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Einige Beobachtungen zur ‚Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa’ / GEKE (ehemals: Leuenberger Kirchengemeinschaft)

Autor:Hell Silvia
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2006-12-07

Inhalt

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Am 1. Jänner 2007 wird das Sekretariat der GEKE von Berlin nach Wien übersiedeln. Generalsekretär wird OKR Dr. Michael Bünker. Ich nehme dieses Ereignis zum Anlass, mir Gedanken über die GEKE zu machen.

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I. Charakterisierung

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Die Bezeichnung „GEKE” gibt es erst seit dem 31. Oktober 2003. Damit wird von nun an die Leuenberger Kirchengemeinschaft bezeichnet.

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Der GEKE gehören mittlerweile laut neuestem Folder 104 Kirchen an: (1) lutherische, reformierte und unierte Kirchen, aber auch sog. vorreformatorische Kirchen wie Hussiten und Waldenser, weiters fünf protestantische Kirchen in Südamerika, die sich aus früheren Einwandererkirchen entwickelt haben. Seit 1993/1997 gehören der GEKE auch die Methodisten an und seit 2001 die Dänische Evangelisch-Lutherische Volkskirche, die damals zwar die Leuenberger Konkordie nicht unterzeichnet hat, aber bereits seit 1975 als „beteiligte Kirche” der Leuenberger Kirchengemeinschaft angehört.

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Grundlage ist die Leuenberger Konkordie (= LK), die 1973 auf dem Leuenberg bei Basel verabschiedet wurde. In der Leuenberger Konkordie geht es um folgende Schwerpunkte: Schriftverständnis, genauer: um das gemeinsame Verständnis des Evangeliums, um Abendmahl, Christologie und Prädestination. Das gemeinsame Verständnis des Evangeliums wird in der Rechtfertigungsbotschaft gesehen. Von dort aus werden Linien zu Abendmahl, Christologie und Prädestination gezogen.

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Mit der Annahme der Konkordie gewähren die Kirchen einander Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft und erkennen gegenseitig die Ordination an, was die Möglichkeit zur Interzelebration einschließt. „Die Konkordie läßt die verpflichtende Geltung der Bekenntnisse in den beteiligten Kirchen bestehen. Sie versteht sich nicht als ein neues Bekenntnis. Sie stellt eine im Zentralen gewonnene Übereinstimmung dar, die Kirchengemeinschaft zwischen Kirchen verschiedenen Bekenntnisstandes ermöglicht” (LK Nr. 37). Die damaligen Lehrverurteilungen, die die Abendmahlslehre, die Christologie und die Lehre von der Prädestination betroffen haben, treffen laut Konkordie und den in ihr geäußerten Übereinstimmungen nicht mehr zu. Kirchengemeinschaft wurde damit möglich. „Auf der Grundlage des darin [in der Leuenberger Konkordie] dargelegten gemeinsamen Verständnisses des Evangeliums gewähren die Unterzeichnerkirchen einander Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft. Sie verpflichten sich ferner zu gemeinsamem Zeugnis und Dienst sowie zur theologischen Weiterarbeit.” (2) Kontinuierliche Lehrgespräche werden in der Leuenberger Konkordie ausdrücklich als Verpflichtung genannt (LK Nr. 37). Alle sechs bis sieben Jahre gibt es eine Vollversammlung, bei der die anstehenden Lehrgesprächsthemen festgesetzt werden. (3)

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Aus den Lehrgesprächen sind bedeutende Studien hervorgegangen: „Die Kirche Jesu Christi” (1994), „Kirche und Israel” (2001) und „Kirche - Volk - Staat - Nation“ (2001) - alles Studien, die sich die Vollversammlungen 1994 und 2001 einmütig zu eigen gemacht haben. Mit der Studie „Die Kirche Jesu Christi” (4) wurde „zum ersten Mal eine gemeinsame Selbstbesinnung der reformatorischen Kirchen in Europa über die Kirche und ihren Auftrag” (5) vorgelegt.

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II. Ekklesiologische Implikationen der Studie „Die Kirche Jesu Christi” (Wien, 3.-10. Mai 1994)

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Der Untertitel der Studie lautet: „Der reformatorische Beitrag zum ökumenischen Dialog über die kirchliche Einheit”. Die Studie enthält drei Kapitel: „Das Wesen der Kirche als Gemeinschaft der Heiligen” (I.), „Die Gemeinschaft der Heiligen in der Gesellschaft der Gegenwart” (II.) und „Die Einheit der Kirche und die Einigung der Kirchen” (III.).

