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“... das Himmlische ins Tal der Sünden...”
(Predigt zum Fest der Taufe Jesu, gehalten in der Jesuitenkirche in Innsbruck am 11. Januar 2009 um 11 und um 18 Uhr)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2009-01-12

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Eine interreligiöse Performance..., die größte Performance aller Zeiten ist voll im Gang. Am virtuellen Jordanfluss treffen zu Beginn des dritten Jahrtausends alle aufeinander: Anhänger alter und neuer Religionen, Weltethosaktivisten, Greenpeacefreaks, Freimaurer, Rotarier und viele andere mehr. Die Krise hat sie zusammengeführt und das Bewusstsein, dass es schon längst 5 nach 12 ist.
Liebe Schwestern und Brüder, was sich schon damals am Jordan abgespielt haben mag, das hätte auch dem modernen Bewusstsein entspringen können; das Szenario könnte gar bei einem Seminar zum Thema: "Pluralistische Theologie der Religionen" konzipiert worden sein. Und warum dies? Schlägt man heutzutage eine Zeitung auf, schaltet man das Radio oder das Fernsehen ein: Schon stößt man auf den modernen Johannes. Weiblich, männlich oder auch androgyn, kaum mehr in Kamelhaarkleidung und auch nicht auf Heuschreckendiät, eher modernst gestylt: im strengen - ästhetisch auf sittlichen Ernst abzielenden - Outfit hebt der moderne Johannes den Zeigefinger hoch, geißelt den Zeitgeist und ruft zur Umkehr auf. Talkshows, Nachrichtenkommentare, Aufklärungssendungen künden uns unaufhörlich das Gericht an: "Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt..." (vgl. Mt 3,10): Schaut euch bloß den Treibhauseffekt und die Klimakatastrophe an und verschließt auch die Augen nicht vor dem Elend, in dem Milliarden von Menschen leben. Gerade in Zeiten einer Wirtschaftskrise scheint das ganze Volk auf sie zu hören..., auf die modernen Propheten des virtuellen Zeitalters, und dem kulturellen Trend entsprechend setzt das ganze Volk auch Zeichen der Bekehrungsbereitschaft. Das Umdenken wird groß geschrieben. Alle scheinen sich also einig zu sein: Was wir brauchen ist Ethik: Ethik in der Schule, Ethik am Arbeitsplatz und Ethik im Krankenhaus. Sittlicher Ernst wird nun plötzlich von einem Konzernmanager erwartet - und natürlich auch vom Kirchenführer. Am virtuellen Jordanfluss der Gegenwart fällt ja dem letzten, dem traditionellen Kirchenmann gar die Rolle des biblischen Pharisäers und Sadduzäers zu. Pausenlos geißeln die modern gestylten Propheten unserer virtual community die Kirchenleute: diese "religiöse Schlangenbrut" von Gestern: Ihr Natterngezücht! Glaubt ihr, dass ihr dem Untergang entrinnen könnt? Bringt Früchte hervor, zeigt, dass eure Religion einen sinnvollen Beitrag leistet, einen Beitrag zur Gestaltung der Sozial- und Umweltpolitik, zeigt, dass ihr im Konzert der interreligiösen Performance euren Part spielt - so wie wir es erwarten!
So ackern wir uns alle ab: die Religiösen und die bloß humanistisch Gesinnten. Wir bemühen uns um Bekehrung und um sittlichen Ernst. Tagtäglich! Und wir geraten oft an die Grenze, weil die kleine Moral im bürgerlichen Alltag und die große Moral in der Weltpolitik doch immer weiter auseinanderklaffen. Es sind aber doch alle froh, dass selbst Jesus sich der Reihe der Bekehrungswilligen anschließt, dass er schon damals auf Johannes den Täufer hörte und auch am virtuellen Jordanfluss mit dabei war. Christus, Buddha, Mohammed: die großen Impulsgeber für menschenwürdige Gestaltung des Alltags steigen gemeinsam in den virtuellen Jordanfluss, gemeinsam mit Milliarden von Menschen der Gegenwart, die der Ethik und dem sittlichen Ernst eine fundamentale Rolle im menschlichen Leben zuschreiben.
Doch was sich, liebe Schwestern und Brüder, schon damals im Jordan abgespielt hat und was sich auch heute abspielt bei diesem Zeichen der gemeinsamen Bekehrungsbereitschaft, das übersteigt die Grenzen der political correctness einer interreligiösen Performance bei weitem. Was sich bei der Taufe Jesu ereignete, übersteigt im Grunde auch die Grenzen der menschlichen Vernunft. Deswegen wird auch der Event zur Herausforderung und zum Ärgernis für alle: für die Anhänger alter und neuer Religionen, für Weltethosaktivisten und Greenpeacefreaks, für Freimaurer, Rotarier und viele andere mehr. Jesus reiht sich zwar in die Reihe der Bekehrungswilligen ein, lässt sich gar von Johannes taufen, doch wird diese seine Taufe zum Anlass einer alles umwälzenden Offenbarung. "Du bist mein geliebter Sohn, dich habe ich erwählt." (Mk 1,11) Was soll das heißen?
