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Mit Leib und Seele
(Mariä Aufnahme in den Himmel (2009))

Autor:Wandinger Nikolaus
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2008-08-20

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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(Offb 11,19a; 12,1-6a.10ab) 1 Kor 15,20-27a; Lk 1,39-56

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Liebe Gläubige,

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das heutige Hochfest der Aufnahme Mariens in den Himmel mit Leib und Seele gibt manchen von uns wohl einige Probleme auf. Die einen fragen sich, woher Papst Pius XII. das so genau wusste, dass er 1950 - also gerade mal vor 58 Jahren - gleich ein Dogma darüber erließ. Anderen macht eher der Inhalt Kopfzerbrechen: Warum eine Vorzugsbehandlung für Maria? Mit Leib und Seele im Himmel? Gerade wir heutigen wissen genau, dass wir einen Leib haben - dreht sich doch so vieles nur darum, wie wir ihn verschönern, gesund erhalten und seine Jugend verlängern können. Doch, ob wir eine Seele haben? Da werden viele unsicher. Woher wissen wir das? Und so stehen wir vor einem seltsamen Dilemma: dass Marias Seele im Himmel sein könnte, das kann man sich leicht vorstellen, aber wir sind uns nicht sicher, ob wir - und damit auch sie - überhaupt so etwas wie eine Seele haben. Wir sind ganz sicher, dass wir einen Leib haben, aber wie soll der im Himmel sein? Wo sollen wir also anfangen, das heutige Hochfest zu verstehen?

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Fangen wir damit an, dass diese Glaubensaussage am Beispiel Marias etwas über Gott und über uns Menschen aussagt, nämlich, dass Gott uns Menschen letztlich vollenden wird, dass er durch Christus den Tod als letzten unserer Feinde schon besiegt hat, auch wenn das erst am Ende der Zeiten an allen sichtbar wird. An der Mutter Jesu ist es schon sichtbar geworden, weil in ihr Gottes Gnade von Anfang an und in ganzer Fülle war und bewirkt hat, dass sie - nach und durch Christus - der vollkommene Mensch ist. Gott ist der Gott, der uns Menschen vollendet, uns zur Fülle dessen bringt, das wir sein können und sein dürfen. Und was sagt das heutige Fest über uns Menschen aus?

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Es sagt, dass unsere Vollendung nichts ausschließt, was wesentlich zu uns gehört, und zählt dazu Leib und Seele. Die Kirche glaubt an die Vollendung von Leib und Seele. Was heißt das aber? Fragen wir uns einmal, was unsere Leiblichkeit jenseits von Mode-, Kosmetik- und Gesundheitsindustrie für uns bedeutet, so können wir feststellen: über unseren Körper nehmen wir Beziehung zu unserer Umwelt und vor allem zu anderen Menschen auf. Wir werden nur zu dem oder der, die wir sind, weil wir in Beziehungen von Zuneigung, Freundschaft und Liebe leben. Und diese Beziehungen sind angewiesen auf einen körperlichen Ausdruck - nicht auf einen bestimmten Ausdruck, aber auf irgendeinen. Wer schon einmal erfahren hat, wie einem eine sanfte Umarmung die Angst nimmt oder wie einem eine streichelnde Hand Schutz und Geborgenheit schenkt; wer die wohligen Schauer kennt, die einem wunderbare Musik oder eine zärtliche Berührung bereiten können, der weiß, wie wichtig unsere Leiblichkeit für uns ist. Wir können ohne das am Leben bleiben, aber die Fülle des Lebens erreichen ohne das? Es wäre eher die Halbierung unseres Daseins, das zu verlieren.

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Und dennoch: Haben die alten Griechen nicht etwas Richtiges gesehen, wenn sie den Leib als Gefängnis der Seele betrachteten? Müssen wir nicht ehrlicherweise auch an Schmerz, Krankheit, Querschnittslähmung denken, wenn wir vom menschlichen Leib reden? Und gehören - leider aber realistischerweise - nicht auch Folter, Misshandlung und Missbrauch zu dem, was gerade wegen unserer Leiblichkeit uns betreffen und zerstören kann? Ist dieser Leib, der uns so viel leiden macht, denn überhaupt erlösungsfähig?

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Es gab Gruppierungen außerhalb und auch in der Kirche, die das verneinten, die glaubten, Erlösung heiße Befreiung aus dem Leib, nicht Verherrlichung des Leibes. So seltsam es uns anmuten mag, die Kirche hat dagegen einen langen und mühsamen Kampf gefochten, indem sie zuerst festhielt, dass Jesus, der Sohn Gottes, wirklich ein Mensch mit Leib und Seele gewesen ist, und dass deshalb der menschliche Leib an sich gut und erlösungsfähig ist. Er ist erlösungsbedürftig, nicht weil er ein Leib ist, sondern weil wir Sünder und Sünderinnen sind, und Erlösung brauchen. Gott hat uns und damit auch unseren Leib aber erlöst von allem, was ihn für uns zum Problem macht. Die Beziehungen aber, die uns mit ausmachen, die bleiben erhalten, und wenn auch alles, was wir erlitten - und was wir an Leiden verursacht haben -, geheilt und vergeben ist in einer universalen Versöhnung, dann sind auch wir vollendet - wie es Maria schon ist.

