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Vielen ist er zum Segen geworden - In memoriam Univ.-Prof. Dr. P. Lothar Lies SJ
(Ansprache des Dekans bei der Beerdigung von P. Lies am 6. Juni 2008 in der Jesuitenkirche)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriefak
Abstrakt:
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2008-06-09

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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"Sag ihnen, vor allem den Studierenden: Ich segne sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen ..." Dann schlief er ein. Am Montag, drei Tage vor seinem Tod, beim Abschied in der Klinik sagte ich zu P. Lies: "Jetzt muss ich zur Vorlesung gehen." Die darauffolgenden Segenswünsche waren seine letzten Worte, die er bewusst zu mir an die Adresse der Fakultät ‑ vor allem an die Adresse der Studierenden ‑ richtete. So weit ich mithören konnte, hat er sich auf ähnliche Weise an diesem Tag kurz vorher von P. Mühlsteiger und P. Kriegbaum verabschiedet. Der akademische Theologe, der sein Leben lang von der Anamnese und Epiklese, von Koinonia und Prosphora sprach: dem gedenkenden Erinnern der Kirche, ihrem Bitten und Lobpreisen, dem gemeinschaftlichen Dank und dem sich Darbringen, der Professor, der darin die Sinnstruktur des Segens, der Epiklese erblickte, dieser akademische Theologe verabschiedet sich in die Ewigkeit mit dem Segenswort. Ein Zufall oder ein Zeichen?

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Er ist zum Segen für viele geworden. Zuerst natürlich zum Segen seiner zahlreichen Schülerinnen und Schüler, die ‑ wie Magnifizenz, unser Universitätsrektor, und auch der Kirchenrektor bereits sagten ‑ in der ganzen Welt zerstreut sind. Etliche sind heute hierher gekommen, viele drückten bereits per e‑mail ihre Verbundenheit mit der Gemeinschaft aus, die mit und für P. Lies hier diese Eucharistie feierte. Eine Person aus diesem Kreis möchte ich namentlich erwähnen: Kollegin Silvia Hell. Sie war seine Diplomandin, seine erste Doktorandin und Habilitandin, jahrelang war sie seine Assistentin, dann nach und nach auch seine Kollegin im Fach Ökumenische Theologie. Sie hielt zusammen mit ihm ‑ hin und wieder auch an seiner Stelle ‑ Vorlesungen und Seminare. "Ich kann nicht sagen, welcher Teil von Ihnen ist und welcher von mir", sagte P. Lies einmal scherzhaft zu ihr im Hinblick auf das gemeinsame Buch "Heilsmysterium", das nach jahrelang gemeinsam gehaltener Vorlesung entstanden ist: ein bibliophiles Beispiel theologischer Perichorese. P. Lies ist Dir, liebe Silvia, zum Segen geworden. Deswegen trifft Dich sein Tod auf schmerzhafte Art und Weise. Dich und die vielen Studierenden, jene junge Menschen, die sich liebevoll lustig gemacht haben über seinen existentiellen Zugang zum Fach Heilsmysterium. "Wer bin ich? Wer liebt mich? Wer macht mich frei?", fragte immer und immer wieder P. Lies, und die Studierenden ergänzten den Fragenkatalog. Der Frage: "Wer macht mich frei?", fügten sie hinzu: "Und wer befreit mich von meinem Befreier?" Oder schlicht und einfach: "Wer macht mich verrückt?" Verrückt machte P. Lies seine Prüflinge an den Föhntagen. Die Studierenden hingegen machten ihn verrückt, wenn sie zu spät zu seiner Vorlesung kamen. Da konnte er ausrasten: "Das brauche ich mir nicht bieten zu lassen!", polterte er einmal den Hörerinnen und Hörern ins Gesicht, verließ knapp fünf Minuten nach dem Beginn der Vorlesung den Hörsaal und kehrte nicht mehr zurück. Die verblüfften Studierenden blieben fast 20 Minuten reglos im Hörsaal sitzen. Der Professor handelte sich eine sanfte Rüge des Dekans ein.

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Der Segen nahm bei ihm ganz konkrete und leibhaftige Formen an. Etwa die einer Katze, die P. Lies vor Jahrzehnten der Sekretärin Frau Löffler schenkte, nachdem ihre Katze tot und Frau Löffler untröstlich war. Ich selber werde auch die Lammkeule nicht vergessen, die P. Lies für alle Angehörigen des damaligen Institutes für Dogmatik und Fundamentaltheologie am Zenzenhof zubereitet hat anlässlich des 60. Geburtstags von P. Kern. Stolz und glücklich war er, weil diese Feier dann über Jahre hinweg den Höhepunkt der Feierkultur am Institut markierte und dies nicht nur deswegen, weil dort die Patres Rahner und Gutwenger (die keine Freunde waren) versöhnt miteinander plauderten, sondern eben wegen der Lammkeule von P. Lies. Der Segen hatte in seinem Leben immer etwas mit Essen und Trinken und Kochen zu tun. Vergnügt beobachteten Angehörige der Fakultät P. Lies und P. Kriegbaum im Supermarkt, tief über das Gewürzregal gebeugt und im Gespräch über das Würzen von Speisen vertieft! "Gott liebt den Leib", lautet der Titel eines Artikels von Lothar Lies.

