hermeneutik der Wandlung verstanden werden. Gerade die von Erzbischof Lefebvre immer kritisierten Punkte, zu denen die Verantwortlichen der Pius-Bruderschaft sich gerade in ihrem Schreiben vom Dezember 2008 ausdrücklich bekannten, lassen an dieser Einschätzung keinen Zweifel: Religionsfreiheit, das Verhältnis zu den nicht-christlichen Religionen – vor allem zu Israel, die Ökumene und Kirche als wirkliche Communio, die das universale Sakrament des Heils darstellt, sind nur die augenscheinlichsten Themen. Entscheidender aber ist die theologische Tiefengrammatik des Konzils, die ich in der theologischen Leitoption des Memorandums gut wiedererkennen kann: Gott will das Heil aller Menschen in vorbehaltloser Anerkennung und Ermöglichung der Freiheit aller Menschen.

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Mit der Aufhebung der Exkommunikationsfolgen für die Bischöfe der Priesterbruderschaft St. Pius X. hat Papst Benedikt XVI. die Grenze zu diesen Gruppen der unterschiedlichsten Konzilsgegner verschwimmen lassen. Obwohl sie suspendiert sind, weihen sie weiter und geben – so zeigt sich es für mich – die Marschroute des Pontifikats vor. Und wenn der Papst nicht das tut, was sie wollen – so z.B. nach seinem Besuch in der Synagoge von Rom – wird er übelst beschimpft. Ich verstehe nicht, wie der Glaube dieser Gruppe gelobt werden kann15, warum die Aufhebung der Exkommunikationsfolgen mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil nichts zu tun haben sollte16, warum er die Kritik an dieser von ihm wohl eher einsam gefällten Entscheidung als „eine sprungbereite Feindseligkeit“17 einschätzt und warum Benedikt XVI. im Gegensatz zu seinem Vorgänger bis heute die „Option für die Armen“ nicht aufnimmt und zur Befreiungstheologie im jüngsten Interview nur prekäre Antworten findet.18 Wenn zudem Mons. Pozzo, Sekretär der Ecclesia Dei Kommission in einem Vortrag vor der Piusbruderschaft eine Revision des Konzil andenkt, dann sind die hier genannten Sorgen keine Hirngespinste mehr.19 Welche Gestalt soll unsere Katholische Kirche annehmen? Derzeit wird Papst Benedikt von dieser Gruppe vor allem wegen seiner Ankündigung, im Oktober nach Assisi zu fahren, heftig kritisiert, doch dem generellen Kurs des Papstes stimmen sie zu. Eines muss aber den Kritikern des Memorandums einleuchten: Wenn das Zweite Vatikanische Konzil, das ein gültiges Konzil in jeder kanonischen Hinsicht war, revidiert wird, dann fällt der Lehranspruch der Kirche in sich zusammen. Tatsächlich lautet die Frage: Wofür steht unsere Kirche?

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Freiheit und Vernunft: der Ort der Kirche und der theologischen Reflexion

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Es ist richtig, wenn Jan-Heiner Tück es für wichtiger hält, das Gottesthema in den heutigen Diskurs einzubringen, und ich stimme Helmut Hoping zu, der auf das schwindende Glaubenswissen hinweist und eine wahre Frömmigkeit als Voraussetzung der Erneuerung einfordert. Auch kann ich der Analyse von Thomas Söding fast ohne Einschränkung zustimmen.20 Nur: Alle diese Optionen sind für mich nur fruchtbar, wenn unsere Kirche eine primäre Glaubwürdigkeit wieder gewinnt. Diese gewinnt sie aber nur, wenn sie nach außen erkennbar das in sich lebt und ist, was sie zu sein beansprucht: Ort der Gnade, und Sakrament des Heils in der Freiheit der Kinder Gottes. Der Verweis auch von Kardinal Kasper auf die Gotteskrise trägt deswegen nicht, weil unsere Gegenwart als Kirche der primäre Ort der Wahrnehmung Gottes für viele Menschen ist. Das Memorandum schließt die Optionen seiner Kritiker nicht aus, sondern würde ihnen erst eine Erkennbarkeit verleihen, falls es wenigstens ansatzweise einen Prozess auslösen könnte.

