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Hoffnung in der Zeit der apokalyptischen Stimmungen
(Predigt zum 33. Sonntag im Jahreskreis, gehalten in der Jesuitenkirche in Innsbruck am 14. November 2010 um 18 Uhr)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2010-11-18

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Irgendwann ist es Ihm zu viel geworden. Die vielen Kriege und Unruhen, die Seuchen und Hungersnöte. Erdbeben. Die fast schon alltägliche Gewalt auf den Straßen unserer Großstädte. Der Bandenkrieg, die Drogentoten und die Blutgeldbarone. Die verfolgten Minderheiten weltweit. Die um ihr Leben bangenden Christen in den Ländern, wo auf das Bekenntnis zu Christus Verfolgung gar der Tod steht. Nein! Die Geduld war zu Ende. Schweren Herzens beschloss der liebe Herrgott, dieser außer Rand und Band geratenen Welt ein Ende zu bereiten. So veränderte er die Flugbahn eines riesigen Kometen. Nun raste dieser zielgenau auf die Erde zu. Das Schicksal der Erde schien unabwendbar zu sein. Mit Spannung und großer Trauer beobachtete der ganze himmlische Hof den Kometen, wie er immer näher an die Erde herankam. Und dann? Wenige Sekunden vor der Katastrophe hörte Gott plötzlich auf der Erde den Schrei eines neugeborenen Kindes. Blitzschnell lenkte er den Kometen erneut auf seine gewohnte Bahn um, und der Komet flog ganz knapp an der Erde vorbei. Die Engel fielen einander in die Arme und vollführten einen orgiastischen Freudentanz.

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Eine alte Legende, notdürftig und oberflächlich modernisiert, verdichtet die Spannung der letzten Sonntage des Kirchenjahres auf ihre Art und Weise. Jene Spannung, die aus der Wahrnehmung der Omnipräsenz des Bösen und auch der scheinbaren Übermacht des Bösen erwächst. Man braucht ja nur die Augen zu öffnen: Korruption, Lüge und Gewalt auf Schritt und Tritt. Und immer wieder Notsituationen, Katastrophen und Zusammenbrüche. Und auch der berechtigte Zweifel an der menschenwürdigen Ordnung dieser Welt - "So kann es doch nicht weitergehen, wir nähern uns wirklich dem Ende" - auf der einen Seite; deswegen auch der aus dieser Wahrnehmung entspringende mehr als berechtigte Ruf zur Umkehr, zur Besinnung, zur Wiederherstellung des Gleichgewichtes und klarer Normen für das, was gut und was böse ist. Auf der anderen Seite aber die ständige Erfahrung, dass keine Situation so schlimm sein kann, dass ein Neubeginn, dass der "Funke Hoffnung", dass das Rettende nicht möglich wäre, dass also schon der Schrei eines neugeborenen Kindes Grund genug ist, über das Ausmaß des Bösen auf dieser Welt hinwegzusehen und ihr doch noch eine Chance zu geben.

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Auf eine noch tiefere Art und Weise verdichtet die Spannung des heutigen Sonntags der große evangelische Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer in seinem Geschick. In einer wahrhaft apokalyptischen Zeit lebend, den Zusammenbruch Europas, ja der damaligen Welt vor Augen habend: mit dem Gewaltinferno des Zweiten Weltkrieges konfrontiert, das Todesurteil im Kopf, wartet dieser Mann im Gefängnis auf die Vollstreckung der Todesstrafe. Und dichtet. Und was dichtet er? Leert er einen Kübel von Dreck und Bosheit, von Ressentiment über diese so schlechte Welt aus? Nein! "Von guten Mächten treu und still umgeben. ... Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag". Denn: "Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag". Bonhoeffer steht am Abgrund, die Rolle des dem Untergang Geweihten ist zu seiner eigenen Rolle geworden. Das Weltende stellt für ihn nicht bloß eine Metapher dar: es ist sein eigenes Schicksal. Zum Greifen nahe! Doch: Er ist nicht gelähmt durch die Angst und auch nicht erfüllt von Hass und Ressentiment. Nein! Er weiß sich von guten Mächten umgeben. Er verdichtet jene christliche apokalyptische Erfahrung, die Franz von Sales einmal so auf den Begriff brachte: "Möge die Welt auch einstürzen. Alles in Finsternis, Rauch und Getöse gehüllt sein. Gott ist doch mit uns. Er wird inmitten meines Herzens sein." Auch Deines Herzens! Und er wird Dich auch stärken!

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Denn: und das ist der dritte Zugang zum heutigen Sonntag, der allertiefste, der Zugang, den Jesus selber erfuhr und den er uns geöffnet hat. Wie kaum ein anderer hat Jesus sein Vertrauen auf Gott, seinen Vater gesetzt. Diese Beziehung ist für ihn gar mit seiner Person identisch geworden. Wie kaum ein anderer war er gewappnet gegen Angst und apokalyptische Verzweiflung. Wie kaum ein anderer wusste er die Logik der legitimen Warnung zu schätzen: "Passt auf, kehrt um, ungestraft könnt ihr die Gruben nicht graben, irgendwann fallt ihr selber hinein." Und was folgt im Evangelium auf solche Warnungen? Der Verrat durch einen Freund und die Auslieferung an die Gegner und Feinde. Die Flucht der Jünger und die Verleumdung. Und die daraufhin einsetzende Einsamkeit. Aber auch die unbeschreibliche Angst, dass auch der Vater, dass auch Gott sich gegen ihn wendet. Was nun folgt ist das Ende der Existenz, das Ende seiner ganzen Welt: Hass und Spott, Erniedrigung, schlussendlich der schändliche Tod, begleitet von Erdbeben und Sonnenfinsternis.

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Liebe Schwestern und Brüder, den tiefsten christlichen Zugang zur Apokalypse, zur Angst vor dem Ende, dem Weltende und dem Ende meiner eigenen Welt, dem eigenen Absturz und auch dem eigenen Tod, den tiefsten Zugang dazu zeigt dieses Herabsteigen Gottes auf das Niveau all jener, die verraten und verleugnet werden, geschlagen, ausgeliefert und getötet. Von Krankheit und Depressionen und von Einsamkeit geplagt. Das Herabsteigen Gottes auf das Niveau all jener, die vor Angst wahnsinnig zu werden drohen und ihre Standhaftigkeit verlieren, weil ihnen alle Sicherheiten und jeglicher Halt abhanden gekommen sind. Die Passion Christi verdichtet Apokalypse im Vollzug. Und sie zeigt den einzigen Ausweg, den es aus diesem Teufelskreis gibt - und dies ist die Auferweckung. Auferweckung Jesu durch jenen Gott, der ein Gott des Lebens und nicht ein Gott der Zerstörung ist. Auferweckung durch jenen Gott, den die Lebenslust auszeichnet, durch jenen Gott also, der sich auf den Schrei eines jeden neugeborenen Kindes freut. Auferweckung durch jenen Gott, der den Menschen - wie Dietrich Bonhoeffer - dazu verhilft, dass sie sich mitten in der Hölle von "guten Mächten" umgeben wissen. Auferweckung durch jenen Gott, der Dich und auch mich auferwecken wird. Deswegen: Hab keine Angst und wisse, dass es kein Unheil auf dieser Welt geben kann, das Dir nicht zum Heil gewandelt wird. Auch Du bist "von guten Mächten treu und still umgeben". Erwarte also getrost, was kommen mag!

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