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Freut Euch, die ihr gebrochenen Herzens seid!
(Predigt zum Sonntag: “Gaudete” gehalten in der Jesuitenkirche in Innsbruck am 14. 12.2008 um 11 und um 18 Uhr)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2008-12-15

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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"You didn’t win the silver, you lost the gold!" - Nein, du hast nicht die Silbermedaille gewonnen, du hast die Goldene verloren! Mit diesem Werbespruch verdichtete eine Werbeagentur unseren Zeitgeist auf eine kaum zu überbietende Kurzformel. Bei den Olympischen Spielen in Atlanta warb eine Sportschuhfirma für ihre Produkte mit diesem verblüffenden Spruch und deckte damit auch die Abgründe unserer Seelen auf: Selbst wenn du das Siegerpodium erklommen hast, auch wenn du das und jenes im Leben erreicht hast, bist du nicht der Beste! Im Grunde bist du doch ein Looser! You didn’t win. Nein ... You lost! You lost the gold.

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Das ist eine geradezu dämonische Logik, eine Logik, die meine Aufmerksamkeit auf die verlorene Chance fokussiert, eine Logik, die dem Geist der gnadenlosen Konkurrenz entspringt, eine Logik, aus der eigentlich nur Enttäuschungen und Verletzungen hervorgehen, weil sie in jedem von uns jenen Geist nährt, der es versteht, jede Freude zu vergällen, oder diese zumindest mit dem Wermutstropfen zu vergiften, dass ein anderer doch noch besser sei; dieser dämonische Geist produziert gebrochene Herzen und dies auf Schritt und Tritt. Und all das Gelächter unserer Wellness Society, all die Fröhlichkeit der vorweihnachtlichen Punchgesellschaft, all die Vergewisserungen: "Mir geht’s doch gut!", vor allem aber der wichtigste moralische Imperativ unserer Wohlstandskultur: "Just be happy!", all das vermag die schmerzhafte Erkenntnis nicht aus der Welt zu schaffen, dass Menschen, deren Herz gebrochen ist, dass diese Menschen keineswegs die Ausnahme von der Regel darstellen und irgendwo in exotischen Ländern zu Hause sind, dort wo Hunger und Elend alltägliche Realität bleiben, oder aber bei den Obdachlosen gesucht werden müssen. Nein. Jene, die gebrochenen Herzens sind: Sie stellen auch - oder gerade - in unserer Kultur den Normalfall dar. Sie sind also auch unter den regelmäßigen Kirchenbesuchern zu finden. Denn keiner von uns kann sich hinwegstehlen aus unserer popular culture, aus jener Kultur, die wie kaum eine andere das menschliche Begehren zu entfesseln weiß und auch den neidischen Blick auf jene wirft, denen es scheinbar besser geht als mir; keiner von uns kann sich hinwegstehlen aus der Kultur, die uns permanent mit Doppelbotschaften berieselt: "Just be happy... sei glücklich! Nur: You lost the gold - du hast das Gold verloren, die Chance verpasst!", einer Kultur also, die das Glück verkündet und die Frustration pflegt.

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Liebe Schwestern und Brüder, was macht der Durchschnittszeitgenosse mit all seinen Träumen, die nicht in Erfüllung gegangen sind? Träumen von der einmaligen und beispiellosen Karriere: Shooting Stars landauf, landab, Starmania nonstop - und dies auf allen Kanälen. Und wenn nicht Starmania, dann Dancing Stars..., Menschen, denen das Gold in den Schoß fällt? Den Träumen von Wohlergehen, von Anerkennung, der Anerkennung in der Fachwelt und Anerkennung - oder aber, was natürlich geiler ist: den Träumen vom Neid der Nachbarn, wenn sie sehen, wie für mich und die Meinigen unsere Träume wahr werden, während die Ihrigen wie Seifenblasen zerplatzen...? Den Träumen von einer glücklichen Partnerschaft, gar einer Ehe in einer Zeit, in der Bindungen uns bald fremder werden als der Mond: - "Ich will, ich will mit dir, alle Tage meines Lebens!" - Die Hochzeitsfeiern werden ja immer bombastischer und damit auch die Träume von der glücklichen Zukunft zu zweit? Den Träumen von der glücklichen Familie: dass Kinder da sind, und zwar Kinder, die alles, was bisher da war in den Schatten stellen, Kinder, die das erreichen, was ich mir selber nicht zu träumen wagte? Den Träumen, dass Beruf und Spitzenkarrieren und das Familienglück problemlos Hand in Hand miteinander gehen? Was macht der Durchschnittszeitgenosse, wenn diese seine Träume nicht erfüllt werden?

