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Versager? Erwählt und berufen ... in einer egalitären Welt
(Eine Predigt auf dem Hintergrund von Lk 5,1-11; gehalten in der Jesuitenkirche in Innsbruck am 7. Februar 2010 um 11 und um 18 Uhr)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2010-02-08

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Frust! Frust und sonst gar nichts liegt da in der Luft. Müde und so richtig sauer mag man nicht einmal mehr nach Hause gehen. Versagt! Versagt haben sie ... diese Fischer, die keine Fische fangen. Profis, die zwar den See in- und auswendig kennen. Profis, die sich da auch so richtig ins Zeug legen und doch eine Pleite hinnehmen müssen. Versagt haben sie? Versagt oder nur Pech gehabt? Pech gehabt, genauso wie jene Menschen Pech haben, die zum wiederholten Mal eine Absage bekommen bei der Bewerbung um eine Arbeitsstelle. Pech gehabt oder doch versagt? Versagt, genauso wie der Abteilungsleiter versagt, wenn er den Umsatz nicht steigert und die Personalkosten nicht reduziert. Obwohl er sich abrackert, bleibt sein Netz leer. Jenes Netz, das man ihm um den Hals gehängt hat als Kriterium seines Erfolgs. Versagt also! Versagt wie der Professor, der mit seinem Buch oder aber mit seinem Artikel nicht vorwärtskommt. Stundenlang sitzt er da vor dem Computer, tippt und tippt und löscht wieder. “Die ganze Nacht gefischt und doch nichts gefangen.” Versagt wie die Fischer, die nichts vorzuweisen haben. Und wie jene Frauen, die von früh bis spät aufräumen, einkaufen, kochen, abspülen und putzen und die doch ... doch nur das Gefühl haben: das Leben zerrinnt nur so zwischen den Fingern. “Ah ... Sie sind nur Hausfrau! Sonst gar nichts?” Versagt schließlich wie der Mann versagt, dessen Beziehung in Brüche geht, der stundenlang mit der Partnerin geredet, sogar Therapeuten aufgesucht hat, gebetet und gebetet hat und am Ende doch gescheitert ist. Sie alle haben die ganze Nacht gefischt und doch nichts gefangen. Nichts, was im Netz bleibt. Nichts, was bilanzierbar ist. Jedenfalls wenig, wenn man es mit anderen vergleicht.

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Liebe Schwestern und Brüder! Erfahrungen dieser Art sind uns allen nicht fremd. Immer und immer wieder finden wir uns im Szenario des Geschehens am See Gennesaret wieder, und immer und immer wieder können wir uns in den Rollen jener erfolglosen Fischer entdecken, die abgekämpft und müde nach einer erfolglosen Nacht in den Hafen zurückkehren. Und immer und immer wieder ertappen wir uns beim Gedanken, dass es schön wäre, wenn ... Wenn uns - glatt - die Fortsetzung der Geschichte widerfahren würde, wenn uns da einer entgegenkommen würde und uns ein ähnliches Wunder bescheren könnte. Schließlich sind wir nicht nur Christen, sondern auch Zeitgenossen, Menschen, die mit Werbespots aufgewachsen sind. Wäre es also nicht schön, wenn uns da der strahlende Held entgegenkommen würde ... im Licht der aufgehenden Sonne, mit breiten Schultern und gut trainiertem Bizeps, mit frisch gefönten Haaren und schneeweißen Zähnen, mit seiner unschlagbaren erotischen Ausstrahlung ... Wenn er uns den großen Erfolg bescheren würde! Er weiß ja, wo es lang geht. “Oh Nein! Er steigt doch in mein Boot ein, in das Boot meines Lebens, lässt noch einmal die Netze auswerfen und das große Wunder lässt nicht lange auf sich warten.” In allen Regenbogenfarben schillern da die Fische im Sonnenlicht, die Umsätze der Abteilung schnellen in die Höhe, die Beziehung ist gekittet, das Buch und die Artikel sind fertig, selbst die Hausfrau macht eine Top-Karriere als Ministerin. Oh, wäre das nicht wunderschön? Vom Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit geblendet, könnten wir dann ausrufen: “Mit meinem Gott überspringe ich Mauern!” Mit Christus zum Erfolg: im Beruf und im Privatleben, in der Erziehung der Kinder und der Kunst der Lebensgestaltung.

