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Wem wird das Reich Gottes weggenommen, wem gegeben?
(Untertitel: Gedanken zum 27. Sonntag im Jahreskreis (LJ A))

Autor:Wandinger Nikolaus
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:Abstract: Wurde das Reich Gottes den Juden weggenommen und den Christen gegeben? So wurde der Text des heutigen Evangeliums lange verstanden. Heute wird - aus nur allzu guten Gründen - niemand mehr so reden, aber es bleibt doch die Frage, was denn dieser Text bedeutet. Ist das Gleichnis von den bösen Winzern tatsächlich eine Frohbotschaft und, wenn ja, für wen?
Publiziert in:
Datum:2008-10-13

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Lesungen: Jes 5,1-7; (Phil 4,6-9); Mt 21,33-44

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Zwei Geschichten vom Herrn eines Weinbergs, der enttäuscht ist über seine Ausbeute. Zwei ganz ähnliche Erzählungen mit derselben Botschaft: Gott tut alles, um seinen Weinberg zu pflegen und einen guten Ertrag zu sichern, aber das gelingt ihm nicht. Bei Jesaja ist es der Weinberg selbst, der gewissermaßen personifiziert wird und sich weigert, Frucht zu bringen. Im Gleichnis Jesu sind es die Pächter des Weinbergs, die zuerst die Boten und schließlich sogar den Sohn des Besitzers aus Neid und Habgier umbringen. Und die Reaktion folgt auf dem Fuße: der störrische Weinberg wird zum Ödland gemacht; die bösen Winzer werden getötet und der Weinberg an andere verpachtet. Gott, der Gerechte! - Oder besser: Gott, der Rächer? Jedenfalls ein Gott, dem man nicht ungestraft seine Früchte vorenthält.

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Liebe Gläubige,

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schauen wir uns diese Texte etwas näher an und fragen uns, ob sich denn darin wirklich eine Frohbotschaft verbirgt. Da fällt zunächst einmal auf, dass der Herr des Weinbergs - in beiden Fällen - einen riesigen Einsatz und eine Eselsgeduld aufbringt. Leichtfertig gerät er nicht in Wut. Er arbeitete hart, um seinen Weinberg zu bauen, und als die Winzer ihm seine Pacht nicht geben wollten, hat er es mehrfach mit Boten und Dienern versucht. Fast könnte man meinen, der Weinbergbesitzer sei schon etwas leichtfertig oder sogar naiv, dass er nach diesen Erfahrungen noch seinen Sohn schickt; offenbart unbewaffnet und ohne Bodyguards. Wie konnte er nur glauben, dass die Pächter ihm gehorchen würden?

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Also offenbar ein Mensch - ein Gott, der das Äußerste versucht, den Menschen immer wieder einer Chance gibt, der alle Maßstäbe von Geduld und Langmut sprengt. Aber irgendwann, irgendwann reicht es auch ihm und er schlägt mit Gewalt drein. Also ein langmütiger, aber am Ende doch zorniger Gott?

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Noch etwas fällt auf: Im Jesajatext wird genau beschrieben, wie Gott seinen Weinberg zu Ödland macht: nicht so, als würde er selber den Weinberg verwüsten. Nein, er zieht lediglich seinen Schutz von diesem Weinberg ab - die Hecke wird entfernt, die Schutzmauer abgerissen, die Reben werden nicht mehr geschnitten, die Wolken werden nicht mehr regnen. Ein kleiner, aber doch feiner Unterschied: nicht Gott übt Gewalt aus und zerstört seinen Weinberg; Gott stellt nur seine besondere Fürsorge für diesen Weinberg ein, dann vernichten ihn die ganz normalen Kräfte der Natur: Disteln, Dornen, Dürre. Nicht die Nähe Gotte ist es, die bedroht, sondern seine Entfernung.

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Aber im Gleichnis Jesu ist es anders. Dort heißt es, dass der Besitzer selbst den Winzern ein böses Ende bereitet. Ist also Jesu Botschaft bedrohlicher, als die des Propheten Jesaja? Schauen wir genauer hin: Wer sagt, dass sich der Besitzer so verhält? Es ist nicht Jesus. Es sind seine Zuhörer. Sie geben hier ihr Bild von Gott wieder. Und diese Zuhörer sind Jesu Gegner und Kritiker. Jesus hatte vorher von einem Gott gesprochen, der seine Sonne über Gute und Böse aufgehen und es über Gute und Böse regnen lässt; von einem Gott, in dessen Namen er auch am Sabbat heilt und Sünden vergibt; von einem Gott, den man im Gebet mit „Unser Vater" ansprechen darf. Und das wollten diese Gegner nicht akzeptieren; deshalb kritisierten sie Jesus. Er entgegnet mit dem Gleichnis von den bösen Winzern und fragt sie, wie sich der Gutsbesitzer wohl verhält. Es ist ihre Antwort, dass er die Winzer tötet und ihnen den Weinberg wegnimmt - jedenfalls hier bei Matthäus ist das so.[1] Können wir ihnen glauben? Haben sie Recht?

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Jesus zitiert den Psalm 118 und redet über den Stein, den die Bauleute verwarfen und der dann zum Eckstein wurde. Und dieser Stein wird anderen zum Verhängnis. Jesus endet wie seine Gegner, nur dass er sie nun direkt als die Pächter und Israel als den Weinstock identifiziert: „Das Reich Gottes wird euch weggenommen und einem Volk gegeben werden, das die erwarteten Früchte bringt." Offenbar hatten die Gegner Jesu Recht, sie hatten nur übersehen, dass dieses Urteil sie selber treffen würde. Es gab sogar eine kirchliche Auslegung dieser Stelle, die die Drohung des Gleichnisses durch die Geschichte bestätigt sah: Jerusalem wurde im Jahre 70 von den Römern zerstört und in der Folge zerstreute sich Israel in alle Winde. Bald darauf beginnt der historische Siegeszug der Christenheit, des neuen Volkes, dem das Reich Gottes gegeben sei.