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 Ich frage im folgenden nach den ekklesiologischen Implikationen der Studie.

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1. Erkennbarkeit als Kirche Jesu Christi

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Gleich zu Beginn der Studie wird gesagt, dass die Kirchen deutlich machen müßten, woran sie als Kirche Jesu Christi erkennbar seien. (6) Für evangelische Kirchen gehören dazu das gemeinsame Verständnis des Evangeliums und die beiden Sakramente, Taufe und Abendmahl. Ausgangspunkt ist die Rechtfertigungsbotschaft - die Botschaft von der Rechtfertigung des Gottlosen.

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Eine Unterscheidung zieht sich in der Studie durch: nämlich die zwischen „Grund”, „Gestalt” und „Bestimmung” der Kirche.

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Der Grund der Kirche ist laut Studie „das Handeln Gottes zur Erlösung der Menschen in Jesus Christus” (7) . Gott selbst wird als Subjekt dieses Grundgeschehens bezeichnet. Die Kirche ist folglich Gegenstand des Glaubens.

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Vom Grund der Kirche unterscheidet sich die Gestalt. Gemeint ist damit die geschichtliche Ausformung von Kirche. „Die eine geglaubte Kirche (Singular) ist in unterschiedlich geprägten Kirchen (Plural) verborgen gegenwärtig.” (8)

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Als Bestimmung der Kirche gilt ihr Auftrag, nämlich „der ganzen Menschheit das Evangelium vom Anbruch des Reiches Gottes in Wort und Tat zu bezeugen” (9) .

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Dass Menschen zur Gewißheit des Glaubens gelangen, ist nicht menschliches Verdienst und geht nicht auf menschliches Handeln zurück. Es ist allein Gott, der das bewirkt. Er gebraucht das Handeln der Kirche als sein Instrument (10) . Das heißt aber nicht, so betont die Studie, dass die Kirche Gottes Handeln in Schöpfung, Versöhnung und Vollendung stellvertretend wahrnehmen und weiterführen könnte. (11) Die Kirche kann nur von sich wegweisen - hin auf das rechtfertigende Handeln Gottes. Die Kirche steht in Verantwortung, „glaubwürdig, sachgerecht und einladend die Gnade Gottes als Heil der Welt zu bezeugen“ (12) . Und nochmals: „Die Praxis der Kirche wird glaubwürdig, wenn das Leben der Kirche in all seinen Vollzügen Hinweis auf Gott ist.“ (13) Das Handeln der Kirche wird auf diese Weise einbezogen in das Handeln des dreieinen Gottes, ohne in Konkurrenz zum Handeln Gottes zu treten.

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Die Kirche ist „die durch den heiligen Geist durch Wort und Sakrament gegründete Gemeinschaft der Glaubenden” und zeichnet sich durch die in den Glaubensbekenntnissen der alten Kirche festgehaltenen Wesensmerkmale aus: Die Kirche „ist in allen Kirchen die eine, heilige, katholische (allumfassende), apostolische Kirche”. (14) Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität werden als „die Eigenschaften der geglaubten Kirche” (15) bezeichnet.

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Die Einheit der Kirche sieht die Studie in der Einheit ihres Ursprungs begründet. Einheit wird nicht als ein „von den Christen und den Kirchen durch ihr Handeln erst noch zu verwirklichendes Ideal“ angesehen, sondern als etwas, das den Christen und Kirchen „als Werk Gottes vorgegeben“ ist. (16) Aufgabe der Kirchen sei es, von diesem Grund ihrer Gemeinschaft in der Verschiedenheit ihrer geschichtlichen Gestalten Zeugnis zu geben.

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Die Heiligkeit der Kirche geht auf die Heiligkeit ihres Ursprungs zurück. Die Kirche ist heilig, weil Gott sie heiligt. Sie ist die Gemeinschaft gerechtfertigter Sünder. Die Kirche selber hat Anlaß, ihre Schuld zu bekennen, „sich als ‚größte Sünderin‘ (M. Luther) zu wissen“ (17) .

