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Faszinierendes Geheimnis SEINER Hingabe - Gerade in der Zeit der Skandale
(Predigt zum Gründonnerstag 2010, gehalten in der Jesuitenkirche am 1. April 2010 um 19.00 Uhr)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2010-04-12

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Theoretisch sollte alles so vor sich gehen wie jedes Jahr. Seit Kinderbeinen an hat es ja jeder Jude wohl gelernt, wie man den Paschaabend zu feiern hat. Der alte Ritus versetzte die Gläubigen in jene Nacht zurück als das Volk aus Ägypten befreit wurde. Das Lamm und die ungesäuerten Brote, Bitterkräuter und der Wein des Segens sollten die dunkle Nacht der Sklaverei, aber auch die Dramatik der Befreiung vergegenwärtigen und den Teilnehmern die gläubige Gewissheit vermitteln: Nichts, aber auch gar Nichts in dieser Nacht vermag die Macht jenes Gottes in Frage zu stellen, der sich dem Mose als Feuer und Flamme offenbarte, als Feuer und Flamme für Menschen, die unterdrückt werden, die Opfer geworden sind, als Feuer und Flamme für Menschen, die an ihre Grenze stoßen und an dieser Grenze auch zerrieben werden. Als Feuer und Flamme also für dich und für mich; ganz gleich, in welchem Schlamassel ich mich hinein manövriere oder auch hineingestoßen werde. Nun sind sie selbst existentiell an diese Grenze gestoßen. Monatelang glaubten sie, auf die richtige Karte gesetzt zu haben, auf den Aufsteiger par excellence. Auf jenen, der mit seinem Gott problemlos die Mauer übersprang und sie natürlich mit ihm. Die Mauer zwischen reich und arm, die Mauer zwischen gesund und krank, zwischen geachtet und geächtet. Und jetzt? Von heute auf morgen ist die Welt anders geworden. Das Blatt hat sich gewendet. Die Zuneigung schlägt in Ablehnung, ja in blanken Hass um. Plötzlich findet man nichts Gutes mehr an ihm! Bloß nur Verführung, Täuschung und den gefährlichen Fanatismus. Der Held von gestern ist zum Schurken von heute geworden. Und ob es noch ein morgen für ihn geben wird, ist alles andere als selbstverständlich!

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Ist das der Grund dafür, dass er vom alten Ritus abweicht, und den Paschaabend gleichsam vorverschiebt, sich also über die Heiligkeit des überlieferten Kalenders hinwegsetzt und schon zwei Tage vorher feiern will? So, als ob er selber nun der Vergewisserung bedürfe, der Vergewisserung über die Gegenwart des befreienden Gottes, gerade angesichts dunkler Wolken, die da unübersehbar über dem Horizont seines Lebens aufgezogen sind. Die Vorwegnahme des Termins war nicht die einzige Überraschung dieses Tages. Mehrmals durchbricht er den Ritus während des Abends, agiert nicht bloß als Liturge, der er dem überlieferten Brauch nach gar nicht sein durfte. Nein, an diesem Abend, der sich dann als der letzte Abend seines Lebens herausstellen sollte, agiert er ganz und gar als Person. Unverwechselbar, einzigartig in seiner Beziehung zu Gott, den er vertraulich als seinen Vater anspricht, unverwechselbar auch in seinen Beziehungen zu seinen Freunden, Freunden, die ihn bald selber verraten werden, unverwechselbar auch im Hinblick auf das ihm drohende Geschick der Viktimisierung.

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Nein! Die Rolle des Opfers hat ihm nie behagt und ihn nie berauscht. Schon als Kind floh er vor brachialer Gewalt eines Despoten, Selbstmitleid war ihm fremd und der fromme Masochismus so wie so. Nichts, aber gar nichts hat ihn so verstört wie die Banalität, mit der Menschen einander zu Opfer machen, nichts, aber auch gar nichts so wild gemacht wie der fromm getarnte Missbrauch. Und nun, da ihm selber das Opferschicksal aufgeladen wird, greift er zu der einzig noch möglichen Waffe, er greift zum wirksamsten Mittel, um das Gift des Opfers gleichsam unschädlich zu machen. Er selber setzt die Maßstäbe, er selber definiert die Wirklichkeit neu. Er deutet all das, was ihm widerfahren wird, all das, was weder er noch sein Vater wollen, er deutet die Viktimisierung neu, entzieht sich dadurch schon am Abend vor seinem Leiden jenen Menschen, die ihn schon bald aufliefern, erniedrigen, schlagen und töten werden. "Nehmt und esst ... Nehmt und trinkt ... das ist mein Leib, mein Blut, das für euch vergossen wird". Seine Worte, seine Zeichen, seine Handlungen zielen nun auf die Haltung seiner Hingabe, auf sein sacrificium an den Vater, an seine Jünger, an uns.

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Doch, was geschieht da? Der Ritus gerät völlig aus dem Rahmen. Das, was sich da im Abendmahlsaal abspielt, löst sich nun vor der Memoria, von der Vergegenwärtigung der Pascha-Nacht, ist auch kaum in den Kategorien eines Festmahls zu beschreiben, das ein sich verabschiedender Hero für seine Bande veranstaltet, wie dies in den Gazetten dieses Landes vor ein paar Tagen noch zu lesen war. Es ist weiterhin ein Stück religiösen Ritus, die Gesten und die Zeichen sind noch da, doch sie verblasen vor dem, was Jesus selber tut. Er identifiziert sich mit Brot und Wein und lässt sich -gleichsam symbolisch - verspeisen, geht als eine Verbindung mit den Menschen ein, die stückweise dem Bereich des Willentlichen entzogen bleibt.

