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Von der heiligen Kirche zur Gemeinschaft der Heiligen

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:Predigt zu Allerheiligen und Allerseelen, gehalten am 1. November 2007 um 11 Uhr in der Jesuitenkirche im Rahmen der Reihe der Universitätspredigten zum Thema "Christliche Gemeinde - Annäherung und Zugänge"
Publiziert in:Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2007-11-06

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Nicht einmal Hollywood mit all seiner Technik vermag dieses Szenario ins Bild zu setzen: Eine große Schar aus allen Nationen; niemand kann sie zählen. Menschen aller Rassen und Sprachen, aller Schichten und Gruppen, jene, die gelebt haben, bevor sie starben. Sie alle sind nun in dieser Kirche zusammen mit uns versammelt. In der unüberschaubaren Menge soll das Herz ruhig all jene Menschen entdecken, die ihm wichtig waren: Mutter und Vater und das Kind..., die Freundin, den Lebensgefährten und all die Bekannten. Je älter ich werde, umso mehr Menschen habe ich dort... Drüben: Jenseits der Grenze des Todes.

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Keine Bange, liebe Schwestern und Brüder, ich habe nicht vor, Sie zu einer spiritistischen Sitzung zu verführen, und ich bin noch nicht ganz psychiatriereif. Selbst dann, wenn ich allen Ernstes den ganzen Himmel und auch das traditionelle Fegefeuer hier mitten unter uns zu verorten suche. Die Verstorbenen, unsere Freunde und Bekannten, aber auch die uns Fremden, die von allen Vergessenen und gar die Feinde... sie sind alle da! Und warum? Weil sie sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen wollen, die Werke für Violine und Orgel von Josef Reinberger und die Frau Merth und den Herrn König zu hören? Oder die Chance nutzen, einen Qualitätsgottesdienst in der Innenstadt von Innsbruck zu besuchen, die Gemeinschaft von so vielen Frauen und Männern zu genießen, jener, die anstatt an einem so schönen Spätherbsttag in die Berge zu gehen, mit Lust und Freude zur Kirche kamen - und dies zur besten Tageszeit - und beten und singen, damit auch den Glauben bezeugen und die Hoffnung pflegen, Hoffnung darauf, dass dieses Leben nicht die letzte Gelegenheit sei, etwas zu leisten, etwas zu erleben, sich also Gelassenheit leisten ... und die Muße? Oder sind die Toten hier, weil sie sich die Predigt von Niewiadomski nicht entgehen lassen wollen? ("Jetzt schnappt er doch über!", werden sich einige von Ihnen denken.) Jein! Und das gilt nicht mir und meinem Geisteszustand. Das ist die teilweise bejahende Antwort auf die Frage nach dem Grund, warum der Himmel und das Fegefeuer hier und jetzt zu Gast sind.

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Die Verstorbenen sind hier zu Gast, weil die Kirche eine Gemeinschaft ist..., eine Gemeinschaft, die die Grenze des Todes zwar kennt, diese auch ganz schmerzlich wahrnimmt. Eine Gemeinschaft aber, die diese Grenze eigentlich schon überwunden hat. So ganz am Rande gesagt: Wussten Sie schon, dass Sie - sofern Sie getauft sind, getauft auf den Tod Christi - eigentlich schon gestorben sind? Gestorben mit Christus! Dass Sie also im Grunde schon drüben sind. Dass der biologische Tod und die Bedrängnis und die Angst und auch der Lebensstress, dass all das uns eigentlich nichts mehr antun kann? Weil die Würfel schon gefallen sind! Weil Christus in seinem Tod so tief fiel, wie kein Mensch in seinem Leben und Sterben zu fallen vermögen wird! Er, der sich mit dir und mir und auch mit dir in der Taufe verbunden hat, so verbunden, dass keiner von uns aus dieser Beziehung herausfallen kann, ganz gleich, was er tut oder auch unterlässt. Wussten Sie das? Nicht einmal der biologische Tod vermag uns zu scheiden aus dieser Gemeinschaft.