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Die Katholizität der Kirche begründet die Studie ebenfalls mit ihrem Ursprung. Weil das Leben der Kirche Gemeinschaft mit dem dreieinen Gott bedeutet, deshalb darf die Kirche niemanden ausgrenzen. „In ihrer Katholizität ist die Kirche die Verheißung einer alle Menschen umfassenden Gemeinschaft.“ (18)

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Auch die Apostolizität der Kirche begründet die Studie mit deren Ursprung. Das Fundament der Kirche ist das von den Aposteln bezeugte Evangelium. Zu diesem apostolischen Zeugnis muss die Kirche stets zurückkehren. Die Apostolizität der Kirche verwirklicht sich als successio fidelium. Die successio fidelium schließt die successio ordinis nicht aus, sondern bedingt sie vielmehr. Allerdings wird gleich kritisch angemerkt, dass die historische Kontinuität der Sukzession im bischöflichen Amt die Apostolizität der Kirche nicht garantiere. (19)

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2. Geglaubte Kirche und sichtbare Wirklichkeit der Kirchen

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Die Kirche wird typisch reformatorisch als „Geschöpf des Wortes Gottes” bezeichnet: „Die Kirche gründet in dem Wort des dreieinigen Gottes. Sie ist Geschöpf des zum Glauben rufenden Wortes, durch das Gott den von ihm entfremdeten und ihm widersprechenden Menschen mit sich versöhnt und verbindet, indem er ihn in Christus rechtfertigt und heiligt, ihn im Heiligen Geist erneuert und zu seinem Volk beruft.” (20)

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Die Wesenseigenschaften, die in den Glaubensbekenntnissen der alten Kirche ihren Niederschlag gefunden haben, werden in der Studie aufgegriffen und jeweils, wie oben ausgeführt, entfaltet. Die Studie bekennt sich zu der einen, heiligen, katholischen (allumfassenden) und apostolischen Kirche. Die Studie bekennt damit zweierlei: zum einen die Kirche als Gegenstand des Glaubens, zum anderen die Kirche als sichtbare Gemeinschaft. Die geglaubte Kirche hat mit dem Grund von Kirche (= Gott) zu tun, die sichtbare Kirche mit Erkennungsmerkmalen von Kirche. Beteuert wird, dass die Unterscheidung zwischen geglaubter und sichtbarer Kirche nicht identisch ist mit der Unterscheidung zwischen wahrer und falscher Kirche. Ob eine Kirche als wahr oder falsch zu bezeichnen ist, hat mit ihrer Sichtbarkeit zu tun. Nicht jede Gestalt von Kirche (gehört zur Sichtbarkeit von Kirche) ist wahrer Ausdruck der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche. Es gibt für die Kirche Erkennungszeichen. Nach reformatorischer Auffassung gehören dazu primär die reine Predigt des Evangeliums und die einsetzungsgemäße Feier der Sakramente. Wort und Sakramente werden als „die ursprünglichen und elementaren Kennzeichen der wahren Kirche“ (21) bezeichnet. Über diese hinaus haben bereits die Reformatoren weitere Kennzeichen genannt, in denen sich Gottes Gnade vergegenwärtige (22) . Weitere Kennzeichen sind Kennzeichen des christlichen Lebens. Diese können jedoch nicht als die eigentlichen Kennzeichen der wahren Kirche angeführt werden, (23) weil sie nicht so eindeutig sind wie diese (die eigentlichen Kennzeichen der Kirche) und weil jene (die Kennzeichen des christlichen Lebens) in die Verantwortung der einzelnen Glieder gehören. „Um der Klarheit willen muß also unterschieden werden zwischen den Kennzeichen des christlichen Lebens und den Kennzeichen der wahren Kirche, d.h. Wort und Sakrament.” (24)

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3. Zeugnis und Dienst als Kennzeichen der Kirche

