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Dramatische Beziehung zur Kirche: Bei Ignatius damals und bei uns heute
(Universitätspredigt zum "Ignatianischen Jahr"Universitätspredigt zum "Ignatianischen Jahr")

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:Jesuitenkirche, 11 Uhr Gottesdienst am 13.11.2005.
Datum:2005-11-24

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Da würde sogar der abgebrühte Kirchenfresser unserer Breitegrade seine Ohren spitzen, wenn Ignatius ihm seinen Traum erzählen würde, den Traum, den er bei seiner Reise nach Rom direkt vor den Toren der Stadt geträumt hatte. Er würde seine Ohren spitzen, weil er sich ja so gerne über die Kirche skandalisiert. War dieser Traum bloß eine nächtliche Reaktion auf die Warnung jener aufgeklärte, frommen Dame aus Barcelona, die Ignatius voll Entsetzen vor diesem Unternehmen warnen wollte? “Nach Rom wollt Ihr gehen? Ja, wer dorthin geht, kommt - ich weiß nicht wie - zurück:” Martin Luther ging doch auch nach Rom und kam skandalisiert zurück..., konnte bis zu seinem Lebensende von dieser Wunde nicht lassen. Er kratzte sie immer und immer wieder, damit sie nicht heilt. So als ob er den Schmerz immer neu spüren wollte, jenen Menschen nicht ganz unähnlich, die den schmerzenden Zahn mit ihrer Zunge immer wieder berühren, obwohl sie wissen, dass es ihnen weh tun wird. Sie können es nicht lassen. Sie stolpern immer und immer wieder über das Hindernis.

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War es also eine nächtliche Reaktion auf die Warnung der entsetzten Dame aus Barcelona, oder schon die heilsame Verarbeitung seiner eigenen schmerzhaften Erfahrungen mit der kirchlichen Hierarchie? In Jerusalem wollte der Franziskanerprovinzial ihn ja exkommunizieren, in Alcalá wurden ihm in Abständen von etwa vier Monaten drei Prozesse gemacht, ihm und seinen Gefährten wurde jede öffentliche oder private religiöse Tätigkeit verboten. Er sollte drei weitere Jahre weiter studieren, reifen und schauen, dass es bei seinen Predigten nicht allzu ekstatisch zugeht, v.a. dass Mädchen nicht mehr in Ihnmacht fallen. Der Macht des Inquisitors in Alcalá kaum entkommen, und gerade nach Salamanca angekommen, steht er schon wieder vor Gericht, riskiert wiederum Kopf und Kragen. Die Behörden werden aus dem Mann einfach nicht schlau. Steht ihnen der nächste Chaot und Anarcho gegenüber, der zwar den Hl. Geist zum Anwalt haben möchte, sich auch auf keine Autorität stützen kann, der den kirchenfeindlichen Alumbrados zum Verwechseln ähnlich sei, oder...: steht ihnen gegenüber ein begnadeter Seelsorger, der Menschen zum Heil führen wird und nicht in die Katastrophe? Was sollten sie mit ihm tun, nachdem er mit der eindeutigen Drohung des Generalvikars von Alcalá konfrontiert - man würde ihn verbrennen, wenn man ihn der Häresie überführe -, er, der Angeklagte den Spieß einfach umdreht und sagt: “Auch Euch selbst würde man verbrennen, wenn man eine Häresie bei Euch aufdeckt.” Was sollten die Richter mit ihm tun, mit ihm, der in Salamaca mit einem schon milderen Urteil konfrontiert, unverblümt dem Richter ins Gesicht sagt: Er nehme das Urteil nicht an, deswegen werde er auch Salamanca, ja Spanien verlassen und nach Frankreich gehen. Nach Paris. Dort gehen die Uhren bekanntlich anders. Doch auch in Paris und dann noch in Venedig warten auf ihn weitere Verhöre und Prozesse. Die ständig aufgescheuchten kirchenkritischen Gazetten und sensationsgeilen Anstalten, die heutzutage permanent am ekklesialen Dünnschiss leiden und mit jedem Furz die Kirchenmauern stürzen wollen und auch zu stürzen glauben, diese heutigen Bollwerke des “aufgeklärten” Bewusstseins hätten damals genug am ordentlicheren Stoff gehabt als heute, um die Kirchenhetze zu inszenieren.

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Der ständige kirchliche Druck auf Ignatius hatte allerdings etwas Gutes gebracht. Gerade aufgrund der Verhöre wurde der Hitzkopf gezwungen über seine Erfahrungen nachzudenken, seine Position auch zu verändern uns sich in die spontan gewonnenen Einsichten nicht zu verbeißen. Der anfängliche Eifer eines Bekehrten, der durch haarsträubenden Bußübungen seinen Geist zu bezwingen suchte, läßt mit der Zeit nach und macht der Vernunft Platz. So irrational ist die kirchliche Hierarchie also nicht, wie man sie immer und immer wider hinstellt. Mehr noch: Ignatius vermag sogar - und dies aufgrund der Auseinandersetzung mit kirchlicher Hierarchie - seinen Bußeifer als teuflische Versuchung zu erkennen und als Ausgeburt der wird gewordenen Phantasie.