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In Christus also sind wir verbunden, verbunden auch oder gerade mit den Toten. Verbunden in Christus, nicht aber im Hinterzimmer eines obskuren Hotels bei einer spiritistischen Sitzung. Verbunden in Christus, aber nicht primär am Friedhof am offenen oder geschmückten Grab. Verbunden durch Christus, aber nicht durch die Lektüre einer Todesanzeige in der Tageszeitung beim Frühstück. Weil wir alle in Christus verbunden sind, ist - so unser Glaube - die heilige Kirche eine Gemeinschaft der Lebenden und der Toten. Dies ist keine inhaltsleere Floskel. Lebendig gehalten vermag auch dieser Glaube Berge zu versetzen. Vor allem jene Barrieren, die permanent jenseits des Todes errichtet werden. Was soll das heißen? Schauen Sie: Wie viele Menschen verfluchen die Toten, und dies tagtäglich? Wie oft wird den Toten ihre Ehre geraubt? Wie oft werden sie in den Dreck gezogen? Skandalgeschichten sind immer noch eines der beliebtesten Bindemittel gerade über die Gräber hinweg. Wie viele Menschen tun sich schwer mit Versöhnung, und dies gerade mit jenen Menschen, mit denen sie jahrelang Seite an Seite gelebt haben. Selbst dann, wenn sie Blumen am Grab pflegen und diese gießen und gießen und gießen, damit der Sarg möglichst schnell verfault. Ob wir es wollen oder nicht: Wir errichten Zäune und Barrieren. Wir schütten Berge auf, Berge, durch die gar jene Toten voneinander geschieden werden, die auf demselben Friedhof begraben liegen. Natürlich gibt es auch die Gegengeschichte. Wie viele beten für die Toten und tun Gutes an deren statt. Ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht: Durch ihr Tun tragen diese Menschen zum Abbau von Barrieren bei, durch ihren Glauben versetzen sie die Berge, gerade die Berge jenseits des Todes.

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Fragen wir uns ehrlich: Geht all unser Tun, das Tun, das unsere Toten berührt, ins Leere? Das Fluchen und das Gebet und die guten Werke? Wenn dies der Fall sein sollte, wenn sich die Toten ins Nichts aufgelöst haben, dann stellen der Allerheiligentag und Allerseelen den Inbegriff des Wahnsinns dar. Dann gehören eigentlich alle, die an diesen Tagen zum Friedhof gehen, alle, die ihre Zeit, ihre Aufmerksamkeit und ihr Geld für die Toten investieren, dann gehören sie alle psychiatriert. Gerade an einem Tag wie heute ist es gut, sich diese fundamentale Wahrheit klar vor Augen zu führen: Mit jedem kleinen Zeichen, das wir im Glauben an unsere Toten setzen, bezeugen wir, dass die Grenze des Todes keine endgültige Grenze ist.

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Und wenn dies der Fall sei, dann wird die Frage, was denn die Toten für uns tun, unabweisbar. Auch in dieser Richtung gibt es aber Ambivalenzen. Tausende, Abertausende von Menschen sind fest davon überzeugt, dass sich die Toten rächen können, dass sie als Gespenster unseren Alltag stören. Andere halten so etwas für Humbug, haben aber eine überzeugende Alternative, um sich mit den Toten zu versöhnen, verdrängen deswegen auch den Tod und versuchen die Toten auch zu vergessen. Wenn die Grenze des Todes keine endgültige Grenze ist, mit welchem Fahrzeug kann sie überschritten werden? So überschritten, dass die Fahrt selber beiden den Segen bringt: den Lebenden und den Toten!