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Was hat das zu bedeuten? Auch wenn die Jünger gleich darauf aus Angst weglaufen, auch wenn sie ihn verraten, gar verleumden werden, bleibt diese von ihm hergestellte Verbindung aufrecht. So missverständlich es auch klingen mag: Sie haben ja seine Hingabe gegessen und getrunken. Auch wenn sie sich trennen, sich gar gegen ihn stellen, er bleibt mit ihnen verbunden. Nichts, aber auch gar nichts, nicht einmal der Tod, von der Sünde schon ganz zu schweigen, vermag diese seine Beziehung zu den Menschen aus den Angeln zu heben. Die Ereignisse der kommenden Nacht, des darauf folgenden Tages und jener Nacht, die zu einer neuen Pascha-Nacht wurde - zur ersten Osternacht - diese Ereignisse haben die Wahrheit des Abendmahls, dieses letzten Abendmahls, bestätigt.

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Liebe Schwestern und Brüder, das Drama der Karwoche, das atemberaubende Ereignis des letzten Abendmahls stellt nicht etwas dar, was einmal war. Wie die Juden in der Nacht der Paschafeier stellen sich auch die Christen diesem Drama so, als ob sie dabei gewesen wären. Wir sind mitten drin: im Spiel. Als Judas, gar als Petrus, vielleicht auch ein bisschen als der brave Lieblingsjünger Johannes stehe ich also da, lasse mich hinein nehmen in sein Gebet und in die Logik seines Handelns und so, wie er selber, überlasse ich mich stückweise dem Ritus. Da ich aber von ihm gelernt habe, dass man vor allem in den schwierigen Situationen den Ritus durchbrechen muss, um deutlicher als Person zum Vorschein zu kommen: gerade in der Krise - wollen wir alle, wir, die wir heute in diesem Jahr zur Feier der Liturgie gekommen sind, den vertrauten Gründonnerstagritus durchbrechen und anstelle der Fußwaschung eine in unserer Kirche unübliche ausgiebige Gabenprozession zelebrieren.

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Wir alle stehen doch auf diese oder jene Weise verstört in dieser Karwoche dar. Wie viele von uns haben, wie dies halt immer der Fall ist, an ungelösten Alltagsproblemen zu nagen: Arbeitslosigkeit, Streit in der Partnerschaft, zusetzendes Altern, Krankheit und Todesfall. Wie viele von uns sind aber als Opfer der Gewalt da, der Gewalt kirchlicher Amtsträger, wie viele Opfer des sexuellen Missbrauchs auch seitens kirchlicher Kreise, wie viele Täter gibt es unter uns? Wie viele verunsicherte Gläubige, Menschen, die ihr Vertrauen verloren haben, Vertrauen, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem Gott der Liebe und der Fraze der dämonischen Verführung? Als diejenigen, die wir geworden sind, geworden durch andere, geworden durch Entscheidungen meiner selbst, wollen wir hintreten zum Altar. Symbolisch bringen wir heute die Weihrauchschale mit als das Gefäß, von dem aus all unsere Ängste und Hoffnungen zu Gott aufsteigen mögen. Wir bringen aber auch ein Tuch, ein Tuch, das den Altar deckt, aber auch unsere Blöße bedeckt und uns dadurch neue Würde schenkt. Wir bringen eine Kerze - für viele vielleicht das letzte Zeichen der immer wieder erlöschenden Hoffnung angesichts des Übermaßes an Frustration, an Depression, an Angst. Kerze: der sprichwörtlich letzte Funke. Wir bringen aber auch die frisch aufgeblühten Blumen, die für die vielen Neuaufbrüche blühen. Und wir bringen das vertrocknete Dornengestrüpp, jenes Gestrüpp, das den Flächenbrand entfachen kann: den Flächenbrand eines Skandals. Er steht heute ausdrücklich für das kirchliche Versagen, für die Sünde der Kirche, jene Sünde, die ihre greifbare Gestalt gerade in den kirchlichen und kirchlich geprägten Strukturen findet. Dieses Gestrüpp, heute dargebracht, bleibt am Altar auch in der morgigen Karfreitagsliturgie präsent, wird, wenn Sie so wollen, in Verbindung gebracht mit der Kreuzigung Jesu, wird als mit dem Geschick Jesu verbunden, also durch Christus durchgelitten und damit auch verwandelt, deswegen im Osterfeuer in der Osternacht verbrannt. Im Unterschied zum Feuer des Skandals, dem Feuer, das das Verbrechen und das Versagen letztlich verdrängt und abschiebt, verbrennt das Osterfeuer das Versagen und wandelt es in Schuld, und dieses wird zur "felix culpa", zur "glückseligen Schuld". Weil vergeben kann sie angenommen und zum Teil der Geschichte, ja zum Teil der Identität werden, gerade der Identität der Kirche. All diese Gaben bringen wir mit Brot und Wein, jenen Gaben, die Christus selber am Abend vor seinem Leiden mit der Kraft seiner Hingabe identifzierte und uns auch zum Verzehren schenkte, auf das wir durch die Kraft dieser seiner Hingabe niemals von ihm getrennt werden. Nicht einmal in unserem Tod, von unserem Versagen schon ganz zu schweigen.

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