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Liebe Gläubige,

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heute redet man natürlich nicht mehr so. Die Geschichte christlicher Judenfeindschaft und nationalsozialistischen Judenhasses hat uns gelehrt, dass ein solches Verständnis unsägliche Folgen haben kann. Und doch stellt sich die Frage: Wie ist es im Neuen Testament gemeint? Wenn nicht so, wie dann sollen wir den Ausspruch Jesu verstehen? Und wie sollen wir uns Gott denken - als den Rächer, als den ihn die Gegner Jesu sahen, oder doch anders?

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Die Antwort liegt im Fortgang des Lebens Jesu. Wenn wir dieses Gleichnis hören, dann merken wir ja sofort, dass es darin auch um Jesus geht. Er ist doch der Sohn des Weinbergbesitzers, der getötet wurde. Er ist aber auch der Stein, der von Menschen verworfen, doch von Gott zum Eckstein gemacht wurde. Kann man also wirklich sagen, dass die Zerstörung Jerusalems durch die Römer Gottes Antwort auf den Justizmord an seinem Sohn war? Wie ist denn die Reaktion Gottes auf Jesu Tod?

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Laut dem Neuen Testament reagiert Gott auf den Tod Jesu, indem er diesen toten Sohn wieder zum Leben erweckt. Gottes Reaktion auf den Mord an seinem Sohn sieht ganz anders aus als die des Weinbergbesitzers, eben deshalb weil die Macht Gottes unsere menschliche Vorstellungskraft unendlich übersteigt. Gott kann, was ein Weinbergbesitzer nicht kann: den Toten wieder lebendig machen und ihn sogar zu denen schicken, die ihn in der Stunde des Todes im Stich gelassen haben: den Jüngern. Ihnen spricht er den Frieden zu und beauftragt sie, diesen Frieden und die damit verbundene Vergebung weiterzutragen, auch zu jenen, die Jesu Feinde waren. Gottes Gerechtigkeit besteht nicht in Rache für die Täter, sondern in neuem Leben und Rehabilitierung für das Opfer; und seine Gnade bedeutet Vergebung selbst für die ärgsten Widersacher, wenn sie nur bereit werden, diese Vergebung anzunehmen, indem sie selber auch anderen vergeben.

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Wem wurde das Reich Gottes weggenommen und wem gegeben? Es ging nicht von den Juden zu den Christen, sondern es wurde all jenen weggenommen, die es als ihren verdienten Besitz ansehen und andere davon ausschließen wollen, weil sie glauben, der Herr dieses Reiches sei ein rächender Gott. Und es wurde allen gegeben, die es als unverdientes Geschenk für alle annehmen wollen und seinen Geber als großzügigen und barmherzigen Vater anerkennen. Der von den Bauleuten verworfene Stein hat das verkörpert: Gott als barmherzigen Vater und ein Reich Gottes, das niemanden ausschließt; nur jene, die meinen, dieses Reich gehöre ihnen schon automatisch und anderen nicht, die schließen sich selber aus.

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Diesen Stein wollten die Bauleute nicht einbauen in das Haus Gottes, er schien ihnen ungeeignet, denn er würde ihr ganzes Gebäude von Vorschriften, Gottesangst und Menschenüberforderung zum Einsturz bringen. Denselben Stein macht Gott zum Eckstein seines Hauses, das ein Gebäude von Liebesgeboten, Gottvertrauen und Barmherzigkeit mit der Schwäche der Menschen ist.

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Die Frohbotschaft des Gleichnisses von den bösen Winzern erschließt sich erst durch das Geheimnis von Tod und Auferstehung Jesu: Ja, der Vater hat die Welt so sehr geliebt, dass er - naiv, unvorsichtig? - sogar seinen Sohn gesandt hat. Und ja, die menschliche Verbohrtheit hat diesen Sohn getötet, wie es das Gleichnis sagt. Doch die Antwort Gottes ist eine Antwort, die unsere Vorstellungskraft aufsprengen will: eine Antwort der Liebe, die dem Sohn sein Leben in bisher ungekannter Fülle und Voll­en­dung wiederschenkt, und zwar jenem Sohn, der freiwillig in den Tod ging, um einen vergebungsbereiten Gott zu verkünden. Neu zum Leben erweckt, tut er genau das wieder: einen vergebungsbereiten Gott verkünden, und nun sogar für jene, die ihn getötet haben. Ihre Selbstgerechtigkeit und Arroganz müssen zerschellen an diesem Eckstein, aber das Reich Gottes wird allen gegeben, die sich an dieser Haltung seiner Versöhnungsbereitschaft orientieren. So ist es wahr, was Jesaja sagt: Nicht die Nähe Gottes bedroht uns Menschen, sondern seine Entfernung. Als wir Menschen Gott, den Sohn, endgültig von uns entfernen wollten, hat der Vater das nicht zugelassen, sondern ihn auferweckt und neu zu uns gesandt. Das ist das Geheimnis unserer Erlösung.

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[1] Bei den anderen Synoptikern spricht Jesus davon, dass der Herr die Winzer töten wird (vgl. Mk 12,9; Lk 20,16). Dies ändert aber nichts an der systematischen Deutung dieses Gleichnisses, die im Folgenden vorgestellt wird. Vgl. dazu Schwager, Raymund: Jesus im Heilsdrama. Entwurf einer biblischen Erlösungslehre. (Innsbrucker Theologische Studien 29). Innsbruck 21996, 174f., online: http://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/texte/212.html#686

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