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Mir scheint, dass die Zukunft der Kirche und des Glaubens sich vor allem im Blick auf zwei verschränkte Themenfelder entscheiden wird21: 1. An der vernünftigen und intellektuell glaubwürdigen Auseinandersetzung mit den durch Wissenschaften und Technik entwickelten Welt- und Menschenbildern. Hier hat Benedikt XVI. mit seiner deutlichen Option für die spannungsreiche Einheit von Glaube und Vernunft mir eine bleibende Aufgabe und Orientierung aufgetragen. An diesem Teil seines Projektes arbeite ich als hoffentlich verlässlicher Handwerker mit. Doch welcher Vernunftbegriff sollte das leisten?

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2. Die Zukunft von Glauben und kirchlichen Gesellschaftsformen wird sich an der vorbehaltlosen Anerkennung der Freiheit und Würde aller Menschen entscheiden, die sich nicht nur im Argument, sondern vor allem in der Diakonie ausdrückt. Das Vernunftkonzept der katholischen Kirche muss, wenn sie zukunftsfähig sein will, die positiven Entwicklungen der Moderne aufnehmen. Der neue Antimodernismus, der sich quer durch die geistige Landschaft zieht (keineswegs nur kirchlich oder religiös), nährt sich natürlich von der hohen Selbstgefährdung der Menschheit in diesen apokalyptischen Zeiten.22 Doch das darf die normative und grundlegende Bedingung des Glaubens nicht auflösen, die Magnus Striet prägnant so formulierte: „Nur wer frei glaubt, glaubt“. Das Memorandum hat in dieser zweiten Zukunftsfrage von Glauben und Kirche vor allem die strukturellen Bedingungen angesprochen, damit unsere Gemeinden und unsere Kirche als Ort der Kultivierung von Wahrheit, Freiheit und Würde erkennbar werden. Damit sind die Gefährdungen und die Schwierigkeiten in dieser Zeit nicht gelöst. Aber ich sehe keine Alternative zum Standpunkt des Memorandums, um diese Herausforderungen überhaupt angehen zu können. Hier beschreibt das Memorandum weder eine Lösung, noch ein Aufgehen in die Welt, sondern einen Ort positiv-kritischer Zeitgenossenschaft. Hier sind nicht nur die Bischöfe gefragt, sondern alle Glaubenden: Wie und an welchem Ort steht unsere Kirche im Auftrag des Evangeliums? Wie will sie – von außen – her primär erkennbar sein?

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Ich weiß nicht, ob das Memorandum etwas bewirkt. Wenn ich die letzten Stellungnahmen lese, werde ich immer skeptischer. Aus der österreichischen Perspektive, die vielleicht immer mehr Lust am Friedhof und dem Charme der Vergeblichkeit verspürte, wäre es besser, sich keiner großen Erwartungen hinzugeben. Bisweilen stellt sich dann die Frage ein: Was wäre für Dich in dieser Entwicklung der „worst case“? Im Blick auf die zunehmende Bedeutung der „betontraditionalistischen“ Gruppen, die für mich keineswegs traditionell, sondern höchst modernistisch sind, weil sie sich die typisch modern-fundamentalistische Nische ausgewählt haben, träume ich manchmal davon, dass die Priesterbruderschaft St. Pius ähnlich wie die jüngst konvertierten Anglikaner oder andere Gruppen in die Kirche – mit päpstlichem Recht – wieder aufgenommen worden sind, und: der Prozess und Ergebnisse des Dialogs bleiben geheim. Manchmal befällt mich zudem die Sorge, dass Erzbischof Lefebvre und Kardinal Siri zu den wahren Interpreten des Konzils werden.