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Im Streit also erprobt und bereit Nachteile in Kauf zu nehmen, wenn das bloß der Wahrheit dient, im Umgang mit Inquisitoren und Prälaten recht bodenständig geworden - die Gegner würde vermutlich sagen: recht abgebrüht - geht also Ignatius 1537 nach Rom. Man hat ihn ja eingeladen. Er geht und er sieht in einer Vision Gott Vater und Christus und er hört die Worte: “Ich werde Euch in Rom gnädig sein”. Zuerst versteht er die Sache nicht, erzählt sie seinen Gefährten und interpretiert die Erfahrung auf eine doch eindeutige Art und Weise: “Vielleicht werden wir in Rom gekreuzigt werden!”Welche Gefühle über Rom müßten ihn bewegt haben, dass er aus den Worten “gnädig sein” gleich “gekreuzigt werden” heraushörte? Im Unterschied zu uns den Postmodernen skandalisierte sich Ignatius ja an der Kirche nicht, wohl aber rechnete er damit, dass er zum Opfer werden könnte..., dass es ihn gegeben wird, für die Kirche zu leiden und dies durch die Hand der kirchlichen Hierarchie. Man hat ihn nicht gekreuzigt. Das steht ja historisch fest. Doch: Auch in Rom mußte er auf Granit beißen. Er selber sagte: “Er sah die Fenster geschlossen”. Mehr noch: Gerade auf dem heißen Boden Roms wurde er verleumdet. Ein Gerücht, eine Andeutung, ein gezielter Hinweis zur rechten Zeit und der Verdacht der Häresie steht fest im Raum. Was heißt hier Verdacht? Eine klare Sache sollte es gewesen sein! Doch die Verleumder widerrufen ihre Aussagen und der Gouvernatore will die Sache einschlafen lassen. Aber nun lässt Ignatius nicht los. Er will ein gültiges Urteil Ein Gerichtsurteil. Er geht von einer Instanz zur anderen, bis hin zum Papst ... und erreicht einen Rechtsspruch. Zu seiner Gunst. Ein langer, dramatischer Weg zur Kirche, zu der ganz konkreten institutionellen Kirche...: mit ihren Ämtern und ihren Amtsträgern und mit den vielen Gläubigen, die im besten Wissen und Gewissen auch schnüffeln und anklagen können, kirchliche Rivalitäten anheizen, weil sie halt im Guten verhärtet sind, ein langer, dramatischer Weg zu dieser ganz konkreten Kirche ging damit zu Ende. Der unbändige Mystiker wird zum Kirchenmann und dies mit Haut und Haaren. Und warum dies? Reichte ihm nicht aus, dass ihm die religiöse Erfahrung von feinster Art zuteil wurde? Der ganze Himmel schien ja regelmäßig auf Kurzbesuche in seiner Seele gekommen zu sein. Immer wieder. Mit der heiligsten Dreifaltigkeit an der Spitze! Wozu braucht der Mensch, der seinen eigenen Weg zu Gott gefunden hat, dazu noch einen Weg von der besten Qualität, wozu braucht er die Kirche?

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Liebe Schwestern und Brüder. Wir alle - die Postmodernen, selbst die Katholikinnen und Katholiken - tun sich schwer mit einer unbefangenen Antwort auf diese Frage. Zum einen sind wir gewohnt einen dramatischen Weg - einen Weg etwa, wie ihn Ignatius gegangen ist, nur in der Logik des Skandals zu begreifen..., des Ärgernisses, jenes Hindernisses, an dem man sich immer wieder neu stößt, obwohl man ganz genau weiß, was das bringt. Wir skandalisieren uns auf genauso sinnlose Weise, wie wir unseren schmerzenden Zahn mit der Zunge berühren. Außer Schmerz kommt nichts heraus. Zum zweiten aber tun wir uns schwer mit einer unbefangenen Antwort auf die Frage: wozu braucht ein Mensch wie Ignatisu die Kirche, weil wir mit einem übermächtigen, kulturellen Trend konfrontiert sind, der die Menschen in genau entgegengesetzte Richtung lockt: “Willst Du Gott finden, dann nimm Dich vor der Kirche in Acht! Gott ist ja überall zu finden, außer in der Kirche, v.a. der römisch-katholischen!” Deswegen würde unsere Öffentlichkeit, wenn sie schon jemandem Beifall spenden müßte, dies eher für Martin Luther tut. Der gingt ja auch nach Rom, sah das Geheimnis mit eigenen Augen, erkannte was dort los sei und zog nach Hause mit dem Verdacht, der großen Hure Babylons leibhaftig begegnet zu sein und auch dem Antichristen.

