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Schlüssel zum erfüllten Leben
(Ansprache des Dekans bei der Promotions- und Sponsionsfeier am 20. Februar 2010 im Kongresshaus in Innsbruck)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriefak
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2010-03-01

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Ein Schweizer Jesuit sitzt in der Nähe eines österreichischen evangelischen Pfarrers. Zwischen den beiden - gewissermaßen als Pufferzone - ein Oberländer, der über die Freimaurerei promovierte. Abwesend, weil schon nach Hause geflogen, zwei in den letzten Wochen bei uns promovierte Vertreter der großen weiten Welt: ein Indonesier und ein Inder! Bunt und vielfältig ist die Gruppe der Doktoranden an unserer Fakultät, bunt auch jene der Diplomanden. Da gibt es zuerst den gemütlichen Bayern ("Stell Dir vor, es ist Reform und keiner macht mit", das ist kein Kommentar über den Bolognaprozess, das ist der Titel seiner Diplomarbeit über einen Bischof aus der Zeit der Reformation). Dem Bayern "sitzen" ein Innsbrucker und ein Steirer zur Seite - auch sie stehen stellvertretend für einige andere, die in den letzten Monaten bei uns abgeschlossen haben: auch für Frauen. Diese gibt es nämlich auch bei uns, auch als Absolventinnen ..., nur traute sich keine, heute wegen der Fastenzeit zur Feier zu laden. Genug der Späße! Der Fasching ist ja vorbei, auch wenn er in der Heimat unseres Schweizer Jesuiten in Basel auf seinen Höhepunkt zusteuert. Diese Schweizer Protestanten!

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Magnifizenz, lieber Vizerektor Tilmann, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Fakultät, liebe Eltern, Verwandte, Freunde, und Feinde unserer Absolventen und auch Ihr, die Ihr da im Scheinwerferlicht sitzt und auf Eure Graduierung wartet. Bunt zusammengewürfelt seid nicht nur Ihr selber, bunt zusammengewürfelt sind Eure Fächer und auch die Thematik Eurer Arbeiten. Da gelang es selbst mir - trotz meiner vieljährigen Routine - keinen allzu roten Faden und keine Eselsbrücke für das Thema meiner Ansprache zu finden: ein Thema, das Euch alle integrieren könnte. Es schien also schon so, dass mir nichts anderes übrig bleiben würde, als in den gesamtgesellschaftlichen Konsens mit einzustimmen und hier und heute davon zu reden, dass die akademische Ausbildung der beste Schlüssel zum Erfolg sei - gerade in Zeiten der Krise und dass das akademische Studium Menschen in die Lage versetzt, Toppositionen in unserer Gesellschaft und auch in der Kirche anzustreben.

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Obwohl ... man könnte versuchen, zumindest die beiden Exegeten zusammenzubringen: Alain und Josef. Beide legen exegetische Detailarbeiten vor, semantische und syntaktische Untersuchungen. Beide kleben am Text und entwickeln die Liebe zum Text. Der Alttestamentler Alain Decorzant, unser frankophoner Jesuitenpater aus der Schweiz widmet sich in seiner Dissertation (betreut vom Koll. Fischer; Zweigutachter Koll. Paganini) dem Text und der Theologie der zwei letzten Kapitel des alttestamentlichen Buches Micha. "Ein ausnehmend schwieriger Text, mit dem selbst Fachleute Probleme haben", stellt der Betreuer und Gutachter fest und konzediert - wie könnte es auch anders sein - Alain sei "allen diesen Herausforderungen" gerecht geworden. "Vom Gericht zum Erbarmen" - der alttestamentliche Text ist alles andere als bekömmlich. "Verschwunden sind die Treuen im Land ... Alle trachten nach bösem Gewinn ..., verdrehen das Recht." Vieles liest sich wie ein Kommentar über unsere Gegenwart. Und die Hoffnung des Propheten? "Es ist dir gesagt worden Mensch, was gut ist. Nichts anderes als dies: Recht tun, Güte und Treue lieben, in Ehrfurcht den Weg gehen mit deinem Gott." Wer würde dem nicht zustimmen? Und doch sieht das Leben anders aus! Den Weg mitgehen? Auch dann, wenn daraus Nachteile entstehen? Gar Leiden? Der Apostel Petrus wollte schon mitgehen, aber nur auf dem Weg zum Erfolg, doch nicht auf jenem des Leidens. "Weg von mir Satan!", soll Jesus ihn beschimpft haben. Unser zweite Exeget Josef Rothbart - der Steirer - hatte schon immer Schwierigkeiten mit dieser Beschimpfung. In seiner Diplomarbeit (betreut vom Koll. Hasitschka) schlägt er eine neue Übersetzung vor (natürlich bestens begründet): "Geh! Hinter mich, Satan!", so der Titel seiner Arbeit und auch seine Übersetzung ("Das Satanswort an Petrus vor dem Hintergrund von Messiasbekenntnis und erster Leidensankündigung in den synoptischen Evangelien"). Im Satanswort wird Petrus in die Nachfolge zurückgerufen. Er wird in seinem Unverständnis, in seiner Schwäche und in seinem Versagen von Christus nicht verworfen, sondern zurückgerufen. "Warum sollten nicht auch wir - als Einzelne und als Kirche - Fehler haben und machen dürfen und diese auch zugeben?", schließt Rothbart seine Überlegungen mit einer rhetorischen Frage, einer Frage, die wiederum im öffentlichen Raum hochaktuell geworden ist.