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Orientierungen für mich: John Henry Newman und Julius Kardinal Döpfner

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Ist das zynisch? Mich bewegen immer wieder zwei Erinnerungen. Julius Kardinal Döpfner, dessen Tod für mich eine entscheidende Wende in der nachkonziliaren Entwicklung des deutschen Katholizismus darstellt, war Moderator des Konzils. Er hatte über John Henry Newman promoviert und die Synode der katholischen Bistümer in West-Deutschland gestaltet. Wer die Beschlüsse der Synode heute liest, kann unschwer die Anliegen des Memorandums darin wieder erkennen. Doch die Vorschläge wurden von Rom aus nie offiziell beantwortet; im Gegenteil. Ich weiß nicht warum; - aber auf der offiziellen Konzilsplatte ist Kardinal Döpfner nach seinem Tod, zuvor soll er dort noch zu sehen gewesen sein, verschwunden. In meiner Vorlesung gebe ich ihm wieder einen Platz (siehe Bild). Seinem Nachfolger als Erzbischof von München wäre es heute ein Leichtes, ihm wieder seinen Platz zurückzugeben. Solange dieser historisch absolut sicheren Wahrheit nicht ihr augenscheinliches Recht verliehen wird, bleibe ich zurückhaltend gegenüber römischen Konzilsinterpretationen. Oder hat die Katholizität von Julius Kardinal Döpfner in unserer Kirche keinen Platz mehr: „Damnatio memoriae“?

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Und: John Henry Newman?

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In seinem schönen Beitrag zur Aufnahme der Anglikaner, mit einem kleinen Hinweis auf das Memorandum, hat Jan-Heiner Tück darauf verwiesen, dass eine Reform der Kirche nach John Henry Newman nur mit dem Papst möglich sein könnte. Das rührt natürlich an mein theologisches Gewissen, das sich immer wieder an dieser überragenden Persönlichkeit orientiert. Ist das Memorandum gegen den Papst? Natürlich hätte Newman das Memorandum wahrscheinlich nicht unterschrieben, weil er mehr auf den Einzelnen und seine eigene Gewissenhaftigkeit setzte, und sich von verschiedenen Gruppierungen und Parteiungen fernhielt, auch wenn er ihre Anliegen oft unterstützte. Dennoch war seine Liebe zur Kirche immer geprägt von einem offenen Wort und bisweilen schärfster Kritik; - auch an Bischöfen und der Kurie. An folgende Aspekte aus seinem Leben und Wirken möchte ich erinnern, die von jenen, die ihn derzeit harmonisch vereinnahmen, kaum genannt werden. Die LeserInnen mögen dann selbst entscheiden, ob ich gegen seine Optionen mit der Unterschrift gehandelt habe. Gewiss hätte er mich in diesen Überlegung wahrscheinlich an mein eigenes Gewissen vor Gott verwiesen. Also: Ich hoffe, Newman nicht für meine eigene Entscheidung zu missbrauchen.

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Der erste Aspekt betrifft seine kirchenpolitischen Aussagen in Zeiten des wachsenden katholischen Extremismus.23 Ich möchte an seine Aussagen zu Antonio Rosmini (1795-1855) erinnern, der 1887 (!) verurteilt wurde, aber seit 2007 als seliger verehrt werden kann. Wer dessen Buch „Die fünf Wunden der Kirche“ gelesen hat, weiß wie lange die aktuellen Probleme schon erkannt worden sind. Newman hat diese Vorgehensweise immer verurteilt und diese päpstliche Handlung, die damals auf Druck der Jesuiten zu Stande kam, nie gebilligt. Ebensowenig billigte er den Kampf für den Kirchenstaat oder die Vorgehensweise der Ultramontanisten gegen die Minderheit auf dem Ersten Vatikanischen Konzil. Er warf den radikalen Ultamontanisten, z.B. George Ward und Kardinal Manning, sogar Tyrannei und Neonovatianismus vor. Das bedeutet: Sie würden an ihren engen Optionen die Katholizität messen, und eine Kirche in der Kirche errichten. Er sprach sogar davon, dass den Opfern dieser Radikalgruppe einmal ein Rächer erstehen wird.