Auch wenn es schon 5 nach 12 ist, auch wenn die Krise ihren Lauf genommen hat, auch wenn die Menschen aller Kulturen und aller Religionen durch ihren Ruf nach Ethik, durch ihre Bekehrungsbereitschaft ein klares Zeugnis ablegen, dass unsere Gegenwart doch eine sündige Gegenwart ist, öffnet sich der Himmel schon jetzt über diese sündige Welt, und das Himmlische kommt gar ins Tal der Sünden! Der Sohn des Vaters wird nicht nur Mensch, er steigt in die Welt der Sünde herab! Und dies nicht, weil er selber von Sünde gezeichnet bleibt. Nein! Aus Solidarität mit der sündigen Welt geht er auf Augenhöhe mit ihr. Um jegliches Missverständnis des Moralismus zu vermeiden, jenes Moralismus, der im frommen Hochmut sich anmaßt, den authentischen menschlichen Weg zum Himmel gefunden zu haben und deswegen auch immer mit Verachtung auf die Gestrauchelten schaut. So steigt Jesus in den Jordan, nicht bloß im Bewusstsein der Allianz mit all jenen Gläubigen alter und neuer Religionen, die sich um den sittlichen Ernst und die Bekehrung bemühen. Jesus steigt in den Jordan nicht bloß im Bewusstsein der Verbundenheit mit all jenen, die bloß Humanisten sein wollen in einer sündigen Welt. Er steigt in den Jordan hinein, weil sich das Himmlische mit den Versagern und Sündern verbindet.
Fjodor Dostojewskij hat in seinem Roman "Die Brüder Karamasow" dem sterbenden Mönch Sossima die wunderschönen Worte in den Mund gelegt, gerichtet an die Mönche, an die Mitbrüder des Sterbenden: "Brüder... Habt keine Angst vor der Sünde der Menschen. Liebt die Menschen in ihrer Sünde, denn das ist die Liebe, mit der Gott den Menschen liebt." Den Menschen in seiner Sünde lieben und ihn auch in all die Abgründe zu begleiten, in die ihn die Sünde stürzt..., das ist die Lebensgeschichte Jesu, des menschgewordenen Sohnes Gottes. Und das Fest der Taufe Jesu stellt so etwas wie die feierliche Inauguration dieser Lebensgeschichte in aller Weltöffentlichkeit dar.
Warum diese theologische Vorlesung am heutigen Fest, bei dieser klirrenden Kälte dieses wunderbar sonnigen Sonntags? Wegen der grundsätzlichen Weichenstellung in unserer so pluralistischen Gesellschaft. Bei all der gemeinsamen Basis in der Bemühung um den sittlichen Ernst seitens der religiösen und bloß humanistisch motivierten Menschen übersteigt das Geheimnis des heutigen Festes die menschlichen Bemühungen bei weitem - und verwandelt sie auch. Will man diese Radikalität auf einen Punkt bringen, ist man mit einer Betrachtung der Ikonen gut beraten. Die Ikonenmaler haben sich nämlich am tiefsten dem Geheimnis des Festes genähert, indem sie den Jordan zum Fluss des Todes stilisierten - einen Fluss, in den jeder Mensch eintauchen wird, einen Fluss, der virtuell das Leben eines jeden von uns begleitet. Das Eintauchen Jesu ins Wasser des Jordan wird dort zum Abstieg in die Welt des Todes, gar zum Abstieg des menschgewordenen Gottes in die Welt der Hölle.
Liebe Mitchristen! Gott liebt den Menschen gerade in seiner Sünde, deswegen begleitet er ihn in die letzten Sackgassen seines Lebens, in die Welt des Todes, in die damit verbundene Haltung der Angst, des Zweifels, ja der Verzweiflung. Er begleitet den Menschen in die höllische Logik der Gottferne, des tödlichen Zynismus, der Banalität und der Leere. Hat der Mensch in seiner Verzweiflung sich in die Hölle fallen lassen, so begleitet ihn der menschgewordene Sohn Gottes in diese Hölle hinein und bringt auch dorthin das göttliche Leben. Deswegen verdichtet das heutige Fest den Inbegriff christlicher Hoffnung. Das Fest sagt uns also zu: Die Bemühung um den sittlichen Ernst, das Engagement für Ethik verbinden uns Christen mit allen Menschen guten Willens; unser Glaube an Christus geht aber einen Schritt weiter: Wir glauben an den menschgewordenen Sohn Gottes, der in seiner Menschwerdung auf unsere Augenhöhe herabgestiegen ist. Das Himmlische kam in ihm ins Tal unserer Sünden! Und was bringt uns das?
Lassen Sie mich die Folgen dieses Glaubens in ein paar Sätzen nach der Logik "ad hominem" artikulieren: Selbst dann, wenn Du fällst, selbst in Deiner Sünde, gar in Deinem Absturz in die Welt der Verzweiflung und der Hölle, selbst dann geht einer mit Dir mit... und dies nicht irgendeiner! Nicht eine auswechselbare Maske, nicht ein Lebensabschnittspartner und schon gar nicht der "One-Night-Stand-Genosse". Es begleitet Dich der Sohn Gottes, und er begleitet Dich nicht von oben herab. Nicht in der hochnäsigen Haltung des Champions aller Zeiten. Nein! Unaufdringlich ..., und doch solidarisch ist er dabei und nimmt Dich hinein in die Geschichte des göttlichen Lebens. Und weil dies so ist, weil sich das wirklich ereignet, weil das Himmlische in Jesus Christus ins Tal der Sünden eingegangen ist, lebst Du zwar in einer Welt von Krisen - aber nicht in einer trostlosen Welt. Du stirbst zwar - aber Du stirbst nicht einen sinnentleerten Tod. Weil der Sohn Gottes in die Welt der Sünde hinabsteigt, auch in Deine ganz private Welt: In der Welt Deiner Bemühungen um Bekehrung, aber auch in der Welt Deines Versagens, in der Welt Deiner Sünde, Deiner Angst, Deines Zweifels und gar Deiner Verzweiflung kannst Du Dir den Luxus der Gelassenheit leisten - dankbar murmelnd: Ich glaube... Ich glaube, dass Du der geliebte Sohn bist, das Himmlische, das ins Tal der Sünden kam!

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