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Von der Schwäche der Kirche, aber auch von der Bemühung um die Reform handelt die Diplomarbeit von Andreas Liebl (betreut vom Koll. Kriegbaum). Er nahm einen bayerischen Bischof (nichts Verwundbares für einen Bayern) unter die Lupe, der im Konkubinat mit einer nicht Blutsverwandten lebte ..., einen Konkubinarier also, der dann doch zu einem Reformbischof wurde. In der Zeit des Trienter Konzils (im 17. Jahrhundert also) reformierte er das Bistum Freising. Veit Adam von Gepeckh - mitten im Dreißigjährigen Krieg wächst dieser Versager mit seiner Aufgabe, wird zum großen Reformer, zum Umgestalter des Freisinger Domes und zum Erneuerer der Seelsorge. Ein Schwacher, der dann doch Stärke zeigte. Die konfessionellen Zwistigkeiten, die Europa damals fast an den Abgrund des Unterganges gebracht haben, gehören Gott sei Dank der Vergangenheit an. Christen haben einen hohen Preis für das Versagen des postreformatorischen Zeitalters bezahlt, als sie gemeint haben, gegeneinander gerechte, ja heilige Kriege führen zu müssen. "Sie haben in jahrhundertelangen Lernprozessen begriffen, dass es keine heiligen und keine gerechten Kriege geben kann", so formuliert unser evangelischer Mitbruder Robert Jonischkeit in seiner Dissertation (betreut vom Koll. Leher; Zweitgutachter Koll. Palaver). Er promoviert an einer Katholischen Fakultät mit einer Arbeit, in der er die Lehre vom gerechten Krieg einer gründlicher Kritik unterzieht und diese zu einer Lehre "vom gerechten Frieden" transformiert. Dabei nimmt er die Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin der österreichischen Bundesregierung aus dem Jahr 2001 kritisch unter die Luppe und konstatiert, dass der dort verwendete Friedensbegriff mangelhaft sei, weil ihm die Dimension des Erhalts des Friedens durch Gerechtigkeit fehlt.

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Steht Robert Jonischkeit heute hier als ein wichtiger Brückenbauer zwischen den Konfessionen: der evangelische Pastor, der an einer Katholischen Fakultät promoviert, so steht auch Karl Digruber hier als Brückenbauer. Mit seiner Dissertation (betreut durch P. Lothar Lies bis zu seinem Tod im Jahre 2009, dann weiterbegleitet durch Koll. Siebenrock; Zweitgutachter Koll. Dieter Binder von der Universität Graz) will Digruber Brücken bauen zwischen der Freimaurerei und der Katholischen Kirche. Der Kodex des Kanonischen Rechtes aus dem Jahre 1983 ließ das Verbot der Zugehörigkeit von Katholiken zu Freimaurerlogen fallen. Digruber untersucht die Symbolik und Ritualistik einer Loge und vergleicht diese mit der Katholischen Sakramententheologie, gelangt auch zu differenzierten Urteilen, vermag in der Freimauerei gar eine Art Weg zu sehen zur Vertiefung des Glauben s..., trotz aller Gefahren der quasisakramentaler Simulation des Rituellen.