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Gerade wer der Aufgabe und Sendung des Papstes wirklich dient, tritt – so ein weiterer wesentlicher Aspekt – für die Anerkennung und Würde des Gewissens ein; – auch für das irrende. Immer steht der Papst als Garant des Gewissens auf der freien Zustimmung der Person. Dass dies für ihn nicht Willkür und Beliebigkeit heißt, sondern ernsthafte Suche nach der Wahrheit, ist selbstverständlich. Aber: Nur in Freiheit kann Wahrheit gesucht und gefunden werden. Also: Zuerst das Gewissen, dann der Papst! Und das kann auch besagen, offen seine Meinung in allem Respekt und Selbstkritik zu äußern.

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Ein anderer Aspekt erscheint mir heute als besonders wichtig. John Henry Newman ist in die römisch-katholische Kirche mit der Idee der Entwicklung der Lehre eingetreten. Es sollte heute nicht vergessen werden, dass dieses Buch von Bischöfen unmittelbar nach Erscheinen als häretisch angezeigt worden ist. Seine Entwicklungslehre hat versucht, verschiedene Tests zur Unterscheidung von Korruption und legitimer, ja notwendiger Entwicklung zu entwickeln. Wie auch immer dieses Test eingeschätzt werden, gegen die Vorstellung des „Immergleichen“ („semper eadem“), das das falsche Traditionsverständnis der „Extremtraditionalisten“ (in allen Weltanschauungen!) ausmacht, erkennt Newman die Bedeutung von Leben und lebendiger Entwicklung. Nur wer tot ist, entwickelt sich nicht. Das Christentum war aber immer inmitten von Kontroversen und Auseinandersetzungen. Die Art, wie wir unsere Spannungen und Auseinandersetzungen führen, wird mitentscheidend sein für die kommende Glaubwürdigkeit unseres Zeugnisses. Daher sehe ich nicht Spaltung, sondern unterschiedliche Optionen, die miteinander auf dem Weg bleiben sollten, und die unaufhebbaren Spannungen, die das Leben mit sich führt, durchzutragen hätten. Newman erkannte in diesem Zusammenhang, dass es auch eine Korruption sein kann, eine Entwicklung zu verweigern!

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Wer Newman als Patron annimmt, sollte sich darüber klar bleiben, dass er eine am Gewissen, der lebendigen Entwicklung und der offenen Wahrheitssuche orientierte Persönlichkeit erwählt hat, dem es in seiner katholischen Zeit ein großes Anliegen war, die Anerkennung der Laien, die Kultur von verschiedenen theologischen Schulen und den freien Diskurs in Kirche und Universität in Gewissenhaftigkeit zu ermöglichen. In einer katholischen Glaubensauffassung können Frömmigkeit, Argument und Verantwortung für die Kirchenstruktur gegeneinander nicht ausgespielt werden. Für den vielleicht dennoch beginnenden Dialog sollte vielleicht eine Grundidee dieses Essays vor Augen bleiben: „Mit der Zeit dringt sie (die Idee, RS) auf fremdes Gebiet vor; ... Gefahren und Hoffnungen tauchen auf bei neuen Beziehungen; und alte Prinzipien erscheinen wieder unter neuen Formen. Sie wandelt sich mit ihnen, um dieselbe zu verbleiben. In einer Höheren Welt ist es anders, aber hienieden heißt leben sich wandeln, und vollkommen sein heißt sich oft gewandelt haben.“24