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Zeugnis und Dienst werden nicht nur als Kennzeichen des christlichen Lebens bezeichnet, sondern als Kennzeichen der Kirche insgesamt. In diesem Kontext geht die Studie auf das Thema „Amt und Ämter” ein. Die auf der Vollversammlung in Straßburg (1987) entgegengenommenen Thesen zur Amtsdiskussion heute (die sog. „Tampere”-Thesen) werden in Erinnerung gerufen. (25) Ausdrücklich wird gesagt, dass das ordinierte Amt zum Sein der Kirche gehört. Allerdings wird gleich eingeräumt, dass die Aufgabe der Verkündigung des Wortes und des rechten Gebrauchs der Sakramente nicht nur dem ordinierten Amt zukomme, sondern der ganzen Gemeinde. Letzteres geht laut Studie aus der Bedeutung des allgemeinen Priestertums hervor. Für die ständige und öffentliche Verkündigung des Evangeliums und für die Wahrung der rechten Lehre werden allerdings Personen ausgewählt und ordiniert. Die ausgewählten und ordinierten Personen bleiben stets auf das allgemeine Priestertum der Gemeinde angewiesen, wie auch die Gemeinde angewiesen bleibt auf den besonderen Dienst der Verkündigung des Wortes und der Austeilung der Sakramente.

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Unter den Aufgaben des Amtes kommt dem Leitungsdienst (der Episkopé) eine besondere Bedeutung zu. Die Leitung gehört neben anderen Aufgaben zum ordinierten Amt, kann aber laut Studie durchaus auch durch andere Dienste geschehen. Hinzu kommt, dass der Leitungsdienst in den Kirchen unterschiedliche Strukturen entwickelt hat: zum einen solche, in denen die Kontinuität mit dem historischen Amt des Bischofs betont wird (wie besonders in Skandinavien), zum anderen solche, die einer presbyterial-synodalen Ordnung verpflichtet sind. Trotz der unterschiedlichen Ausprägung des Leitungsdienstes gebe es für die an der Leuenberger Konkordie beteiligten Kirchen Übereinstimmungen: Erstens werde der Dienst der Episkopé als Dienst des Wortes für die Einheit der Kirche aufgefasst, und zweitens bestehe Übereinstimmung darin, dass auch nichtordinierte Glieder der Gemeinde an der Leitung der Kirche teilhaben. (26) Gemeinsamer Tenor ist: Keine einzelne, historisch gewordene Form von Kirchenleitung und Amtstruktur kann oder darf „als Vorbedingung für die Gemeinschaft und für die gegenseitige Anerkennung” (27) gelten. In diesem Zusammenhang wird an die Unterscheidung zwischen Grund und Gestalt erinnert. Die Unterschiede, so wird ausdrücklich gesagt, tangieren nicht die Kirchengemeinschaft in Wort und Sakrament, sondern nur die Gestalt der Kirche. (28) Dass es ein geordnetes Amt der öffentlichen Wortverkündigung und der Darreichung der Sakramente braucht, muss unumstritten feststehen. Wie allerdings dieses Amt „wahrgenommen und ausgstaltet wird” ist „vielfältig”. (29) „In diesem Sinn kann sowohl das (historische) Bischofsamt als auch das gegliederte Amt in einer synodal-presbyterialen Ordnung als Dienst an der Einheit gewürdigt werden.” (30)

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4. Das zugrundeliegende Einheitsverständnis

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Die Einheit wird ganz im Sinne der Augsburger Konfession (CA 7) beschrieben: „Nach reformatorischer Einsicht ist...zur wahren Einheit der Kirche die Übereinstimmung in der rechten Lehre des Evangeliums und in der rechten Verwaltung der Sakramente notwendig und ausreichend.” (31) Das heißt konkret: „Damit Gemeinschaft an Wort und Sakrament möglich wird, bedarf es einer Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums.” (32) Dieser Grundkonsens beinhaltet ein Zweifaches: zum einen die gemeinsame Formulierung des rechten Verständnisses des Evangeliums, die als Botschaft vom rechtfertigenden Handeln Gottes in Christus durch den Heiligen Geist verstanden wird, zum anderen die gemeinsame Überzeugung, „dass ‚die Rechtfertigungsbotschaft als die Botschaft von der freien Gnade Gottes Maßstab aller Verkündigung der Kirche ist’” (33) .

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Die Unterscheidung zwischen Grund und Gestalt der Kirche wird aufgegriffen: Es gibt Punkte, in denen eine volle Übereinstimmung nötig, und Fragen, wo eine „legitime Vielfalt(34) möglich ist. Als Beispiel dafür wird das Amtsverständnis angeführt: Die Einsetzung des Amtes von Seiten Christi muss feststehen; die Gestalt des Amtes aber kann unterschiedlich aussehen. Das betrifft nicht nur die Ämter, sondern generell die Strukturen der Kirche. Kirchengemeinschaft werde durch eine verschiedene Ausgestaltung nicht in Frage gestellt.