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Was tun wir, wenn ... wenn die Tür, durch die wir gerade hindurch wollten, wenn diese Tür direkt vor meiner Nase zugeschlagen wird? Und ich... ich zuerst dreimal schlucken muss, weil plötzlich vieles, oder gar alles anders ist als bisher? Weil der Mann, dem ich vertraute, von heute auf morgen abgehauen ist ..., mit einer anderen zusammengezogen ist. Weil das Kind, auf das wir uns so gefreut haben, abgestorben ist ... im Mutterschoß. Weil eine Krebsdiagnose ins Haus flattert... und alles verändert. Die Pläne, die Hoffnungen, die Träume zerbrechen! Bloß Scherben um mich herum und Narben in mir selber. Narben auf meiner Seele und Narben in meinem Herzen.

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Wie viele von uns haben deswegen auch die Fähigkeit verloren zu träumen und die Fähigkeit, dem Alltagstraum festere Konturen zu geben? Sie schließen sich in ihrem gebrochenen Herzen ab, schalten ihr Lebensfeuer auf Sparflamme, weil sie Angst haben, noch einmal enttäuscht zu werden, noch eine Wunde einzustecken und noch einmal die Erfahrung des gebrochenen Herzens zu machen. Judy Collins singt im Lied "The Rose": "It’s the heart afraid of breaking that never learns to dance.": Das Herz, das Angst hat gebrochen zu werden, gerade dieses Herz lernt niemals das Tanzen! Was also tun?

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Liebe Schwestern und Brüder, gerade jene Menschen, die der Versuchung erliegen, ihr Leben durch die Ohnmacht des gebrochenen Herzens zu definieren, Menschen, die ihre Aufmerksamkeit immer wieder auf das verlorene Gold fokussieren, Menschen, die ihre Narben betrachten und an ihnen kratzen, damit sie bluten, diese Menschen - und das sind wir irgendwie alle -, werden heute mit einem "Doppelevangelium", mit einer doppelten "Frohbotschaft" konfrontiert. Das eine "Evangelium" lautet: "Just be happy! Seid doch glücklich!" So etwas schallt uns ja aus allen Ecken und Enden entgegen. "You lost the gold - o.k! Doch was soll’s? Pfeift auf die Verletzung! Tut so, als ob es diese nicht gäbe. Gebt euer gebrochenes Herz an der Garderobe ab und tanzt! Tanzt, und zwar so, als würde euch niemand zusehen. Liebt! Liebt und zwar so, als ob ihr niemals verletzt wurdet. Ergreift einfach neue Chancen. Jeder neue Tag bringt ja neue Möglichkeiten mit sich. Freut euch also, oder jubelt zumindest all jenen zu, die das Gold ihr Eigen nennen dürfen. Und freut euch auch über ihren "Sturz"! " So lautet das "Evangelium" unserer popular culture. Jenes "Evangelium", das keine Botschaft hat für die Erfahrung radikaler Sackgassen: für die Erfahrung der Schuld, für das Widerfahrnis einer unheilbaren Krankheit und auch für den Tod.