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Aus der Kandidatenreihe ist nur noch der Philosoph übrig geblieben: (Philosophen fielen ja fast immer schon aus der Reihe) Josef Paul Beneder, der über den Subjektbegriff bei Paul Ricoeur seine Diplomarbeit schrieb (begleitet durch Koll. Braun). Der französische Philosoph bemüht sich um eine Rehabilitierung des in der neueren Philosophie dekonstruierten Subjektes. "Das Selbst als ein Anderer" - lautet der Titel eines der Werke von Ricoeur. Beneder zeigt nun den Mittelweg, der dort eingeschlagen wird: Das Subjekt wird weder in sich selbst autistisch verschlossen, noch geht es auf in der "Exteriorität des Anderen".

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Meine Damen und Herren, alles sieht danach aus, als ob es mir doch gelungen wäre, die Eselsbrücken zwischen den bunt zusammengewürfelten Kandidaten und deren verschiedenen Arbeiten zu schlagen. Und was ist mit der These, dass die akademische Ausbildung der Schlüssel zum Erfolg sei? Liebe Absolventen, erlaubt mir, Euch entgegen allen akademischen Gepflogenheiten anlässlich dieser Feier ein Märchen zu erzählen und Euch dieses Märchen quasi als Wegweiser durch die Karriere eines Akademikerlebens zu schenken. Es hat also einen reichen König gegeben. Es verging kein Tag, ohne dass er ausgeteilt hat: aus seinem großen Vermögen. Und obwohl er das tagein tagaus, jahrein jahraus getan hat, sind seine Schatzkammern nicht leer geworden. Und warum dies? Lag das Geheimnis seines Lebens, lag der Schlüssel zu seinem Erfolg in seiner bizarren Gewohnheit? Tagtäglich ging der König nämlich, mit einem Schlüssel bewaffnet, zu einer Kammer, die nur er öffnen konnte, und er schloss sich dort ein. Meistens blieb er eine Stunde drin. Wenn er wieder herauskam, schloss er die Kammer mit seinem Schlüssel sorgfältig ab und ging seinen Geschäften nach. Alle wussten es und wunderten sich. Die Gerüchteküche brodelte. Natürlich treibt er im Geheimen Zauberei! Natürlich stehe er mit dem Teufel im Bund! Was treibt er bloß da drin? Alt geworden rief der König seinen ältesten Sohn zu sich: "Schau..., ich bin nun alt geworden, bald werde ich heimgehen. Du wirst mein Nachfolger sein. Ich darf dir das Geheimnis meines Erfolges anvertrauen, dir den Schlüssel zum erfüllten Leben übergeben: dem erfüllten Leben für dich und für die anderen. Du sollst das Geheimnis schätzen. Wenn du deinen Sohn als Nachfolger bestimmst, sollst du das tun, was ich nun tun werden." Und so nahm der Vater den Sohn mit sich und öffnete mit seinem Schlüssel die Kammer. Dem Sohn stockte das Blut in den Adern. Die Kammer war leer. Entsetzt umklammerte der Sohn den Vater, doch dieser sagte: "Ich werde dich für diese Nacht hier einsperren". Am nächsten Morgen fand er den Sohn am Boden liegend, den Mantel über den Kopf gezogen, zitternd, die Augen ganz weit aufgerissen. "Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen. Horror vacui. Die Leere des Raumes macht mir Angst. Ich werde die Kammer zumauern!", rief der Sohn. Wortlos führte der König seinen Sohn hinaus. Am Abend schloss er den Sohn wiederum ein: "Denke über das Geheimnis der Kammer nach!" Am Morgen fand er den Sohn bleich und trotzig an eine Mauer gelehnt sitzend, gestresst. "Und?", fragte der König. "Ich rotiere..., wenn ich bloß nachdenke, womit ich diese verdammte Kammer füllen soll, wie ich das Ganze reformieren könnte!", entgegnete der Sohn. Wortlos führte der König seinen Sohn hinaus. Am Abend wiederholte sich die Geschichte. Wiederum nahm der Vater den Schlüssel, öffnete und sperrte zu. Und am Morgen? Am dritten Morgen fand er den Sohn in der Mitte des Raumes stehend, gelöst und lächelnd. "Worüber hast du diese Nacht nachgedacht?", fragte der König. Der Sohn antwortete: "Ich weiß nicht, ich habe die ganze Nacht herrlich geschlafen und bin mit einem Gelassenheitsgefühl sondergleichen aufgewacht. Ich mag den Raum!" Der König lächelte, umarmte den Sohn und sagte: "Du hast das Geheimnis der Kammer verstanden. Da hast du den Schlüssel. Jetzt aber komm und hilf mir heute beim Austeilen. Morgen bist du an der Reihe." Und der Sohn? Er machte es wie sein Vater, ging tagtäglich bevor er zur Austeilung der Gaben schritt zu der geheimnisumwitterten Kammer, schloss sie mit seinem Schlüssel auf, blieb eine Stunde lang drin, bevor er ... Sie wissen es schon ...