32
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Von der legitimen Vielfalt zu unterscheiden sind jedoch kirchentrennende Differenzen. Darunter fallen Differenzen, „die das gemeinsame Evangeliumsverständnis betreffen“ (35) . Ihr kirchentrennender Charakter bedarf der Überwindung. Zu prüfen ist, ob unterschiedliche Lehrgestalten trotz Verschiedenheit das gemeinsame Evangeliumsverständnis beinhalten. Ist dies der Fall, dann sind laut Studie die Verschiedenheiten kein Grund mehr für Kirchentrennung. Die Studie fasst dies mit dem Begriff „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ (36) zusammen.

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III. Kritische Wertung

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Kritik gibt es an dem der Studie „Die Kirche Jesu Christi” zugrundeliegenden Modell sowohl innerhalb als auch außerhalb der Leuenberger Kirchengemeinschaft.

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1. Kritik innerhalb

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Die Studie „Die Kirche Jesu Christi“ führt selber Kritik an: „Eine gewisse strukturelle Schwäche der Leuenberger Gemeinschaft“ (37) habe das Bemühen um Gemeinsamkeit in Zeugnis und Dienst angesichts der Herausforderungen unserer Zeit schwierig gemacht. Die Wichtigkeit dieses Auftrags wurde zwar erkannt, konnte aber bislang weitgehend nicht in die Tat umgesetzt werden.

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2. Kritik von außen

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Erstens: Aus römisch-katholischer Sicht weist Kardinal Kasper darauf hin, „dass nach katholischem Verständnis die Einheit mehr ist als ein Netzwerk lokaler oder konfessionelller Kirchen, die einander gegenseitig anerkennen und Eucharistie- und Kanzelgemeinschaft pflegen“ (38) . „Das katholische Verständnis”, so Kasper, „setzt nicht bei den Unterschieden an, um von ihnen aus Einheit zu erreichen, sondern setzt die Einheit im Rahmen der katholischen Kirche und ihrer teilweisen communio mit den anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften als gegeben voraus, von der aus die volle communio mit ihnen erreicht werden soll.“ (39) Kasper weist damit auf unterschiedliche ekklesiologische Konzeptionen hin, die nicht so ohne weiteres miteinander kompatibel seien.

39
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Lothar Lies gibt zu bedenken, dass durch die Leuenberger Kirchengemeinschaft letztlich alles beim Alten bleiben würde. „Auf die Dauer wird es doch“, so seine Befürchtung, „eine Nivellierung aller verbundenen Kirchen geben oder aber eine Profilierung stärkerer Kirchen gegen schwächere“ (40) . Hinzu komme, dass nicht klar ist, was ein differenzierter Konsens wirklich bedeute. „Wie viel Gemeinsames ist notwendig und wie viel Differenz ist zulässig?“ (41) Wie geht man mit theologischen Differenzen von damals um? Lies verdeutlicht die Problematik an der Abendmahlsauffassung. Wenn davon ausgegangen wird, dass verschiedene Gestalten einfach nebeneinander stehen können (wie z.B. beim Amt), komme man dann, so fragt Lies kritisch an, nicht auf eine Gemeinschaft, „die in einer gewissen Weise doch wieder beliebig ist (Basis des Faktischen) und vom Wollen der Partner abhängt?“ (42)

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Zweitens: Von orthodoxer Seite wird auf eine ganze Reihe von erklärungsbedürftigen Themen hingewiesen: (43) auf die Frage der Bedeutung der Rede von einem gemeinsamen Verständnis des Evangeliums und der Sakramente, von Kriterien reiner Predigt und einsetzungsgemäßer Feier der Sakramente (CA 7), des Genügens der Rechtfertigungsbotschaft „als Ausdruck und Kriterium für das gemeinsame Verständnis des Evangeliums“ (44) und des Sinnes der Unterscheidung zwischen geglaubter und sichtbarer Kirche.