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Und ein Satz von Karl Rahner, der mir immer wieder zur Gewissenserforschung geworden ist: „Freilich wird es lange dauern, bis die Kirche, der ein II. Vatikanisches Konzil von Gott geschenkt wurde, die Kirche des II. Vatikanischen Konzils sein wird. Ähnlich dauerte es ja einige Generationen, bis nach dem Trienter Konzil die Kirche eine Kirche der Trienter Reform geworden war. Aber das alles ändert nichts an der heilig-schrecklichen Verantwortung, die wir alle, die wir die Kirche sind, uns aufgeladen haben durch dieses Konzil: zu tun, was wir gesagt haben, die zu werden, die zu sein wir erkannt und vor aller Welt bekannt haben, aus Worten Taten zu machen, aus Gesetzen Geist, aus liturgischen Formen wahres Gebet, aus Ideen Wirklichkeit. Dafür konnte das Konzil nicht mehr als den Anfang des Anfanges setzen. Das ist unsagbar viel. Es würde aber ein hartes Gericht für Hirten und Herde, für uns alle bedeuten, wenn wir Wort und Tat, Anfang und Vollendung verwechseln wollten. Wenn wir uns jetzt darum müde, schläfrig und verdrossen unter dem Ginsterbusch eines konziliaren Triumphalismus ausruhen würden, dann wird, dann möge, ja dann muß uns der Engel Gottes durch die schrecklichen Gefahren und Qualen dieser Zeit, durch Verfolgung, Abfall und Schmerzen des Herzens und des Geistes aus unserem Schlaf aufwecken: mach dich auf, ein großer Weg steht dir noch bevor (vgl. 1 Könige 19,7).“25

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Anmerkungen

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1 https://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hbz:6-27069627170 Hier auch die Namen der UnterzeichnerInnen; nun auch aus anderen Sprachräumen.

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2Meine Darstellung hier steht im Gespräch mit den Positionen unseres Dekans Józef Niewiadomski, dem Freiburger Dogmatiker Helmut Hoping und dem Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück. Alle drei schätze ich in sehr hohem Maße, kann ihre Distanz auch verstehen und würdigen. Gerade deshalb scheint es mir wichtig, die eigene Motivation zu klären. Diese und andere Stellungnahmen sind auf der Homepage des Memorandums dokumentiert.

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3Auch die Weise der Veröffentlichung ist in anderen Kreisen nicht unüblich. Besonders die Konzilsgegner oder die Gruppe, die für die Erneuerung der Trienter Messe eintrat, hat sich dieser Medien und Vorgehensweisen immer bedient.

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4Gerade in dieser Zeit lese ich in unserem Ehe-Begleitbuch, dass Spannungen zu leben und auszutragen sind: „Bewege dich im Zwischenraum zwischen euren Träumen, Idealen, Hoffnungen und alltäglichen Realität. Stehe zu beidem. Werde nicht zum enttäuschten Realisten“ (Lambert, W., Wovon die Liebe lebt. Eucharistie und Lebenskultur. Ignatianische Impulse 11. Würzburg 22006, 60). Eine Aufforderung für mich: Eucharistische Lebenskultur müsste doch auch die Kirche prägen.

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5Ich stimmte Helmut Hoping und Józef Niewiadomski zu, dass die Darstellung des innerkirchlichen Missbrauchs Formen des Sündenbockmechanismus angenommen hat. Doch Papst Benedikt XVI. hat darauf bestanden, dass sorgfältig auch hier nach der Wahrheit gefragt werden muss.

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6Ich beurteile dies als Retourkutsche von Menschen, die jahrhundertelang das Christentum als Moralpredigt und Zensur erlebt haben.

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7Hier nur ein Hinweis auf die Gestalt des Amtes als Dienst. Ich kann nicht nachvollziehen, wie ein Amt sich nur als Dienst (ohne Macht!) interpretieren will, wenn alle Jurisdiktion streng an die Ordination gebunden ist. Jurisdiktion impliziert „Potestas“ und das bedeutet Macht. Ich halte mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil an der Einheit von Jurisdiktion und Ordination fest, insbesondere im Bischofsamt. In seiner Ausgestaltung aber müsste diese Jurisdiktion verbindlich in den synodalen Konsensprozess der Kirche eingebunden werden.