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1976 kam der junge Origenesforscher (ausgewiesen durch seine Promotion "Wort und Eucharistie bei Origenes" ‑ eine Arbeit, die er unter der Leitung von Prof. Johannes Betz schrieb, seinem akademischen Lehrer, den er hochverehrte und dessen Bild in seinem Zimmer hängt) nach Innsbruck, wurde zuerst Assistent bei P. Vass, arbeitete an seiner Habilitationsschrift "Origenes' Eucharistieverständnis im Streit der Konfessionen. Die Auslegungsgeschichte seit der Reformationszeit", übernahm nach und nach unterschiedliche Vorlesungen in der Dogmatik (so etwa Trinitätslehre) und wurde 1983 zum Professor für Ökumenische Theologie ernannt. Der junge Dozent und Professor überraschte seine Hörerinnen und Hörer mit verblüffenden Assoziationen und Analogien. Seine Skizze, warum er denn an einen dreifaltigen, an einen liebenden Gott glaube, in dessen Gemeinschaft er sich auch integriert weiß, sich aber weniger der souveränen Macht eines ihm gegenüber stehenden Gottes unterwerfen möchte, begann er zu Beginn der 80er‑Jahre folgendermaßen: "Im Sommer 1982 brannte ich auf dem Zenzenhof ein Wespennest aus. Ich goss Heizöl in das Erdloch hinein und zündete es an. Es gab eine Stichflamme. Die Wespen außerhalb des Nestes, durch Instinkt gebunden, flogen immer tiefer das brennende Erdloch an und suchten Schutz. Und dies, bis sie, die Flügel verbrannt, selbst in die Flammen stürzten." Und nun der Vergleich zum Glauben: "Ich fürchte einen Gott ..., der alles egoistisch auf sich programmiert [hat], der zudem neidisch ist auf alle Freiheit, die ihm doch aus der Hand zu entgleiten scheint. Ein solches Gottesbild kann sich zu einem Alptraum ausweiten." Deswegen setzte P. Lies sich in seinem personal‑existentiellen Ansatz unermüdlich für ein Gottesbild ein, das den Menschen Konturen der Heimat vermittelt, einer Heimat, zu der man aus freier Entscheidung findet. Von den Sakramenten sprach er, sie wären Begegnungsräume. Die Begegnung selbst stellte er sich aber nicht nach den Maßstäben seiner Begegnung mit den Wespen am Zenzenhof vor. Er wollte sich geborgen wissen. "Vor einer Liebe, die nicht als Ich, sondern als Wir lebt ..., einer Liebe, die sich nicht zu einem _Ich' zusammendrücken lässt, sondern die von Ewigkeit ein Wir ist und bleibt ..., und die [sein] irdisches Ich zu einem menschlichen Wir umwandeln kann." Der Prozess der Umwandlung geschieht aber durch alle Lebensvollzüge.

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So verschlang auch der malende Professor, der seine Freude an Farben hatte, fortan Hunderte von Büchern. Die Zahl seiner Rezensionen in der "Zeitschrift für Katholische Theologie" nähert sich der Marke Tausend. Als Herausgeber der "Innsbrucker Theologischen Studien" redigierte er Dutzende von Bänden, schrieb selber etliche Bücher und Artikel. Er arbeitete unermüdlich, v.a. in der vorlesungsfreien Zeit. Zuerst am Zenzenhof, dann in Reith, dann in Außervillgraten ‑ seiner Wahlheimat. Je näher der Zeitpunkt der Emeritierung kam, umso stärker war seine Bindung an das Villgratental. Vermutlich auch deswegen, weil er in den Reformen der Universität im Kontext des UOG 93 und auch des UG 2002, weil er in der Neustrukturierung der Fakultät, v.a. aber in den neuen Studienplänen, keinen allzu großen Segen sah. Die Einsparung des Planpostens eines Professors für Ökumenische Theologie ‑ seines Planpostens ‑ im geltenden Universitätsentwicklungsplan hat ihn schmerzhaft getroffen. Mit der Linie der Entwicklung der Fakultät nicht einverstanden, distanzierte er sich in den letzten Jahren zunehmend vom fakultären Geschehen, nahm aber getreu seine Pflichten als Lehrer wahr ‑ vor allem als Begleiter von Dissertanten. Nach dem Ausbruch der Krankheit motivierte er sie und drängte sie dazu, die Arbeiten möglichst bald abzuschließen. Von Krankheit gezeichnet, korrigierte er unermüdlich die Entwürfe; der allerletzte Akt akademischer Betätigung war die Fertigstellung des Gutachtens für seinen ukrainischen Doktoranden Wladymyr ‑ knapp drei Wochen vor dem Tod.