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Noch einmal gefragt: Wozu braucht ein Mensch wie Ignatius die Kirche? So paradox es klingen mag, die erste Antwort lautet: Ignatius findet zur Kirche, weil er sich den Mitmenschen zugewendet hat. Deswegen bindet er nach und nach seine individuelle Erfahrung an die kirchliche Gemeinschaft und lässt sich auch von ihr korrigieren. Sein Gewinn? Auch mit äußeren Maßstäben messbar? Ignatius ist kein Esoteriker geworden und kein Spinner, sondern ein Mensch, der für ganze Generationen zum spirituellen Meister wurde. Mehr noch: zum geistigen Vater katholischer Reform. Weltweit! Er war halt überzeugt - und das ist die zweite Antwort -, dass es derselbe göttliche Geist sei, der im Individuum und in der Gemeinschaft wirkt. Einen anderen Weg ist Martin Luther gegangen. Skandalisiert über Rom wandte er sich ab, legte den Schwerpunkt auf individuelle Erfahrung, konfrontierte den Sündern unmittelbar mit dem rechtfertigenden Gott, legte damit auch den Grundstein für die christliche Freiheitserfahrung. Insofern kann man sagen, das beide: Ignatius und Luther auf je eigene Weise mit ihren Talenten “gewuchert” und die christliche Tradition bereichert haben. Luther legte den Grundstein für christliche Freiheitserfahrung. Doch nicht nur für diese. Er legte auch den Grundstein für den modernen Individualismus. Der s+ndige Mensch und der ihn rechtfertigende Gott machten in der Aufklärung dem autonomen Ich Platz und dieses in den Zeiten der Postmoderne dem Konsumindividuum. Dieses lässt aber nach und nach alle Bindungen hinter sich, weil es unter Freiheit nicht mehr die Freiheit vor Gott versteht, sondern Freiheit von allem, was sein Konsumverhalten behindert. Ungebundensein - also frei! Schlussendlich aber einsam und verbittert.

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Ignatius sah den gleichen göttlichen Geist in der Seele des Individuums und in der Kirche wirksam und er ordnete die Kirche dem Individuum sogar vor. So paradox dies angesichts seines dramatischen Weges klingen mag: er ordnete die Kirche dem Individuum vor! Und warum? Schon rationale Gründe scheinen dafür zu sprechen. Weil der Mensch ins Leben geworfen wird und er auch nur leben kann, insofern ihm das Leben in einer Gemeinschaft schon immer geregelt wird! Von seinem tieferen Wesen her sit der Mensch auf die Gemeinschaft angelegt. Ja, er wird zum Menschen in der Gemeinschaft, genauso wie er zum Christen in der Kirche wird. Und wie jede echte menschliche Gemeinschaft letztendlich keine rational überschaubare Größe ist (Familie also kein Verband zur Aufzucht von potentiellen Steuerzahler), sondern eine geheimnisvolle Wirklichkeit, mit all den Vorurteilen und affektiver Enge, aber auch mit all den Aspekten von Geborgenheit, wie also jede echte menschliche Gemeinschaft eine geheimnisvolle Wirklichkeit ist, so ist es letztendlich auch die Kirche. Unsere kirchenkritischen Gazetten und sensationslüsterne Öffentlichkeit reden uns zwar ständig ein, die Kirche wäre eine durchschaubare Machtinstitution, ihr Geheimnis sei auf Verschleierungsstrategien zurückführbar. Wir leihen der Hetz unser Ohr und leben ständig im Konflikt, stolpern und stolpern und stolpern, berühren den schmerzenden Zahn mit der Zunge und können von ihm nicht lassen.

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Ignatius ist die Gnade zuteil geworden in seiner mystischen Erfahrung den Vater, Sohn und Geist zu erleben: Dreifaltigkeit, als den tiefsten Grund der Wirklichkeit. Weil er in seiner zutiefst individuellen Erfahrung das letzte Geheimnis schaute: es ist doch Gemeinschaft! - wandte er sich den Mitmenschen zu und ist zum Kirchenmann geworden. Seine Kirchlichkeit vollzog sich in einem Prozess, der der Begegnung von Menschen ähnlich ist: Entwicklung, Auseinandersetzung, Spannung, Krise, Niederlage, letztendlich: Versöhnung. Beten wir füreinander, dass auch uns die Gnade zuteil werde, das letzte Geheimnis der Wirklichkeit: die göttliche Gemeinschaf und die Gemeinschaft der Seligen mit uns selber mitten drin immer wieder neu zu erahnen. Damit wir auf dem dramatischen Weg der Auseinandersetzung mit dem extremen Individualismus heutiger Tage den fundamentalen Wert der Kirchlichkeit schätzen, und nicht bloß stolpern und sich skandalisieren. Der Mensch wird ja zum Menschen in der Gemeinschaft, so wie auch der Christ zum Christen in der Kirche wird.

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