41
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Drittens: Als „kontrovers” (45) haben sich auf der Konsultation zwischen der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und der Leuenberger Kirchengemeinschaft (LKG) die Rede von der Kirche als „Sünderin“ (46) herausgestellt sowie diejenige von „versöhnter Verschiedenheit“. (47)

42
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Viertens: Aus persönlicher Sicht möchte ich als römisch-katholische Theologin noch ein paar Überlegungen hinzufügen. Es wäre wünschenswert, wenn die verschiedenen Sprachgestalten und Denkweisen deutlicher herausgearbeitet würden. Aufgezeigt werden müßte, was das unaufgebbar Gemeinsame ist. Die Unterscheidung zwischen „Grund” und „Gestalt” könnte sich hier als hilfreich erweisen („Grund“ hat mit „Wesen“ zu tun), ohne jedoch beides voneinander zu trennen.

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Weiters scheint mir die Unterscheidung zwischen „Einheit” und „Einigung der Kirchen” bedenkenswert: (48) „Um die hohe Bedeutung der in Christus schon gegebenen Einheit der Kirche und der Bemühungen der Kirchen, dieser Einheit zu entsprechen, zu unterstreichen, empfiehlt es sich, mit dem Dokument ‘Die Kirche Jesu Christi’ zwischen Einheit der Kirche und Einigung der Kirchen zu unterscheiden....” (49) Wie muß das Bemühen um Einigung aussehen, damit der in Jesus Christus begründeten Einheit entsprochen wird? Oder trinitarisch ausgedückt: Wie muß der Umgang der Kirchen miteinander aussehen, damit in der Verkündigung und in der konkreten Gestalt von Kirche das Geheimnis der Trinität aufleuchtet, ohne mit einer trinitarischen Argumentation das Faktum konfessionell getrennter Kirchen zu zementieren? (50)

44
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In der Konsultation zwischen der Konferenz Europäischer Kirchen und der Leuenberger Kirchengemeinschaft wird die Leuenberger Kirchengemeinschaft mit der Struktur autokephaler orthodoxer Kirchen in Verbindung gebracht. (51) Die Leuenberger Konkordie verstehe, so heißt es in der Konsultation, Einheit als „Kirchengemeinschaft“ (52) . Hier stellt sich die Frage, was unter „Kirchengemeinschaft“ genau zu verstehen ist. Die Einmütigkeit des Glaubens wird in der Leuenberger Konkordie als Voraussetzung für Glaubwürdigkeit verstanden. (53) Lehrgespräche werden damit notwendig. Von einer „Konsensunion“ (54) distanziert man sich ausdrücklich. Es gehe nicht um die „Bildung einer organischen Union reformatorischer Kirchen“ (55) . Zu fragen ist: Wieviel Gemeinsamkeit muß für eine Einigung vorausgesetzt werden, wieviel Verschiedenheit ist möglich? Genügt das Ausformulieren eines Minimalkonsenses, wie es die Confessio Augustana (CA 7) tut, nämlich Übereinstimmung im Bezug auf die Lehre des Evangeliums und in der Verwaltung der Sakramente? (56) CA 7 wird in der Konsultation geradezu als „Basisdokument der Leuenberger Kirchengemeinschaft“ bezeichnet.

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3. Facit

46
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Die angeführten Stellungnahmen zeigen, dass für die Leuenberger Kirchengemeinschaft bzw. GEKE noch viel zu tun bleibt. Strukturelle Schwierigkeiten sind zu meistern und theologische Fragen zu klären. Die Studie „Die Kirche Jesu Christi“ ist ein beachtenswertes Dokument. Die darin enthaltenen ekklesiologischen Überlegungen bedürfen dringend einer Fortsetzung (gerade auch - in der Studie angesprochen - mit Blick auf das Amt). Es wird sich zeigen, inwieweit die Leuenberger Kirchengemeinschaft bzw. GEKE mit ihren Überlegungen tatsächlich, wie bereits in der Leuenberger Konkordie (LK Nr. 46) als Auftrag formuliert wurde, geeignet ist, „der ökumenischen Gemeinschaft aller christlichen Kirchen“ (57) zu dienen. Eine solcher Dienst hätte nicht nur inner- bzw. zwischenkirchliche Bedeutung, sondern auch gesellschaftspolitische Auswirkungen. (58)

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Anmerkungen:

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1.

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 Die im Folder angegebene Zahl (spring 2005) von 104 Kirchen deckt sich nicht mit der im Internet angegebenen Zahl von 103 Mitgliedskirchen.

50
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2.

51
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  Folder (spring 2005).

52
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3.

53
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 Vgl. Konsultation zwischen der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und der Leuenberger Kirchengemeinschaft (LKG) zur Frage der Ekklesiologie. Bericht über die Konsultation vom 28.11.-1.12.2002. Referate und Schlusskommuniqué (Leuenberger Texte Heft 8). Frankfurt a. Main 2004, 45.