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Und was hat diese Geschichte mit unserer Feier zu tun? Wir alle neigen dazu, zu glauben, die Bildung, die akademische Ausbildung sei der beste Schlüssel, den wir unseren Kindern schenken, den wir selber erwerben können, der beste Schlüssel zum Erfolg im Leben. Deswegen stopfen wir die Kammern unseres Gehirns mit jenen Schätzen voll, die wir dann austeilen wollen: während unseres ganzen Lebens. Und wir erschrecken angesichts des schnellen Wandels. Das Wissen veraltet schneller als wir selber; der Wert unserer Schätze halbiert sich tagtäglich. Identitätskrisen, Burnoutsituationen und der Zwang zur Weiterbildung prägen unser gestresstes Leben. Unsere Kultur verlernt es buchstäblich, aus dem Nichts Kraft zu schöpfen, buchstäblich aus dem Nichts Neues hervorzubringen. Deswegen gerät sie ständig außer Atem.

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Meine Damen und Herren, bei der Vorbereitung dieser Ansprache fiel mir ein, dass das Allerheiligste im Tempel in Jerusalem leer war. Das Geheimnis des Heiligtums ist aber nicht jene Leere, die den Horror vacui, den Schrecken des Mangels auslöst, nicht jene Leere, die den Sohn zum Wahnsinn treibt, ihn lähmt, weil er nur die Leere und das Nichts sieht und deswegen auch emsig agiert. Das Geheimnis des Heiligtums ist jene Leere, die mir Gelassenheit, Geborgenheit und Lebenskraft schenkt. Christen, die Mystiker unter ihnen, nennen diese "Leere" bergende Gegenwart Gottes. Und die Theologen bemühen sich um eine rationale Begründung dieser existentiell entscheidenden Unterscheidung zwischen dem Horror vacui und dem religiösen Glauben.

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Liebe Absolventen, Ihr habt Euer Studium an einer traditionsreichen Fakultät abgeschlossen, einer Fakultät mit vielen prall gefüllten Schatzkammern: den Schatzkammern des Wissen; einer Fakultät, die ihre Kraft und den Mut zur Innovation nicht aus den Zwängen des Alltags schöpft, nicht aus dem aktuellen Wissen, dessen Wert von Tag zu Tag geringer wird, und auch nicht aus der tagespolitisch verwertbaren Managementkunst. Sie schöpft ihre Kraft aus dem Geheimnis jener Kammer, in der die Leere nicht den Horror vacui und nicht den Sinnverlust provoziert, sondern das Vertrauen in die bergende Gegenwart Gottes stärkt. Ich gratuliere Euch zu Eurem Abschluss und wünsche Euch: Vertraut auf den Wert des theologischen Zugangs zur Wirklichkeit. ER verhilft dazu, den Zugang zu finden zu jener kraftspendenden leeren Kammer, die die Mystiker GOTT nennen. Insofern stellt dieser Zugang so etwas wie den Schlüssel zu einem erfüllten Leben dar. Und diesen Schlüssel braucht unsere gestresste Welt heute mehr denn je.

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