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8Zu dieser Frage nur zwei Erinnerungen. Mit der Neubestimmung der Diakonatsweihe („Omnium in mentem“, 2009) ist die Möglichkeit einer Frauenordination zum Diakon nicht mehr ausgeschlossen. Und es sei daran erinnert, dass die Aussage, die Kirche habe keine Vollmacht, Frauen zu Priestern zu ordinierten, eine jüngere Lehrentwicklung ist, die vor dem Konzil in der neuscholastischen Schultheologie keinen Konsens gefunden hätte. Zur Erinnerung: Johann Auer (Die Sakramente der Kirche. Kleine Katholische Dogmatik. Zus. m. J. Ratzinger. Bd. 7. Regensburg: Pustet 1972) hält in der ersten Auflage es für eine echte Frage, ob nur der Mann oder auch die Frau Empfänger der Weihe sein könne. Für eine mögliche Revision der langandauernden Tradition gibt er eine Bestimmung an: „Nicht vorher vom Menschen geschaffene Tatsachen dürfen bestimmend sein für die Glaubenserkenntnis; sondern umgekehrt: erst eine echte neue Glaubenseinsicht könnte es wagen, die zweitausendjährige Tradition zu ändern "(ebd., 365). In der zweiten Auflage von 1979 merkt er in den Ergänzungen, ohne den Haupttext zu ändern, an: "Eine Erklärung der Kongregation für die Glaubenslehre „stellt fest, daß die Kirche ihrer Tradition entsprechend sich auch heute nicht für berechtigt erachtet, die Frau zum Priesteramt zuzulassen" (ebd., 381). wohl bemerkt: "auch heute"!

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9Auf der anderen Seite habe ich nie erlebt, dass Bischof Krenn von der römischen Kirchenleitung kritisiert worden ist. Er konnte sogar im Fernsehen auf dem Petersplatz Kardinal Schönborn als Lügner beschimpfen. Wie soll ich den Brief verstehen, den Papst Benedikt XVI. ihm am 18.6.2005 sandte (siehe: http://stjosef.at/bischof.k.krenn/bilder/papstbrief.gifhttp://stjosef.at/bischof.k.krenn/). Gewiss ist er sein Kollege aus Regensburg und hat auch das Recht auf Beistand; aber …?

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10Ich verwende dieses Adjektiv, weil mir Tradition und Überlieferung wichtig und wertvoll ohne Vorbehalt ist.

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11Der heilige Schein. Als schwuler Theologe in der katholischen Kirche. Berlin 2010.

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12Vom 4. Mai 1988 (Quelle: http://www.piusbruderschaft.de/lehre/erzbischof/dokumente). Verlangt wurde die Zustimmung zu Lumen gentium 25 und eine positive, unpolemische Haltung zu anderen Lehren des Konzils und nachkonziliaren Reformen, insbesondere zur Liturgie.

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13Ich bin zwar etwas skeptisch gegenüber Bergers vielleicht doch zu einseitiger Brille, aber viele Ereignisse, die er aufzählt, halte ich für glaubwürdig.

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14Auch das Memorandum wird z.B. von Guido Horst mit einer völlig unsachlichen Rahner-Polemik verbunden: Wenn das Säurebad der Theologie den Glauben wegfrisst, in: Deutsche Tagespost vom 14. 02. 2011. Und aus dieser Ecke werden die Unterzeichner pauschal der Glaubenslosigkeit beschuldigt.

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15In seinem Brief an die Bischöfe vom 10. März 2009.