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Doch der Traum zerbricht! Zerbricht meistens schneller als erwartet. Und dies nicht erst, wenn die Kinder nicht “spuren” und die Beziehung doch in Brüche geht. Der Traum zerbricht schon,  weil schon wieder eine Meldung kommt über Kindesmissbrauch in einer kirchlichen Schule. Schon wieder Kirchenaustritte. Schon wieder Schlagzeilen, die die Kirche auf dieselbe Stufe stellen wie eine Verbrecherorganisation. Und schon wieder der nagende Zweifel an der Wirklichkeit der Berufung und der Erwählung durch Gott. An der Wirklichkeit seiner Gnade. Schon wieder der ernüchternde Befund, die Anderen sind anscheinend besser, den Anderen gelingt mehr. Ihre Netze sind voll. Selbstzufrieden sitzen sie in der Hafenkneipe und trinken Aperitifs, während wir noch immer mit den Reparaturen unserer Netze beschäftigt sind. Was machen wir falsch?

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“Alles, aber gar alles, was man in der modernen Welt falsch machen kann!”, ruft uns die scheinbar allmächtige mediale Öffentlichkeit zu. “Ihr seid ja nicht Markt-konform! Ihr seid zu wenig modern!” Haben wir also doch versagt? “Habt keine Angst!”, sagt uns immer und immer wieder unser Gott, gerade in der Situation völliger Erfolglosigkeit. Im Kontext des absoluten Versagens versichert er uns, er selbst habe uns erwählt und berufen. Und er fügt leise hinzu, es sei doch kein Wunder, dass die medial strukturierte egalitäre Kultur unserer Tage den Glauben an Gott mit dem Erfolg verwechselt und deswegen im Grunde nur noch zwei Kategorien von Menschen kennen will: die erfolgreichen Top-Stars  und die Versager. Jene, die auf dem Weg nach oben sind, weil sie die Chance ergriffen haben, und jene, die abstürzen, weil sie den Absturz verdient haben.

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Liebe Schwestern und Brüder! Was bedeutet das alles im Kontext unserer alltäglichen Erfahrungen? Die egalitäre Welt, jene Welt, die stolz ihre Botschaft von der Chancengleichheit aller Menschen verkündet, “erwählt” auch. Sie erwählt alle Menschen und lädt sie alle ein, auf dem Parkett ihrer Kultur zu tanzen. Von Kindesbeinen an werden wir auch in den Dienst ihrer Mechanismen genommen. Und weil wir inzwischen alle glauben, dass wir selber oder unsere Kinder die Chance haben, Top-Stars in dieser egalitären Welt zu werden, Top-Positionen zu erreichen, ganz oben zu landen, ackern wir uns ab, fischen und fischen ganze Nächte lang. Um Perfektion bemüht und mit dem Ausverkauf der eigenen Seele beschäftigt, machen wir tagtäglich Geschäfte mit uns selber, wollen ständig produktiv bleiben, selbst das Leid und die Schwäche wissen wir zu vermarkten. Ist es also ein Wunder, dass wir uns selber nach unserem Marktwert beurteilen? Mit Schrecken entdecken wir, - wir, die durch die egalitäre Kultur erwählten Kinder des 21. Jahrhunderts -, dass für uns Zuwendung, Hilfe und Gnade zu teuren Markenartikeln geworden sind.

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“Habt keine Angst!”, versichert uns immer noch unser Gott. “Vergesst nicht: Auch ich habe Euch erwählt und dies schon lange bevor ihr zu den Lieblingskindern der modernen egalitären Welt wurdet. Ich habe Saulus, den Verfolger der Kirche, erwählt und auch Simon Petrus, den Angeber und Versager, den Verräter par excellence. Und ich habe Euch erwählt, und dies zuerst Euretwegen! Nicht damit Ihr etwas werdet. Ich kenne ja keine Top-Stars und ich kenne auch keine Versager. Ich kenne Menschen, ich kenne Euch, die ganz konkreten Menschen mit Ihren Namen. Und ich nehme Euch an, so wie Ihr seid. Mehr noch: Ich selber habe Anteil an den Erfahrungen Eurer Erfolglosigkeit. In den Augen der Welt war auch ich bloß ein Versager. In den Augen der Welt bin ich gescheitert. Und weil ich - der menschgewordene Sohn Gottes - tiefer gefallen bin, als Du in Deinem Versagen oder in den negativen Erfahrungen fallen kannst, kann ich auf dem Niveau, auf dem Du gerade lebst, zu Dir kommen und Dich in meine Arme schließen und Dir auch sagen: Du brauchst nicht toll und nicht immer gut drauf zu sein. Du brauchst nicht ein Top-Star zu werden. Ich habe Dich ja nicht um Deines Erfolgs willen erwählt und geliebt, sondern um Deinetwillen”.

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Liebe Schwestern und Brüder! Wir sind nicht nur Zeitgenossen. Wir sind auch Christen. Und als solche wissen wir uns erwählt und berufen. Erwählt durch den wahren Gott des Lebens und der Liebe, den Gott, der größer ist als alle Erfolge und größer auch als alles Versagen. Deswegen können wir ganz normale Menschen bleiben und uns die alltägliche Liebenswürdigkeit bewahren. - Wenn das nicht ein Wunder ist!

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