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Liebe Schwestern und Brüder, so paradox es klingen mag, das beste Fahrzeug und die vernünftigste Alternative ist immer noch im Glauben der Kirche zu finden: Die Kirche ist eine Gemeinschaft der Lebenden und der Toten und die Kirche ist heilig, deswegen auch auf die Versöhnung hin ausgerichtet. Heilige Kirche? "Um Gottes willen!", wird der Zeitgenosse im Zeitalter der Skandale einwenden. Ja! Die Kirche ist heilig, aber nicht deswegen, weil wir alle scheinheilig sind. Uns belügen und die potenzierte Lüge einen heiligen Raum schafft. Nein! Unter Christen findet man brave und korrupte Menschen, Sünder und Halbheilige. Noch nie hat die Kirche es gewagt, einen lebendigen Menschen heilig zu sprechen und sie wird es auch nie tun - im Unterschied zu unseren unfehlbaren Gazetten, die so etwas immer wieder tun. Noch nie hat die Kirche einen Toten verflucht, indem sie ihn als Verdammten in der Hölle identifiziert hat - auch hier im Unterschied zu Verteufelungsaktionen der Medien. Die Kirche war nämlich nie, ist nie und wird nie eine Kirche der Heiligen sein. Sie ist aber eine heilige Kirche und als solche auch das beste Fahrzeug zur Grenzüberschreitung der Grenze zwischen den Toten und den Lebenden. Sie ist heilig, weil Christus und weil der Hl. Geist sie unablässig heiligen. Und weil durch Christus und im Geist all jene, die in Christus verbunden sind, ihren Beitrag zur Entgiftung des Lebens leisten können, zum Abbau der Barrieren, zum Versetzen der Berge: Diesseits und jenseits des Todes.

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Sie alle leisten diesen Beitrag, indem Sie stellvertretend füreinander beten, Gutes tun und einander Vergebung schenken. Gemäß dem katholischen Glauben überschreitet dieses stellvertretende Handeln die Grenze des Todes. Und der Ort, an dem sich die Überschreitung verdichtet, ist die Eucharistiefeier. Deswegen glauben wir, dass der Himmel und das Fegefeuer, dass Menschen, die bereits vollendet sind, und jene, bei denen die Versöhnung noch aussteht - weil entweder sie selber oder aber die Ihrigen sich der Versöhnung verweigern -, dass diese Verstorbenen im Raum der heiligen Kirche gemeinsam mit Lebenden in Richtung Vollendung unterwegs sind. Wir beten also für die Toten und glauben, dass unsere Toten auch für uns beten und für uns den Segen erbitten, uns gar den Himmel offenhalten: gerade dann, wenn uns die Decke auf den Kopf fällt. Dass ein solcher Glaube zur Bewältigung des Lebens gerade diesseits des Todes wichtig ist, habe ich selber in meinem eigenen Leben erfahren.

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Als meine Mutter starb, war ich gerade zwölf Jahre alt. Eine alte Frau aus dem Dorf nahm mich am Friedhof bei der Hand und sagte: "Brauchst keine Angst zu haben. Jetzt wird die Mutter auf dich schauen. Vom Himmel aus!" Das Vertrauen darauf, dass die Toten, die mir wichtig waren, mir den Himmel offenhalten, gerade dann, wenn mir die Decke auf den Kopf fällt, hat einiges an Brüchen in meinem Leben geheilt und mir über etliche Sackgassen hinweggeholfen.

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Der langen Rede kurzer Sinn: Die heilige Kirche ist eine Gemeinschaft, die die Grenze des biologischen Todes überschreitet, weil sie unterwegs ist zur Gemeinschaft der Heiligen. Und diese wird die Kirche erst dann werden, wenn unsere Toten und wenn wir alle in Gott vollendet werden. "Freut euch und jubelt!", ruft uns das Evangelium zu. Freuen wir uns also und jubeln, weil unser Leben eine klare und eindeutige Richtung, ein Hoffnung erweckendes Ziel hat. Und dies heißt: Communio sanctorum - Gemeinschaft der Heiligen!

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