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16Benedikt XVI., Licht der Welt. Der Papst, die Kirche und die Zeichen der Zeit. Ein Gespräch mit Peter Seewald. Freiburg-Basel-Wien 2010, 148f. In dem vom Papst erwähnten Brief des Leiters der Priesterbruderschaft vom 15.12.2008 wird ausdrücklich auf ihre Treue zu Erzbischof Lefebvre verwiesen, der die Bischöfe 1988 weihte, um gegen das Konzil und die nachkonziliare Liturgiereform die wahre Messe zu garantieren. Auch wird in diesem Brief ausdrücklich gegenüber dem Zweiten Vatikanischen Konzil Vorbehalte geäußert.

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17So in seinem Brief vom 10. März 2009 und in: Licht der Welt 151, 153. Diese Einschätzung kontrastiert meiner Ansicht nach mit der massiven Polemik gegen alle Päpste seit Paul VI., auch Benedikt XVI., auf der Homepage der Piusbruderschaft.

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18Auf die Frage Peter Seewalds, was denn schief gegangen sei, dass sich auch viele Theologen und Priester sich inzwischen so weit von Der Grundlinie entfernt haben, dass ein katholisches Profil oft nur noch ganz schwer zu erkennen ist, antwortet der Papst: „Nun, es sind eben die Kräfte des Zerfalls, die in der Menschenseele da sin. Hinzu kommt das Streben danach, beim Publikum anzukommen; oder auch, irgendeine Insel zu finden, wo es Neuland gibt und wir noch eigenständig gestalten können. Es geht dann entweder in die Richtung, dass man politischen Moralismus betreibt, wie es in der Befreiungstheologie und in andere Experimenten der Fall war, um auf diese Weise sozusagen dem Christentum Gegenwärtigkeit zu geben“ (Licht der Welt 168).

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19Siehe dazu das Interview mit dem Leiter der Priesterbruderschaft Bischof Fellay: Interview mit Bischof Bernhard Fellay. Nouvelles de Chrétientés, Ausgabe September/Oktober 2010, in: Mitteilungsblatt November 2010, Nr. 382, 4-7, hier 5f.

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20Söding, Thomas: Professor Söding kritisiert Theologen-Kollegen, in: kirchensite.de vom 17.02.2011: http://kirchensite.de/aktuelles/bistum-aktuell/bistum-aktuell-news/datum/2011/02/17/professor-soeding-kritisiert-theologen-kollegen

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21Es ist mir klar, dass ich diese Frage – in der besten katholischen Tradition – nur hinsichtlich unseres Mittuns mit der Gnade beantworten kann. Es wäre einmal eine Überlegung wert, den Terminus der Verstockung aus der Schrift auf die Kirche in der Geschichte zu übertragen.

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22Im Interviewband „Licht der Welt“ vertritt Peter Seewald eine solch stark apokalyptische Tendenz mit einer Radikalkritik der modernen Gesellschaft. Bemerkenswert ist, wie differenziert und ohne Weltunterganglust Papst Benedikt darauf antwortet; - und meiner Ansicht nach sich davon etwas distanziert (in Teil I: Zeichen der Zeit und im Kapitel 18: Von den letzten Dingen).

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23So charakterisierte der frühere Provost des Oratoriums in Birmingham Charles Stephen Dessain die Entwicklung nach 1860 in England (siehe: John Henry Newman. Anwalt redlichen Glaubens. Mit einem Vorwort von Werner Becker. Freiburg-Basel-Wien 1981, 231).

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24Newman, John Henry, Über die Entwicklung der Glaubenslehre. Durchgesehene Neuausgabe der Übersetzung von Theodor Haecker. Besorgt, kommentiert und mit ergänzenden Dokumenten versehen von Johannes Artz. Mainz 1969, 41.

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25Karl Rahner: Das Konzil – ein neuer Beginn. Vortrag beim Festakt zum Abschluß des II. Vatikanischen Konzils im Herkulessaal der Residenz in München am 12. Dezember 1965. Freiburg-Basel-Wien 21966, 21f.

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