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Lieber Lothar! Als Dekan der Fakultät möchte ich Dir für Deinen Einsatz danken. Du bist für die Fakultät zum Segen geworden, hast dem Namen der Fakultät weit über die Grenzen Österreichs hinaus zur Geltung verholfen: als Forscher, als akademischer Lehrer und als kirchlich engagierter Streiter in Sachen Einheit der Kirchen, als Mitglied des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen, des sog. Jäger‑Stählin‑Kreises (ein Zeichen der ökumenischen Wertschätzung seitens der Evangelischen Kirche ist die Anwesenheit der Superintendentin Mag. Luise Müller hier bei Deinem Begräbnis), als Konsultor der Stiftung "Pro Oriente", als Delegierter zu den Europäischen Ökumenischen Versammlungen (die letzte Versammlung in Sibiu im September stand ja an der Bruchlinie Deines Lebens; kurz davor kam die Krebsdiagnose; Du musstest deine Reise nach Sibiu absagen) hast Du dem Namen der Fakultät zur Geltung verholfen. Nicht zuletzt deswegen sind heute auch Kollegen aus der akademischen Welt hier: die Dekane der Fakultäten aus Brixen in Südtirol und aus Salzburg, der Rektor der Hochschule aus München, die Vertreter der Fakultät aus Graz, die Rektorin der kirchlich‑pädagogischen Hochschule Edith Stein.

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Du bist der Fakultät zum Segen geworden. Freilich hat der Segen, der durch menschliche Freiheit Gestalt gewinnende menschliche Segen, oft kantige Formen. Er schützt nicht vor Konflikten und bietet auch nicht einen geradlinigen Weg an in Richtung Zukunft. Deswegen war Dein Weg mit der Fakultät auch von Konflikten gezeichnet, vielleicht auch von manchen Unversöhntheiten. So unterschiedlich Dich die Kolleginnen und Kollegen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fakultät in Deiner Position und in Deinem Engagement für die Sache "Innsbrucker Theologische Fakultät" erlebt haben, alle stimmen darüber überein: Du warst ein humorvoller Mensch, einer der begeistern konnte, einer der leidenschaftlich unterwegs war. "Da liegt der Hund begraben!", hast Du einmal ausgerufen, indem Du bei der Vorlesung auf die Tafel schlugst. Dort stand vermutlich geschrieben: "Eulogie!" Du schlugst so kräftig mit der Faust drein, dass die Tafel zersprang!

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"Zu wem werden wir Menschen, die wir uns in der Zeit entscheiden, in der Ewigkeit?", fragst Du in deinem letzten Buch "Mysterium vocationis", dem Buch, das in diesem Jahr erschienen ist. Die Antwort wird mit dem Hinweis auf die Beheimatung in der Liebe des dreifaltigen Gottes angedeutet! Der letzte Beitrag des Buches thematisiert noch einmal das existentielle Anliegen des Origenesforschers (und so schließt sich der Kreis). Schon mit dem großen Origeneskongress, den Du in den 80ern nach Innsbruck brachtest, hast Du die Hoffnung auf die kirchliche Rehabilitierung des großen Alexandriners verbunden. "Origenes defensus" soll nun die Spiritualität und Tugenden des Origenes als die des Jesuiten glaubwürdig machen. Immer schon wolltest Du dem kirchlich umstrittenen ‑ gar als Häretiker verworfenen Dogmatiker ‑ hier auf Erden in den (für den akademischen Kontext doch nicht ganz unwichtigen) Status eines Heiligen erheben. Da ist der Papst Dir nicht gefolgt (aber er hat Dir immerhin den Orden "Pro Eclesia et Pontifice" verliehen). Nun, da Du Dich segnend in die Ewigkeit von uns verabschiedet hast, weißt Du besser als der Papst, wie es um Origenes steht und auch um die ewige Heimat. Auch Du hast schon Anteil an der alles umwälzenden Erfahrung der Dogmatiker, wenn sie ins Jenseits kommen und feststellen müssen: "totius alius!" ‑ alles ganz anders! Weil der Himmel vermutlich weder ein überdimensionales Lager mit kugelförmigen Leibern ist ‑ wie Origenes es erwog und Du auch Deine Freude an dieser Vorstellung hattest ‑ noch die Stichflamme, die der Vollendung entgegeneilende Menschen wie Wespen anzieht. Und wie das mit der Sinnstruktur des Segens in der Ewigkeit ist, der Eulogie, das wollen wir jetzt auch nicht mehr entscheiden. Du hast uns vor dem Tod gesegnet, und wir segnen Dich jetzt an Deinem Sarg stehend! Lieber Lothar, als Dekan sage ich Dir im Namen der ganzen Fakultät: Vergelt's Gott!

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