54
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4.

55
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 Die Studie „Die Kirche Jesu Christi” wurde mit einer Enthaltung einstimmig angenommen: Leuenberger Kirchengemeinschaft / Gemeinschaft reformatorischer Kirchen in Europa, Die Kirche Jesu Christi. Der reformatorische Beitrag zum ökumenischen Dialog über die kirchliche Einheit (Leuenberger Texte 1). Frankfurt a. Main 1996 (2. Aufl.).

56
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5.

57
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  Ebd. 17.

58
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6.

59
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  Ebd. 10.

60
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7.

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  Ebd. 19.

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8.

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  Ebd.

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9.

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  Ebd.

66
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10.

67
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 „Die Kirche ist bestimmt, als Zeugin des Evangeliums in der Welt Instrument Gottes zur Verwirklichung seines universalen Heilswillens zu sein” (ebd. 37f).

68
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11.

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  Vgl. ebd. 25.

70
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12.

71
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  Ebd. 26.

72
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13.

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  Ebd.

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14.

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  Ebd.

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15.

77
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  Ebd.

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16.

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  Ebd.

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17.

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  Ebd. 27.

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18.

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  Ebd.

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19.

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  Vgl. ebd.

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20.

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  Ebd. 22.

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21.

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  Ebd. 30.

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22.

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  Vgl. ebd. 28f.

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23.

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  Vgl. ebd.

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24.

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  Ebd. 29.

96
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25.

97
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  Siehe dazu ebd. 31-34.

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26.

99
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  Vgl. ebd. 33.

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27.

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  Ebd. 34.

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28.

103
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  Vgl. ebd.

104
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29.

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  Ebd.

106
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30.

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  Ebd.

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31.

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  Ebd. 55.

110
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32.

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  Ebd. 56.

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33.

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  Ebd.

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34.

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  Ebd. 57.

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35.

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  Ebd. 58.

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36.

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  Ebd.

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37.

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  Ebd. 60.

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38.

123
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 W. Kasper, Wege der Einheit. Perspektiven für die Ökumene. Freiburg i. Breisgau 2005, 96.

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39.

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  Ebd.

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40.

127
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 L. Lies, Grundkurs Ökumenische Theologie. Von der Spaltung zur Versöhnung. Modelle kirchlicher Einheit. Innsbruck / Wien 2005, 213.

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41.

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  Ebd. 214.

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42.

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  Ebd. 215.

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43.

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 Konsultation zwischen der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und der Leuenberger Kirchengemeinschaft (LKG) - s. Anm. 3.

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44.

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  Ebd. 11.

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45.

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 Unterschieden wird zwischen „gemeinsamen Positionen” (ebd. 10) und dem, was „erklärungsbedürftig” und „kontrovers” ist (ebd. 11).

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46.

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 Siehe dazu den Beitrag von G. Larentzakis, Ekklesiologie in der Leuenberger Kirchengemeinschaft. Bemerkungen aus orthodoxer Sicht, in: ebd. 89-116, hier 95 und 99.

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47.

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  Ebd.

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48.

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  Ebd. 41.

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49.

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  Ebd.

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50.

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 Larentzakis (ebd. 94) warnt m.E. mit Recht vor einem problematischen Mißverständnis, nämlich mit einer trinitätstheologischen Argumentation „den status quo der verschiedenen Kirchen bzw. ihrer Verschiedenheit unverändert zu belassen und die Gemeinschaft bzw. Einheit der Kirchen einfach zu erklären“.

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51.

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  Ebd. 40.

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52.

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  Ebd. 43.

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53.

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  Ebd. 44.

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54.

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  Ebd. 46.

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55.

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  Ebd.

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56.

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  Vgl. ebd. 42.

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57.

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  Ebd. 47.

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58.

163
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 Siehe dazu vor allem das II. Kapitel in der Studie „Die Kirche Jesu Christi“ (45-54) und die Ausführungen von Larentzakis (Konsultation 100). Ökumenische Bemühungen haben sowohl für die Europäische Union (s. dazu die von Larentzakis zitierte ‚Charta Oecumenica‘, Konsultation 105) als auch für das weltweit gemeinsame Engagement Auswirkungen.

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