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"Gaudete! Freut euch!", ruft uns heute auch die Kirche ihr Evangelium zu. Doch ihr Ruf, ihre Aufforderung zur Freude scheinen in all der Fröhlichkeit der vorweihnachtlichen Punchgesellschaft unterzugehen. Die Welt scheint keinen Bock zu haben auf diese Freude. Doch der Schein trügt. Diese Freude stellt die einzige menschenwürdige Alternative dar zum inhaltsleeren: "Just be happy!" Ja, diese Freude des kirchlichen Evangeliums stellt den eigentlichen Grundnerv unseres Lebens dar. Man muss ihn aber immer wieder neu freilegen! Und wie sieht dieser Grundnerv aus? Wie sieht die Logik aus, aus der wir alle tagein tagaus - und dies nicht nur im Kontext der Erfahrung von radikalen Sackgassen - leben?

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Uns allen, die wir gebrochenen Herzens sind, wird heute zugerufen: Wir sollen uns freuen, denn der Herr ist nahe! Wir sollen uns freuen, denn der Schmerz des gebrochenen Herzens sei etwas, was Gott selber zugesetzt hat. Auch er wurde verraten, auch ihm wurde die Tür direkt vor der Nase zugeschlagen. Auch seine Beziehungsgeschichte mit den Menschen endete in einem Scherbenhaufen: Scherben rund um ihn herum und tiefe Narben in seinem Herzen. Verraten, sitzen gelassen, enttäuscht von jenen, in die er investierte, hat Gott mit dem Projekt "Mensch" zuerst nicht das Gold gewonnen. Er zog sich aber nicht zurück, um seine Wunden zu lecken, ließ sich nicht durch das Ausmaß der Enttäuschung definieren, wurde nicht zu einem zornigen, sein Gesicht vom Menschen abwendenden Gott. Und er setzte auch nicht auf eine ganz neue Möglichkeit, schuf sich nicht eine ganz neue Chance. Er brachte keine neuen und besseren Menschen hervor, sondern er wechselte die Seiten. Er wurde selber Mensch, gar ein Kind. Ohnmächtig lieferte er sich der Empathie jener Menschen aus, die immer wieder der Versuchung erliegen, ihr eigenes Leben durch die Macht und Ohnmacht ihrer gebrochenen Herzen zu definieren. Gaudete! - ruft uns die Kirche zu. Denn: Nahe ist uns allen, allen, die wir gebrochenen Herzens sind, nahe ist uns Gott selber. Er ist uns nahe in jenem Sohn, dessen Herz gar durchbohrt wurde. Auf dass wir alle, die wir dieses Herz anschauen, wissen: Dieses Herz, dieses durchbohrte Herz liebt alle. Es liebt selbst jene, die es ablehnen, sich lieben zu lassen. Freuen wir uns also, wir, denen die Gnade gegeben wurde, diese Zuwendung Gottes zu uns Menschen in jeder mitmenschlichen Zuwendung zu sehen und zu erkennen. Wenn etwa ein Mensch, dem das Herz brach, von einem anderen Menschen in die Arme geschlossen wird - ohne viele Worte, dann wird die Menschwerdung Gottes Gegenwart. Freuen wir uns über Gott, über den menschgewordenen Gott, der der eigentliche Grund unseres menschlichen Lebens ist. Freuen wir uns über jenen Gott, der uns immer wieder zur Hoffnung verhilft, uns Menschen, die wir niemals "Gold" gewinnen werden, sondern immer nur "Silber". Freuen wir uns über diesen menschgewordenen Gott, weil er uns sagt: "Du bist kein Looser. Du bist ein Gewinner. Und dies gerade deswegen, weil Du ein Mensch bist! Weil Du als Mensch mich selber - Gott - gewonnen hast!" Weil Du deswegen selber schon der Inbegriff dessen bist, was man "Gold" nennen kann. Gaudeamus ergo! - Freuen wir uns alle.

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