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Was aber ist nun mit der Seele? Wir werden ganz anders sein im Himmel - und doch werden wir dieselben sein. Ich werde Niki Wandinger sein und Sie alle werden Sie bleiben. Damit das möglich ist, muss es etwas geben, das in all den Veränderungen bestehen bleibt: ein Zentrum unserer Person, unserer Identität, das in all diese Beziehungen eingetreten ist und in ihnen steht. Dieses Zentrum nennt die Tradition „Seele". Unser Glaube sagt uns darüber hinaus, dass unsere Identität die einer einmaligen, unverwechselbaren, nach dem Ebenbild Gottes geschaffenen Person ist.

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Und so bedeutet die Aufnahme Mariens in den Himmel mit Leib und Seele nichts anderes als dass genau die Frau, die Jesus mit ihren Leib geboren, gestillt, gewickelt und erzogen hat, deren Berührungen ihm Geborgenheit und Liebe vermittelten, die seine Extravaganzen, sein Herumziehen und schließlich seinen fürchterlichen Tod mitgetragen hat und zu ihm gestanden ist ohne an Gott oder an ihrem Sohn irre zu werden, dass diese Frau als ganze Person mit all ihren Beziehungen von Gott vollendet wurde; und sie jetzt schon ganz vollendet ist, weil es an ihr nichts gibt, das erst noch versöhnt werden müsste. Sie ist schon ganz versöhnt - mit Gott, mit sich, mit allen Menschen, weil sie die Versöhnung, die Christus für die ganze Welt gewirkt hat, schon ganz nachvollzogen hat.

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Eine Vorzugsbehandlung? Das Dogma sagt nicht, dass nur Maria mit Leib und Seele im Himmel ist. Es sagt, dass wir es jedenfalls von ihr glauben sollen. Ich denke, wir dürfen glauben, dass sie dort nicht mit Jesus allein ist; dass alle dort sind, die schon ganz das Erlösungswerk Jesu nachvollzogen haben. In der alten Kirche hat man das selbstverständlich für die Märtyrer angenommen, also für Menschen, die für ihren Glauben Christus in den Tod gefolgt sind, und das in einer Haltung, die der Haltung Christi entsprach - Vergebung selbst für die, die sie verfolgt und getötet hatten. Kennen wir vielleicht auch Menschen, von denen wir meinen: Eigentlich könnten sie schon ganz vollendet sein? Das ist nicht so leicht, denn die meisten unserer Verstorbenen sind Menschen, die auch Fehler gemacht haben, die Leid in der Welt verursacht haben, das noch andauert, und das auch erst vergeben werden muss - nicht nur von Gott, sondern auch von denen, die daran leiden - von uns. Und wir tun uns oft so schwer mit dem Vergeben. Aber vielleicht gibt es den einen oder die andere, die schon ganz vollendet ist: gegen die man nichts mehr gerechterweise vorbringen kann, weil man alles schon vergeben hat; die alles, was sie vorbringen könnten, längst vergeben haben. Warum sollten diese dann nicht auch - wie Maria - mit Leib und Seele „im Himmel" bei Gott sein?

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Liebe Gläubige,

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um zum Schluss auf die Eingangsfrage zurückzukommen: woher wusste Pius XII. das? Glauben wir, dass Gott uns ganz erlöst, mit allem, was wesentlich zum Menschsein gehört, also Leib und Seele? Glauben wir, dass Maria, die Mutter Jesu, schon ganz erlöst ist, weil sie die Erlösung, die ihr Sohn gewirkt hat, ganz nachvollzogen hat? Was also sonst sollte unser Glaube sein? Papst Pius wusste nicht mehr als die Kirche, er hat nur sein Amt ausgeübt, diesen Glauben der Kirche, der schon seit dem 6. Jahrhundert bezeugt ist, verbindlich und unwiderruflich in Worte zu fassen.

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Feiern wir also dieses Hochfest, weil es vor allem ein Fest unserer Erlösung ist. Christus hat uns erlöst, mit Leib und Seele. Maria und alle ganz Versöhnten erleben diese Erlösung schon am eigenen Leib. Wir sind dazu eingeladen, wir sind dazu berufen. Danken wir dafür in der Eucharistie, in der wir Christi Tod und Auferstehung feiern.

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